Arda Fanfiction

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Das Band, das uns verbindet

von Lily Dragonquill

Trollhöhen

Eine schwere Bürde schien auf Pippins Lidern zu lasten, als er in das blendende Licht des Feuers blickte. Er fühlte sich wie in einem Traum. Immer wieder fiel ihm der Kopf auf die Brust und verschwommene Bilder erschienen vor seinen halbgeschlossenen Augen. Seine Glieder schmerzten und trotz der goldenen Flammen, die ihm nun viel zu hell erschienen, war ihm kalt. Der frostige Wind fand seinen Weg selbst durch den Wollmantel und die Decke, die Pippin um sich gewickelt hatte und das kleine Feuer, das sie entzündet hatte, half wenig die Wellen der Kälte, die seinen Körper erschütterten, zu lindern.

Pippin fühlte eine kalte Hand an seiner Hüfte, als Merry ihn enger zu sich zog. Bereitwillig kuschelte er sich an seinen Vetter, wobei er Frodo, dessen Kopf schwer auf Pippins linker Schulter ruhte, mit sich zog. Zur völligen Enttäuschung des jungen Tuks nahm ihm ein erneuter Windstoß die neu gewonnene Wärme ebenso schnell, wie sie gekommen war. Sein erleichtertes Seufzen wurde zu einem frustrierten Klagen, das dem beunruhigenden Seufzen und Stöhnen der Baumwipfel über ihnen in nichts nachstand. Das Geräusch ließ selbst sein heiteres Gemüt düster und elend werden und im Augenblick fühlte er sich zu müde um gegen die zunehmende Schwermut anzukämpfen. Alles was er wollte, war ein wenig Ruhe, etwas Schlaf in einem warmen, weichen Bett mit einer dicken Decke - nein, zwei dicken Decken - ein warmes, knisterndes Feuer im Kamin in seinem Zimmer in den Großen Smials und eine dampfende Tasse Tee.

Er hatte den angenehmen Geruch von Kamille bereits in der Nase, fühlte das Gewicht vieler Decken auf seiner Brust und hörte das Knistern des Feuers, als sich ein weiterer Windstoß in seinen Locken verfing und einen eisigen Schauer durch seinen Körper schickte. Pippin schreckte hoch und richtete seinen verschlafenen Blick auf die knorrigen Baumwurzeln, die über die flache Grube hingen, in der sie rasteten. Schatten tanzten vor seinen schweren Lidern und Pippin schüttelte sie müde von sich ab.

"Pippin?", frage sein Vetter leise, woraufhin sich der junge Hobbit umwandte, um Frodos verwirrtem Blick zu begegnen. Der ältere Hobbit sah erschöpfter aus, als jemals zuvor und seine Augen schienen nicht so klar, wie sie es einst gewesen waren. Pippin kam es so vor, als hätte sich ein Schatten über sie gelegt, der den Funken des Lebens den sie enthielten nun verbarg.

"Es tut mir Leid", wisperte er. Pippin war selbst ein wenig verwirrt, doch wurde ihm nun klar, dass es Frodos Kopf gewesen war, der auf seiner Brust geruht hatte, und nicht etwa warme Decken. Seine Bewegung hatte Frodo geweckt. Pippin legte einen müden Arm um Frodos Schulter, zog ihn zu sich und erlaubte ihm, den Kopf auf seine Beine zu betten. "Schlafe und ruhe dich aus, solange du es kannst", flüsterte er und doch wurde er von seinen eigenen Worten verraten. Frodo hatte schon seit langer Zeit nicht mehr geruht und er wirkte mit jedem Tag noch erschöpfter.

Frodo protestierte nicht, als Pippin seinen Kopf auf dessen Schoß geleitete. Seine Augen schlossen sich noch bevor er den Boden berührte, wo er sich zu eng zusammenrollte, in der Hoffnung so etwas Wärme zu gewinnen. Nichtsdestotrotz hörte er nicht auf zu zittern.

Mitleid und Liebe wurden in Pippin laut und er schlang seine Arme um seinen Vetter und klammerte sich an Frodos Mantel fest, als würde sein Leben davon abhängen. Frodo, der ihm einst erlaubt hatte, bis in sein Herz zu sehen, sperrte ihn nun aus. Selbst Sam wollte sein Vetter nicht mit seinen Gefühlen belasten und dass obwohl Sam, wenn kein anderer, entschlossen war, sich um seinen Herrn zu kümmern. Er und Merry würden den Richtmaßen des Gärtners niemals gerecht werden, ebenso wenig wie Streicher. Letzterer tat sein Bestes Frodos Unbehagen zu lindern, doch auch er konnte nicht viel für ihn tun. Frodo beharrte darauf, dass es ihm gut ging, doch Pippin wusste, ebenso wie alle anderen, dass dem nicht so war. Er hatte große Schmerzen. Pippin konnte es in seinen Augen sehen und an der Art wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen, wenn Lutz einen unbeholfenen Schritt tat. Seit dem grässlichen Abend auf der Wetterspitze, hatte Frodo keine Ruhe gefunden. Selbst in seinen Träumen fand er keine Erleichterung, denn die ganze Nacht wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Pippin erschauderte bei dem Gedanken daran, wovon Frodo wohl träumen mochte und ertappte sich dabei, wie er ängstlich zwischen den Baumwurzeln hervorlugte, immer darauf wartend einen Schatten oder ein anderes Zeichen des Feindes zu sehen, doch er nahm nichts wahr und fühlte keine drohende Gefahr.

Merry rührte sich, kuschelte sich enger in seine Decke und lehnte den Kopf schwer an einen Felsen zu seiner Rechten. Für einen Augenblick war Pippin versucht, seinem Vetter zu folgen, sich neben ihn zu kuscheln und seine Wärme in sich aufzunehmen, doch er wollte Frodo nicht noch einmal stören. Er blickte auf das geliebte Gesicht, das selbst im goldenen Licht des Feuers blass erschien und strich Frodo eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn. Traurig bemerkte er dabei, wie sich Frodos Stirn schmerzvoll in Falten legte, während die Finger seiner rechten Hand zuckten. Der linke Arm jedoch blieb reglos, beinahe leblos. Vorsichtig legte Pippin seine eigene Hand auf die seines Vetters und stellte entsetzt fest, dass diese eiskalt war. Erschrocken zog er Frodos Umhang darüber und rieb die kalten Finger, in der Hoffnung sie so wieder warm zu bekommen, als sich plötzlich ein weiteres Händepaar auf die seinen legte.

Pippin sah auf und erkannte Sam, der sorgenvoll zu seinem Herrn blickte. "Seit der Wetterspitze bleibt sie kalt, ganz egal was ich tue", ließ er ihn flüsternd wissen. "Es scheint beinahe so, als hätten die Ringgeister alle Wärme daraus genommen."

Pippin nickte. Er hatte die Kälte von Frodos linkem Arm schon zuvor bemerkt, doch hatte er dem Wind und dem ungünstigen Wetter die Schuld gegeben. Erst jetzt wurde ihm klar, dass Sam Recht hatte. Obwohl Frodos Wunde bereits verheilt war, blieb sein linker Arm kalt und die Schmerzen, die er Frodo bereitete schienen jeden Tag stärker zu werden.

Unfähig seine Sorge länger zu verbergen, senkte Pippin den Kopf und klammerte sich noch fester an Frodos Umhang. Sein Blick ruhte auf dem Gesicht seines Vetters auf dessen blasser Haut die Schatten des Feuers verspielte Bilder malten. Zu seiner Verzweiflung bemerkte Pippin einen dünnen Schweißfilm auf Frodos Stirn, dessen Anblick sein Herz zum Weinen brachte. Schmerzvoll erinnerte er sich an den vergangenen Abend und an Streichers Worte.

"Frodo ist von den Waffen des Feindes verletzt worden und da ist irgendein Gift oder etwas Böses am Werk, das ich nicht auszutreiben vermag." *

"Glaubst du, er wurde vergiftet?", fragte er schließlich. Selbst in seinen Ohren hörte sich seine Stimme gebrochen an und doch hoffte er, Sam würde das nicht bemerken.

"Ich weiß es nicht", antwortete Sam leise und voller Sorge. Obwohl Pippin nicht zu Sam aufsah, wusste er, dass dieser Frodos Gesicht ebenso aufmerksam musterte, wie er selbst. Sam liebte Frodo, genau wie er ihn sein ganzes Leben lang geliebt hatte.

Neben Merry war Frodo sein bester Freund und Pippin wurde klar, dass er Frodo nicht nur aufgrund von Verwandtschaft und Freundschaft gefolgt war, sondern weil ein Band aufrichtiger Liebe sie seit seiner frühesten Kindheit miteinander verbunden hatte. Er verstand nun, dass er mit Frodo gegangen war, weil er nicht hätte ohne ihn bleiben können. Schon sein ganzes Leben lang war Frodo für ihn da gewesen. Er hatte seine Tränen getrocknet, wenn seine Schwestern ihn ungerecht behandelt hatten und hatte die Mädchen, sehr zu Pippins Genugtuung, zurechtgewiesen. Frodo hatte zu ihm gehalten, obwohl er mehr Umfug im Kopf hatte, als selbst für einen Tuk gut war. Oft hatte er Paladin und Heiderose in Momenten beruhigt, an denen Pippin es wesentlich mehr verdient gehabt hätte, ihrer Wut gegenüberzustehen. Frodo war es, der ihn gelehrt hatte, wie man Frösche fängt. Er hatte ihm unglaubliche Geschichten erzählt und war mit ihm zu neuen Abenteuern im Auenland aufgebrochen, wo er ihn zu den atemberaubensten Plätzen geführt hatte, egal ob Hügel oder See, an denen Pippin die schönsten Steine hatte sammeln können. Wie hätte er zu Hause bleiben können, wohl wissend, dass Frodo in Gefahr war? Wie hätte er Frodo seinen Schwierigkeiten alleine gegenübertreten lassen und sich dennoch als ‚Freund' bezeichnen können? Freunde hatten schließlich füreinander da zu sein, hatten eine Schulter zum anlehnen zu borgen, wenn die Dinge schlecht standen, und sie hatten die Kraft des anderen zu sein, wenn dessen eigene Stärke versagte.

Aber was würde er tun, wenn Frodos Kraft nun versagte? Was sollte er tun, wenn er seinem Vetter nicht helfen konnte?

Pippin erschrak beinahe, als Sam ihm tröstend eine Hand auf die Schulter legte. "Mach dir keine Sorgen, Herr Pippin, dein Vetter ist aus hartem Holz geschnitzt und wird stark genug sein, das Böse, das hier am Werk ist, zu bekämpfen."

"Ich weiß", meinte Pippin mit einem schiefen Lächeln. Seinem Sturkopf hatte Frodo es zu verdanken, selbst in den zermürbendsten Situationen die Ruhe bewahren zu können. Der junge Hobbit konnte seine Sorge jedoch nicht verbergen und das Mitgefühl, das er in Sams Augen sah, ließ ihn beinahe in Tränen ausbrechen. Mit Müh und Not schaffte er es aber, sich zu sammeln und schenkte Sam ein dankbares Nicken. Ihre Liebe zu Frodo hatte sie nicht nur an ihn gebunden, sondern auch aneinander und Pippin wusste, dass Sam dasselbe fühlte, wie er selbst.

Ein Zittern lief durch seinen Körper und Pippin wurde klar, wie kalt und müde er noch immer war. Sam schien das ebenfalls aufzufallen, denn er bat ihn, sich hinzulegen und zu versuchen ein wenig zu schlafen.

"Ich werde auf ihn aufpassen", versicherte er, ohne seinen Blick von Frodo zu nehmen.

Sam so zu sehen, brachte Pippin zum Lachen, ganz gleich wie sehr er sich noch immer sorgte, wie kalt und müde er noch immer war. Sam kümmerte sich um Frodo, als hätte er nie etwas anderes getan und Pippin war froh, ihn bei sich zu haben. Alleine mochte er all das nicht meistern, doch mit Sam und Merry an seiner Seite, würde er in der Lage sein, Frodo die nötige Kraft zu geben, die er für den Kampf gegen das Böse, das von ihm Besitz ergriffen hatte, benötigte. Pippin legte einen Arm auf Sams Schulter und erwiderte dadurch die Geste, die der Gärtner ihm zuvor hatte zuteil werden lassen. "Danke, Sam", flüsterte er, wobei er tief in die Augen des anderen blickte. "Ich weiß, Gandalf hat dich gebeten mit Frodo mitzukommen, doch du hättest im Auenland bleiben können. Ich weiß, dass du dein Zuhause vermisst, doch ich bin froh, dass du bei uns bist."

Selbst im schwachen Licht des Feuers, konnte Pippin sehen, wie Sam errötete. Der Hobbit spielte nervös mit den Manschetten seines Hemdes, senkte verlegen den Blick und murmelte einige Worte, die Pippin nicht ausmachen konnte. Der junge Tuk konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Ich meine es ernst, Sam", wiederholte er ehrlich.

Sam, noch immer rot wie eine überreife Tomate, hob schließlich den Kopf und begegnete Pippins liebevollem Blick. In seinen Augen war nichts mehr von der vorherigen Verlegenheit zu erkennen und Pippin war beinahe überrascht über die Treue, Ehrlichkeit und Liebe, die an ihre Stelle getreten waren. Sollte er zuvor noch nicht überzeugt gewesen sein, war er es nun. Sam würde Frodo überallhin folgen, ebenso wie er und Merry. Er wäre mit ihm gegangen, selbst wenn Gandalf ihn nicht darum gebeten hatte. Als wolle er Pippins neu gewonnene Überzeugung bestätigen, begann Sam plötzlich zu sprechen und für den Augenblick war sich Pippin nicht sicher, ob er Frodos treuen Gärtner jemals gekannt hatte, denn seine Worte enthielten mehr Wahrheit, als es Pippin jemals für möglich gehalten hätte.

"Es ist nicht nur das, Herr Pippin. Er ist nun einmal so und ich möchte nirgendwo anders sein, als an seiner Seite. Außerdem ist da dieses Gefühl", Sam machte eine Pause, als müsse er die Worte, die er verwendete noch einmal überdenken. "Ich habe noch etwas zu tun, ehe das Ende kommt und auch wenn ich es noch nicht verstehe, weiß ich, dass ich an seiner Seite sein muss."

Für einen Augenblick konnte Pippin nichts anders tun, als Sam anzustarren. Erst als Frodo im Schlaf aufstöhnte, wandte er den Blick von dem ältern Hobbit ab und versicherte sich, dass mit seinem Vetter alles in Ordnung war. Schließlich schüttelte Pippin seinen Kopf und lehnte sich an einen Felsen hinter ihm. "Samweis Gamdschie, ich glaube du wirst mich während unserer Reise noch einige Male überraschen."

Sam antwortete nicht. Er prüfte noch einmal Frodos linke Hand und kuschelte sich dann in seine eigene Decke. Das letzte, was Pippin sah, ehe seine müden Augen den Kampf gegen seine schweren Lider schließlich aufgaben, war Streicher, der von seinen Auskundschaftungen zurückkehrte.


* Die Gefährten - Flucht zur Furt
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