Arda Fanfiction

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Der ungeliebte Sohn

von Tindómerel

Kapitel 1

„Eidbruch mit Strafe.“

Seine Worte dringen in meine Gedanken, hallen wieder in meinem Kopf und fügen meinem zerrissenen Herz einen Schnitt mehr hinzu. Ich merke, dass meine Augen feucht werden, als mein Vater sich setzt, versuche, die Wut hinunter zu schlucken, aber auch die Traurigkeit, die seit meiner Kindheit ein Teil von mir ist.

„Ist hier noch ein Hauptmann, der den Mut hat, seinem Herrn zu gehorchen?“

Vaters böser Blick durchbohrt mich und ich versuche, ihm standzuhalten. Wenn doch Boromir noch leben würde, denke ich und kann nicht verhindern, dass jetzt Tränen sehbar in meinen Augen glitzern.

Meine Gedanken schweifen zurück in die Vergangenheit, als mein Bruder noch lebte. Ich habe immer zu ihm aufgesehen, ihn bewundert, ihn geliebt. Niemals habe ich ihn gehasst, weil er Vaters Liebe erfuhr, und ich daran nicht teilhaben durfte. Ich weiß, dass er nichts dafür konnte, der geliebte Sohn zu sein. Er hat mich immer beschützt, gegen ihn verteidigt, obwohl er oft nicht verhindert konnte, dass ich Vaters harte Hand spürte.

Mein Rücken schmerzt, wenn ich daran zurück denke; manche Striemen sind noch nicht verblasst und zeichnen sich klar auf meiner Haut ab.

Wie oft hat Imrahil von Dol Amroth, Mutters Bruder, versucht, meinen Vater zur Vernunft zu bringen. Es hat nichts gebracht, ohne meinen Onkel zu beschuldigen, sage ich, dass es schlimmer wurde.
Ich liebe meinen Onkel, er ist meiner toten Mutter sehr ähnlich in seiner Art, und nach meines Bruders Tod ersetzte er mir die verlorene Stütze.

Doch nun hat Vater ihn nach Dol Amroth zurückgeschickt; und ich habe niemanden mehr. Niemanden, der mir beisteht …

„Du wünschst, dass unsere Plätze vertauscht gewesen wären?“, flüstere ich mit ungewollt zitternder Stimme, obwohl ich Vaters Antwort bereits kenne. Doch hat meine Seele die Hoffnung nie aufgegeben; klammert sich daran fest, dass meine Existenz endlich Platz in seinem Herz findet.

„Ja, das wünschte ich“, murmelt mein Vater und nimmt einen Schluck aus seinem Kelch. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, doch nicht aus Wut. Vielmehr aus Verzweiflung. Aus meinem Mund kommen Worte, die sogar ich nicht von mir erwartet hätte, und die doch seit meiner Flucht aus Osgiliath in mir schlummern.

„Da du Boromirs beraubt bist, will ich tun, was ich an seiner Statt vermag.“

Ich verbeuge mich mit Demut, wende mich schweigend um und will die Halle verlassen. Dieser Halbling, Pippin ist sein Name, soweit mein Gedächtnis mich nicht trügt, ein Freund des Ringträgers, sieht mir fassungslos hinterher, anscheinend findet auch er die Art, wie mein Vater mich behandelt, nicht gut.

Ein letztes Mal drehe ich mich um, die Hand am Schwertknauf und bleibe unschlüssig mitten im Saal stehen. Die Diener werfen mir im Vorbeigehen mitleidige Blicke zu. Sie wissen, wie es um unsere Beziehung zwischen Vater und Sohn zueinander steht. Wenn er mich überhaupt als Sohn ansieht …
Mit ihnen habe ich neben meinem Bruder und meinem Onkel meine Kindheit verbracht. Die einzigen, denen ich wirklich vertraute …

„Wenn ich zurückkehren sollte, denke besser von mir, Vater.“

Es war die Wahrheit, die aus meiner Seele sprach. Wenn ich zurückkehren sollte … Es war Wahnsinn, mit so wenigen Männern zurück über den Pelennor zu reiten, es würde nur größere Verluste geben. Doch mein Vater schien es entweder nicht einzusehen, oder mich in den Tod schicken zu wollen. Letzteres, dachte ich verzweifelt, war wohl die Wirklichkeit.

„Das hängt von der Art deiner Rückkehr ab“, antwortet mein Vater mit gehässiger Stimme und sieht mich erneut hasserfüllt an. Mustert mich abschätzend von oben bis unten. Ich war nie so groß wie Boromir gewesen, doch auch größer als die meisten der Soldaten, und mein Körper konnte so einiges an Stärke vorweisen. Doch es war ihm nicht genug. Nie war etwas, was von mir kam, genug.

Nun gehe ich endgültig, verlasse mit langsamen Schritten die Halle, spüre noch immer meines Vaters Blick im Nacken. Wenn ich ihn doch nur einmal stolz machen könnte …

Die Welt zieht an mir vorbei, als ich wie in einer Traumwelt gefangen zur Rüstungskammer gehe, vorbei an den Soldaten, die bereits fertig zu den Ställen eilen, um unter meinem Befehl zu reiten. Am liebsten würde ich es ihnen ersparen, sie ihren Familien nicht entreißen …

Beregond tritt vor mich hin, reicht mir meine Rüstung und redet auf mich ein, aber seine Worte erreichen mich nicht. Ich befestige den Brustpanzer über dem Kettenhemd und schnalle die metallenen Beinschienen fester. Seltsamerweise sind meine Bewegungen langsam, beinahe unkontrolliert, und als ich von Beregond meinen Helm entgegennehme, fühle ich meine Hände zittern.

Beregond verbeugt sich und verschwindet, er wird in der Stadt bleiben und hier die Stellung halten. Noch hat der große Ansturm nicht begonnen, doch er wird kommen. Das weiß ich.

Ich folge den anderen zu den Ställen und steige auf mein Pferd. Spüre die Blicke meiner Soldaten auf mir, sie sehen mich mit Ehrfurcht, aber auch mit Angst an. Der Halbling sagte, dass mein Volk mich liebt, für die guten Dinge, die ich getan habe. Für sie mögen es gute Dinge gewesen sein, mein Vater sah sie als solche an, die ihn in keinem guten Licht erscheinen ließen.

Die lange Schar reitet hinaus auf den Pelennor, durch all die Stadtringe, die immer höher hinauf zu den Weißen Hallen führen. Die Menschen stehen am Rande der Straße, werfen Blumen auf das Pflaster oder geben sie den Soldaten. Die Kinder blicken zu uns auf, mit erstaunten und bewundernden Gesichtern, nur die wenigsten wissen, was auf uns, auf sie zukommen wird.

Ich reite an der Spitze, mein Blick ins Leere gerichtet, dringt plötzlich eine Stimme in meine Gedanken.

„Faramir! Faramir!“

Langsam wende ich meinen Kopf und sehe Mithrandir auf mich zukommen, der lange Stab schlägt bei jedem Schritt auf dem Pflaster auf. Mit eiligen Schritten kommt er zu mir und läuft neben meinem Pferd her.

„Faramir, setzt Euer Leben nicht leichtfertig aufs Spiel!“, ruft er zu mir hoch, ohne langsamer zu werden. Ich sehe ihm in die Augen, und auch in ihnen kann ich Mitleid sehen.

„Wie soll ich meinem Vater meine Treue zeigen wenn nicht so“, antworte ich traurig und nehme die Zügel fester in die Hände, sie klammern sich an das dünne Leder, als würden sie Halt suchen. Es ist die Wahrheit, für mich gibt es nun keine andere Möglichkeit mehr, meine Treue zu zeigen.

Mithrandir bleibt entsetzt stehen und sieht mir nach, sich auf seinen Stab stützend.

„Euer Vater liebt Euch, Faramir“, sind seine letzten Worte an mich, bevor ich durch das Stadttor reite. „Bevor es zu spät ist, wird er sich dessen erinnern …“

Auch dieser Satz kann meine Hoffnung nicht heben. Mittlerweile habe ich das Hoffen fast aufgegeben, und seit ich den Ringträger und seinen Freund habe ziehen lassen, hat sich der Hass meines Vaters auf mich nur noch verstärkt. Aus Osgiliath bin ich geflohen, habe die Stadt aufgegeben, die mein Bruder so lange gehalten hat. Die Boromir um so vieles besser beschützt hat als ich …

Meine Soldaten reiten nun in zwei langen Reihen über den Pelennor auf Osgiliath zu. Ich etwas vor ihnen, das Schwert in die Luft gestreckt. Sie alle vertrauen mir, sie alle glauben an einen Sieg. Doch tun sie das wirklich?

Die Formation löst sich langsam auf, je weiter wir auf die Ruinen der Stadt zukommen. Ich höre die Schreie der Männer, vielleicht um ihre Wut zu zeigen, aber auch, um ihre Angst zu verstecken.

Mittlerweile verspüre ich gar keine Angst mehr, ich verspüre nichts mehr, keine Freude, keinen Schmerz, keine Furcht. Ich sehe die dunklen Gestalten auf den zerstörten Türmen und Häusern, Orks, mit ihren Bögen in den Händen, bereit auf uns zu schießen. Das Pferd unter mir galoppiert weiter, ich spüre seine Muskeln, die unter meinen Beinen rollen, und das Wiehern begleitet unseren Weg. Den Weg ohne Wiederkehr.

Sie heben die Bögen, als wir ganz nahe sind, einer von ihnen, der der sie führt, hebt die Hand, schreit etwas und lässt den Arm heruntersausen. Mein ganzer Körper spannt sich an, meine Augen nehmen alles nur verschwommen wahr, doch ich kann genug sehen.

Ein Pfeil kommt auf mich zu, ich erkenne ihn genau, und doch rühre ich mich nicht. Es ist mir egal, nichts hält mich mehr hier, es gibt nichts, wofür es sich noch zu leben lohnt.

Meines Vaters Wunsch wird Wirklichkeit, und es ist mir egal …


ENDE

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