Arda Fanfiction

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Vom Anzünden und Ausblasen

von Aranel

Chapter #1

Der Winter war nicht schrecklich an den Mündungen des Sirion, doch es konnte nahe der See manchmal ziemlich stürmisch werden, und häufig lag morgens Frost dick auf dem Gras und den Felsen und der eigene Atem kam am frühen Morgen wie eine dichte Wolke hervor, dunstig in den blassen Strahlen des Sonnenlichts.

Dennoch war Elwing noch am Strand, als die Sonne auf dessen Fläche zu glitzern begann und lief auf einem langen Streifen des kalten, weißen Sandes hin und her. Manchmal waren ihre Schritte eher eilig und erregt, dann wieder verlangsamten sie sich und wurden gemächlich, doch es blieb eine Tatsache, dass die junge Dame auf- und ablief.

Ein dickes, wollenes, grau-blaues Umhängetuch war eng um ihre Schultern gewickelt und in jeder grau-behandschuhten Hand umklammerte sie eine Kerze, eine blaue und eine gelbe.

Von seinem Platz aus etwas weiter den Strand hinunter entschied Earendil, dass die Kerzen für eine Art Mittwinterfeier sein mussten, etwas Heimisches aus Elwings Doriath. Seine Mutter erwarb viele Kerzen für Mittwinter, doch gewöhnlich kaufte sie nur weiße, manchmal mit silberner Farbe in Sternenmustern verziert. Gerade jetzt dürfte sie dabei sein, sie in ihre Glashalter zu stecken und sie für das spätnächtliche Anzünden und das Singen an diesem Abend vorzubereiten. Auch würde sie die Diener an ihre Pläne für das Hauptmahl erinnern und ebenso an die kleinen Platten mit Leckereien, die auf den Tischen zurückgelassen würden für jeden, der vorbeikommen könnte. Dünne, süße Waffeln mit Mandelcreme bestrichen, knusprige Kekse und etwas eingelegten Fisch, honigsüße Kuchen mit Marmelade… Earendils Mund wurde wässrig und er war fast soweit, auf diese Chance eines Treffens mit Elwing zu verzichten, um für ein anständiges Frühstück nach Hause zu gehen, doch dann runzelte er die Stirn. Seine Mutter würde ebenso seine Kleider für den Tag herauslegen. Und es war nicht unwahrscheinlich, dass sie ihn dort haben wollte, um Dinge anzuprobieren und anzubehalten.

Er seufzte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den kleinen, plätschernden Wellen am Strand und Elwings Auf- und Ablaufen zu.

Doch sie hatte angehalten und sah auf das Meer hinaus, ihre Arme über der Brust gekreuzt. Sie starrte einfach nur hinaus über das grau-blaue Wasser, das weiß schimmerte, wo die Sonne darüber zu stehen kam, und betrachtete eigentlich nichts. Da es Mittwinter war, gab es keine Boote, denen sie nachblicken konnte und im Moment schien es nicht einmal irgendwelche Seevögel zu geben. Sie starrte nur, und starrte und starrte.

Earendil bemerkte erneut, dass die Kerzen fest in ihrem Griff gehalten wurden, auch wenn ihre Knöchel fast weiß waren. Es wurde ihm allmählich bewusst, dass er diese Kerzen schon zuvor gesehen hatte… eine blaue und eine gelbe. Sie standen auf dem Kaminsims in dem Wohnzimmer des Hauses, in dem Elwing mit ihrem Großvater lebte. Es war merkwürdig gewesen, solche sonderbaren Kerzen in den zarten Silberleuchtern zu sehen – der Raum war in sanften Schattierungen von gedecktem Grau und Grün mit silbernen Verzierungen dekoriert, und doch war dort immer eine sonderbare, strahlend blaue Kerze, zusammen mit einer auffallenden gelben. Selbst an den Abenden würden weder Elwing noch Galathil jene Stangen aus hellem Wachs anzünden.

Verwirrt glitt Earendil von seinem Sitzplatz und suchte sich seinen Weg über den Sand, vor sich hinsummend, um das Mädchen nicht zu erschrecken. Er hatte sie immer als viel zu mädchenhaft erachtet, als sie jünger waren, doch kürzlich hatte er bemerkt, dass ihr langes, dunkles Haar, das in Locken endete, es mehr wert war, mit einigen Fingern darüber zu streichen, als daran zu ziehen, und die grauen Augen, die ihn häufig zornig anstarrten, funkelten so oft wie sie aufglommen.

Elwing wandte sich mit einem leichten Aufschrecken um, ein zittriges Lächeln auf ihren Lippen und die Kerzen fest an ihre Brust gedrückt. „Earendil! Was tust du hier?“

„Auch dir ein schönes Mittwinterfest.“ Er hob eine Augenbraue, trat nach einem großen Kiesel im Sand und starrte dann hinaus auf das Meer. „Es ist schon Pech, dass niemand am Mittwintertag segelt; das Wetter ist schön.“

„Das ist es.“ Elwing nickte langsam und folgte seinem Blick. „Doch was bringt dich her? Deine Mutter wird nach dir suchen, und dein Vater.“

„Ja.“ Earendil nickte, verschränkte die Arme vor seiner Brust und wandte sich ihr zu. „Ich kam nur, um dir ein schönes Mittwinterfest zu wünschen.“ Er hielt inne und blickte zu den hellen Kerzen in ihren Händen. „Darf ich nach ihrem Sinn fragen? Ich habe sie in eurem Haus bemerkt, auf dem Kaminsims, aber ich verstehe nicht…“

„Oh.“ Elwing schien ziemlich verlegen und sie hielt die Kerzen eher zögernd von sich. „Sie sind für… für die Trauer.“ Als Earendil nicht anerkennend nickte, sondern nur auf eine Erklärung zu warten schien, fuhr sie fort. „Für meine Brüder, du wirst verstehen. Wir… wir zünden sie an und setzen sie auf das Wasser und…“ Für einen langen Moment starrte sie den jungen Mann ihr gegenüber an und seufzte. „Es ist Mittwinter.“

Earendil nickte endlich langsam und schob eine Hand in die tiefe Tasche seines schweren Umhangs und suchte. „Brauchst du etwas zum Anzünden?“

„Entschuldige?“ Elwings dünne Brauen hoben sich und Earendil starrte sie an und wartete, dass sie seine Frage erfasste. „Möchtest du, dass ich sie anzünde?“

„Du kannst sie nicht… einfach anzünden.“ Elwing schüttelte rasch ihren Kopf. „Es… es braucht eine Weile. Du solltest heimgehen.“

„Ich habe Zeit.“ Earendil zuckte mit den Schultern, zog einen Feuerstein hervor und trat neben sie. „Welche ist welche?“

Elwing hatte in den Falten ihres Umhangs nach den hölzernen Schwimmern für die Kerzen gegriffen und staunte Earendil ein wenig an. „Was meinst du?“

„Welche Kerze ist für welchen Bruder?“ Earendil sah zu, wie das Mädchen eine Kerze in jedes der leichten Schwimmer steckte, und ihre Hände zitterten. Er fragte sich, ob sie zitterte, weil ihr kalt oder weil sie verärgert war, und er dachte, es könnte ein bisschen von beidem sein. Er ließ seinen Ton weicher werden, als er sie ansah und wartete, dass sie zu ihm aufblickte. „Du hattest zwei, richtig?“

„Ja“, antwortete Elwing leise, ohne aufzusehen. Sie nahm die Kerzen in ihren Schwimmern und ging zum Rand des Wassers, wo die Wellen auf den Sand schwappten und ihn dunkel zurückließen, wenn sie sich zurückzogen. „Ich… ich erinnere mich nicht sehr gut an sie, nicht mehr. Aber ich vermisse sie.“

„Das tut mir leid.“ Earendil kniete sich neben die Schwimmer und versuchte, den Docht einer Kerze zu entzünden. Er hatte noch nie zuvor etwas so Kleines wie eine Kerze mit dem Feuerstein entzündet und fragte sich, ob Elwing etwas anderes zu tun vorgehabt hatte. Beide, er und Elwing, schwiegen, während er sich abmühte, und endlich flammte der Docht der gelben Kerze auf und Elwing zündete an ihr die blaue an. Dann setzte sie beide vorsichtig auf das Wasser und beobachtete, wie sie auf und abhüpften. „Wir sprechen immer, bis wir sie nicht mehr sehen können“, flüsterte sie, hockte auf ihren Fersen und wickelte ihre Hände in den gedeckt roten Stoff ihres Gewandes. „Du kannst jetzt gehen.“

„Ein schönes Mittwinterfest, Brüder von Elwing.“ Earendil wandte sich stattdessen dem Wasser zu und starrte unbeweglich auf die zuckenden Flammen der Kerzen. „Eure Schwester ist schön, und gut.“

„Ihre Namen sind Eluréd und Elurín“, flüsterte Elwing wieder, ein bisschen zittrig, als sie Earendil einen langen Blick zuwarf, und sie fühlte sich merkwürdig erfreut, als sein Blick sich nicht vom Wasser abwandte. Sie sah zu den Kerzen hin und sprach sanft: „Es ist Winter hier, doch nicht annähernd so kalt wie in Doriath. Ich mag die Wärme des Sommers, wenn die Vögel da sind und wenn die Sonne auf den Sand scheint und durch die Fenster des Hauses dringt. Ich weiß nicht, ob ihr Mittwinter in Mandos habt, oder Valinor oder… oder wo immer ihr seid…“

Earendil lauschte, wie Elwings Stimme verstummte und kniete im Sand neben ihr, den Kerzen mit den Augen folgend. Schließlich begann Elwing von neuem und ihre Worte kamen langsam und mit Bestimmtheit. „Ich erinnere mich an ein Mittwinterfest in Doriath, doch ich erinnere mich nicht, ob es… das letzte war… oder ob es davor war. Eluréd zog mich auf einer Decke hinter sich her, einer grünen, und Elurín sang ein Lied. Wir gingen die Treppen hinauf, ihre ganze lange Flucht zu den Fenstern, und wir zündeten unsere Mittwinterkerzen an und Eluréd sagte, er hoffte, sie würden die ganze Nacht hindurch brennen, damit es uns erlaubt wäre, sie am Morgen auszublasen. Sie hielten nicht solange, doch es war schön…

Ich wünsche mir, wir könnten mehr Mittwinterfeste wie jenes haben. Ich wünsche mir, wir könnten dieses haben. Da sind nur Daerada und ich… Ich erinnere mich nicht richtig an Adar und Naneth, doch ich erinnere mich an euch beide und es wäre schön, euch hier zu haben. Wir zünden heute Nacht Kerzen an und wir werden sie in die Fenster stellen, wie wir es immer getan haben.“

Elwings Atem stockte, als Earendil die kleinen Flammen aus den Augen zu verlieren begann und er hörte, wie sie sich eilte, die letzten Worte zu sprechen. „Mögen Vardas Sterne hell über euch an diesem Mittwinterfest scheinen, und möge ihr Licht sich verstärken, dort wo ihr seid.“

„Lebt wohl“, flüsterte Earendil und empfand, dass er vielleicht hätte heimgehen sollen, wie Elwing vorgeschlagen hatte. Sie hatte nicht viel gesagt, doch sie konnte nicht mehr sagen, als an was sie sich erinnern konnte, und er spürte, dass dies ihr gehörte und nicht ihm. Er war überrascht, als sie rasch vom Boden aufstand, den Sand von ihrem Gewand klopfte und lächelte, als sie loszugehen begann.

„Das ist nun getan“, sagte sie forsch und machte sich auf den Weg zu dem Pfad, der zu ihrem Haus führte. „Dir ein schönes Mittwinterfest, Earendil.“

„Danke.“ Earendil stieß sich hoch, ein bisschen verwirrt über ihre rasche Veränderung, bis er bemerkte, dass ihre Augen ziemlich schimmernd und feucht waren. „Elwing… es tut mir leid.“

„Das braucht es nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern und ordnete ihren Umhang. „Was getan ist, ist getan. Wir waren klein.“

„Elwing.“ Earendil suchte in seinem Sinn nach etwas, das er sagen könnte und folgte ihr den Abhang mit seinem Flugsand und dem vereisten, fleckenweise wachsenden Gras hinauf. „Wir zünden auch in meinem Haus Kerzen an. Sie sind… meine Mutter kauf sehr große.“

„Das ist schön.“ Elwing atmete tief ein und schniefte ein bisschen. Earendil wusste, dass sie seine Bemerkung reichlich dumm fand und eilte sich, sie aufzuholen und legte eine Hand auf ihren Arm.

„Sie brennen stets noch am Morgen“, erklärte er hastig. „Wenn du kommen möchtest… kommen und sie mit mir ausblasen.“
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