Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Was der Donner sprach

von Altariel

Kapitel #1

„In diesem Traum glaubte ich den Himmel im Osten sich verfinstern und ein Gewitter heraufziehen zu sehen; doch im Westen hielt sich noch ein blasser Lichtschein, und von dort hörte ich eine ferne, doch deutliche Stimme rufen: ,Isildurs Fluch wird erwachen, und der Halbling tritt hervor.’“ (Aus „Der Herr der Ringe“, Buch I, „Elronds Rat“)

In Ithilien, so dachte ich, würde ich wenigstens für eine kurze Zeit etwas Trost finden. Ich verließ Osgiliath, überquerte den Anduin und erreichte unsere Zuflucht in Henneth Annûn, wie ich es gehofft hatte, gerade vor Sonnenuntergang. Als ich in die Höhle trat, verwandelten die letzten Sonnenstrahlen den Vorhang aus Wasser in funkelnde Edelsteine. Meine Kompanie empfing mich mit Wärme, so, als ob ich von einer langen Reise nach Hause käme; und wir aßen zusammen, als wäre der Schatten endlich verschwunden. Ich war froh zu hören, daß die Valar sie alle in den Wochen, die ich fort gewesen war, beschützt hatten; denn in Wirklichkeit nahm der Schatten in Ithilien ständig zu. Meine Aufgabe war jetzt der sichere Rückzug meiner Männer auf die Westseite des Anduin; doch vorher mussten wir noch mehr Blut vergießen.

Und dann kam sogar in diesen kleinen Frieden ein doppeltes Leid. Denn jenseits aller Wahrscheinlichkeit und aus meinen Träumen heraus erschien der Halbling. Als ich ihn sah, spürte ich große Furcht, denn wenn dieser Traum jetzt wahr geworden war, was war dann mit den Träumen, die den Untergang von Gondor voraussagten?

Und endlich erfuhr ich, was Isildurs Fluch bedeutete.

Was wurde mir in diesem kurzen, aber scheinbar endlosen Moment der Versuchung vor Augen geführt? Ein Beben ging durch meine Gedanken, und dann hatte ich eine Vision von Ithilien, nicht mehr verwildert, sondern wieder ein Garten mit wunderschönen Blumen in allen Farben, wieder die Heimat all derer, die aus ihrem Land vertrieben worden waren.

Ich ging die Straße zum Fluss hinunter und Türme erhoben sich hoch vor mir, und dann ritt ich auf einer breiten Straße, die von schönen Gebäuden aus weißem Stein und Silber gesäumt war. So kam ich zum Anduin und überquerte eine mächtige Brücke, ein passendes Denkmal für meinen Bruder. Dies war das neu erbaute Osgiliath, eine Stadt voll Anmut und Weisheit. Hier war die ganze Majestät von Númenor wieder auferstanden, aber jetzt wurde sie noch bereichert durch die Weisheit vom Gondor in den letzten Jahren der alten Rasse von Westernis. In langsamer Parade kam ich über den Pelennor geritten, und alle Menschen von Gondor, von Minas Tirith bis Dol Amroth, von Anórien bis nach Poros, hatten sich versammelt, um mich zu empfangen. Ich ritt zu den Toren der Stadt – nun wieder Minas Anor, der Turm der Sonne – und dort stand mein Vater; und in seinem Gesicht – welch ein Ausdruck! Stolz entdeckte ich darin, Ehrerbietung und Liebe... einen Blick, den ich schon oft gesehen hatte, aber nur von der Seite, denn er war stets an mir vorbei auf meinen Bruder gerichtet gewesen.

Solch wundervolle Bilder waren dies, Visionen von allem, was ich je begehrt hatte. Aber ich habe in meinem Leben schon viele Träume gehabt, und während ich noch über diesen staunte, schien es mir, daß er von anderer Qualität war, klarer, aber härter... so, als ob ein eisiges Licht darauf schiene. Ithilien war seltsam bleich, Osgiliath war kälter als seine Ruinen, und meines Vaters lächelndes Gesicht wirkte kränklich und fahl. Wie sehr sich dies sogar von meinen schrecklichsten Träumen von Númenor unterschied... oder von diesem letzten süßen Traum von meinem Bruder nach seinem Tod.

Und dann konnte ich den scharfen Salzgeruch des Meeres von Dol Amroth riechen, und er vertrieb den ungesunden Dunst dieser Täuschungen. Denn ich dachte an meinen Onkel, den ich immer geliebt und als milde und ritterlich bewundert hatte. Ich erinnerte mich an die langen Spaziergänge entlang der hohen Küstenpfade, die wir zusammen unternommen hatten, er und ich; und ich sprach davon, was ich gelesen hatte und was ich dachte; und er erzählte von seinen Erinnerungen an seine geliebte Schwester, meine Mutter, und wie sehr sie ihren jüngeren Sohn geliebt hatte.

Und so fand ich zu mir selbst zurück; aber nicht als Boromirs Bruder, der immer ängstlich bestrebt gewesen war, sich im Kampf als gleichwertig zu erweisen; auch nicht als Denethors Sohn, der immer darum kämpfte, gegen alle Zweifel seine Treue zu zeigen – sondern als Faramir von Gondor. Mein ganzes Leben lang hatte ich hart, aber immer voller Unsicherheit danach gestrebt, weise zu handeln. Und nun fand ich heraus, dass die Wahl weder auf Ruhm im Krieg noch auf Gehorsam gegenüber einem stolzen Herrn fallen konnte, sondern auf das, was die Wahl eines Narren zu sein schien. Und ich erkannte, daß, auch wenn sie sich als solche erwies, ich dennoch meinem Tod ehrenvoll ins Gesicht schauen konnte – denn ich wusste, ich war wahrhaftig geblieben und hatte mich nicht durch Falschheit selbst Lügen gestraft. Aber ich war sehr betrübt, denn ich konnte erraten, was Boromir gesehen hatte: Waffen und Schlachten und Armeen und Bündnisse und seinen eigenen Siegeszug in Mordor. Und ich wußte, er hatte sich selbst als König von Gondor erblickt.

Mein armer Bruder.

Und was war mein zweiter Kummer? Ich erkannte, daß schließlich der Augenblick gekommen war, den ich mein ganzes Leben gefürchtet hatte: die Wahl zwischen Pflicht und Integrität. Ich stehe unter Eurem Befehl, mein Vater. Wie oft hatte ich dies zu ihm gesagt. Immer hatte ich geglaubt, ich spräche die Wahrheit; doch jetzt erkannte ich, dass das nicht stimmte. In dieser Sache war ich ihm nicht gehorsam, und er hatte es längst gewusst und mich dafür verachtet, dass ich etwas anderes gesagt hatte. Ich hätte dieses Versprechen nie so leichtfertig geben sollen. Denn ich hatte aus mir einen Lügner gemacht, meinem Vater und Herrn gegenüber. Dies waren die Gedanken, die mich aufwühlten, lange bevor ich über den Pelennor zurück ritt und bevor das geflügelte Grauen die Grundfesten meines Verstands erschütterte.

Rezensionen