Arda Fanfiction

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Hand in Hand

von illyria-pffyffin

Kapitel #1

„Wenn es irgend etwas gibt, das wir tun können...“ Sie kamen einer nach dem anderen und sagten die selben Worte, den selben unvollendeten Satz, wieder und wieder. Sie tätschelten ihm die Hand, das Haar, die Schultern. Sie hielten ihn und wandten sich schnüffelnd ab, betupften sich die Nasen und Augen. „Armes, liebes Kerlchen, armes liebes Kerlchen“, murmelten sie, während sie ihn verließen.

Und er stand da, grimmig und feierlich, in seinem frischen, ockerbraunen Anzug und der Weste aus reichem Brokat, die mehr zu einem Fest passte als zu einer Beerdigung. Aber wieso sollte ein Kind von zwölf auch anständige Trauerkleidung haben, nur um sie auf der Bestattung seiner eigenen Eltern zu tragen? Es war zu früh. Zu früh.

Seine Augen waren klar; sie glitzerten wie die sonnenbestäubte Oberfläche des Flusses, der sein Leben und das Leben seiner Eltern mit sich fortgetragen hatte. Er war bleich, und die dunklen Schatten unter seinen Augen sprachen von einer schlaflosen Nachtwache. Er sah bereits zu alt aus für einen Zwölfjährigen.

„Danke.“ sagte er leise und fest. „Das werde ich.“ Er schlang seine Arme um die Schultern der Damen, die sich bückten, um ihn unter ihren üppigen Schultertüchern zu begraben, während sie ihn umarmten. Ich konnte seine Augen sehen, die zwischen den Tuchfalten hervor spähten. Sie waren trocken, ruhig, zu hell, zu leer.

„Sei jetzt ein guter Junge... lauf nicht herum und mach deinen Onkeln und Tanten Kopfweh.“ (Sie sind alles, was du hast, jetzt, wo deine Eltern weg sind.)

„Das werde ich nicht, ich versprech’s. Danke, dass du gekommen bist, Vetter.“ (Das weiß ich. Du musst mich nicht dauend daran erinnern.)

„Komm zum Julfest in die Smials. Wir machen ein Feuerwerk und fahren Schlitten. Er wird dir dort gefallen.“ (Es wird dir helfen zu vergessen.)

„Das werd ich, wenn Onkel Rory es erlaubt. Danke für das Angebot.“ (Aber ich will nicht vergessen.)

„Pass gut auf dich auf. Iss genug und schlaf genug. Das hilft.“ (Du wirst darüber wegkommen.)

„Ganz bestimmt. Dankeschön, Tantchen.“ (Ich weiß nicht, ob ich das kann.)

Es erschien mir falsch für einen kleinen Jungen, so gefasst und ruhig zu sein am Tag der Beerdingung seiner Eltern. Es erschien mir falsch für einen Jungen von zwölf, so gefasst und ruhig zu sein. Wo war dieser Junge, der aufgeregt meine Hand genommen und mich auf eine Runde mitgenommen hatte, um Lieblingsbäche, Quellen und Wälder zu besuchen und mir stolz zu zeigen, wo die Vögel ihre Nester bauten und die taugesprenkelten Spinnennetze Spitzen waren, aus Diamanten gemacht? Wo war der Junge, der mich lehrte, was es hieß, das Lachen eines anderen zu vermissen, der Junge, der meine ursprüngliche Überzeugung geändert hatte, dass Kinder eine pure Heimsuchung waren, in die irreführende Täuschung von Niedlichkeit verpackt?

Es war beinahe furchterregend, den teilnahmslosen Blick in seinem Gesicht zu sehen, als er neben den offenen Gräbern seiner Eltern stand und auf Geheiß Blumen verstreute, allem äußeren Anschein nach gelangweilt von der ganzen Prozedur. Wo war der Junge, der sich hinter der Tür versteckte, um sich freudig in der Minute auf seinen Vater zu stürzen, wenn der den Smial betrat, der Junge der heftig kicherte, während er sich mit Dolgo Beutlin auf dem Teppich balgte? Wie viele Male hatte ich Primulas Singsang gehört: „Wo ist denn mein kleiner Junge?“ und ihren jungen Sohn aufspringen sehen, um sie zu umarmen und zu küssen und lachend zu antworten: „Ich bin das, Mutter! Ich bin dein kleiner Junge!“ Wo war dieser Junge jetzt? Wo war dieses lächelnde Kind, dessen Augen sein Herz in die Welt hinein sprachen – nein, sangen?

Ich betrachtete die Kutsche des Thain, um die sich ein Rudel Verwandte drängelte. Wenn alle fortgegangen waren, was würde dann mit ihm geschehen, mit diesem Waisenkind des Flusses? Hatte er die Konsequenzen dessen, was geschehen war, voll und ganz begriffen? Hatte er verstanden, was ihm jenseits dieses Tages bevorstand? Oder weigerte er sich noch immer, zu begreifen? Schloss er alles aus, das abseits der ruhigen Fassade lag, begrenzt von Gleichgültigkeit?

Für eine Weile - selbst mit all den Hobbits um sich herum, einem Rudel Tanten, Onkel und Vettern und Basen, die schwatzten, während sie auf ihre Kutschen warteten – sah er völlig allein und verlassen aus. Ich schlenderte an seine Seite und fragte mich, was ich für diesen Jungen tun konnte, der jeden Trost zurückwies, selbst die Trauer, die er so verzweifelt brauchte. Als ich gestern ankam, gab er mir ein sehr formelles „Es ist gut, dich wiederzusehen, Vetter Bilbo. Danke, dass du gekommen bist.“ zur Begrüßung, ohne die Umarmung, ohne das unablässige Bombardement mit Fragen und die knabenhaften Berichte, die mich üblicherweise willkommen hießen. „Es tut mir sehr leid, Frodo.“ sagte ich, plötzlich sprachlos angesichts einer so entschlossenen Zurückweisung von einem, der so jung und so verloren war. „Danke, Vetter Bilbo.“ erwiderte er. „Ich weiß das wirklich zu schätzen.“ Sollte ein Zwölfjähriger so sprechen? Wo war der Frodo Beutlin, den ich gekannt und geliebt hatte? Dies war ein fremder Junge, der da neben mir stand, dicht genug, um ihn leicht zu berühren, und doch zögerte ich, ihm auch nur die Hand auf die Schulter zu legen. Ich ertappte mich selbst bei dem Gedanken, wie abgedroschen ihm diese Geste vorgekommen wäre nach diesem Anschlag umarmender und küssender Tanten. Wie konnte ich ihn über den weiten Abstand hinweg erreichen, den er so hartnäckig einhielt zwischen sich und jedem, der ihn liebte? Meine Finger zuckten an meiner Seite, so niederschmetternd hilflos und zurückgehalten. Ein plötzlicher Stich der Sehnsucht ließ meine Hand zu der Manteltasche wandern, wo ich meinen Ring aufbewahrte.

Etwas Kleines und Kaltes glitt in meine halb erhobene Hand und ich erstarrte. Ohne hinunterzuschauen konnte ich fühlen, dass es die Hand eines anderen war. Frodos Hand. Seine klammen Finger fassten zu und zerrten schwach an meinen Panik Furcht und wurden schlaff Vertrauen Erleichterung als sich meine Hand schützend um sie schloss sicher du bist sicher ich bin hier.

Ich räusperte mich, schaute den Jungen an und fand den selben undurchdringlichen Ausdruck auf seinem Gesicht; noch immer schaute er starr geradeaus. „ Ich fühle mich ziemlich hungrig, Frodo“, begann ich und er drehte sich um, um mich mit seinen kalten, ausgehöhlten Augen anzusehen. „Würdest du mir bitte den Weg zur nächsten Speisekammer zeigen? Ich fürchte, ich werde mich nie in diesem riesigen Irrgarten von einem Smial zurechtfinden, und mit einem leeren Magen kann ich nicht sehr gut denken.“

Ein höflich-verbindliches Lächeln, das verblasste, bevor es die Schatten in seinen Augen verbannen konnte. „Aber sicher, Vetter.“ sagte er. „Hier entlang.“

Er sagte nichts, als wir durch die Tür hineingingen, und ich fing an, von Orks zu schwatzen, die mich und meine Gefährten durch die dunklen Gänge unter den Bergen hetzten. Dann drehte er sich um und ich fand mich selbst in einem schwach erhellten Durchgang wieder, der, anders als die anderen, die wir vorher durchquert hatten, völlig ausgestorben war.

Er blieb stehen; seine Hand zuckte ängstlich in meiner.

„Frodo?“ forschte ich sanft, als ich mich vor ihm hinkniete.

„Sie kommen nicht zurück.“ Sein Gesicht war in den Schatten verborgen, aber der Klang von Pein und Verwirrung in dieser angespannten, kleinen Stimme war nicht misszuverstehen. „Ich habe Angst.“

Ich streckte die Hände aus und sie kamen auf der zitternden Gestalt des kleinen Hobbits vor mir zur Ruhe. Zwei kleine Hände landeten auf meinen Jackenaufschlägen, dann beugte er sich vor und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter, und er fing an zu weinen.

Ich konnte mir nichts Traurigeres vorstellen als das gebrochene Schluchzen eines von Kummer betroffenen Kindes. Wenn eine Stimme, zu der Singen und Lachen mehr passte, von Verzweiflung sprach, dann war es, als wäre ein Schleier vor die Sonne gezogen worden, als ob die Welt für immer zu dunkel und zu kalt wäre, als dass Freude darin leben konnte. Meine Tränen fielen auf sein Haar, als ich mit ihm weinte und seinen grausamen, unzeitigen Verlust der Unschuld beklagte.

Ich weiß nicht, wie lange wir dort auf dem Boden saßen, meine Arme um ihn geschlungen, während ich ihn heftig an mich gedrückt hielt und mir wünschte, ich könnte ihn vor noch mehr Schmerz und Angst beschirmen. Als die Dunkelheit sich von meinem Geist hob, konnte ich wieder die gewölbten Wände sehen, rotbraun leuchtend in dem Kerzenlicht, das das tränenüberströmte Gesicht zeichnete, das mit geschlossenen Augen an meiner Brust lag. Es war nicht länger das Gesicht eines Fremden, sondern das eines Kindes; eines Kindes, das ich kannte und liebte. Ein leises Murmeln von Geräuschen kam aus der Ferne; Leute, die miteinander sprachen, schreiende Kinder, ein Lachen, ein lauter Ruf... aber ich nahm nur den Atem des Jungen wahr, tiefer jetzt und regelmäßiger. Ich fischte ein Taschentuch aus meiner Westentasche und betupfte mit das Gesicht damit, bevor ich es Frodo anbot. Er nahm das Tuch und setzte sich auf, wischte sich das Gesicht und putzte sich die Nase.

„Tut mir leid“, sagte er und holte tief und schaudernd Atem. „Ich fürchte, ich hab gerade dein schönes Taschentuch ruiniert.“ sagte er reuevoll und betrachtete das feuchte Tuch in seiner Hand, bevor er mit dem tapfersten Versuch eines Lächelns meinen Augen begegnete.

„Ist schon gut.“ Ich brachte ein eigenes Lächeln zustande. „ich hab immer mehr als eines bei mir, seit ich von diesem Abenteuer zurückgekehrt bin. Du kannst es erst einmal behalten. Geh nie irgendwo hin ohne ein Taschentuch, Frodo. Erinnere dich daran.“

Er lächelte und faltete das Taschentuch säuberlich zusammen, dann beugte er sich plötzlich vor und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Dankeschön.“ sagte er einfach.

Verblüfft blickte ich ihn an und sah den ersten Schimmer der vertrauten Glut in seinen Augen, das Leuchtfeuer, das mich zu ihm gezogen hatte von dem Moment an, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, ein Kind, das mit gerunzelter Stirn meiner Geschichte lauschte; ein Leuchten des Entzückens, dass hell in seinen dunklen Augen flammte und den Ausdruck wiedergab, den ich in meinem Spiegelbild fand. Sein Lächeln war scheu und unsicher, aber seine Augen waren nicht länger die verriegelten, verbarrikadierten Tore zu dem, was immer noch in ihm brannte und ihm wund rieb. Ich konnte sehen, dass er nach wie vor litt, aber dass er mir gestattete, es überhaupt zu bemerken, war eine Veränderung, die ich beruhigend fand.

Er stand auf. „Hast du immer noch Hunger?“ fragte er mit einem Hauch von Entschuldigung und einer Spur seines üblichen Mutwillens.

„Ja, habe ich.“ sagte ich, und mit meiner Stimme fand ich auch meine Fassung wieder, erhob mich vom Fußboden und zog meine Jacke zurecht. „Heißhunger.“

„Genau wie ich.“ sagte er. „Komm mit. Ich weiß, wo der Koch die Kuchen für den Tee aufbewahrt.“

Wir gingen Seite an Seite zum Ende des Korridors hinunter, seine Hand in der meinen.

ENDE

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