Arda Fanfiction

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Immertreu

von Nat Shathur

Kapitel 1

Immertreu. Symbelmyne. Wohin man auch blickte.

Die Wiese lag zu ihren Füßen, einem grünen Meer gleich.

Die kleinen weißen Blüten stachen hervor und passten sich gleichzeitig der Unberührtheit der Landschaft an. Sanft und wogend wie Wellen lagen sie auf den Hügeln und bildeten einen anziehenden Kontrast zu den weiten Ebenen.

Edoras, obwohl nicht mit der Weißen Stadt zu vergleichen, bot mit Meduseld, der Halle des Königs, einen imposanten Anblick. Die ersten Strahlen der zarten Frühlingssonne brachen sich am vergoldeten Dach und schufen Schatten und Tiefen, die es nicht gab. Majestätisch erhob die Goldene Halle sich auf einem Hügel, thronte über dem Land und wirkte winzig im Vergleich zu den Bergen im Süden, die sich unmittelbar anschlossen.

Die Dächer der Häuser zu Füßen Meduselds wurden ebenfalls bestrahlt, doch war es nur an den Wachposten, dies Naturschauspiel zu bestaunen, die restlichen Bewohner der Stadt ruhten noch. Hohe Mauern umschlossen Edoras, wie eine Schwelle in eine andere Welt dünkten sie dem Betrachter.

Denn in diesen Tagen lag ein Schleier über dem Hügel, ein Schleier des Schweigens, verwoben mit Trauer.
Trauer wegen dem Tod des Königssohns. Théodred. Er war nun in die Reihen seiner Ahnen getreten, noch bevor sein Vater den Weg dorthin gefunden hatte. Und es schien als hätte sein plötzliches Ende alle Hoffnung ausgelöscht.

Die Sonne schien auch auf eine Seite des Hügels, die andere aber war in Schatten versunken. Trotzig reckten die kleinen Blumen sich dennoch dem klaren Blau des Himmels entgegen. Immertreu. 
Auch in der Stunde der Not blühten sie wie eh und je. Stolz schienen die weißen Blütenkelche. 
Hatten sie sich den Rohirrim angepasst? Oder war es anders herum gewesen? Keine lebende Seele vermochte dies zu sagen.

Im ersten Augenblick des Tages, noch bevor Éowyn wusste, ob es warm oder kalt war, hatte sie sein Bild vor Augen. Sah sie Théodreds bleichen Körper vor sich. Sein mit Schweißperlen benetztes Gesicht. Sie hatte bis zuletzt an seiner Bettstatt gewacht. Wollte ihm den Trost spenden, den sie selbst so sehr benötigte.

Alle wussten, dass er sterben würde. Die Verletzungen waren zu schwerwiegend. Und trotzdem hatte sie um ihn gebangt. Und wie immer waren ihre Hoffnungen enttäuscht worden. Nur wenige Stunden nach seinem Eintreffen war er verstorben.

Irgendwann konnte sie die Stille und Enge ihres Gemaches nicht mehr ertragen und ging hinaus. Schlich nicht hinfort wie ein Dieb, sondern schritt schnellen Schrittes an den Wachen vorbei zur Rückseite des Hügels. Diese beobachteten sie erstaunt, hielten sie aber nicht auf.

Schon von weitem sah sie die Tiefe des Grüns, selbst in der Dämmerung war der Anblick beeindruckend. Ein kühler Wind wehte, doch merkte Éowyn, dass des Winters Umklammerung nun nicht mehr anhielt und der Frühling Einzug hielt.

Hier stand sie nun und empfand den Schmerz seines Scheidens. Stolz war sie, gerade blickte sie auf den Hügel unter dem Théodred nun seine Ruhestätte gefunden hatte. Sie schloss die Augen. Sog die klare Luft ein. Ihr weißes Kleid und der silberne Gürtel, der sich an ihre Hüften schmiegte, passten sie in ihre Umgebung ein.

Mit Théodreds Tod hatte niemand gerechnet. Er war ein herausragender Reiter gewesen, selbst für einen Rohirrim außergewöhnlich gut, und ein geschickter Kämpfer, sowohl mit dem Speer als auch mit dem Schwert. Nun war er in der Schlacht an der Westfold gefallen. Sein Gefolge hatte ihn nach Edoras getragen. Er befand sich schon in einem Dämmerzustand, als er eintraf. Sein Gesicht drückte einen Schmerz aus, der Éowyn die Trostlosigkeit ihres Daseins aufzeigte.

Lautlos bahnte sich eine Träne den Weg über ihre Wange. Fiel auf das Gras und verschwand im Grund des Bodens als hätte es sie nie gegeben. Niemandem wollte sie diese Schwäche zeigen. Nicht einmal sich selbst gestand sie es sich immer offen ein.

Viel würde Éowyn geben, um so sein zu können, wie sie es wollte. Doch ihr Körper war wie ein selbst erschaffenes Gefängnis, band sie mit Meduseld zusammen und erlegte ihr Pflichten auf, die sie nicht länger stillschweigend hinnehmen konnte.

Éomer, ihr Bruder, hatte alles, was Éowyn für sich selbst erträumte. Er hatte sein Pferd und sein Schwert, um für das Volk von Rohan zu kämpfen. Er war der dritte Marschall der Riddermark und nach Théodreds Tod sollte er der nächste König werden. Nach Théoden.

Sie wurde von Verzweiflung ergriffen. Théoden. Sie liebte ihn, genauso wie sie Éomer liebte und Théodred geliebt hatte, um so mehr nahm es sie mit, ihn so zu sehen, wie er jetzt war. Er schien viel älter zu sein, sein Geist lag brach und wenn er doch sprach, so gab er nur die Einflüsterungen seines Ratgebers Gríma Schlangenzunge wieder.

All ihre Pflege und Fürsorge schien er nicht zu bemerken, wohl aber sein Ratgeber. Gríma verfolgte sie mit Blicken, sie wich ihm aus, doch war sie an das Hause Eorls gebunden und konnte ihm nicht immer entkommen. Sie bemerkte seine begierigen Blicke, auch ihr Bruder hatte es bemerkt, doch nun konnte Éomer ihr nicht mehr helfen.

Ihre Gedanken wanderten in die Tage ihrer Kindheit zurück. Es war eine harte Zeit gewesen, doch gegen die Düsternis des Jetzt schien sie nur so vor Glück zu strotzen. Wie sehr wünschte sie sich zurück.

Immertreu.
Sie beugte sich hinab und pflückte eine dieser zarten Pflanzen. Nahm sie in ihre Hand und drehte sie behutsam zwischen ihren Fingern. Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit.

Auf was konnte sie hoffen? Éomer war vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Er hatte Nachricht von drei seltsamen Wanderern gebracht, die mit der Hexe des Goldenen Waldes verbündet waren und von dem Tod Gandalf des Grauen sprachen. Der alte Mann barg eine Kraft in sich, mit der sich nur Wenige messen konnten. Nun war er tot. Viel musste geschehen sein, von dem sie sicher nie erfahren würde.

Éomer jedoch beging einen schrecklichen Fehler: Er geriet in Streit mit Gríma, bedrohte diesen in der Halle mit dem Tod, was gegen die hiesigen Gesetze verstieß und wurde gefangengenommen.

Wer sollte jetzt noch Théoden mit gutem Rat zur Seite stehen? Der König war des Regierens müde und in der stickigen Wärme Meduselds schien jeder Geist zu schmelzen und niemand mehr fähig zu einer vernünftigen Handlungsweise.

Trauer lähmte die Herzen aller, schwemmte die Tage des Friedens hinfort. Orks bedrohten die Rohirrim von allen Seiten. Wie gern würde Éowyn für ihr Volk, für ihre Heimat, die sie so liebte, kämpfen!

Sie ballte ihre schlanke Hand zur Faust, zerquetschte das zarte Leben. Dann sah sie hinab und bemerkte, was sie angerichtet hatte. Vorsichtig öffnete sie ihren Griff ein wenig, drehte die Handfläche nach oben, bis das Gewächs frei lag. Unschuldig. Seltsam ergriffen von diesem Anblick, schaute Éowyn gebannt auf die Blume. Das Schicksal wollte es so, das ein kleiner Windhauch die Pflanze ergriff und ein wenig mit sich trug, bis sie sanft einige Fuß entfernt wie eine Feder im Gras landete und als Nuance in das Grün des Bodens einging.

Éowyn verschränkte die Arme. Sie fröstelte. Hier im Schatten war es noch immer kalt. Sie war schon viel zu lange hier. An ihrem Ort. Sie kam immer her, wenn sie Trost suchte. Der Ort hatte etwas Melancholisches.

Oben wartete Théoden auf sie, wenigstens das, was von ihm noch übrig war. Sie wandte sich ab und begann den Hügel hinauf zu steigen. Einmal noch sah sie sich um. Zu ihren Zeugen des Leids. Zu den Immertreu.

Ende

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