Historische Anmerkung
Valinor, Zeitalter der Bäume bis zur Dunkelheit
In jenen Tagen, als noch die Zwei Bäume Valinor erleuchteten, Telperion in silberner Stille blühte und Laurelin in goldener Glut die Felder segnete, da wandelte Olórin oft allein in den Gärten von Irmo, dem Herrn der Träume. Er war ein Geist von sanftem Wesen, weise und von jenen geliebt, die den Trost der Stille suchten. Meist ging er ungesehen durch die Hallen der Valar, doch sein Herz neigte sich jenen, die das Licht nicht nur in den Augen trugen, sondern in ihren Fragen.
So kam es, dass sein Blick auf ein Kind der Noldor fiel – die Tochter Finarfins, die unter dem Namen Artanis bekannt war, doch dereinst Galadriel heißen sollte. Sie war noch jung nach den Maßstäben ihres Volkes, doch in ihren Augen ruhte der Glanz von etwas Größerem, Tieferem – ein Spiegel der Sterne, lange bevor sie selbst davon wusste. In ihrer Gestalt funkelte ein Abglanz des Lichtes, das nur wenige in sich trugen: das Licht, das aus freien Willen Gutes sucht, auch wenn es Schmerz bringt.
Olórin beobachtete sie zuerst aus der Ferne, wie ein Blatt den Wind, das nicht wagt, sich zu zeigen. Er sah sie mit ihren Brüdern sprechen, mit ihrem Vater über die großen Werke der Noldor diskutieren – doch auch, wie sie sich heimlich von ihnen löste, um allein in den stilleren Gärten zu wandeln, wo Schatten und Licht ineinander flossen.
Dort saß sie oft unter den goldenen Zweigen von Laurelin, mit Händen, die im Licht glänzten wie geschmolzenes Silber. Sie sprach mit den Vögeln, lauschte den Flüssen und notierte ihre Gedanken in zarten Zeilen auf pergamentgleichen Blättern. Und Olórin – verborgen im Schleier der Valar – lauschte ihr. Nicht aus Neugier, sondern weil sie etwas in ihm rührte, das er nicht benennen konnte. Ein Klingen im Herzen, wie von ferner, verborgener Musik.
Es war an einem Morgen des silbernen Lichtes, als sie ihn zum ersten Mal spürte.
Sie stand allein in einem Hain, in dem Telperions Nebel zwischen den Stämmen hing wie schlafender Atem. Die Vögel sangen nicht, und kein Wind regte sich. Galadriel hob den Kopf, als hätte sie eine Stimme gehört, doch es war nur ein Gefühl – ein Gedanke, kaum geflüstert.
„Wer ist da?“, sprach sie laut, aber sanft, als spräche sie zu einem Tier oder einem träumenden Baum.
Olórin hielt den Atem seines Geistes an. Er war nahe – näher, als er es je zuvor gewagt hatte. Und ohne sein Wollen sandte er einen Gedanken aus, eine Antwort, nicht in Worten, sondern in Empfindung.
Galadriels Blick wurde fern. Ihre Lippen teilten sich leicht, doch kein Laut kam über sie. Dann schloss sie die Augen, legte eine Hand auf das Herz, als lausche sie einem verborgenen Strom.
„Du bist kein Schatten“, sagte sie leise.
„Nein“, antwortete er – in Gedanken. „Ich bin ein Beobachter, nicht mehr.“
„Aber du siehst mich.“
„Wie das Licht den Morgen sieht.“
„Und warum sprichst du zu mir?“
„Weil du mich hörst.“
Da öffnete sie die Augen, und für einen Moment traf ihr Blick den Raum, in dem sein Geist ruhte. Olórin erschrak fast. Es war kein Blick eines Kindes – es war der Blick einer, die durch Vorhänge schauen konnte, die selbst die Maia trennten von den Kindern der Welt.
Und so begann zwischen ihnen ein leises Zwiegespräch – oft wortlos, doch so klar wie Wasser, das über glatte Steine fließt. Galadriel stellte Fragen – über Träume, über Schöpfung, über Schmerz – und Olórin antwortete, so weit es ihm erlaubt war, in Bildern, Empfindungen, Ahnungen. Diese stille Verbindung wuchs, getragen von Momenten, in denen Worte unnötig waren.
Oft sprach sie weiter mit ihm, wenn die anderen sie nicht sahen – auf Spaziergängen, beim Weben ihrer Gedanken, unter dem Licht der Sterne. In solchen Augenblicken, wenn ihre Gedanken sich ungehindert entfalten konnten, lauschte Olórin tiefer als zuvor. Er, der viele Dinge gesehen hatte, fand sich gebannt – nicht nur von ihrer äußeren Anmut, sondern von dem, was in ihr schlummerte: ein Sehnen nach Erkenntnis, nach Gerechtigkeit, nach Wahrheit.
Und in seinem Herzen wuchs ein Licht, das nicht von den Zwei Bäumen stammte, sondern von ihr.