Arda Fanfiction

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Estel heißt Hoffnung

von Kimba

Kapitel 1

Erinnere dich an diesen Tag, kleiner Bruder. Heute ist das Leben schön.

Dieser Tag war unwiderruflich vorbei.
Graue Wolken zogen auf vor der Veste von Minas Tirith. Und diese kamen nicht nur von Osten. Sie kamen auch aus der Veste selbst.

Lange Schritte hallten auf den Gängen vor dem großen Thronsaal. Sie klangen eilig und entschlossen, doch wer feine Ohren besaß und genauer hin hörte, konnte ein leises Verharren hören, immer wenn ein Schritt getan war.

„Er ist wieder da“, wisperten sich die Wachen zu, und die Dienstmädchen des Palastes wischten sich hastig die Hände an den Schürzen sauber, wenn er vorüber eilte und sie übersah.
Er tat dies nicht aus Stolz oder böser Absicht. Nein. Lediglich sein Gemüt war voller Schwermut, und so sah er niemanden außer dem Weg, den er nun noch zurücklegen musste.

Sie sahen es ihm nach, denn sie liebten den Sohn des Truchsessen – weit mehr als den Herrn selbst.


Seine Finger krampften sich um einen zerborstenen Gegenstand, als könnten sie ihn allein durch diese Anstrengung wieder ganz machen. Doch er wusste, dies würde nie geschehen.

Nie wieder würde dieses Horn erschallen und Gondors ältesten Söhnen zu Hilfe eilen.

Sein Hals, seine Kehle begannen zu schmerzen, als er das letzte Stück des Ganges durchmaß. Es war nicht mehr weit.

Plötzlich hielt er inne. 
Ein leises Summen erreichte sein Ohr, und wie von einem Pfeil getroffen, zuckte er zusammen. 
„Das kann nicht sein. Lug und Trug meines verwundeten Herzens.“ 
Das sagte er sich, als er sich suchend umblickte. 
Das Summen verstummte nicht. Es kam aus einem kleinen Seitengang, einem Gang, den der junge Heermeister schon seit langer Zeit nicht mehr betreten hatte. Seit sehr langer Zeit.

Seine Beine waren schwer, weder konnte er sie rasch heben und bewegen noch sie auf einen anderen Weg bringen – stetig führten sie ihn in diesen kleinen Seitengang.
Alle Türen hier waren verschlossen – alle bis auf eine. 
Aus ihr drang das Summen.

Seine Hand legte sich auf das raue Holz der Tür und drückte sachte dagegen.

'Es ist ein Traum. Ich werde gleich erwachen.’

Eine hochgewachsene junge Frau stand an der zum Hof gelegenen Tür, die Augen mit der Hand beschirmt. Sie hatte rotgoldenes Haar, das ihr lang auf den Rücken fiel und trug einen dunkelblauen Umhang –
Dessen Kragen mit Sternen besetzt war.

Als er eintrat, wandte sie sich um.
„Faramir. Komm zu mir.“

„Das ist ein Traum. Ein böser Traum, aus dem ich gleich erwachen werde.“

„Junge. Kein böser Traum kann dir zeigen, was du am dringlichsten ersehnst.“
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Frau. 
Der junge Heermeister konnte sein Gesicht nicht abwenden, alles in ihm wollte sich dieser Frau in die Arme werfen; wollte wieder sein, wie sie ihn gekannt hatte.
„Seid Ihr ein – ein Geist?“

Silberhelles Lachen erklang, ein Lachen, das er nie von ihr gehört hatte.
„Vielleicht bin ich ein Geist, vielleicht bin ich ein Traum. Was ändert das?“

Sie deutete auf das geborstene Horn in seinen Händen, und ihre Gesichtszüge wurden weicher. Trauer spiegelte sich in ihren Augen – doch es war eine andere Trauer als die, die er selbst empfand.

„Dein Bruder. Er ist tot.“

Eine einzelne Träne fand den Weg über seine unrasierten Wangen. Er senkte den Kopf. 
„Mutter, ich…“
Sie blickte ihn an, blickte in sein Herz. 
„Ich habe dir einst gesagt, ich würde immer bei dir sein – bei euch beiden. Das ist lange her. Doch es ist wahr.“

Faramir blickte auf, sah in die Augen seiner Mutter, sah sich selbst darin, fand etwas, das er verloren geglaubt hatte, seit das geborstene Horn in seinen Händen lag.


„Hoffnung, mein Sohn. Darauf warten die Menschen. Wenn du sie ihnen nicht geben kannst, wer dann?“

Ihre Hand näherte sich seinem Gesicht, und für den Bruchteil eines Augenblicks fühlte er ihre Wärme, ihre Nähe.
Wieder etwas, das er verloren geglaubt hatte,
das ihm jedoch nie verloren gehen würde.

Hoffnung.
Wenn er sie ihnen nicht geben konnte,
Wer dann?

ENDE

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