Arda Fanfiction

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Der Schatten von Angmar

von Dairyû

Kapitel I - Angmar

Eisig war der Ostwind, der über die Ebenen von Forodwaith fegte und um die Mauern der Festung von Carn Dûm tobte, als sei er ein lebendiges Wesen und versuche, mit unsichtbaren Krallen die starken, verwitterten Quader einzureißen.
Aber die Festung trotzte jedem Unwetter, war sie doch nicht nur aus den Steinen des Nebelgebirges erbaut, sondern auch durch finstere Magie, die ihre Mauern vor jedweder Gefahr oder Gewalt schützte.
Eng war sie an die letzten Ausläufer des Gebirges geschmiegt, ein Teil von ihr direkt aus dem Felsen geformt, ein anderer aus schweren behauenen Steinen erbaut, die Orks und Trolle in Jahre langen Mühen bearbeitet und herbeigeschleppt hatten.

Hoch lag die Festung, und nur ein einziger Weg führte hinauf. Gewunden, gefährlich und kaum breit genug, um einen Heerwagen passieren zu lassen, lag er dicht am Fels.
Ein anderer Pfad war nicht nötig, denn am Fuße des Berges waren, verborgen in tiefen Höhlen und geschützt durch Zauberei, die Stallungen, Waffenkammern und die Quartiere der Krieger, die ständig in der Festung ihren Dienst taten. Willenlose Sklaven verrichteten die nötigen Arbeiten, Schmiede schufen Tag und Nacht Waffen und es herrschte eine Geschäftigkeit, wie schon lange Jahre nicht mehr. Carn Dûm glich eher einem Kriegslager, denn einem Königssitz.
Nur eines der Elbenheere, wie sie in den Kriegen des Zweiten Zeitalters in Mittelerde zu finden gewesen waren, oder der Dunkle Herrscher selbst, hätten die Festung von Carn Dûm einnehmen können.

Jetzt gab es niemanden mehr in Arnor, der es vermocht hätte, denn die Elben hatten an Kraft eingebüßt, lebten zurückgezogen, den Geschicken der Welt wenig zugeneigt ... und der, dessen Name immer noch nicht laut ausgesprochen wurde, auch wenn man ihn vernichtet glaubte, hatte kein Interesse daran, die Feste fallen zu sehen; ganz im Gegenteil ...
Schneeluft brachte der Wind mit sich, und noch etwas anderes, das nur die Kundigen zu spüren, jedoch nicht zu deuten vermochten: eine finstere Drohung aus Rhovanion.
Dort versteckte Er sich ... Sauron, der Dunkle Herrscher, war noch immer geschwächt von seiner Niederlage vor über tausend Jahren. Unerkannt hauste er in Dol Guldur, einer Festung, Carn Dûm nicht unähnlich, die von den Elben den Namen "Hügel der Magie" erhalten hatte, da sie auf einem Berg ruhte; bedrohlich und geheimnisvoll, die finsteren Künste und Absichten ihres Herrn verbergend.

Der Schattenwald schützte Sauron vor ungebetenen Gästen und er widmete sich ungehindert vielen Plänen und allerlei Zauberei, damit er wieder erstarkte und die Herrschaft über sein Land zurückerlangen konnte. Bis dahin war er klug genug, sich und die gewaltige Macht, die ihm selbst als körperloser Schatten noch innewohnte, nicht zu offenbaren.
Aber auch im Norden Mittelerdes war vor Zeiten, an die sich die Sterblichen nur in ihren Liedern erinnerten, ein Schatten erstanden, der Angst und Verderben über die Menschen von Eriador brachte. Dort war das Hexenreich Angmar gegründet worden. Sein Herrscher trachtete danach, die zerstrittenen Königreiche von Arnor zu unterwerfen und die Dúnedain, die Nachfahren der ihm verhassten Númenórer, zu vernichten und ganz Arnor mit Tod und Schrecken zu geißeln.

Aran-dûr nannte sich der Herr von Angmar ... Dunkler König in der Sprache der Elben.
In seiner Festung hatte er über finsteren Plänen gebrütet, Intrigen geschmiedet und sich Verbündete unter den Menschen in Rhudaur und den Orks des Nebelgebirges gesucht. Oftmals hatte er die drei nördlichen Königreiche mit Krieg überzogen und die Menschen geschwächt, ebenso oft jedoch hatten sie ihm getrotzt, die unbeugsamen Dúnedain, durch deren Adern noch das alte Blut floss.
Aber jetzt endlich war es soweit den letzten Schlag gegen Arnor zu führen!
Er konnte seine großen Heerscharen in den entscheidenden Kampf schicken ...

Die Wachen auf den Zinnen Carn Dûms rafften die Felle um ihre Schultern enger zusammen und widerstanden zitternd der Kälte, die über ihre Körper kroch, klamme Finger um lange Speere und auf kalte Schwertknäufe gelegt. Manch einer von ihnen schaute besorgt zum Himmel, dessen bleiernes Grau seit Wochen die Sonne verbarg und selbst das tapferste Herz verzagen ließ.
Ein Winter kündigte sich an, wie ihn Mittelerde seit den Dunklen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Tod und Verderben würde er bringen, das war gewiss. Dann konnte sich der glücklich schätzen, der vorgesorgt hatte; doch auch dies war kein Garant dafür, dass er den nächsten Frühling erlebte ...

Die Dämmerung brach schnell herein und mit dem verblassenden Licht kamen die Kreaturen hervor, die der Dunkelheit angehörten.
Auf dem höchsten Turm der Festung regte sich etwas.
Die schwere, mit Eisen beschlagene Tür, die auf eine breite, den ganzen Turm umspannende Terrasse hinausführte, öffnete sich lautlos. Sie zitterte im Wind, der noch stärker geworden war. Er heulte mit grausamen Stimmen und sang ein Lied der Verzweiflung.
Wenige Augenblicke lang schien ein gelbes Licht aus dem fensterlosen Turm, und eine große Gestalt in langen, dunklen Gewändern trat durch die Türöffnung auf die Terrasse. Krachend fiel die Eichentür ins Schloss zurück und der Turm lag wieder im Dämmerlicht.

Die Gestalt begab sich langsam an die hohe Brüstung und blieb reglos stehen und siehe, der Wind wagte nicht, sie zu berühren! Er verstummte, wich zurück vor dem geheimnisvollen Wesen, dessen finstere Seele schwarz wie die Nacht war, die nun von Osten herankroch. Aran-dûr, der Herr über Angmar war es, der dort stand und seinen Blick über die weiten Ebenen seines Landes gleiten ließ.
Er sah mehr, als alle Sterblichen in der Festung, wie gut ihre Augen auch sein mochten.
Sein Blick schweifte über die Nördliche Öde, in Gebiete, die selbst ihm unbekannt waren und über Arnor, zu seinen Feinden, den Dúnedain. Ihre Königreiche lagen im Streit miteinander seit vielen Jahrhunderten und schwächten sich gegenseitig ... sehr zu seinem Vergnügen, denn so achteten sie nicht auf die wirklichen Feinde, die aufmerksam auf eine gute Gelegenheit lauerten. Angmar hatte schon oft seine Klauen ausgestreckt; aber immer war es den Menschen gelungen, zähen Widerstand zu leisten und sich dem Zugriff zu entziehen. Schon lange nicht mehr aus eigener Kraft; doch durch den Beistand der Elben.

Geduld war vonnöten gewesen, ebenso wie ausreichend Zeit. Über beides verfügte der Herr von Angmar im Überfluss. So wartete er, bis ihm die Schwäche der Menschen offensichtlich erschien. Rhudaur gar hatte er ohne einen einzigen Schwertstreich gewonnen. Die Menschen dort waren ihm willig verfallen, denn er verstand sich auf schöne Rede und wusste ihre Gier nach Besitz und Macht für sich zu nutzen. So blieben Cardolan und Arthedain ...
Als sich die Nacht wie ein schwarzer Schleier über die Festung gelegt hatte, regte sich Arandûr und nahm die Kapuze ab, die sein Haupt bedeckte. Er wollte die Kälte spüren, die das Land zu erfassen begann und es langsam zu Eis erstarren ließ.

Hager war der König und ausgezehrt. Bleiche Haut spannte sich über Fleisch und Knochen, so als sei sein Körper aus einem Grabe gekommen. Schwarze Gewänder umflossen ihn wie Nebelschwaden und an seiner Seite war ein Langschwert gegürtet, aus Mithril, geschmiedet von seiner eigenen Hand vor langer Zeit, denn er beherrschte viele Künste.
Durchscheinend war er, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Und tatsächlich war Aran-dûr im Schwinden begriffen, denn er gehörte nicht mehr zu den Sterblichen, sondern zu den Schatten unter dem Einen Schatten. Irgendwann würde er die Welt des Lichts verlassen, für die Augen der Lebenden unsichtbar umhergehen und Schrecken über jegliche Kreatur bringen.

Aber noch war es nicht soweit, denn eine ungewöhnliche Stärke wohnte in ihm. Er widerstand dem Ring an seiner Hand, war nicht bereit, sich gänzlich zu unterwerfen solange ein einziger Funken eines eigenen Willens in ihm glimmte.
Noch besaß er einen Körper und noch konnte jeder in sein Antlitz sehen.
Die wenigsten taten es, denn Aran-dûr war von der blendenden Schönheit seiner Vorfahren, die sich mit einer unerträglichen Schönheit seines Seins als Träger eines Ringes der Macht verbunden hatte.

Hexenkönig nannten ihn seine Diener und seine Feinde, und sie alle zitterten vor ihm. Noch größer aber wäre ihre Furcht gewesen, wenn sie gewusst hätten, wer ihr Herr wirklich war.
Doch er verbarg sein wahres Selbst. Es wäre nicht klug gewesen sich zu offenbaren, denn damit hätte er das Geheimnis seines Herrn preisgeben ... und sein eigenes. Beides war der Sache nicht dienlich, denn noch galt es die Heimlichkeit zu wahren ...
Lange Haare, durchscheinend und bleich wie er selbst, von einem Mithril-Diadem gehalten, umspielten Aran-dûrs Gesicht. Ein roter Schein irrlichterte in seinen grausamen, gnadenlosen Augen und auf seinen schmalen Lippen lag ein Lächeln, das verächtlich und zugleich zufrieden war.

Aran-dûr, númenórischer Abstammung, so wie die, die er glühend hasste, Ringträger und als König von Angmar bekannt, sah sein Ziel vor Augen: die Herrschaft über den Norden Mittelerdes!
Seine Heere standen bereit. Tausende von Orks aus Gundabad, der gewaltigen Stadt nicht weit südöstlich von Carn Dûm, verwegene Menschen aus den wilden und unerforschten Tälern und Höhen des Nebelgebirges, Warge, Trolle und anderes finsteres Gesindel ... von allen befanden sich Abordnungen unter seinen Streitern. Sie alle waren bereit zur Eroberung und versessen auf Blut. Bald sollten sie ihre Gelüste befriedigen dürfen.
Aran-dûr streckte die Arme aus und plötzlich wurde die Dunkelheit noch dunkler und der Wind noch wilder. Mit einer gebieterischen Geste schickte der König von Angmar den Wind nach Arnor. Dort sollte er Eis, Schnee und Kälte bringen und der Bote sein, der eine Warnung in das Land trug.

Als Aran-dûr die Arme sinken ließ, jagten Wolken über den Himmel, Donner grollte und erschütterte die Festung. Ein mächtiger Blitz schoss über den Turm und machte die Nacht zum Tag und brachte Furcht in die Herzen der Bewohner der Festung von Carn Dûm.
Aran-dûr erwiderte den Gruß der Gewalten, die er entfesselt hatte, mit einem schrillen Schrei, der über die Burg getragen wurde und im heulenden Wind verklang. Er war so mächtig, wie noch nie in seinem Leben und er war frei, das zu tun, was ihm beliebte!
Sein Gebieter war geschwächt und weit fort und ihm fehlte die Macht des Einen. So konnten die Neun sich frei bewegen, bis Sauron wieder erstarkte und sie zurück unter seine Herrschaft zwang.

Bis dies soweit war, gedachte Aran-dûr seine Freiheit zu genießen. Er hasste den Dunklen Herrscher, unter dessen Bann er stand; schon so lange Zeit, dass es schier unerträglich geworden war.
Wenn Sauron seine Kräfte wieder gewonnen hatte, dann würden die Neun abermals willenlose Schatten in seiner Gewalt sein - seine Augen, seine Ohren, seine Hände und Vollstrecker seines bösen Willens.
Aber noch war Sauron schwach, zu schwach, um die Neun gänzlich beherrschen zu können.

Diese Ungebundenheit war wie eine winzige Flamme in der Finsternis, denn Aran-dûrs Seele war frei von der erdrückenden Schwärze, die der Geist seines Herrn verströmte. Er verabscheute sie; zugleich aber begehrte er auch sie so glühend, dass es sein Herz vor Sehnsucht schier zerriss. Er schwankte hin und her zwischen Abscheu und Verehrung, nicht fähig, sich jemals wieder von Sauron zu lösen.
Einstmals war der Dunkle Herrscher freundlich erschienen, und die Hülle, die ihn beherbergte, vertrauenerweckend. Viele Schätze hatte Sauron gegeben, um die Sterblichen zu bezaubern.
Schmeichelnd und demütig war seine Rede gewesen und ohne Arg sein Blick, so dass die Verführten ahnungslos in ihr Verderben gegangen und auf ewig gefangen waren.

Ein wenig beneidenswertes Schicksal war es, und auch die große Macht, die den Neun innewohnte, machte es nicht weniger grausam, denn alle, die unter der Herrschaft des Einen und damit Saurons standen, waren Sklaven finsterer Gewalten, ihrer Freiheit und ihres Willens beraubt, wann immer der Dunkle Herrscher es wollte; aber sie wussten dennoch um ihr Los und dass sie Gefangene waren, bis der Lauf der Welt endete.

Aran-dûr betrachtete den goldenen Ring an seinem Finger. Der Reif war matt geworden und der rote Edelstein in seiner fein ziselierten Fassung glühte nicht mehr. Die Kräfte des Ringes waren schwindend gering, aber sie reichten immer noch aus, um Mächten zu gebieten, die kein Sterblicher zu beherrschen vermochte.
Der König ging zurück in seinen Turm.
Wenige Wochen noch und er würde seine Heere nach Arnor führen und die Dúnedain ins Verderben stürzen ...

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