Arda Fanfiction

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Duett

von Aratlithiel

Pippin - Lament Aubade da Berceuse

Du bist es, von dem ich geträumt habe. Ich bin mir sicher. Ich wachte auf mit einem Lächeln auf meinen Lippen und Wärme in meinem Herzen, und ich wusste, dass du es warst, der mich festhielt, gerade eben, bevor ich meine Auge, den ersten Fingern einer lavendeldunstigen Dämmerung öffnete. Ich wünschte nur, ich könnte mich erinnern – ich wünschte, ich könnte dein Gesicht sehen.

Ich muss dich sehen und wissen, dass du glücklich bist… geheilt. Ich muss wissen, dass ich dich nicht in ein seltsames Land habe ziehen lassen, nur, damit du dort deine Leiden unter Fremden ertragen musst. Ich muss es wissen.

Dich gehen lassen – ich könnte lachen, denn wann habe ich dich jemals irgendetwas tun lassen? Du hattest immer deinen eigenen Willen, geliebter Vetter, und das war mehr als alles andere unsere Rettung und unser Verderben. Denn dein Wille war es, der dich weiter durch das Schwarze Land kriechen ließ, als dein Körper nichts mehr wollte, als sich dem Tod zu unterwerfen, der deine Fersen umschmeichelte mit heuchlerischen Versprechungen von Rast und gesegnetem Schweigen.

Ich habe die Geschichte gehört, weißt du. Ich weiß, dass du mit jedem Schritt zu diesem abscheulichen Mittelpunkt alles Bösen hin einen Teil von dir selbst verloren hast. Wie du, entkleidet von allem, was du warst, nackt vor ihm gestanden hast, unfähig , selbst dein Herz vor ihm zu verhüllen, nun, da es dich in seinem Zentrum festgenagelt hatte. 

Ist es da geschehen? War es da, wo die Leere in deine Seele eingedrungen ist? War es da, wo dir klar wurde, dass du niemals zurückkommen kannst? Oder vielleicht schon vorher…war es, als du in dem Turm entblößt und hilflos vor Feinden mit rasiermesserscharfen Zähnen lagst, als du begriffen hast?

Ich frage nur, weil du scheinbar nicht überrascht warst. Als ob die Belohnung dafür, das größte Übel der ganzen Welt zu zerstören, die sein müsste, dich von deiner Heimat und deinem Volk zu trennen. Als ob den Willen der Weisen zu tun eine Rechtfertigung dafür wäre, alles zu verlieren, was du geliebt und wofür du gekämpft hast.

Du hast das alles mit einer Haltung hingenommen, die nicht begreifen konnte – nicht begreifen kann – nachdem alles, was ich wollte, war, irgendjemanden an der Kehle zu packen und zuzudrücken, bis sie die Traurigkeit aus deinen Augen fortnahmen und dich zurückbrachten zu mir.

Meine Tränen sínd nichts anderes als nutzlose Waffen, gegen die geschwungen, die dich mir weggenommen haben, aber ich vergieße sie trotzdem. Denn was für eine andere Wahl habe ich denn jetzt? Was für eine andere Zuflucht habe ich vor dem Schicksal, das dich so grausam benutzt hat, und dich dann allen und allem geraubt hat, was du liebst? Ein Schicksal, das Frieden und Heimat vor deiner Nase baumeln ließ, nachdem du getan hattest, was von dir verlangt worden war – nur um beides wieder außer Reichweite zu ziehen, als du endlich die Kraft aufgebracht hast, danach zu greifen.

Merry denkt, ich sollte dankbar sein – glücklich für dich, dass man dir die Chance auf den Frieden gestattet hat, den du so sehr verdient hast. Und das bin ich. Das bin ich wirklich.

Aber… oh Vetter… warum konnten sie dich nicht ganz einfach in Ruhe lassen?

Warum waren es deine schmalen Schultern, auf die diese Bürde fallen musste? Dein Herz war das feurigste und liebevollste, das ich je gekannt habe –weshalb wurde es dann ausgewählt, aus deiner Brust gerissen und dir vor Augen gehalten zu werden, während du in die Leere hineinweintest, die zurückblieb?

Deine Liebe und Weisheit hatte nicht ihresgleichen, und das widerwärtige Ding, das du getragen hast, wusste es… und hat es bei jeder Gelegenheit gegen dich verwendet. Es sprach leise zu dir davon, dass es uns erreichen wollte, damit du es dicht an dich zögst, damit du es in dein Herz ließest, deine Seele darum schlingen würdest, um uns zu beschirmen und dich an unserer Stelle verschlingen zu lassen.

Und ich frage mich, wie ich daneben stehen und zusehen konnte, wie es geschah.

Oh, natürlich tröste ich mich mit dem Wissen, dass ich einfach keine Ahnung hatte, dass es geschah… ich konnte nicht sehen was du unter der Liebe verborgen hieltest, die aus deinen Augen strömte und warm und spürbar in deiner Umarmung lag. Ich wusste es nicht. Ich wusste es nicht. Und ich glaube nicht, dass ich mir das jemals selbst vergeben werde.

Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte sehen, hätte begreifen müssen. Denn siehst du, ich kenne dich. Und es hätte mir klar sein müssen, was du getan hast, wie du in jeder Sekunde, während es um deinen Hals hing, mit diesem monströsen Ding gerungen hast. Wie jeder Angriff seiner Bosheit auf die Verteidigung deiner Liebe traf, und oh Vetter… es muss erzittert sein, als ihm die Größe der Seele klar wurde, gegen die es angetreten war.

Ich hoffe, es hat dich am Ende gefürchtet. Ich hoffe, es hat geweint vor Angst, als du über die Schwelle dieser dunklen Tür getreten bist. Ich hoffe, es hat sich in Qualen gewunden, als die Flammen es verzehrt haben. Ich hoffe, es ist in Schmerz und Entsetzen gestorben, und dass es in seinen letzten Sekunden wusste, dass du derjenige warst, der es in seinen Untergang geführt hat. Ich hoffe, es hat dich am Ende seines üblen Lebens in deinem Licht und deinem Glanz gesehen… dass es in Schrecken krepiert ist angesichts der Schönheit dieser Seele, die es zu sehen bekam.

Ich hoffe, es hat gelitten.

Und mögen die Valar mir helfen, ich hoffe, dass die Weisen, die deine Füße auf diesen Weg gestellt haben, ebenfalls leiden mussten.  

Ich weiß, was du sagen würdest – dass ich nicht wütend sein soll, dass ich mein Herz besänftigen und vergeben sollte, dass Bitterkeit nur dazu dient, meinen Schmerz noch zu verlängern. Aber ich kann es nicht verhindern, dass ich vor lauter Wut auf diejenigen brenne, die dich auf deinen Weg gestellt und zugeschaut haben, wie dein leeres Herz schwankte, wie du geweint hast in der Leere deines Geistes. 

Am Ende hat es dich überwältigt – es hat dich zerschmettert, dich allem entkleidet und dich zurückgelassen, ausgehöhlt und verbraucht. Es hat deine Liebe genommen und zu Schuld verdreht, nahm deine Mut und erzählte dir, es wäre Stolz, nahm deine Stärke und verführte dich zu glauben, dass es Schwäche wäre.

Und sie ließen es geschehen.

Sie sahen zu, wie der Geist dir noch immer zuflüsterte, und sie taten nichts, um die Stimme zum Schweigen zu bringen, nichts, um den Schmerz zu lindern, nichts, um dir zu helfen – außer dich von Heim und Familie fortzureißen. Und ich will, dass sie den Schmerz fühlen, den ich jetzt fühle. Ich will, dass sie dir ins Herz schauen und den Kummer und die bodenlose Trauer sehen, die ich dort sah. Ich will, dass sie über den Schaden weinen, den sie jemandem zugefügt haben, der so edel und gütig war, dass sie – unsterblich oder nicht – nicht genügend Jahre leben konnten, um der Schönheit deiner sanften Seele gleichzukommen. Ich will, dass sie wissen, was sie getan haben.

Aber ich weiß, was du von mir wollen würdest, mein sanfter Vetter, und so versuche ich, meine Wut in Großzügigkeit zu verwandeln, meine Bitterkeit in Hinnahme. Ich versuche von ganzen Herzen zu glauben, dass du es so haben wolltest – das das Fortsegeln eine Belohnung für dich war und nicht die letzte, verzweifelte Handlung einer Seele, die alle andere Hoffnung verloren hatte.

Aber meine Welt ist farblos geworden, siehst du, erfüllt von grauen Schatten. Graue Zauberer, graue Gespenster auf grauen Schiffen, die in einen grauen Nebel davon segeln, und so macht es mir Mühe, die strahlenden Farbtöne der Wärme und Liebe zu sehen, die du zurückgelassen hast. Ich will nichts mehr, als mich in dem Auenland vergraben, das du uns hinterlassen hast – das Land, wo du gewandert bist, und das deine Fußspuren trägt. Ich will in diesen Fußspuren gehen, die Wärme deiner Arme um mich spüren, die Liebe schmecken, die aus jeder deiner Poren drang, während du hier unter uns gewandelt bist.

Und für kurze Augenblicke, wenn ich meinen Zorn beiseite legen, meine Bitterkeit unterdrücken kann – für kurze Augenblicke kann ich meine Augen schließen und dich spüren. Ich kann deine Arme um mich fühlen, wie sie mich fest an dich drücken, und oh Vetter, ich weine aus tiefster Seele, denn ich vermisse dich so sehr.

Sam versteht es besser, glaube ich. Weißt du, an jenem Tag sind wir in völligem Schweigen zurück geritten. Von Zeit zu Zeit habe ich Merry einen Blick zugeworfen und seinen angespannten Kiefer gesehen; seine Augen glitzerten von den Tränen, die er sich zu vergießen weigerte. Siehst du, er übernahm deinen Mantel der Anführerschaft. Du warst fort, und nun fiel die Bürde auf ihn; und er wollte sich den Tränen nicht überlassen, von denen wir alle wussten, dass sie da waren. Selbst damals war er entschlossen, dich stolz zu machen. 

Aber Sam… oh, Frodo. Es hat mir fast das Herz gebrochen, ihn so zu sehen. Seine Schultern zusammengesackt, sein Kopf, der ihm so weit herunterhing, dass ihm das Kinn fast auf der Brust ruhte. Aber seine Augen, Vetter. Seine Augen waren so leer wie Streichers Sattel. Ich hätte nie geglaubt, dass ich den Tag erleben würde, an dem Samwise Gamgee aller Hoffnung beraubt war.

Jetzt geht es ihm besser, glaube ich… wenigstens kommt es mir so vor. Er ist davon überzeugt, dass du das, was du nötig hast, auf der anderen Seite des Meeres gefunden hast, und ich bete, dass er Recht hat. Wie er das wissen will, kann ich nicht einmal raten, aber ich habe genügend Beweise für seine schlichte, erdgebundene Weisheit in meinem Leben gesehen, um ihn beim Wort zu nehmen.

Er sagt, du bist geheilt und im Frieden, und ich will es glauben. Ich glaube es. Er sollte es immerhin wissen, und ich sehe in seinen Augen, dass es ihm irgendwie gelingt. Ich glaube es. Ich tue es wirklich.  

Aber noch immer kann ich mir nicht helfen – ich will dich zurück.

Ich weiß, warum du uns nicht gesagt hast, dass du fort gehst… warum du versucht hast, uns zu entschlüpfen. Du hast gewusst: wenn einer von uns dich bittet, zu bleiben, wenn wir uns dir zu Füßen werfen und dich anflehen, nicht fort zu gehen, dann würdest du es nicht fertig bringen. Ich habe dich so sehr festgehalten, als ich dir Lebewohl gesagt habe, dass ich Angst hatte, dich in meiner Umarmung zu erdrücken. Ich hielt meine Tränen zurück, versuchte, tapfer zu sein, vergrub mein Gesicht in deinem Haar und atmete deinen Geruch ein, damit ich ihn bei mir behalten konnte. Ich lächelte, schaute dir kühn in die Augen… und log. Ich sagte dir, ich würde damit zurechtkommen.  

Aber möge mir der Himmel beistehen, Frodo – für einen wilden Moment war ich in Versuchung. Ich dachte daran, dich zu bitten, dass du bleibst, auch wenn ich die Folgen kannte. Für die Länge eines panischen Atemzuges war es mir gleich, was jedem von uns zustoßen mochte, solange es hieß, dass ich in diesem Moment nicht meinen Griff lösen und dir zuschauen müsste, wie du auf diesem verfluchten Geisterschiff von mir fortsegelst. Vergib mir, Vetter. Ich habe keine Entschuldigung, außer der, dass ich dir bis zu jedwedem Ende gefolgt wäre, wenn ich es bloß gekonnt hätte, und sei es auch nur, um dich davor zu bewahren, auch nur noch eine einzige Sache allein ertragen zu müssen.

Merry macht sich Sorgen um mich. Er sieht meine Wut und meint, er könnte mich zur Ruhe bringen, wie du es getan hast. Er denkt, ich würde mir eine harte Welt erschaffen, wenn ich sie nur durch den roten Nebel des Zornes sehe. Er begreift nicht, dass ich meinen Zorn brauche – ich brauche meine Tränen. Denn ohne sie treibe ich dahin und bin an die Trauer verloren, die mich umschließt.

Weißt du, ich habe immer erwartet, dass ich dich verliere. Irgendein Teil von mir hat gewusst, dass ich dich nicht lange festhalten kann, und dass ich jeden Moment mit dir als Geschenk annehmen muss. Und an diesen Momenten halte ich mich nun fest. Ich hole sie hervor und untersuche sie mit der Intensität eines Zwergen, der einen Edelstein schätzt. Ich halte sie ans Licht, sehe, wie die geschliffenen Flächen die Augenblicke unseres Lebens widerspiegeln und finde Freude in der Schönheit, die mir das Herz durchbohrt und mir in den Augen sticht.

Ich denke daran, wie ich in einer klaren Nacht im Gras lag, dein Arm warm um mich gelegt, während du zum Himmel gezeigt hast und in den Sternen Bilder maltest, mit Geschichten von Elbenkönigen und gerechten Schlachten. Ich denke daran, wie wir uns in schattigen Fluren versteckt haben und verzweifelt versuchten, uns nicht durch unser Gelächter zu verraten, während wir uns leise an Bilbos Tür und zur Speisekammer schlichen, wie Diebe in der Nacht. Ich denke an atemloses Gewirbel in sonnenhellem Gras, daran, durch die Luft zu fliegen wie ein freigelassener Vogel, und dennoch sicher im Kreis deiner kräftigen Arme um mich.

Ich denke an diese Dinge und lasse den Zorn aus mir heraussickern wie Nebel. Ich erlöse mein Herz von den Fesseln, die ich ihm auferlegt habe, und doch strömen mir die Tränen noch immer auf ihrem brennenden Weg zu meiner Seele über die Wangen.

Ich liebe dich so sehr und ich vermisse dich mehr, als ich zu sagen je die Worte finden könnte. Merry ist mein Herz, lieber Vetter, so wie ich seines bin. Aber du, Frodo… du warst unsere Seele. Und jetzt ist jeder Tag ein Kampf darum, eine neue zu erbauen, denn ich kann keine aus der Asche der alten wiedererstehen lassen, die dich stolz machen würde. Denn noch immer ist diese Asche verstreut, und sie schmeckt mir bitter auf der Zunge.

Aber stolz machen werde ich dich. Für dich werde ich mein Herz mit dem Schatz der Erinnerung an dich erleuchten, und das Leben, für das du soviel geopfert hast, um es mit in der ausgestreckten Hand anbieten zu können. Was kann ich anderes tun, als dir auf die Weise zu danken, die du dir gewünscht hast?

So gehe ich jede Nacht ins Bett und hoffe, dass ich von dir träumen werde. Ich klettere unter die dicken Steppdecken, schließe die Augen und erinnere mich an deine Stimme, die zu einem Jungen von Drachen und großen Kriegern sprach. Ich erinnere mich an dein Lachen, dass quer über den Himmel klang, während ein junger Vetter den Narren für dich spielte, nur damit er diese Musik hören konnte, die  so sanft und fröhlich über deine Lippen kam. Ich erinnere mich an dein Lächeln, langsam und schräg, aber weich und voll von bereitwilliger Freude. Ich erinnere mich an deine Augen, strahlend, feurig und voller Liebe, glühend von sanftem Humor… jung und gleichzeitig uralt. Ich versuche zu vergessen, wie sie aussahen, als sie aller Hoffnung beraubt waren, und wähle statt dessen, sie voller Feuer und Leben im Gedächtnis zu behalten. Denn ich weiß, das ist es, was du dir von mir wünschen würdest.

Und so lege ich mich jede Nacht hin, gehüllt in meine Erinnerungen, den Geist deines warmen Atems in meinem Haar. Ich nehme deine Hand und gehe mit dir durch die Wildnis von Bockenburg, in deinen Fußstapfen, und ich folge dem Pfad der Träume, die du hier vor so vielen Jahren geträumt hast. Ich lese die Wünsche auf, die du hier für mich verstreut hast wie unzählige Rosenblätter.

Du drückst meine Hand und ich schaue dich an und lächle. Du hast nichts gesagt, aber ich nicke trotzdem mit dem Kopf und antworte auf eine Frage, die du nicht gestellt hast.

Ja, liebster Vetter, ich will es versuchen.

Für dich will ich es versuchen.

ENDE


Serenade Mesto Sempre: Eine ehrenvolle Hymne, durchgehend traurig zu spielen Lament Aubade da Berceuse: Klagendes Wiegenlied, am Morgen zu singen
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