Arda Fanfiction

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Die letzten Tage Eregions

von Calamîr

Kapitel #1

Es war ein früher Wintermorgen, die Luft war kühl und klar, und die ersten reinen Strahlen der Sonne brachen sich in den zahllosen Fenstern Ost-in-Edhils. Alles war mit einer Schicht weißen Frostes bedeckt, der im Licht funkelte wie Splitter unzähliger weißer Juwelen. 
Doch bereits zu dieser Frühe erschallten schon die ersten Schmiedehämmer, wie sie von sicheren Händen geführt wurden. Klang, klang, klang. Es war die immerwährende Melodie der Stadt, der Takt, der das Leben hier bestimmte. Oder bestimmt hatte.
Die weißen Straßen waren noch leer, bis auf einen schwarzhaarigen Elben, der raschen Schrittes vorbeieilte, und in dem großen Haus der Gwaith-i-Mírdain verschwand. Geräuschlos schloss sich die große Tür. 
Der Name des Elben war Mordil, und er gehörte zu den besten Gold- und Juwelenschmieden Eregions. Im Inneren des Hauses eilte er einige weitläufige Gänge entlang, ehe er schließlich eine geräumige Schmiede betrat. Das Feuer glühte schon heiß in der Esse, an der ein zweiter Elb stand, und an einer Brosche aus Gold arbeitete, welche die Form einer Elanorblüte annahm. 
„Sei gegrüßt, Nimros,“ sagte Mordil, und legte sich eine lederne Schürze um. Er war nicht sehr gesprächig und hätte es vorgezogen, allein zu sein.
„Sei gegrüßt Mordil, ich hatte dich früher erwartet“, erwiderte Nimros, und schaute von seiner schönen Arbeit auf.
„Ich habe mich auch früher erwartet“, sagte Mordil, und krempelte sich die Ärmel hoch, „doch ich war gezwungen, bei dem jungen Sohn meiner Schwester zu wachen, denn er fiel gestern beim Spielen von einer Mauer und verletzte sich böse.“
Nimros Miene verdunkelte sich. Er kannte das Schicksal Lówens Mannes, und er wusste, wie sehr sie auf ihren Bruder angewiesen war. 
„Das tut mir ausgesprochen leid“, sagte er, „Ich hoffe, er wird schnell genesen.“
Mordil band sich das Haar zusammen und holte das silberne Diadem, an welchem er schon seit Tagen arbeitete, hervor und begann die Edelsteine zu vermessen. 
Nimros wandte sich wieder seiner Brosche zu. Seit Annatar seine Maske hatte fallen lassen und sich als Sauron offenbart hatte, war vieles anders geworden. Die Arbeiten, die sie derzeit verrichteten, waren nur kleine Spielereien, einfache Dinge, um sich von dem nahenden Krieg abzulenken.
Von den Schmieden vergessen begann der Tag fortzuschreiten, weitere der Mírdain kamen in das Haus, und schon bald war alles von den hellen Klängen ihrer Hämmer erfüllt. Hier und da stimmten klare Stimmen zu Liedern an, und der Tag wurde einer wie jeder andere, und dennoch anders. Dunkler.
Nachdem Mordil die Arbeit an dem Diadem beendet hatte, verließ er das Haus der Gwaith-i-Mírdain wieder. Das war gegen seine Gewohnheit, denn normalerweise schloss er ein Werk an das nächste an. Nimros stimmte das sorgenvoll, und er beschloss später am Tag nach Lówen und ihrem Sohn zu sehen. 
Mordil eilte indessen durch die nun belebten Straßen der Stadt, bis er zu dem kleinen Haus seiner Schwester gelangte. Er klopfte nicht, sondern schloss so leise wie möglich die Tür auf. Lówen hatte das Klacken im Schloss dennoch bemerkt, und kam ihm entgegen, als er grade den weiten Flur betrat. Sie war bei der Stadtwache, und hatte Nachtdienst gehabt, weshalb sie Mordil gebeten hatte, auf ihren Sohn achtzugeben. Wie seines war ihr Haar schwarz und ihre Augen grau. Denn wie die meisten in dieser Stadt waren sie Noldor, Überlebende aus den großen Reichen des ersten Zeitalters. 
„Wie geht es ihm?“, fragte Mordil leise. 
„Er schläft noch“, antwortete Lówen. 
Mordil schwieg, und nahm seine Schwester in den Arm. Mîrlîn bedeutete ihr alles, und sein Sturz war ein großer Schreck für sie gewesen. Nach dem Untergang Beleriands hatte sie in Lindon einen Sindar kennengelernt, und die beiden hatten geheiratet. Es kostete sie viel Überzeugungskraft, ihn dazu zu überreden, Celebrimbor nach Eregion zu folgen, und viele Jahre lebten sie zusammen in Ost-in-Edhil. Doch er fühlte sich nicht wohl, denn er sehnte sich nach dem Meer. Schließlich, als sich auch die Lage in der Stadt weiter anspannte, verließ er sie, um in seine Heimat zurückzukehren und wieder das geliebte Rauschen des Meeres zu vernehmen. Kurz darauf hatte sie Mîrlîn bekommen. 
Jetzt war er ein Junge von neun Jahren, mit schönen tiefblauen Augen, silbernem Haar und einem fröhlichen Wesen. Wie sein Vater liebte er die Musik, und war heiter, doch auch der Wissensdurst der Noldor war in ihm. Mordil hatte nie verstanden, wie Lówen ihrem Partner sein Handeln verzeihen konnte. 
Sie schlichen aus dem Flur, und setzten sich in der Küche an einen kleinen weißen Tisch. Die Sonne, welche sich schon Richtung Westen neigte, schien grade durch eines der hohen Fenster. Draußen schien alles so trügerisch froh und leicht, doch nur so lange, bis einem die bittere Wahrheit einholte. Ein Schatten legte sich auf Mordils Gesicht. 
„Ich habe heute wieder Nachtdienst,“, sagte Lówen leise, und er sah die Erschöpfung in ihren Augen. „Ich habe seit du weg warst nicht gewagt mich auszuruhen.“
„Dann ruhe dich jetzt aus“, schlug Mordil vor, „Ich werde wieder über Mîrlîn wachen.“ 
Lówen sah ihn dankbar an und verschwand in ihrem Gemach. Mordil stiegt die Treppe hoch und betrat leise den abgedunkelten Raum seines Neffen. Wie viele der Mîrdain hatte er selbst weder Frau noch Kinder. Seine Geliebte war die Schmiede, mit edlen Juwelen und Metallen und seine Kinder seine Werke.
Leise schloss er die Tür hinter sich, und setzte sich auf den Stuhl neben dem Kopfende des Bettes. Mîrlîn hatte ein schönes, fröhliches Gesicht, doch jetzt war jede Freude von ihm gewichen, und er wirkte grau. Mordil liebte ihn, denn nach dem ihr Mann seine Schwester verlassen hatte, hatte er sich viel um ihn und sie gekümmert und sie unterstützt, wo er konnte. 
Traurig sah er auf den Elbenjungen hinab. Mordil hatte Lówen nicht gesagt, dass auch er seitdem vergangenen Tag nicht mehr geruht hatte, denn sie hatte es nötiger als er. Stumm sah er auf Mîrlîn hinab, und der Anblick eines kleinen Silberanhängers um seinen Hals zauberte ihm ein leises Lächeln aufs Gesicht. Den kleinen Silbervogel hatte er gemacht und dem Jungen zu seinem letzten Geburtstag geschenkt. Die Augen bestanden aus funkelnden blauen Kristallsplittern, und im Dunkeln schien der Anhänger wie mit Licht gefüllt.
Während Mordil das kleine Schmuckstück ansah, begann er seinen Geist ruhen zu lassen. 
Als es Zeit wurde, machte sich seine Schwester zu ihrer Wache auf, brachte Mordil etwas Brot, und eine leichte Kost, falls Mîrlîn aufwachen sollte. Danach verließ sie das Haus, eilte die Straße entlang, bog um eine Ecke und wäre beinahe mit Nimros zusammengestoßen, der raschen Schrittes auf ihr Haus zu steuerte. 
„Verzeiht!“, rief sie aus, „Ich habe dich nicht kommen hören.“
„Es gibt nichts zu verzeihen“, sagte Nimros, „Ich wollte dich grade besuchen. Mordil erzählte mir heute in der Schmiede von dem Unglück.“ 
Ein Schatten senkte sich auf Lówens Gesicht. 
„Begleite mich ein Stück,“, entgegnete sie, „Da können wir reden. Ich muss nämlich zur Wache.“
Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.
„Ich würde euch sehr gerne helfen“, sagte Nimros aufrichtig. 
„Das glaube ich dir,“ antwortete Lówen, „Doch wüsste ich nicht, wie du das anstellen magst, denn du kannst weder meine Wache übernehmen noch Mordils Arbeit. Es sei denn du würdest einen großen Heilkundigen, wie der Herr Elrond einer ist, kennen.“ Sie seufzte, und Nimros sah die Sorge in ihren Augen. 
„Ist es denn sehr ernst?“, erkundigte er sich.
Lówen nickte betrübt. „Sein Bein ist auf sehr böse Weise gebrochen, wir vermuten, dass er auf ewig lahmen wird.“ Sie senkte den stolzen Kopf, um ihre Tränen zu verbergen.
Nimros war ganz erschüttert. „Das ist ja schrecklich.“, murmelte er betroffen. Auch er kannte den lebhaften kleinen Mîrlîn, denn er war ein guter Freund der beiden Geschwister, sie hatten sich schon in Gondolin kennengelernt. „Habt ihr denn schon einen Heilkundigen draufschauen lassen?“ Die Frage war eigentlich unsinnig, natürlich hatte Lówen das schon getan.
„Ja, doch sie konnten nur verhindern, dass er das Bein überhaupt nicht mehr benutzen kann.“, sagte sie. 
„Man würde dich doch bestimmt von deinen Arbeitsstunden befreien, bis es Mîrlîn wieder besser geht?“, fragte Nimros, auch wenn er sich schon dachte, dass sie dies bereits versucht hatte.
„Nein,“ schüttelte Lówen den Kopf, „Seit Celebrimbor Annatar als einen Feind erkannt hat, sind die Wachen mehr als verdoppelt worden und die Festung wurde für einen schweren Krieg gerüstet, niemand kann entbehrt werden.“ Sie hielt kurz inne, ehe sie fortfuhr: „Schon vor zwei Jahren erhielten wir Nachricht, dass er mit einer Streitmacht durch Calenardhon zieht, inzwischen hat er Eregion umzingelt.“
Nimros schwieg. Ja, seit her war vieles anders. Gil-galad hatte, sobald er von Sauron erfuhr, den Halbelben Elrond mit einer Streitmacht aus Lindon nach Eriador gesandt, doch sein Weg war lang, und Sauron wandte sich plötzlich Eregion zu. Vor Kurzem erst hatte der Herr Celeborn einen Ausfall gegen die vorrückende Vorhut und deren Kundschafter gemacht, und sie erfolgreich zurückgetrieben, doch er kam nicht zurück. Ihre Kundschafter berichteten, er habe sich wohl mit dem Heer Elronds vereinigt, doch die gewaltige Streitmacht Saurons wäre groß genug Eregion einzuschließen und die beiden Heerführer dennoch fernzuhalten. Es konnte jederzeit zu einem Angriff auf die Stadt kommen. 
Sie gelangten zur Stadtmauer, wo man Lówen schon erwartete. 
„Auf Wiedersehen Nimros, ich schätze es sehr, dass du uns deine Hilfe anbietest, und wenn mir etwas einfällt, werde ich auf dich zurückkommen. Doch nun muss ich wachehalten und aufmerksam sein.“ Damit wandte sie sich ab und erklomm den Wehrgang. Ihr Haar wehte unter ihrem Helm hervor, und die letzten Strahlen der winterlichen Abendsonne verwandelten Silber und Gold zu rot. 
Nimros wandte sich ab und begann fröstelnd in der kühlen Abendluft den Heimweg. Die prächtigen Rüstungen und Waffen der Krieger und Wachen waren größtenteils in ihrer Schmiede entstanden. Im Gegensatz zu Mordil, dem der Sinn weder nach Waffen und Rüstungen stand noch der Stahl in seine Liebe mit einbezogen war, hatte Nimros viel an den Sachen mitgearbeitet. Nur die feinen Goldarbeiten hatte Mordil übernommen. Er hatte schon immer das feine, und Filigrane geliebt. Nimros bog in die Straße ein, in welcher sein Haus lag, und trat ein. 

Nachdem er gegessen hatte, stand Mordil auf und öffnete leise das Fenster. Die Schmiedehämmer begannen bereits zu verstummen, und die Straßen leerten sich zusehends. Es wurde dämmrig, und die kühle Winterluft war frisch. Das Fenster zeigte in Richtung der Stadtmauer, doch andere Häuser versperrten die Sicht. Mordil wandte sich ab und setzte sich wieder neben Mîrlîn. Zärtlich strich er ihm eine silbrige Haarsträhne aus dem Gesicht. 
Dabei regte er sich.
Erschrocken zog Mordil seine Hand zurück. Langsam öffnete Mîrlîn die Augen. Sein sonst so klarer Blick war trüb und schmerzerfüllt. Dennoch lächelte er mühsam, als er Mordil sah.
„Mordil“, flüsterte er sichtlich erfreut.
„Ja, ich bin hier.“ Sanft strich dieser ihm über den Kopf. „Wie geht es dir?“
Mîrlîn zögerte einen Moment, ehe er sprach: „Ich weiß es nicht, mein Bein schmerzt sehr…“ Er brach ab.
Mordil lächelte traurig. Sie hatten ihm noch nichts von seinem vermutlichen Schicksal gesagt. 
„Deine Mutter ist schon auf der Wache, doch sie hat mir etwas zu essen für dich gegeben, falls du Hunger haben solltest.“ 
Mîrlîn schüttelte den Kopf. 
Mordil hatte bereits damit gerechnet. Er seufzte. 
Es dauerte nicht lange, und Mîrlîn war wieder eingeschlafen. Mordil schloss das Fenster, denn langsam kroch die Dunkelheit von eisiger Winterkälte begleitet durch die Straßen Ost-in-Edhils. Ein letzter Schlag, dann waren auch die Schmiedehämmer verstummt.

Lówen schritt auf ihrem Posten auf und ab, die scharfen Augen angestrengt in die Nacht geschickt. Obwohl ihr Blick wachsam über das Land Eregion glitt, weilten ihre Gedanken bei ihrem Sohn. Auch die anderen Wachen wirkten angespannt, doch das lag an etwas anderem. Sie spürte es auch, einen kriechenden Schatten, der seine langen Finger nach der Stadt ausstreckte. Sie schüttelte sich und versuchte die Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, und ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Umgebung zu richten. 
Die Nachrichten, dass Sauron in ihr Land eingedrungen sei, ein mächtiges Heer im Rücken, lastete schwer auf ihren Gemütern. Schon lange waren sie von ihren Feldern und Weidegründen und anderen kleineren Siedlungen abgeschnitten, und sie rechneten jederzeit mit einem Angriff auf die Stadt. 
Von einer seltsamen Unruhe befallen, zippte sie an der Sehne ihres Bogens und bemerkte, dass sie ihn neu bespannen musste. Sie gab ihren Kameraden und Kameradinnen ein Zeichen, stieg von der Mauer und betrat das kleine Wachthäuschen. In einer kleinen Kammer fand sie neue Sehnen, und machte sich ans Werk. Sie fühlte, wie sich das Holz in der richtigen Spannung bog, und die beruhigende Kraft, welche in ihm steckte. Probehalber spannte sie den Bogen. Doch ihr Gefühl hatte sie nicht getrübt, das tat es nie. Zufrieden, doch nicht ihrer unruhigen Gefühle besänftigt trat Lówen wieder auf die Mauer. 
Hier war die Anspannung noch deutlicher zu spüren als zuvor. Sie hing in der Luft, beinahe schon greifbar. 
Plötzlich erklang ein schriller Schrei und das Schlagen der Glocken. Sie wurden angegriffen! 
Sofort erklangen Befehle, ein gigantisches Heer sei gesichtet worden, welches, alles in seinem Weg zerstörend, Marsch auf die Stadt nahm. Schon vor Wochen hatten sie Nachrichten von den verwüstenden Horden des Feindes in Eregion bekommen, und sie hatten sich schon vor Jahren für den Krieg gewappnet. Und nun gab es keine Zweifel. Sauron war gekommen. Lówen schloss die Augen. 

Nimros schreckte aus einem leichten Schlummer, als er die Glocken hörte. Entsetzt sprang er auf und kleidete sich an, dann trat er hinaus auf die Straße, wo sich bereits viele Elben gesammelt hatten, und Krieger in voller Rüstung vorbeimarschierten. 
„Was ist los?“, rief er, nur weil er die Wahrheit noch nicht glauben wollte.
„Sauron rückt vor!“, rief einer der Hauptleute, „Wir erwarten einen Angriff in den frühen Morgenstunden.“ 
Nimros dankte, und eilte wieder in sein Haus, wo er schnell sein Schwert gürtete, und als die Straßen frei waren, sich auf den Weg zu Lówens Haus machte. Er hatte sein Schwert seit Jahren nicht mehr getragen, und obwohl es sich um eine der leichten Klingen aus Gondolin handelte, war es nun ein ungewohntes Gewicht. Während er durch die Straßen Ost-in-Edhils eilte, musste er immer wieder marschierenden Teilen des Heeres ausweichen, die sich zusammenzogen und aufstellten. Doch schließlich gelangte er zu dem kleinen Haus. Er sah Mordil in der Tür stehen, seine Gedanken mussten bei seiner Schwester sein, die an der östlichen Mauer stationiert war. Er trug kein Schwert. Als er Nimros sah, winkte er ihn eilig herbei.
„Sauron kommt!“, keuchte Nimros, als er schließlich bei Mordil angelangte. 
„Ich weiß“, nickte Mordil, Angst lag in seinem Blick.
„Wo ist dein Schwert?“
„In meinem Haus, ich konnte es wegen Mîrlîn nicht holen.“
„Geh schnell, ich passe auf ihn auf, er kennt mich ja.“ 
Mordil überlegte kurz, dann nickte er. „Ich sage ihm Bescheid.“ Er verschwand im Haus und eilte die Treppe hoch in Mîrlîns Zimmer. Der Elbenjunge hatte sich mühsam aufgesetzt, und starrte ihn mit ängstlichen Augen an. „Ich komme gleich wieder, Nimros ist da, ich muss rasch zu mir nach Hause etwas holen.“
Er umarmte ihn schnell, ehe er die Treppe wieder runter hechtete und aus dem Haus verschwand. Er hatte vor sich zu beeilen. 
Sein Haus war nicht weit entfernt, doch als er vor seiner Tür stand, wurde er sich gewahr, dass er seinen Schlüssel vergessen hatte. Fluchend kramte er in seinen Taschen, doch alles, was er zutage beförderte, waren ein verbogenes Stück Draht und ein paar verschiedene Zangen; das genügte.
Rasch bog er den Draht zurecht, kniete sich nieder und begann in seinem Türschloss rumzustochern. Er achtete nicht den verwirrten Blicken, welche man ihm dabei zu warf. Schließlich ertönte ein bekanntes Klacken, und er stieß die Tür auf. Mordil hetzte die Treppe hoch und holte sein Schwert hervor, welches er am Grund einer Truhe aufbewahrte. Es war das alte Schwert seines Vaters, welches er ihm kurz vor seinem Tod beim Fall Gondolins in die Hand gedrückt hatte. Sein Vater hatte zur Schar Ecthelions, dem Haus der Quelle, gehört, und die Klinge schimmerte wie frisch poliertes Silber. Es konnte nicht lange dauern, bis sich blau dazugesellte. 
Mordil selbst war nie ein Krieger gewesen, er wusste zwar, wie er mit der Waffe umgehen musste, doch sonderlich gut war er darin nicht. Er gürtete das Schwert und nahm kurzerhand noch eine große, schwere Kneifzange mit. 
Dann stürmte er wieder hinaus, vergas sein Haus abzuschließen, und jagte zurück zu Nimros und Mîrlîn. 
„Ich bin wieder da“, keuchte er und schloss die Tür. 
Zu seiner Überraschung wäre er dabei beinahe mit Sûldir zusammengestoßen, einem anderen Schmied der Mírdain. 
„Ah, sehr gut, dass du kommst“, sagte dieser, „der Herr Celebrimbor hat ausgerufen, dass alle der Gwaith-i-Mírdain in das große Haus zu kommen haben.“ 
„Das geht nicht“, sagte Mordil, immer noch außer Atem, „Ich muss auf den Sohn meiner Schwester aufpassen.“ 
Sûldir sah ihn unglücklich an. „Das ist ein Befehl des Herrn Celebrim…“
„Wir nehmen ihn einfach mit,“ warf Nimros schnell ein, ehe Mordil etwas erwidern konnte. „In dem Haus gibt es Liegen, auf die wir ihn legen können.“
„Der Herr Celebrimbor würde das bestimmt nicht…“, setzte Sûldir wieder an.
„Noch weniger würde er wollen, dass ich mich seinem Befehl widersetze,“, erwiderte Mordil heftig, denn er schätzte Sûldir nicht besonders und konnte auch nicht verstehen, warum er zu den Mírdain gehörte. Seiner Meinung nach gab es weit bessere Schmiede. 
Sûldir wagte es nicht, ihm zu widersprechen.
Mordil eilte wieder die Treppe hinauf.
„Mîrlîn, ein Bote ist unten der die Mírdain in ihr Haus ruft“, sagte er, noch im Türrahmen stehend. 
Angst breitete sich in dem blassen Gesicht des Elbenjungen aus. 
„Keine Sorge“, beruhigte Mordil ihn schnell, „wir werden dich mitnehmen.“
Unter anderen Umständen hätte Mîrlîn es aufregend gefunden, das Haus der Gilde der Juwelenschmiede von innen sehen zu dürfen, doch jetzt hatte er Angst.
„Aber was ist mit Mama?“, fragte er ängstlich. 
„Deine Mutter ist bei der Wache, und glaub mir, sie kann besser auf sich aufpassen als Nimros und ich auf uns. Ich werde ihr eine Nachricht hinterlassen, wo wir sind.“ 
Mîrlîn wirkte nicht glücklich, doch er nickte in stummer Angst. Vorsichtig hob Mordil ihn hoch, so sanft er es vermochte. Sich tapfer gegen die Tränen wehrend klammerte sich Mîrlîn an ihm fest. Zum Glück war er sehr klein, selbst für einen Elben seines Alters. 

Mit bedachten Schritten ging Mordil die Treppe wieder hinunter und wies Sûldir an, eine Nachricht für Lówen zu verfassen. Schließlich traten sie aus dem Haus. 
Die ganze Stadt war nun wach, denn das, wovon alle gewusst und vor dem sich alle gefürchtet hatten, war eingetroffen. Sauron griff die Stadt an. Doch sie waren nicht gänzlich unvorbereitet, seit Saurons Offenbarung waren sie jederzeit zu einem Krieg gewappnet. Das Heer musste schon aufgestellt sein, und die Mauern waren befestigt und bemannt. 
Den stöhnenden und nun doch weinenden Mîrlîn auf den Armen hastete Mordil seinen Schmiedekameraden hinterher. Durch viele Straßen und an vielen, trotz der heiklen Lage verwunderten Augenpaaren vorbei, gelangten sie schließlich zu dem Haus der Mírdain. Sie stiegen die Stufen zur großen Tür hinauf und traten ein. In der Eingangshalle waren bereits alle anderen der Gilde versammelt und hatten sich um Celebrimbor geschart, welcher in voller Rüstung in der Mitte stand. 
„Mordil, Nimros seid gegrüßt“, sagte er, mit einem Seitenblick auf Mîrlîn, der weitere Worte versprach. An Sûldir gewandt sagte er: „Habt dank Sûldir, dass ihr die beiden geholt habt.“ 
Sie verneigten sich. Mordil, so gut es eben mit dem Elbenjungen auf dem Arm ging. Es brachte ihm ein schmerzerfülltes Stöhnen ein. 
Celebrimbor wandte sich an die Schmiede. „Wartet einen Moment, meine treuen Freunde, ich werde mich kurz mit dem Herrn Mordil unterhalten müssen.“
Nimros warf ihm einen besorgten Blick zu, den Mordil standhaft erwiderte, ehe er Celebrimbor folgte.
„Ich erwarte eine Erklärung von dir,“ sprach dieser, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, „du weißt, Mordil, dass ich dich deiner Arbeiten wegen sehr schätze, nicht zuletzt wegen denen an den Ringen. Doch lautete mein Befehl, die Mírdain in das Haus zu holen, und nicht ein Kind.“
Er sah Mordil erwartungsvoll an.
„Ich weiß, mein Herr“, antwortete er zerknirscht, „und ich hätte meinen Schwestersohn nicht mitgebracht, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, auf ihn achtzugeben. Meine Schwester lebt allein und ist bei der Wache. Ich musste ihn mitnehmen, wenn ich Euren Befehl befolgen wollte.“
Celebrimbor schwieg nachdenklich, und Mitleid regte sich in seinem Blick, als er den erstarrten Elbenjungen betrachtete.
„Unter diesen Umständen werde ich dir fürs erste verzeihen, doch werde ich nicht für seine Sicherheit garantieren können. Auch wird das beizeiten Folgen für dich haben.“
Mordil nickte, und Erleichterung machte sich in ihm breit. 
„Vielen Dank, mein Herr.“ Er verneigte sich tiefer als zuvor, was er mit einem leisen, unterdrückten Aufschrei Mîrlîns bezahlte. Sofort tat es ihm leid. 
Sie gingen wieder zurück in die Halle, und Mordil gesellte sich zu Nimros, dem er mit einem Blick und ein paar raschen Worten den Ausgang der Situation erklärte. Sichtbare Erleichterung machte sich in dem Gesicht seines Freundes breit. 
Sûldir warf ihnen einen kurzen Blick über die Schulter zu, ehe er sich zu seiner Nachbarin hinüber neigte und ihr etwas zu flüsterte. Nimros trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, er wusste, wie schnell Mordil erzürnt war. Und seit es auf der Straße einmal eine gebrochene Nase gegeben hatte, wussten die meisten anderen das auch. 
Celebrimbor hob die Arme und es wurde ruhig. 
„Hoch geehrte Gwaith-i-Mírdain, seit vielen Jahren schon bangen wir vor den Heeren Saurons, der uns als Annatar ausgenutzt und betrogen und den Einen Ring geschmiedet hat, und nun will er uns unserer Stadt berauben, unserer wunderschönen Stadt und allem, was in ihrem Inneren ist. Doch vor allem wird er wünschen, in dieses Haus einzudringen. Es wird unsere Aufgabe sein, unsere Schmieden und Schatzkammern zu beschützen, falls er so weit vorrücken sollte.“
Kurz herrschte Schweigen. Dann riefen sie im Chor: „Wir werden unsere Schmieden und unsere Schatzkammern bewachen!“

Mordil trug Mîrlîn zu einem der oberen Stockwerke und legte ihn dort auf eine der Liegen, die eigentlich dafür gedacht waren, überarbeiteten oder durch die Arbeit verletzten Mírdain zu dienen. Die Schmieden waren nicht immer ungefährlich. 
„Geh nicht“, bat Mîrlîn kraftlos, als sich Mordil schweren Herzens zum Gehen wandte. 
„Aber ich muss gehen“, sagte er niedergeschlagen, „Wir sollen uns alle in der Halle treffen.“
Mîrlîn begann zu weinen, und Mordil brach es das Herz. Mîrlîn war verletzt und hatte große Schmerzen, und nun sollte er allein an einem fremden Ort bleiben, während draußen Saurons Heer auf die Tore zu marschierte?
Mordil seufzte. „Ich werde den Herrn Celebrimbor fragen“, sagte er, „doch mach dir keine allzu große Hoffnung.“ Er küsste Mîrlîn auf die Stirn und ging schweren Herzens hinaus. 
Er eilte die Treppe hinunter, und wäre schon zum zweiten Mal beinahe mit Sûldir zusammengestoßen, der scharf um eine Ecke bog. Im letzten Moment sprang Mordil beiseite und wäre beinahe auf der Treppe gestürzt. 
„Passt gefälligst besser auf, ich erwarte eine Entschuldigung, he!“, rief Sûldir erzürnt.
Mordil warf ihm einen giftigen Blick zu, ehe er ohne ein Wort seinen Weg fortsetzte. 
Er eilte wieder in die Halle, in der Celebrimbor auf- und abschreitend wartete. 
„Mein Herr“, diesmal verneigte er sich tiefer.
Celebrimbor sah ihn überrascht an.
„Hat Sûldir dich nicht mehr erreicht? Ich hatte ihn mit einer Nachricht zu dir geschickt.“
Verwirrt hielt Mordil inne. „Ich bin ihm kurz auf der Treppe begegnet“, sagte er langsam, „aber um was für eine Nachricht handelt es sich?“ 
Celebrimbor wirkte nicht sehr zufrieden, als er schließlich antwortete: „Ich sandte ihn, dir zusagen, du sollest bei deinem Schwestersohn bleiben.“ Sein Blick wanderte durch Mordil hindurch. „Ich sah seine Sindarerben, und ich… ach, nein.“ Er brach ab und blickte nun wieder gefasst auf Mordil hinab.
Er verneigte sich erneut, drückte seinem Herrn seinen Dank aus, ehe er aus der Halle trat und wieder zu Mîrlîn hetzte. Er wusste nicht, warum Celebrimbor ihm sogar gebot, bei Mîrlîn zu bleiben, und warum er ausgerechnet Sûldir aussandte, doch das war ihm in diesem Moment egal. 
Seine Gedanken wanderten zu seiner Schwester.

Gebannt blickte Lówen durch die Mauerzinnen, wo sie die anrückende Streitmacht immer deutlicher erkennen konnte. Sie schauderte. Es waren so viele! So viele Ausgeburten Morgoths. Hoffentlich passte Mordil auf Mîrlîn auf, doch schmerzhafte Knoten in ihrem Magen sagten ihr, dass sie ihren Sohn besser beschützen könnte als ihr Bruder. Doch sie konnte ihren Posten nicht verlassen, und wenn sie es schafften, die Streitmacht Saurons vor den Toren zu halten, waren ihre Sorgen unbegründet. Denn Ost-in-Edhil war vor allem auch eine Festung, und bei weitem nicht die geringste. Doch würde sie diesem gewaltigen Heer standhalten? Langsam beschlichen sie diesbezüglich Zweifel. Ihr Blick glitt nach oben, denn sie sehnte sich nach dem fernen Licht der Sterne, doch dicke schwarze Wolken verwehrten ihr die Sicht. Ein Schatten legte sich auf ihr Herz. Wie es schien, würden sie die Sonne am nächsten Morgen nicht begrüßen können. Lówen rückte ihren Helm zurecht und prüfte erneut ihre Bogensehen. Sie wusste nicht mehr, zum wievielten Mal sie das nun tat, seit sie ihn neu bespannt hatte. 

Mordil ging unruhig in dem Krankenraum auf und ab, Mîrlîn war eingeschlafen und lag mit blassem Gesicht und in Fieberträumen versunken auf der Liege. Die anderen Mírdain hatten silberglänzende Rüstungen angelegt, Waffen gegürtet und sich auf Position begeben. Mordil war angewiesen worden, nur eine leichte Lederrüstung überzulegen, und aus den Fenstern, welche hier wirklich eine hervorragende Sicht boten, die Umgebung im Auge zu behalten. Sein silberner Helm und der Bogen, welche man ihm für alle Fälle gegeben hatte, lagen ungeachtet auf einer Liege. Im Gegensatz zu seiner Schwester war Mordil ein miserabler Schütze, sie hingegen hatte noch nie ein Ziel verfehlt. Er fröstelte und deckte Mîrlîn mit noch einer Decke zu, ehe er wieder ans Fenster trat. Ans Ostfenster. In der Dunkelheit konnten selbst seine scharfen Elbenaugen kaum etwas ausmachen, doch erste Schreie und das Klirren von Metall verrieten ihm mehr. Es war nicht das eingestimmte Klirren, wie er es aus der Schmiede kannte, wo jeder Ton ihm sagte, ob der Hammer richtig getroffen hatte oder nicht. Nein, das war der Aufschrei des Stahls, wenn er mit Wucht aufeinandergeschlagen wurde. Mordil schauderte. Unwillkürlich erinnerte ihn dieses Geräusch an Gondolin. Schnell verscheuchte er den Gedanken. Dennoch spürte er, wie seine Hände bei den Gedanken zu zittern anfingen. Nach einer weiteren Runde durch den Raum blieb er erneut am Fenster stehen. Rote Lichter leuchteten von den Mauern auf. Ein grauer Schimmer im Osten sagte ihm, dass der Morgen über dem Rest der Welt aufging. Was würde er bringen?

Lówen schoss einen Pfeil nach dem anderen ab, die riesigen Scharen der Orks drängten gewaltsam voran und trampelten teilnahmslos über die Leichname ihrer Gefallenen. Jeder Schuss bedeutete ein Toter, und jeder Tote bedeutete fünf Neue. Pfeile und Speere schwirrten von beiden Seiten, Helme und Brustpanzer wurden durchschlagen und Leiber durchbohrt. Zu Lówens Linken stürzte ein Elb vom Speer getroffen, hinab in das wogende Meer der Orks. Sie wollte nicht wissen, was sie mit seinem Körper anstellen würden. Die ersten Enterhaken wurden geworfen, doch die Mauern waren so gestaltet, dass sie nur schwer Halt fanden, und die wenigen, die es taten, wurden sogleich von raschen Messern abgeschnitten, welche sich an den Rändern der Elbenbögen befanden. Die wahre Gefahr ging von den langsam heranrollenden Belagerungstürmen aus, doch noch waren diese nicht in Reichweite. Befehle gellten durch die Luft, und ein rascher Blick hinab zeigte ihr, dass sich ein Teil des Elbenheeres vor den gewaltigen Toren gestellt hatte, die unter den dumpfen Aufprällen der Rammböcke zitterten. Es bedurfte einer anderen Macht, um sie zu öffnen und diese Mauer zu überwinden. 
Ihr Köcher war leer, rasch bückte sie sich, um herumliegende Pfeile aufzulesen, egal ob schwarz oder blau gefiedert. Ein Speer flog dicht über sie hinweg. 
Sie erhob sich wieder und legte von neuem einen Pfeil auf die Sehne, als sie eine große, dunkle Gestalt durch die Massen der Orks schreiten sah. Sie erstarrte, die Finger an der Sehne. Das schleimige Gesindel wich vor der großen Gestalt zurück und bildete eine breite Gasse. Verzweifelt ließ sie die Sehne los, doch es war der einzige Pfeil in ihrem Leben, der nie sein Ziel fand. 

Mordil schreckte auf, als er plötzlich Schreie dicht unter den Fenstern vernahm. Entsetzt sprang er auf. Er hatte seit zwei ansträngenden Tagen nicht geruht, und schließlich war er vor Erschöpfung eingenickt und gegen die Wand gesunken. Mit einem Satz war er am Fenster. Und dann war alles wieder da. Gondolin, die Balrogs, die brennende Stadt, der einstürzende Turm Turgons. Alles. Alles, als er die Orks durch die Straßen wüten sah, die verbitterten Elbenkrieger, die sich zerstreut oder in kleinen Gruppen gegen die wogende Masse wehrten. Und er hatte verschlafen! Er hatte seinen geringen Posten vernachlässigt! Der Schreck nahm ihm den Atem und der zweite Schreck, weitaus größer als der erste, ließ es ihm schwindelig werden. Mordils Blick war auf die östliche Mauer gefallen, oder der Ort, wo sie einst gestanden hatte. Er taumelte zurück, stolperte über das Bein einer Liege und landete auf dem Boden. Tränen traten ihm in die Augen. 
„Aufgewacht, mein Freund?“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Eine altbekannte Stimme. Genau das Richtige, um ihn aus seiner Starre zu befreien. Das erste Mal verspürte er irgendwo in seinem Inneren so etwas wie Dankbarkeit, Sûldir gegenüber. 
Mühsam richtete er sich auf und drehte sich zu dem Elben um. Wie lange stand er schon dort?
„Was machst du hier?“, zischte er wütend, und durch einen Schleier von Tränen hindurch.
„Oh.“ Mit gespieltem Desinteresse betrachtete Sûldir einen Ring an seinem Finger. „Nun, wir hörten Lärm aus den Straßen und fragten uns, warum du uns nicht davor gewarnt hattest, also ging ich hinauf und fand dich friedlich schlafend und auf dem Boden sitzend. Ich konnte einen Schläfer doch nicht einfach wecken?“ 
Der Zorn, getrieben durch die Trauer und Verzweiflung stieg Mordil zu Kopf.
Drohend baute er sich vor Sûldir auf. 
„Und das erklärt, warum Euer Schwert unbeschmutzt und eure Rüstung frisch poliert ist. Ihr seid ein Feigling, Sûldir, ein Feigling! Glaubt ja nicht, ich würde Euch nicht durchschauen. Ihr habt mich schlafen lassen und Euch bereitgestellt nach mir zusehen, um im Ernstfall nicht mitkämpfen zu müssen!“, schrie er nun, und für einen kurzen Moment sah Mordil Angst und Entsetzen in seinem Blick. Er packte ihn bei der Schulter und stieß ihn Richtung Tür.
„Wir werden jetzt zusammen gehen!“, fauchte er wutentbrannt, „und alle werden den wahren Sûldir sehen!“ 
Wie eine Schlange entwand sich Sûldir seinem Griff. 
„Du kannst gar nichts beweisen, du wirst es sein, der in Scham verschmäht! Du unfähiger Hufschmied!“ 
Das war Zuviel. Mordils geballte Faust schoss vor und traf den anderen im Gesicht. 
„Nenne nicht mich einen Unfähigen“, presste er voll Zorn hervor, während Sûldir sich Blut von Mund und Nase wischte. „Eine Schande für alle Schmiede, dass du dich Mírdain nennst!“ Er hob erneut seine starke Schmiedehand, doch in dem Moment betrat Nimros den Raum, und schrie erschrocken auf, als er die beiden sah. Mordil hielt inne und drehte den Kopf in seine Richtung, Sûldir nutzte die Gelegenheit, gab ihm einen Haken in die kurzen Rippen, und war wie der Wind durch eine andere Tür verschwunden.
Keuchend krümmte sich Mordil zusammen.
Nimros eilte zu ihm. 
„Was im Namen der Valar ist geschehen?“, fragte entsetzt.
Während Mordil mühsam wieder zu Atem kam, berichtete er Nimros rasch von den letzten Ereignissen. 
„Das erklärt einiges“, sagte dieser kopfschüttelnd, „Ich wurde grade von dem Herrn Celebrimbor hinaufgeschickt, um Euch zu holen und zu schauen, wo Ihr bleibt. Unten wird bald jede Klinge gebraucht werden!“
Mordil warf einen raschen Blick auf Mîrlîn, der tief in seinen Fieberträumen versunken, nichts von dem Lärm mitbekommen hatte. Schnell eilte er zu ihm. Ängstlich legte er ihm seine Hand auf die glühende Stirn. Nimros trat besorgt neben ihn. 
„Er braucht einen Heiler“, murmelte Mordil. „Und seine Mutter. Ich muss meine Schwester finden!“ 
Plötzlich wieder von der namenlosen Angst ergriffen, die er verspürt hatte, als er die Trümmer der Ost-Mauer gesehen hatte, stürmte er ohne ein weiteres Wort und den Schrei Nimros nicht beachtend aus dem Raum. Er bemerkte gar nicht, wie sich seine Hand im Vorbeieilen seinen Helm griff. 
Mordil stürmte die Treppe hinunter, viele Stufen auf einmal nehmend, und nur sein sicherer Elbenschritt bewahrte ihn vor einem halsbrecherischen Sturz.
Er hörte nicht, wie die anderen Mírdain nach ihm riefen, als er an ihnen vorbeirannte, auch nicht Nimros, der ihm mühsam folgte. Er musste Lówen finden. Er stieß die Tür auf, stürmte hinaus auf die Straße und rannte nach Osten. Immer wenn eine Orktruppe den Weg versperrte, nutzte er den Heimvorteil und bog in die verschiedensten Seitengassen ab. Er kannte den gesamten Plan der Stadt. Durch viele Umwege und einzig von dem Gedanken an Lówen erfüllt, nährte er sich langsam der ehemaligen Ost-Mauer. Mordil bog um eine Ecke und sah sich plötzlich einem Kampf zwischen einigen Elben und Orks gegenüber. Da es keine weitere Seitengasse gab, stürzte er sich in den Kampf. 
Im ersten Moment hatte er den Überraschungsvorteil auf seiner Seite, doch im nächsten sah es anders aus. Er hatte zwei Orks erschlagen, als sie sich seiner bewusst wurden. Hass funkelte in ihren gelben Augen, und ein scheußlicher Gestank ging von ihnen aus. Die anderen Elben riefen überrascht, als sie seine Tracht der Mírdain sahen, doch im nächsten Moment strömten mehr Orks herbei, und sie verstummten. Verzweifelt versuchte Mordil sich zurück zu der Seitengasse zu schlagen, aus der er gekommen war, doch gerade als er sich abwenden wollte, traf ihn eine Keule am Helm. Das Letzte, was er wahrnahm, war der Schmerz, und der hohe, wiederhallende und schwingende Ton des Metalls, begleitet von einer tiefen, samtigen Dunkelheit. 

Nimros war Mordil bis zur Tür des Hauses gefolgt, ehe er sich fluchend abwandte, und wieder zu Mîrlîn eilte. Es schmerzte ihn, seinen Freund seinem Schicksal zu überlassen, doch Mîrlîn brauchte seine Hilfe, und zwar schnell. Kannte sich einer der Mírdain mit der Heilkunst aus? Doch, natürlich, es war immer mindestens einer im Haus, falls es einen Unfall in den Schmieden gab. Doch wer? Nimros hatte sich nie mit dieser Frage beschäftigen müssen. Er eilte wieder zurück, die Treppe rauf, in den Raum.
„Sûldir!“ 
Der Elb schreckte von Mîrlîns Liege auf, wich jedoch nicht zurück. 
„Verstehe das nicht falsch!“, rief er, „Ich verstehe mich auf die Heilkunst.“
Natürlich! Deshalb gehörte Sûldir zu den Mírdain, er war ein Heiler! Doch warum war er zurückgekommen?
Nimros eilte zu ihm. 
Sûldirs Blick war besorgt und von Mitleid erfüllt. Doch Nimros sah noch etwas anderes in seinem Blick, etwas, was er nicht zu deuten vermochte. 
„Kannst du ihm helfen?“, fragte er, mit einem flauen Gefühl im Magen.
„Ich hoffe es, man hätte ihn auf einer Trage herbringen müssen.“ Er seufzte. „Hätte ich den Ernst der Verletzung geahnt, hätte ich versucht Mordil dazu zu überreden.“ 
Nimros sah die Qual in seinem Gesicht. So kannte er Sûldir gar nicht.
„Warum bist du zurückgekommen?“, fragte er schließlich, „Wir dachten, du hättest das Weite gesucht.“
Sûldir lachte kurz auf, was seine zerschlagenen Lippen wieder zum Bluten brachte. 
„Mordil hatte nur zum Teil recht, als er mich einen Feigling hieß, doch die Wahrheit war, dass ich den Zustand des Jungen bemerkte. Als er aus dem Haus stürzte, bin ich wiederhergekommen, denn es steht schlecht um ihn.“ 
Beinahe schon liebevoll strich er Mîrlîn eine silberne Strähne aus dem Gesicht. 
„Aber warum hast du Mordil nicht die Wahrheit gesagt? Um Mîrlîn zu helfen, hätte er alles getan.“
Sûldir seufzte. 
„Das war ein Fehler, und ich habe dafür bezahlt.“ Er wischte sich das Blut vom Mund. Sein Ärmel war bereits rot und braun verkrustet. 
Nimros schwieg. Er konnte Sûldir verstehen, Mordil war in seinem Zorn wirklich zum Fürchten. 
Dabei fiel ihm ein, dass er unten wieder gebraucht wurde. Er erhob sich. 
„Pass auf ihn auf,“ sagte er, „und tue, was du kannst. Ich muss nun wieder hinunter. Ich habe meinen Posten zu lange außer Acht gelassen.“ 
Sûldir nickte, und Nimros stieg wieder die Treppe hinab nach unten. 
Die anderen waren unruhig, und einige bestürmten ihn mit Fragen, was geschehen sei. Nimros bemühte sich so wenig wie möglich zu sagen, ohne dass es wirkte, als hätte Mordil den Verstand verloren und den feigen Sûldir geschlagen, welcher daraufhin die Flucht ergriff. Das war schwierig, denn Sûldir hatte man seither nicht gesehen und Mordil war blind und taub für ihre Rufe hinausgestürmt. Schließlich schaffte er es, sie genügend zu langweilen, und schob sich wieder an seinen Posten, wo er unruhig auf und ab ging. 
Der Tag schritt voran, der Kampfeslärm wurde immer lauter, doch Celebrimbor schürte ihre Angst mit seiner sicheren Standfestigkeit. 
Nimros wurde zunehmend unruhiger, er machte sich Sorgen um Mordil, Mîrlîn und um Lówen. Von Mîrlîn hatte er keine Nachricht erhalten, was an sich jedoch gut war. Was mit Mordil geschehen sein mochte, konnte er nicht erahnen. Entweder er suchte immer noch nach seiner Schwester oder er lag tot und unter Leichen begraben in den Straßen der Stadt, bis aufs Unerkennbare zerhackt und zerstückelt. Letzteres schien ihm am wahrscheinlichsten, doch noch wehrte er sich dagegen, dem zu glauben. Seine größte Sorge galt jedoch Lówen. Er hatte aus Fenstern die zerstörten Reste der Ost-Mauer gesehen, und es schien ihm unmöglich, dass dort jemand überlebt haben könnte. Doch noch hoffte er. 
Celebrimbor, und die besten Kämpfer unter ihnen waren vor die Tür getreten und verteidigten sie verbissen vor dem unnachgiebigen Orkstrom. Nimros hörte den Kampfeslärm, und er hatte Angst. Er tastete nach der Schneide seines Schwertes. War sie scharf? Unsinn, natürlich war sie es. Seine Hände zitterten so sehr, dass er sich in den Finger schnitt. Zum Glück nicht allzu tief. 
Die Stunden verstrichen, und Nimros Finger hörte bald auf zu bluten. 
Plötzlich gab es einen gewaltigen Schrei. Mit einem lauten Krachen wurde die Tür aufgebrochen und Orks, mit blutbefleckten Zähnen und schartigen Krummsäbeln stürmten hinein. Nimros sah grade noch, wie eine unnatürlich große Gestalt Celebrimbor gefangen nehmen ließ. All seine Gefährten lagen tot, von Orks zertrampelt und zerhackt auf den Stufen, einige bereits vom weißen Frost benetzt. Nimros erkannte sofort, dass es zu viele Feinde waren. Die Mírdain waren in hoffnungsloser Unterzahl. Man würde sie niedermetzeln, und jeder erschlagene Ork würde drei neue bringen. Doch es waren Celebrimbors Worte, die ihn daran hinderten, seinen Posten zu verlassen. Denn das Haus war nicht gänzlich schutzlos. Heißes Pech ergoss sich aus großen Kübeln auf die Angreifer, und ihre Schreie waren hässlicher als der Anblick. Die Mírdain griffen in wohlgeordneten Gruppen von allen möglichen Seiten an, Pfeile schwirrten die Galerien hinunter, begleitet von kochendem Wasser. 
Ein Funken Hoffnung glomm in Nimros auf, als er die verbissene und gut durchdachte Verteidigung des Hauses sah, doch genauso schnell wie er aufgeglommen war, war er auch wieder verglüht. 
Groß und dunkel schritt eine Gestalt durch die aufgebrochene Tür. Nimros stockte der Atem. Der Anblick war nicht länger schön, wie er es als Annatar gewesen war, Saurons Antlitz war grausam und von Bosheit verzerrt. 
Ab da wendete sich das Blatt. Das Pech und das Wasser gingen aus, Pfeile trafen nicht mehr, und einer nach dem anderen fiel. Nimros wusste, dass er keine Chance hatte. Doch immerhin eines konnte er noch retten. Mîrlîn. 
Er rannte. Er flog förmlich die Treppe hinauf und brach in den Krankenraum, wo Sûldir es nur mit Mühe schaffte, sein Schwert noch rechtzeitig von ihm abzulenken.
„Verzeih!“, rief er, „ich dachte du wärst ein Ork!“
„Bald wird dem auch so sein“, erwiderte Nimros gehetzt, „Celebrimbor wurde gefangen genommen. Sauron ist da und hat die Neun genommen. Seine Orks plündern das Haus und die Mírdain sind verstreut, einige wenige konnten entkommen.“ 
Er sah sich hektisch um. 
„Wir müssen hier weg, und Mîrlîn mitnehmen.“ 
Sûldir nickte. „Einverstanden, ich werde ihn tragen.“ Er warf Nimros einen entschuldigenden Blick zu. „Du kannst besser mit dem Schwert umgehen als ich.“ 
Schnell packten sie einige der Heilutensilien in eine Tasche, Sûldir hängte sie sich um und nahm vorsichtig Mîrlîn auf den Arm. Zu Nimros‘ Erleichterung sah er schon viel weniger grau und fiebrig aus als bei seinem letzten Besuch. Sie hörten bereits die rohen Schritte der Orks, wie sie die Treppe erklommen, als sie den Raum durch eine andere Tür verließen. Sie gelangten in einen anderen Teil des Hauses, der größtenteils aus kleinen hellen Räumen für Feinarbeiten bestand. Hier hatte Mordil den Großteil seiner Zeit verbracht. Durch viele Gänge und eine kleine vergessene Tür an der Rückseite des Hauses gelangten sie schließlich ins Freie. Sie rannten durch die Straßen, so schnell, wie sie es sich mit Mîrlîn erlauben konnten, während Nimors ihnen den Weg frei schlug.
„Sieh!“, rief Sûldir, und nickte in Richtung eines gefallenen Elben, der die Tracht Lindons trug.
„Elrond und Celeborn müssen gekommen sein!“ 
Von diesen Neuigkeiten beflügelt, eilten sie weiter. Die Orks waren zahlreich, und nur mit viel Mühe schafften sie es sich langsam vorwärts zuarbeiten. Schließlich konnten sie sich kaum noch auf den Beinen halten, und als sie sich sicher waren, dass niemand sie beobachtete, verschwanden sie schnell in dem erstbesten Haus. Sie suchten sich bewusst eines aus, welches schon geplündert und von Orks durchwühlt worden war, denn gewiss würden die grausamen Kreaturen nicht noch mal herkommen. 
Erschöpft stiegen sie in das obere Stockwerk, richteten eines der umgeworfenen Betten wieder auf und legten Mîrlîn darauf nieder. 
Ein blasser Streifen im Westen verriet ihnen, dass der Tag sich dem Ende zu neigte. Nachdem sie eine Stunde gerastet hatten, machten sie sich wieder auf den Weg. 
Unbekannte und dunkle Seitengassen benutzend, huschten sie wie lebendige Schatten durch die zerstörte Stadt. Immer wieder flammten Feuer auf, wenn die Orks grölend und lachend Brände legten. Der Rauch brannte und trieb ihnen die Tränen in die Augen.
Hustend eilten sie weiter. Sie trafen auf eine kleine Gruppe Krieger, als sie in eine neue Gasse bogen. 
Überrascht musterten diese ihre Trachten. Eine Elbin, die das Zeichen eines Unterkommandanten trug, trat auf sie zu.
Sie grüßten einander.
„Ihr seid von den Gwaith-i-Mírdain, wie ich sehe“, sprach sie.
„Ja, unser Haus wurde überrannt. Wir sind auf der Flucht“, antwortete Nimros, der bemerkte, wie es in den Augen eines anderen Elben kurz aufgeglommen hatte, als er ihre Tracht sah.
Nachdenklich musterte die Elbin Mîrlîn in Sûldirs Armen.
„Auch wir sind auf der Flucht und versuchen nach draußen zu gelangen. Elrond kämpft erbittert gegen den Feind, doch hier drinnen wüten die Orks und entehren unsere schöne Stadt.“
„Gibt es denn einen sicheren Weg nach draußen?“, fragte Sûldir.
„Das wissen wir nicht genau“, sagte die Elbin, „ich hatte gehofft, von euch etwas zu erfahren. Die Ost-Mauer der Stadt ist gänzlich zerstört und bietet damit eine große, offene Fläche, übersäht mit Trümmerteilen. Die anderen Tore sind hinausgerissen und dort drängen sich die Gesindel Saurons dichter. Ich würde vorschlagen, dass wir uns an den letzten Rändern der Ost-Mauer entlang schleichen und hoffen, dass wir nicht bemerkt werden.“
Sie seufzte. „Wenn wir es schaffen, aus der Stadt hinauszukommen, werden meine Leute und ich uns den Truppen Elronds anschließen, doch was wollt Ihr tun?“
Ihr Blick lag dabei auf Mîrlîn. 
Sie schwiegen. Weder Nimros noch Sûldir hatten daran gedacht. 
„Wir wissen es nicht“, gestand Nimros schließlich, „gibt es außerhalb der Mauern einen sicheren Fleck, wo wir uns verstecken können? Gewiss gab es bei Celeborns Ausfall und Elronds Kämpfen auch Verletzte, wo sind sie untergebracht?“ 
Die Miene der Elbin verdüsterte sich.
„Ich weiß es nicht, denn seit Beginn des Kampfes bin ich in der Stadt, und was außen geschieht, habe ich nur erzählt bekommen.“
Nimros und Sûldir überlegten kurz. 
„Wir werden erst einmal mit Euch kommen,“, sagte Nimros schließlich, auch wollte er sich mit dem Elben unterhalten, dessen Augen bei ihrem Anblick kurz aufgeblitzt waren. Hatte er was gesehen? Nimros war sich sicher, dass er irgendetwas wusste.
„Gut“, sagte die Elbin entschlossen, „dann lasst uns aufbrechen.“ 
Sie gingen los, und auf ihre Bitte hin, erzählte ihr Sûldir, was sie über die Geschehnisse in der Stadt wussten, während Nimros sich zu dem besagten Elben zurückfallen ließ.
„Ich habe Euren Blick gesehen, als wir auf Eure Anführerin trafen“, sagte er, so beiläufig wie möglich. 
Der Elb nickte, er schien zu wissen, worauf er hinauswollte.
„Ihr überraschtet mich, denn ich sah einen von Euch schon Stunden bevor das Haus gestürmt wurde.“ 
Nimros horchte überrascht auf. 
„Wie sah er aus?“, fragte er, denn eine leise Vermutung beschlich ihn.
„Er war leichter gerüstet als Ihr, seine Klinge leuchtete blau und er war ein wenig kleiner als der Durchschnitt“, antwortete der Elb verwundert.
Nimros hörte sich bebend Luft holen. Mordil!
„Wo habt Ihr ihn gesehen?“, fragte er, bemüht seine Aufregung im Zaum zu halten.
„Nahe der Ost-Mauer, ich kämpfte mit ein paar Gefährten gegen eine Gruppe Orks, als er aus einer Seitengasse herbeistürzte und sich in den Kampf warf.“
„Was ist geschehen?“, Nimros konnte sich kaum noch zurückhalten. 
Der Elb schien beinahe schon beunruhigt. „Wir haben gekämpft, dann kamen mehr Orks, und wir wurden versprengt, da habe ich ihn aber schon nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist.“
„Kannst du mir die Stelle beschreiben?“, fragte Nimros eifrig. 
Der Elb nickte, nun sichtlich verwirrt, und nannte ihm den Namen der Straße. Nimros wusste sofort, welche Stelle er meinte. Bald musste er sich von den anderen trennen, wenn er dort suchen wollte. 
Doch was erwartete er eigentlich zu finden? Wenn Mordil noch dort war, dann war er höchstwahrscheinlich tot. Aber wenn er nicht da war, würde das bedeuten, dass zumindest die Möglichkeit bestand, dass er noch lebte.
Nimros dankte dem Elben und schloss zu Sûldir auf, der sein Gespräch mit der Elbin ebenfalls beendet hatte.
„Einer der Elben hier hat Mordil gesehen“, sagte er leise. Ein beunruhigter Ausdruck trat in Sûldirs Gesicht. „Er nannte mir die Stelle, wo er ihn zuletzt sah. Ich werde die Gruppe bald verlassen und später versuchen nachzukommen.“ Nimros wusste, was das für ein Risiko war. Überall waren Orks, er konnte sich glücklich schätzen, wenn er überhaupt lebend an seinem Ziel ankam. Er wusste, wie leichtsinnig er war. Doch was tat man nicht alles für einen Freund?
„Bist du dir sicher?“, fragte Sûldir, „Was erwartest du zu finden?“
Nimros seufzte. „Ich hoffe gar nichts zu finden. Solltet ihr ihn unter Elronds Leuten finden, dann…“ Er brach ab, da er nicht wusste, was er eigentlich sagen wollte.
Er legte Sûldir kurz die Hand auf die Schulter, wies ihn nochmals an, auf Mîrlîn aufzupassen, und schloss dann zu der Elbin auf. 
„Ich werde den Trupp jetzt verlassen“, sagte er, „einer eurer Leute gab mir Nachricht über einen Freund, und ich würde gerne schauen, was aus ihm geworden ist.“ 
„Wenn das Eure Entscheidung ist, will ich nicht versuchen Euch davon abzuhalten“, sagte sie, doch er sah in ihrem Blick, dass ihr seine Entscheidung nicht gefiel.
„Ich wünsche Euch viel Glück“, sagte Nimros noch, und verschwand. 

Mühsam kämpfte er sich vorwärts. Um zu der besagten Straße zu gelangen, musste er einige größere Straßen überqueren, und auf diesen wimmelte es nur so von Orks. Nimros erschlug viele, doch er merkte, wie es auch an seinen Kräften zehrte. Immer wieder musste er kleinere Schnitte und Schrammen einstecken. 
Die Nacht senkte sich bereits herab, und mit der Dunkelheit kam die Kälte. Weißer Frost kletterte über die am Boden liegenden Leichname, und das Blut gefror an Nimros Schwert. Dampf stieg von den noch warmen Körpern auf. 
Zitternd bog er um die nächste Ecke und gelangte zu der besagten Straße. Es musste nun kurz nach Mitternacht sein. Ein paar Straßen weiter vernahm er Kampflärm, doch hier war nichts. Nichts, als Leichen. Er sah einige Elben und viele Orks. Nimros ging noch ein paar Schritte weiter. Er stand jetzt an genau dem Punkt, wo eine schmale Seitengasse auf die Straße traf. 
Er bückte sich, denn ein silbriges Funkeln hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Da, unter mehreren Orks begraben. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Seinen Ekel vergessend hievte er die Orks beiseite. Tatsächlich. Da lag Mordil! Eine Delle war in seinem Helm, und sein Gesicht war blutüberströmt. Doch grade, als Nimros den letzten Ork von ihm rollte, stöhnte er leise. Rasch kniete sich Nimros nieder. 
„Mordil?“, fragte er leise und packte ihn an der Schulter. „Mordil, wach auf!“
Erneutes Stöhnen, dann öffnete er blinzelnd die Augen. Er murmelte etwas auf Quenya, was Nimros nicht verstand. 
„Mordil, ich bin es, Nimros, mein Quenya ist nicht so gut wie deins.“ 
Mordil blinzelte erneut. Die blutverklebten Augen waren nur halb geöffnet, und sie waren trüb und leer.
„Lówen…fliehen…“, murmelte Mordil benommen, „der Geheimweg.“
„Was redest du da?“, fragte Nimros besorgt, „wir haben in Ost-in-Edhil keinen Geheimweg.“
Mordil versank wieder im Quenya, doch eines konnte Nimros sicher verstehen. Gondolin. 
Ein fernes, doch sich nährendes Fußgetrampel warnte ihn vor baldigem Besuch. Er hatte keine Zeit zum Nachdenken. Schnell hob er Mordil hoch. Insgeheim war er dankbar dafür, dass der Elb weder schwer gerüstet noch sonderlich groß war. Er hob auch die blauschimmernde Klinge aus Gondolin auf und ging raschen Schrittes die Straße entlang, ehe er wieder in eine Seitengasse abtauchen konnte. Zweifellos musste das auch Mordils Plan gewesen sein, doch war er nie dazu gekommen. Seinen stöhnenden, und immer noch gelegentlich auf Quenya murmelnden Freund auf den Armen, musste Nimros vorsichtiger denn je sein. Warum sprach Mordil plötzlich von Gondolin? Es waren seither mehrere Tausend Jahre vergangen. 
Von beiden Seiten nährten sich Schritte. Ohne weiter nachzudenken, trat Nimros schnell in einen zerstörten Hauseingang und verschwand im Inneren. Er musste Mordil kurz ablegen, selbst seine starken Schmiedearme konnten sein Gewicht nicht ewig tragen. Außerdem konnte er dann mal genauer nach Mordil sehen. Weit genug von der Tür entfernt, legte er Mordil auf einen Tisch und entspannte die zitternden Muskeln. Vorsichtig nahm er seinem Freund den zerbeulten Helm ab. Nur die hervorragende Schmiedekunst hatte ihn vor dem sicheren Tod bewahrt, wie er schnell erkannte. In Nimros krampfte es sich zusammen, als er die grausame Wunde sah. Mordil hatte die Augen wieder geschlossen. Schnell sah Nimros sich um, ging zu einem der Fenster, und schnitt die Vorhänge in schmale Streifen. Dann eilte er zu seinem Freund zurück, und legte ihm einen Verband um. 
Die Orks waren vorbeimarschiert, und Nimros glaubte es sicher genug, um weiterzugehen. Er hob Mordil wieder hoch, und nahm auch den Helm mit. Er würde ihn wieder reparieren können. 
Er trat aus dem geplünderten Haus, und setzte seinen Weg fort. Langsam schien sich der Geist Mordils wieder etwas zu klären, denn seine getrübter Blick erfasst Nimors und dahinter meinte er seinen Freund wiederzuerkennen. 
Irgendwann verstummte Mordil wieder. Für Nimros war das die Aufforderung für eine weitere Pause, und sehr zu seiner Freude fand er in dem Haus sogar etwas zu essen. 
Auf ihrem weiteren Weg musste Nimros Mordil nur noch schwer stützen, dennoch legten sie immer wieder Rasten ein, damit sie sich ausruhen konnten, und so dämmerte im Osten bereits der Morgen, als sie in Sichtweite der Stadtgrenze gelangten. Und mit dem Tag kam das Unglück. 
Ähnlich wie die Elbin es vorgehabt haben musste, schlichen sie an dem letzten Rest der Mauer entlang, um von dort nach draußen zu huschen. Sie hatte es fast geschafft, als eines der hässlich rauen Orkhörner Alarm stieß. Nimros zuckte zusammen, Mordil hing schwer atmend und mit geschlossenen Augen um Nimros Schulter. Große marschierende Massen bewegten sich in eiligem Schritt auf die zerstörte Mauer zu.
Panik breitete sich in Nimros aus, denn es gab nichts, wo sie sich verstecken konnten. Er wollte sich grade abwenden und fliehen, als ein Pfeil ihn in den Hals traf. Röchelnd und Blut spuckend kippte er vornüber und begrub seinen Freund unter sich. Drei Orks traten auf ihn zu, und stießen ihn unsanft von Mordil runter.
Mordil blinzelte. 
Die Orks ragten nur als dunkle Schatten über ihm auf, und in der Ferne erblickte er das blasse Schimmern des Morgens.
Der Ork hob sein schartiges, von Dreck und Blut verschmutztes Schwert, und rammte es ihm in die Brust. 
Sein Geist war wieder klar. 
Die Schatten und das Licht wurden unwirklich. Wie Regen begannen sie zu zerfließen, und das Licht nahm alles ein. 
Er trat in eine große, von vielen Säulen getragene Halle, an deren Füßen Gestalten im Schatten wandelten. Und am Ende der Halle, auf einem großen Thron strahlte ein Licht. 
Stumm schloss er Lówen, Nimros und viele andere in die Arme.

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