Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Moira

von illyria-pffyffin

Kapitel #1

Wir kommen auf dem Sonnenschein geritten, der hernieder strömt, mein Herr und ich, wir verbergen uns in den Schatten unter den Bäumen, gekleidet in das Gurgeln stürzender Bäche. Ich fühle den wogenden Jubel meines Herrn im Atem des Himmels und darin, wie sich das Gras auf den Wiesen sträubt. Die Sorgen der Welt scheinen gedämpft zu sein, erleichtert, und das graue Leichentuch aus Erschöpfung und Furcht hat sich von den Wildblumen gehoben, die an den Flussufern wachsen, und vertieft die Farben der Schmetterlinge, die auf ihren lebhaften Blütenblättern gaukeln. Das Lied der Schöpfung beschleunigt sich, es springt und wirbelt und lacht in kleinen, freudigen Wellen, die die Welt für eine lange Zeit nicht mehr gespürt hat.

Ich fühle mich an eine Zeit unter den neuen Sternen erinnert, als sich ein einzelner Triller in den mondlosen Himmel erhob, eine Note von solch makelloser, abgrundtiefer Schönheit, solch auserlesener, einsamer Traurigkeit, dass sie mich die Bedeutung von Freudentränen lehrte. Sieh, hatte mein Herr zu mir gesagt, Meine Erstgeborenen.

Ich fühle mich an die Tönung des östlichen Himmels erinnert, als ich dabei zusah, wie mein Herr das Licht im Geist der Menschen entfachte, ein endliches Glühen, so hell, dass es mich beinahe blendete. Erwacht, meine Kinder, hatte mein Herr gesagt, zum Klang eines tiefen, feierlichen Akkordes, der auf irgendeine Weise vor Rastlosigkeit erbebte, ein Unterton von Ruhmesgeschrei, voll in Blut gezahlt, und Klagen von großem Verlust und wildem Stolz. Erwacht, hatte mein Herr gesagt, eure Zeit ist kurz, während das neue Lied die Gebeine der Erde durchdrang, in den Flüssen vibrierte und Wurzeln schlug.

Aber nun ruft das Lied nicht leuchtende, schimmernde Bilder von juwelenbesetzten Türmen und marmornen Kuppeln hervor, oder von hohen, glatten Schiffen und Pferden auf weiten Ebenen. Die Noten sind nicht aus Flammen und Metall, Stein, Glas und Kristall. Sie sprechen nicht von Stolz und Habgier, waghalsigem Mut und geheimer Weisheit. Stattdessen bejubelt dieser Teil der Musik die Süße von Erde und Wasser. Wenn er vom Feuer erzählt, dann beschwört er die Wärme eines fröhlichen Kamins herauf, und noble Küchendüfte. Wenn er vom Wissen spricht, dann singt er vom Wandel der Jahreszeiten, von der Ordnung von Land und Wasser, von wachsenden Dingen. Doch ist es nicht die mühelose Leichtigkeit der Noten oder ihre erdgebundenen, einfachen Wünsche, die das Herz wahrhaft gefangen nehmen. Es ist die Hinnahme, das Empfinden von Erfüllung und Zufriedenheit. Dies ist kein Lied, das die Zuhörer bewegt, Berge zu behauen, Dichtung zu schreiben, die Zeitalter überdauert oder Schiffe zu bauen, die selbst noch in den Himmel hinauf segeln. Dies ist das Lied eines Volkes, das dies begreift: die Erde und das Wasser, die Bäume und die Tiere, die es hütet, seine Kinder, seine Familien und Gefährten sind Segen genug.

Vorbei am Wald auf den schroffen Hügeln, hinunter zu den grasigen Abhängen, von Bächen durchschnitten, nimmt mein Herr mich mit. Dort, wo die Wiesen sich sanft heben und senken, von Wildblumen gekrönt, sehen wir ein Grüppchen Kinder, das emsig gräbt.

Die Freude meines Herrn erklingt um mich her wie Glockengeläut, warm, fesselnd und unwiderstehlich.

Sieh genauer hin, befiehlt Er mir, und ich gehorche.

Sie sind keine Kinder – die Erkenntnis trifft mich ganz plötzlich – obwohl sie noch kleiner sind als selbst Zwerge. Was ich für ein Spiel gehalten habe, ist tatsächlich eine ernsthafte Unternehmung, und das Gerät, das diese Leute verwenden, mag wohl klein sein, aber es ist kein Spielzeug. Ein paar von ihnen schaufeln Erde in Schubkarren, andere schlagen und sägen Holz, nageln Bretter zusammen und tragen Planken und Pfosten in die Tunnel unter der Kuppe. Fleisch brät über offener Flamme, von kleinen Frauen überwacht, während jemand den Inhalt eines großen, irdenen Topfes auf der nahen Feuerstelle umrührt. Ein Esel ist an einen Baum gebunden, umgeben von einer kichernden Menge, in der ich die wahren Kinder dieses Volkes erkenne. Ein paar dieser Kinder jagen sich kreischend über ein Feld, auf dem hier und da friedlich Schafe grasen, ein paar mehr planschen im Strom.

Meine Augen schweifen über das Land und finden Steinhäufchen, von denen ich jetzt begreife, dass es Schornsteine sind, kleine Öffnungen in den Hügeln, Fenster und Türen. Dieses Volk lebt unter der Erde. Ich lausche seiner Sprache und seinen Liedern. Schlichte Rede, geradeheraus, einfache, sich wiederholende Melodie. Mein Blick streift seine groben Werkzeuge, das raue Gewebe seiner Kleider, seine kahlen, schmucklosen Heimstätten. Selbst die Menschen haben in ihren frühsten Tagen besser gebaut, gefertigt und komponiert.

Wer sind sie, mein Herr?

Man wird sie als Halblinge kennen, als das Kleine Volk. Sie nennen sich selbst Hobbits. Sie sind Meine Kinder, aus dem Lied geboren.

In eine Welt hinein geboren, die von Bosheit verdunkelt ist, mein Herr. In ein Land unter einer Wolke der Furcht.

Auch sie werden Schmerz kennen, sie werden Verluste erleiden, wie das Volk der Sterne und die Kinder der Sonne. Das ist die Natur der Musik Meiner Kinder.

Aber mein Herr, welche Stärke besitzen sie gegen den Feind? Welche Verteidigung haben sie gegen die Woge der Vernichtung? Mein Herr, wie lange werden sie aushalten, solch eine kümmerliche, schlichte Rasse?

Die Berührung meines Herrn ist sanft, leichter noch als ein Schmetterling, aber spürt nicht auch die Margerite sein Gewicht? Es ist ein Tadel, scharfe Noten in der Musik, die er mit der meinen verwebt.

Mein Herr tanzt mit den Kindern, die im Kreis spielen, sich an den Händen halten, singen und lachen. Mein Herr küsst die halb offenen Münder der Säuglinge, die im Gras unter einem Kastanienbaum schlafen. Mein Herr sitzt und lauscht den Erzählungen der alten Leute. Mein Herr wandelt unter ihnen, dem Kleinen Volk, und seine Berührung ist sanft auf ihren Gesichtern… den Gesichtern Seiner Kinder.

Jetzt verstehe ich.

Sie sind den Augen des Feindes verborgen, denn weder erheben sie sich gegen ihn, noch besitzen sie irgendetwas, das er für sich selbst wünschen könnte, Macht oder Wissen oder Handwerkskunst. Es ist die Schwäche, in der ihre Stärke liegt.

Das Kleine Volk hat sein Werk beendet, wie es scheint, denn jetzt sagen sie einander Lebewohl und gehen fort, zu den kleinen Türen an den Seiten der Hügel. Ein paar wenige bleiben zurück, ein Paar mit einem Kind und einem Säugling. Sie gehen in den frisch gegrabenen Tunnel hinein und schließen die runde Tür hinter sich. Licht glüht aus den Kreisen der Fenster. Ein Knirschen von Rädern und das Plätschern von Wasser sind von weiter hinten zu hören. Ein Haus, ein Heim. Sie haben ein Heim aus der Erde gegraben, alles an einem einzigen Tag.

Die Stimme meines Herrn ist leise, so leise: Ihre Stärke, mein lieber Windsänger Sulimo, ruht in der Standfestigkeit, mit der sie zu den Ihren halten; ihr Stolz darauf, einer Sache treu zu bleiben; der Ehre, eine ihnen gegebene Aufgabe zu beenden, so beschwerlich sie auch sein mag oder so beladen mit Furcht. Auch du sollst es eines Tages sehen, wenn einer von ihnen ins Auge des Feindes starren und eine Furcht in ihm erwecken wird, so groß, größer noch als der Anblick des geplünderten Angband, des ertränkten Númenor und der Ruin des letzten Hauses für seinen Geist. Aber selbst dann, selbst dort, am Kernpunkt des Schicksals, soll der Kleine, Mein Kind, nicht allein sein.

Mein Herr steht am Anfang und am Ende und an allem, was dazwischen liegt. Er sieht die Morgendämmerung und das Abendrot ungezählter, ungezählter Tage. Nun betrachtet er diese kleinen, verborgenen Häuser unter ihrer Deckung aus Erde und Gras, und ich frage mich, was Er sieht.

Du hast gefragt, Sulimo, wie lange sie aushalten werden. Sie werden lange genug bleiben, um selbst die Geschöpfe des Feindes zu überflügeln und den Rat der Weisen zu erschüttern. Sie werden aushalten, mein lieber Sulimo, noch lange, nachdem das letzte Schiff gen Westen gesegelt ist.

Und du hast mich, Sulimo, nach ihrer Verteidigung gefragt. Du bist es. So wie ich die Quendi und die Atani deiner Hege anvertraut habe, so sollst du die kleinsten Meiner Kinder in deiner Handfläche halten. Für sie wirst du aussenden, was dein eigen ist und was du liebst. Zu ihrer Hilfe wirst du deine geflügelten Herren des Himmels schicken. Du sollst für sie Sorge tragen, Sulimo. Und mit dir werde ich es tun.

Mein Herr sieht alles, und Seine Freude und Trauer sind eins, und in Seiner Musik liegt die lange, klare Note von Tränen und Gelächter gefangen, die von tiefen Wunden spricht, die geheilt werden, von gestilltem Kummer, von der Hinnahme des Verlusts, wie groß auch immer, oder wie schmerzhaft. Mein Herr weiß alles, und sein Jubel und seine Qual sind eins.

Das Lied fließt vor mir, in noch ungesehene Höhen. Mein Herr nimmt mich an der Hand und wir gehen davon, im Atem der Nacht, in der Substanz von Träumen, von Versprechen, gesponnen, um das Land zu decken. Seine Kinder, das Kleine Volk, sie schlafen und warten auf die Sonne.

ENDE


Moira ist griechisch und bedeutet soviel wie „Schicksal“ oder „Geschick“. Sulimo ist ein anderer Name für Manwë, den höchsten der Valar.
Rezensionen