Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Ohne Gesang und Tanz

von Calamîr

Die Pforten des Sommers

Die frühe Sonne kletterte bereits über die Gipfel des umschließenden Gebirges, als ihre Wachzeit zu Ende war. Freudig und strahlend erklomm das goldene Licht den leuchtend blauen Himmel und ließ die weiße Stadt wie eine Perle im Sonnenlicht glänzen. Lówen verließ ihren Posten, als sie von anderen Wachen abgelöst wurde. Das Licht des Morgens vertrieb die Dunkelheit der Nacht und mit dem Ende dieses Tages auch den letzten Schatten des Winters.
Als Lówen durch die Straßen ging, begann sich langsam das Leben zu regen. Vorhänge wurden beiseitegeschoben und Elben blinzelten verschlafen in das Licht. Sie lächelte stumm in sich hinein. Obwohl ihr die Kälte des langen Stehens noch in den Gliedern saß, breitete sich eine sanfte Wärme in ihrem Inneren aus. Morgen waren die Pforten des Sommers. Tarnin Austa.
Schließlich erreichte sie das Haus ihrer Familie. Ein einfaches, schönes Gebäude, wie sie die meisten Elben hier bewohnten. Lówen öffnete leise die Tür und trat ein. Ihre Eltern schliefen noch, wo ihr Bruder war, wusste sie nicht. Leise legte sie Helm, Rüstung und Bogen ab und zog sich ein anderes Gewand an. Sie ging in die Küche, um ihre Eltern mit einem gedeckten Frühstückstisch zu überraschen, doch zu ihrer Verwunderung fand sie ihn bereits fertig bestückt vor. Vor allem das neue, schöngearbeitete Besteck fiel ihr ins Auge. Sie sah sich um, doch von ihrem Bruder war nichts zu sehen. Nachdenklich setzte sie sich auf ihren Platz und nahm ein Stück Papier, welches dort auf ihrem Teller lag. Es war von ihrem Bruder.

Guten Morgen Lówen,

ich musste heute schon früher in die Werkstatt und Ordnung schaffen für das Fest. Das Besteck ist ein Geschenk für euch, ich habe es innerhalb der letzten Wochen gemacht. Spätestens heute Abend bin ich wieder da.

Mordil.

Sie seufzte. So war er nun Mal. Nicht sehr gesprächig. Aber das Besteck war wirklich schön. Sie nahm ein Messer in die Hand und drehte es hin und her. Der Griff sah aus, als wäre er wie ein verschlungener Ast gewachsen. Dabei hatte ihr Bruder so geschickt Wölbungen und Täler eingearbeitet, dass er sich perfekt in die Hand schmiegte. Leise Schritte raschelten die Treppen hinunter. Lówen drehte sich um. Ihre Mutter betrat den Raum. Das lange, schwarze Haar fiel ihr in fließenden Wogen über die Schultern und das Licht des Morgens spiegelte sich in ihren grauen Augen.
„Guten Morgen Mutter“, grüßte Lówen.
„Guten Morgen Lówen.“ Ihre Mutter lächelte. „Du hast den Tisch gedeckt, wie schön.“
„Nein, das war Mordil, er ist schon in die Werkstatt“, antwortete Lówen. „Aber schau, er hat euch ein Geschenk gemacht.“, sie wies auf das Besteck.
„Wie schön.“ Das Licht in den Augen ihrer Mutter breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus, als sie die fein gearbeiteten Werke sah. Sie nahm eines der Messer in die Hand und strich zärtlich über den Griff.
„Er will abends wieder da sein“, sagte Lówen, als ihre Mutter das Messer wieder hingelegt hatte. Sie seufzte. „Hoffentlich vergisst er das nicht.“
„Bestimmt nicht.“, ihre Mutter setzte sich elegant auf ihren Platz. „Ich mache mir eher Sorgen um seine Vorstellung, wann es Abend ist.“
„Stimmt“, erwiderte Lówen. Ihr Bruder hatte manchmal seltsame Vorstellungen von Tageszeiten.
Erneut erklangen Schritte auf der Treppe und ihr Vater betrat den Raum.
„Guten Morgen, komm, setz dich an den Tisch, unser Sohn hat was für uns vorbereitet.“, begrüßte ihre Mutter ihn strahlend.
Ihr Vater lächelte ebenfalls, wünschte ihnen einen guten Morgen und setzte sich zu ihnen.
Sie frühstückten und planten den Tag durch. Sie mussten noch viel vorbereiten, Lówens Eltern hatten in ein paar Stunden Wache und sie selbst wollte sich noch ausruhen, ehe das Fest begann. Thalion und Mîra gehörten zu dem Haus der Quelle und standen unter Ecthelions Befehl. Im Gegensatz zu Lówen, die aufgrund ihrer hervorragenden Schützenfähigkeiten ins Haus der Schwalbe eingetreten war und Duilin gehorchte. Noch nie hatte sie ein Ziel verfehlt, was bei ihrem Alter mehr als herausragend war. Siebzig Jahre nach dem Einzug in Gondolin war sie geboren worden und achtzig Jahre später ihr Bruder.
Ihre Eltern brachen auf, in die silbernen Rüstungen der Quelle gekleidet, die silbernen Klingen an ihren Seiten.
Lówen räumte auf. Sie tat dies nicht oft und sonderlich viel gab es auch nicht zum Aufräumen, doch das machte nichts. Sie hatte die ganze Nacht auf der Mauer gestanden und auf die Tumladen geblickt, obwohl Gondolin nie so sicher gewesen zu sein schien. Vor einigen wenigen Jahren hatte der König die Wachen mal verstärken lassen, doch seit etwas weniger als einem Jahr schien sich der Frieden wie eine warme Decke über die Stadt gelegt zu haben. Ob es etwas mit Maeglin zu tun hatte? Etwa zur gleichen Zeit war er wohl vom Gemüt her ‚ruhiger‘ geworden, doch genaueres wusste sie nicht. Nur das draußen der Krieg tobte. Alle der großen noldorischen Königreiche waren gefallen, Fingolfin, Fingon, Finrod – nur noch Gondolin stand. Und es würde auch weiter stehen. Dessen war sie sich sicher. Nichts konnte unbemerkt an die Stadt herankommen, und selbst wenn; sie hatten genügend Pfeile, um für Jahre ununterbrochen zu schießen. Nein, Gondolin war der sicherste Ort in ganz Beleriand, zumal auch niemand von ihm wusste.
Lówen wollte sich grade hinlegen, als es an der Tür klopfte. Verwundert öffnete sie. Vor ihr stand Nimros, ein Freund der Familie. Er war etwa genauso alt wie sie, doch seine Eltern waren damals beide in der Nirnaeth Arnoediad gestorben. Ihre Familie hatte ihm Halt gegeben. Besonders Lówen. 
„Nimros“, sagte sie überrascht. „Ich dachte ihr müsst in der Schmiede aufräumen?“ Der Elb war wie ihr Bruder auch ein Lehrling der Schmiede des Hammers des Zorns.
Nimros lächelte. Er war von gutmütiger und pflichtbewusster Natur und es passte nicht zu ihm, die Arbeit zu versäumen.
„Guten Morgen Lówen, da hast du recht, doch ich habe meinen Teil der Arbeit bereits am gestrigen Tag verrichtet, außerdem wollte ich dir zur Feier des Tages etwas geben.“ Er nahm etwas aus einer Tasche seines Gewandes und schloss vorsichtig ihre Hand darum. Es war kalt und glatt. Mit kleinen Kanten und Spitzen, aber nicht so, dass man sich verletzen konnte. Sie öffnete die Hand.
„Nimros, das ist doch nicht…“ voller Staunen betrachtete sie die kleine, aus Gold und Silber gefertigte Fibel, welche die Form einer Schwalbe mit ausgebreiteten Schwingen hatte.
„Doch, das ist nötig.“, beendete Nimros ihren Satz. „Weißt du, ich sah neulich eine Schwalbe, wie sie auf meiner Fensterbank saß. Ich habe sie sehr lange einfach nur angesehen, bis sie davonflog. Ich weiß noch nicht genau warum, aber ich musste sofort an dich denken.“
Täuschte sie sich, oder huschte ein Schatten der Trauer über sein Gesicht?
„Deshalb habe ich sie dir gemacht.“ Er lächelte wieder. Doch ein Hauch der Trauer blieb.
„Ich danke dir vielmals, sie ist wirklich wunderschön“, zärtlich strich sie über das Schmuckstück. Sogar die Federn hatte er in die Flügel eingraviert… „Ich werde sie heute Abend tragen.“
„Das ist schön“, Nimros trat einen Schritt zurück und sie sah die Freude in seinen Augen. „Ich muss jetzt auch wieder los, auch wenn ich nichts mehr in der Schmiede zu tun hab, so muss ich dennoch noch andere Dinge erledigen.“ Ein zärtlicher, liebevoller Ausdruck trat in sein Gesicht, als er diese Worte sprach.
Sie verabschiedeten sich und Lówen wartete noch im Türrahmen, bis er um die nächste Ecke verschwunden war. Dann betrachtete sie nochmal die Fibel. Ein wirklich schönes Schmuckstück. Sie würde es nutzen, um den blau-violetten Umhang vom Haus der Schwalbe zusammenzuhalten. Sie lächelte. Nimros hatte es nicht direkt gesagt, doch sie hatte es in seinem Blick lesen können. Es war in gewisser Weise ein Danks- und Abschiedsgeschenk. Für ihren Beistand und ihre Hilfe.
Lówen ging wieder rein und legte sich hin. Schnell glitt sie in einen sanften Dämmerschlaf über und bemerkte nicht, wie jemand leise das Haus betrat.
Etwas berührte sie an der Schulter. Lówen schreckte auf und schlug reflexartig die Hand weg. Erst dann erkannte sie ihren Bruder, der sie überrascht anblickte.
„Ich hatte geklopft, doch… ich wollte dich nicht erschrecken“, murmelte er entschuldigend. Sein Gesicht war Ruß verschmiert, schwarze Haarsträhnen hatten sich aus seinem losen Zopf gelöst und fielen ihm ungehalten auf die Schultern.
„Schon gut“, erwiderte Lówen und setzte sich auf. Missbilligend betrachtete sie den kleinen schwarzen Rußfleck, den ihr Bruder auf ihrem Gewand hinterlassen hatte. „Was machst du schon so früh hier? Es ist erst kurz nach Mittag“, fragte sie, nachdem sie einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte.
Ihr Bruder unternahm einen halbherzigen Versuch, sich den Ruß aus dem Gesicht zu wischen.
„Ich weiß, ich – ich sollte eigentlich auch noch gar nicht hier sein, aber…“, er verstummte. Seine grauen Augen blickten sie besorgt an.
„Du machst dir doch nicht wirklich Sorgen deswegen“, seufzte Lówen, die jetzt verstand, was er meinte. „Gondolin ist der sicherste und geheimste Ort Beleriands, selbst wenn Morgoth wüsste, wo es liegt, hätte er dennoch kaum eine Möglichkeit überhaupt hier her zu kommen.“
Mordil schüttelte energisch den Kopf. „Wir wissen nicht, was der dunkle Herr alles für Möglichkeiten hat…“
„Mordil“, Lówen sah ihren Bruder ernst an. „Wir haben schon oft darüber gesprochen und selbst wenn – warum ausgerechnet heute? Wir feiern Tarnin Austa, die Pforten des Sommers. Also lass uns bitte alle mit deinen lächerlichen Ängsten in Ruhe.“ Sie wandte sich ab und begann etwas verspätet ihre Gewänder glatt zu streichen. „Du kannst dich ja in der Nähe von Tuors und Idrils Haus auf die Mauer stellen“, scherzte sie halbherzig. Sie kannten die versträuten Gerüchte, sich bei einem Angriff bei dem Haus der Königstochter und ihres Gemahlen zu sammeln. Sie hatte dieses Gerede immer für seltsam gehalten, in die Welt gesetzt von Elben wie ihrem Bruder.
Dennoch nickte ihr Mordil ernst. Er war schon immer mehr Tuors Worten zugeneigt gewesen, wohingegen seine Schwester auf König Turgons Urteil vertraute. Und dieser hatte die Wachen verringert.
„Und das ist der Grund, warum du deine Arbeit im Stich lässt und unseren Fußboden dreckig machst?“, fragte sie vorwurfsvoll. Sie wollte nur den Tag und die Feierlichkeiten genießen, warum musste Mordil ausgerechnet heute wieder damit ankommen?
„Die Schmiede vom Maulwurf, ich habe ein Gespräch…“
„Mir ist egal, was mit den Schmieden des Maulwurfs ist“, fuhr sie ihm ins Wort, „der König vertraut Maeglin, also können wir es auch, egal was seine Leute tun. Sie sind einfach unangenehme Gesellen.“
Mordil schwieg. Sie sah den Gram in seinem Gesicht und die Sorge in seinen Augen. Sie seufzte. Wäre er nicht voller Ruß gewesen, hätte sie ihn wahrscheinlich jetzt in die Arme genommen, wie sie es früher immer getan hatte.
„Ich muss zurück in die Werkstatt“, murmelte er und ging langsam zur Haustür. Dabei hinterließ er eine weitere Spur schwarzer Fußabdrücke auf dem frisch gewischten Boden.
„Ja, tu das.“, die Rußspuren missbilligend betrachtend lehnte sie sich in den Türrahmen und wartete, bis ihr Bruder draußen und an den Fenstern vorbei war. Irgendwie erinnerte er sie an einen schwarzen Vogel mit gestutzten Flügeln, wie er vom Staub der Schmiede bedeckt die weiße Straße entlanglief. Plötzlich war ihr kalt. Fröstelnd zog sie ihr Gewand enger um sich und vergas sogar für einen Moment die Rußflecken.

Mordil eilte zurück zur Werkstatt, wo sein Freund Fendîn bereits auf ihn wartete.
„Da bist du ja endlich“, rief er und warf ihm einen Besen zu. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr zurück.“
„Doch doch, es tut mir leid“, er fing den Besen auf und fegte rasch auf Fendîn zu. Sein Freund war ungewöhnlich zierlich, selbst für einen Elben, mit schwarzem Haar und einem stillen, zurückhaltendem Wesen, welches sich in seinen auffallend intensiv blauen Augen spiegelte. Auch wenn sie nicht zum Haus des Hammers des Zorns gehörten, so waren sie dennoch beide bei ihren Juwelen- und Goldschmieden in der Lehre.
„Lówen wollte mich gar nicht wirklich anhören“, flüsterte Mordil leise, als er dicht genug an Fendîn dran war. „Sie vertraut auf des Königs Urteil.“
Fendîn tauchte nachdenklich seinen Lappen in einen rußigen Wassereimer.
„Und du bist dir wirklich sicher, dass du dich nicht verhört hast?“
Mordil brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass sein Freund nicht von Lówen sprach.
„Ganz sicher“, erwiderte er, „es war sehr deutlich.“ Er seufzte, dann fuhr er noch leiser fort: „Maeglin und ein paar seiner Leute sind mit Morgoth in Kontakt gewesen, sie wurden wohl außerhalb unserer Grenzen abgefangen und bedroht, warum auch immer sie unsere Grenzen verlassen haben. Das muss damals gewesen sein, als seine Leute so unruhig waren. Letztes Jahr.“ Er blickte sich kurz um. Das Fegen und Wischen hatten sie ganz vergessen. „Ich habe ein ganz böses Gefühl…“
„He ihr beiden!“
Sie schraken auf. Fendîn stieß versehentlich den Wassereimer um und die schwärzliche Brühe ergoss sich über den fast gewischten Boden und ihre Füße.
Heledhrin, eine der besten Schmiede des Zornhammers, baute sich drohend vor ihnen auf. Ihre eisgrauen Augen blitzten.
„Was macht ihr da für einen Unfug, ihr sollt wischen und nicht schwatzen, es sei denn ihr kriegt beides gleichzeitig hin. Also los! Und wenn ihr in fünfzehn Minuten nicht fertig seid, geht ihr auch noch unten in die vierte Schmiede! Habt ihr mich verstanden?“
Sie waren erst nach zwanzig Minuten fertig und so wurden sie von der Elbin in den nächsten rußigen Raum verdonnert. Nebenan der Maulwürfe. Während sie wischten, hatten sie sich nicht weiter unterhalten können, denn Heledhrin hatte sie mit verschränkten Armen und wachsamen Blicken beobachtet. Doch jetzt ging auch sie wieder und so konnten sich die beiden Elben weiter beraten.
„Aber was können wir tun?“, fragte Fendîn leise, als er grade den gröbsten Schmutz auf ein Kehrblech schob, „wir können wohl kaum dem König davon berichten und ebenso wenig Tuor. Man würde eher uns einsperren.“
„Das stimmt, wir brauchen erst handfestere Beweise“, drang es geisterhaft aus dem Rauchabzug.
„Schsch, die Maulwürfe sind doch direkt nebenan“, flüsterte Fendîn ängstlich.
Mordils Kopf tauchte wieder auf und wäre sein Haar nicht schon vorher schwarz gewesen, so war es das zumindest jetzt.
„Verflucht, meinst du, sie haben mich gehört?“
Fendîn hielt inne und lauschte. Er hörte nichts.
„Vielleicht wechseln sie auch grade das Wasser aus…“ seine Hände zitterten leicht.
Mordil biss sich auf die Lippe, sein Gesicht ähnelte einer Statue. Der steinerne Effekt wurde von dem Ruß sogar noch verstärkt. Sie schwiegen eine Weile.
„Wollen wir es hoffen“, murmelte Mordil und schrubbte zuerst zaghaft an einer besonders verrußten Stelle. Auch drüben setzten die Arbeitsgeräusche wieder ein und langsam verschwand der kurze Schreck. Mordil machte den Rauchabzug fertig und half anschließend Fendîn, die Schubladen mit den Werkzeugen zu säubern.
„Wir sollten trotzdem schauen, dass wir irgendwas Beständigeres gegen sie in die Hand kriegen“, flüsterte Mordil, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
„Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Fendîn leise. „Wir müssten sie ja erst mal wieder zum Reden kriegen.“
„Ich weiß noch nicht, uns wird bestimmt etwas einfallen.“, Mordils Blick fiel auf eine große, schwere Kneifzange.
„Aber was?“ Fendîn schrubbte geistesabwesend das Innenleben der Schublade.  „Wir können schließlich schlecht zu ihnen spazieren und sie darum bitten, uns alles über diesen Vorfall zu erzählen.“, er warf seinen Lappen in den Eimer. Wasser spritzte auf den Boden.
Mordils Blick hing weiter an der Zange.
„Sie lassen sich ziemlich leicht provozieren…“, murmelte er in Gedanken versunken.
„Du aber auch“, erwiderte Fendîn. Dann folgte er seinem Blick und verstummte. „Nein, das ist keine gute Idee, nein.“ Er schüttelte heftig den Kopf.
„Warum nicht?“, Mordil hob den Blick. „Wenn wir sie so zu einem Geständnis bringen, haben wir nichts verbrochen.“
„Aber wenn es doch nur ein Irrtum war, oder sie gar nichts genaues darüber sagen können, dann haben wir ein gewaltiges Problem. Nein, das machen wir nicht.“ Fendîn fischte den Lappen wieder aus dem Eimer und nahm sich eine weitere Schublade vor.
Mordil seufzte und sortierte die Werkzeuge wieder ein. Die Kneifzange verschwand trotzdem ungesehen in seiner Lederschürze.
„Hast du einen besseren Vorschlag?“, fragte er und half Fendîn bei der Schublade.
Sein Freund schwieg. Vermutlich dachte er nach. 
Mordil befreite die Werkzeuge vom Schmutz. Die Sache machte ihn wütend. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, die Maulwürfe zum Reden zu bekommen. Eine, gegen die auch der sanfte Fendîn nichts auszusetzen hatte. Grob schrubbte er mit dem Lappen über eine Metallsäge, zu spät erkannte er das Werkzeug. Der Lappen wurde zerschnitten wie weiche Butter und die Säge glitt tief in seine Hand. Fluchend legte er das Werkzeug beiseite und warf den zerrissenen Lappen in den Eimer. Schmutz und Schweiß brannten in der Wunde, aus der beständig Blut quoll und auf den Boden tropfte.
„Was ist los?“, fragte Fendîn, der bei den plötzlichen Geräuschen erschrocken zusammengezuckt war und verstummte, als er das Geschehen erblickte.
„Ich habe mich geschnitten“, antwortete Mordil, „ich habe die Säge nicht rechtzeitig erkannt.“ Seine Hand schmerzte und er musste das Blut mit der gesunden Hand auffangen, da es sonst weiter auf den Boden getropft wäre.
Fendîn nahm die Säge und betrachtete die Klinge.
„Du hast Glück gehabt, sie war nicht sehr schmutzig.“ Er säuberte sie sorgfältig und legte sie beiseite. „Ist es tief?“ Sein Gesicht war blass und er vermied es, die Wunde direkt anzusehen.
Mordil betrachtete missmutig seine Hand. Der Schnitt ging quer über die ganze Handfläche und durch das viele Blut konnte er die Tiefe nicht erkennen.
„Ich weiß es nicht.“
„Du solltest sie säubern und nähen lassen.“ Fendîn blickte ihn besorgt an.
„Wenn du mich kurz entbehren kannst… ich beeile mich.“
Sein Freund nickte.
„Danke.“
Mordil wandte sich ab und eilte davon. Beinah wäre er auf dem Weg mit Heledhrin zusammengestoßen, die plötzlich um eine Ecke bog. Als sie ihn sah, verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen.
„Was machst du hier? Solltest du nicht die vierte Schmiede säubern?“ Ihr Blick glitt zu seiner Hand und wurde noch gefährlicher. „Ich hoffe, du hast den Boden nicht vollgetropft“, sagte sie, ehe er ihr die Sache erklären konnte. „Wenn ich auf dem Weg auch nur einen Tropfen Blut finde, darfst du den gesamten Boden noch mal nachwischen – und zwar allein!“
Es gab wenige Elben, die ihm derartig Angst einjagen konnten, doch Heledhrin gehörte definitiv nach sehr weit oben auf der Liste.
„Jetzt geh und lass deine Hand nähen. Dann komm noch mal zu mir.“ Sie warf ihm einen letzten warnenden Blick zu, dann gab sie den Weg frei. Mordil hastete weiter. Schließlich gelangte er zu dem heilkundigen Calendal, der mit seinem Lehrling den kleinen Raum herrichtete. In einer Schmiede konnten immer Unfälle passieren, daher waren die Räumlichkeiten des Heilers sehr zentral in dem großen Gebäude eingerichtet. Calendal säuberte die Wunde und wies seinen Lehrling an sie zu nähen, während er sanft auf Mordils Unvorsichtigkeit schimpfte. Nichts vermochte den Sindar aus der Ruhe zu bringen.
„Ich weiß, es ist deine rechte Hand, aber du solltest sie in der nächsten Zeit schonen und vorsichtig mit ihr sein“, erklärte der Heiler, während er ihm zur Sicherheit einen Verband anlegte.
„Das wird schwierig“, erwiderte Mordil, dem bei dem Gedanken an Heledhrins zornigen Blick gleich ein Schauer über den Rücken lief. „Ich kann Fendîn nicht allein alles aufräumen lassen.“
Calendal seufzte. „Dann mach leichte Sachen wie Werkzeuge sortieren. Die Wunde sollte keinem Druck oder einer Kraft ausgesetzt werden.“
Mordil nickte. Das ließ sich wohl einrichten. 
Er verabschiedete sich und suchte Heledhrin. Auf dem Weg fiel ihm ein kleiner, verdächtig roter Punkt auf dem Boden auf. Schnell sah er sich um. Den Valar sei Dank, nichts von der Elbin zu sehen. Schnell bückte er sich und fuhr mit einem Teil seines Ärmels drüber.
„Da bist du ja“, erklang eine scharfe Stimme hinter ihm. Schnell sprang er auf die Füße, doch es war bereits zu spät.
Heledhrins Augen blitzten.
„Damit wäre das geregelt. Sobald ihr in der vierten Schmiede fertig seid, wischst du den gesamten Boden der unteren Etage noch mal nach. Sei froh, dass er schon gefegt ist.“
Mordil schluckte. Er würde wohl doch erst später nach Hause kommen. Doch gegen Heledhrin wagte er nicht aufzubegehren.

Er betrat die Schmiede zeitgleich mit Fendîn, der grade frisches Wasser geholt hatte.
„Da bist du ja endlich wieder, ich hatte schon Sorge, Calendal hätte dich womöglich ganz aus der Werkstatt verwiesen. Du warst fast eine Stunde weg.“
„Nein, das nicht“, erwiderte Mordil, „aber er hat mir tatsächlich einige Arbeiten verboten, er meinte, ich solle Werkzeuge sortieren.“, fügte er ein wenig belustigt hinzu.
„Das lässt sich machen, schau, die eine Schublade ist genau fertig dafür.“
„Sehr gut.“
Sie machten sich wieder an die Arbeit und da die Sonne jetzt durch ein geöffnetes Fenster schien und ein frischer Wind für Abkühlung sorgte, erschien auch das Maulwurfproblem als etwas, dass man ruhig aufschieben konnte.
Am frühen Abend wurden sie fertig und Fendîn verabschiedete sich.
„Gehst du nicht?“, fragte er ein wenig verwirrt, als Mordil keine Anstalten machte, ihm aus der Werkstatt zu folgen.
Er schüttelte den Kopf. „Heledhrin hat mir befohlen, noch den ganzen Boden der unteren Etage zu wischen.“, er zuckte mit den Schultern.
„Das tut mir leid, dann bis morgen.“ Er winkte noch, dann ging er.
Mordil seufzte und begann mit der Arbeit. Die schlechte Laune kehrte zurück, als er den Eimer mit dem Lappen sah. Dass er beim Wischen die linke Hand nutzen musste, trug auch nicht grade zu einer Besserung seiner Stimmung bei. Er fluchte leise, als ihm einfiel, dass er Fendîn hätte bitten können, seiner Familie Bescheid zusagen. Diese würden sich jetzt bestimmt wundern, wo er blieb. Er hörte schon die Stimme seiner Schwester, wie sie sagte: „Na also, hab ich es nicht gleich gesagt. Kein Verlass…“ Wahrscheinlich würde er erst fertig werden, wenn schon alle auf den Mauern standen und nach Osten blickten. Wenn sie auf den Sonnenaufgang warteten, der den Anfang des Sommers bedeutete. Ein plötzliches Scheppern, von irgendwo aus dem nun fast leeren Gebäude rief ihm wieder die Schmiede vom Haus des Maulwurfs in Erinnerung. Auf einmal erschien es ihm gar nicht mehr so gut, die Sache aufzuschieben. Im Gegenteil, er hatte das dringende Gefühl, so schnell wie möglich handeln zu müssen. Hektisch begann er zu schrubben und benutzte dabei sogar die verletzte Hand, welche sofort anfing, schmerzhaft zu brennen. Er musste sie abfangen, ehe sie die Schmiede verließen. Was er dann machen würde… ihm würde schon was einfallen. Er schrubbte weiter. Sie waren in ihrer Schmiede noch nicht fertig gewesen, als Fendîn und er sie verlassen hatten. Er hatte noch eine Chance.
Das Wasser war schmutzig. Er musste es kurz auslehren und ersetzen. Er hob den Eimer hoch und machte sich auf den Weg. Als er zurückkam, machte sein Herz einen Aussetzer. Fünf Elben vom Haus des Maulwurfs, Maeglins Haus, warteten auf ihn. Ihre Gesichter waren verschlossen und wie sein eigenes mit Ruß verschmiert. Sie sahen aus wie Statuen, stumm, unbeweglich und bedrohlich. Die kurze Klinge eines Messers blitzte in der Hand einer Elbin.
Was machten sie hier? Nein, dumme Frage, verflucht, sie mussten ihn und Fendîn gehört haben. Hoffentlich hatten sie nicht auch ihn aufgelauert. Er wusste, wie sehr sein Freund jede Art von Auseinandersetzung verabscheute. Mordil stellte den Wassereimer ab. Was sollte er jetzt tun? Ein Kampf war hoffnungslos, Weglaufen kam nicht infrage, er…
„Na endlich.“ Ein besonders großer Elb namens Seregorn, der den deutlich kleineren Mordil um einen Kopf überragte, trat auf ihn zu.
Er schwieg. Seregorn war einer der beiden gewesen, welche er versehentlich belauscht hatte. Wie viel wussten die anderen? Mordil konnte sich nicht vorstellen, dass alle der Maulwürfe eingeweiht waren. Wahrscheinlich nur die, die Maeglin damals begleitet hatten. Was hatte man ihnen erzählt, warum sie jetzt hier auf ihn lauerten? Panisch überlegte er, was er jetzt tun konnte. Wenn Fendîn nur dagewesen wäre. Er war der Denker von ihnen beiden.
Die Elben schlossen einen Kreis um ihn, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Zu spät erinnerte er sich an die Zange in seiner Schürze.
Der Kampf war kurz und von Anfang an verloren. Seregorn hatte keine Lust gehabt zu reden und so hatten die Maulwürfe gleich angegriffen. Mordil war nicht mal mehr dazu gekommen, nach seiner Zange zu greifen. Eine behandschuhte Hand legte sich von hinten auf seinen Mund und ein weiterer Arm schlang sich um seinen Hals. Er war nie ein guter Kämpfer gewesen, doch selbst wenn er in dieser Kunst erfahren gewesen wäre, so hätte er gegen die fünf keine Chance gehabt. Vermutlich nicht mal gegen einen. Er versuchte in die Hand zu beißen, doch es handelte sich um einen dicken, ledernen Schmiedehandschuh. Der Handschuh wurde durch einen dicken, staubigen Stoffstreifen ersetzt, vermutlich einem der Lappen, mit denen sie hier arbeiteten. Die nun freie Hand gesellte sich zu dem Arm um seinen Hals. Die Hand schob sich hinter seinem Kopf entlang und drückte seinen Hals weiter in die Armbeuge. Er spürte, wie ihm die Halsschlagadern abgeschnürt wurden. Panisch fing er an zu zappeln und zu treten, doch es war hoffnungslos. Die Würge war drin, ihm blieben nur noch wenige Sekunden. Er spürte seine Kräfte schwinden, schnell, sehr schnell. Ihm wurde bereits schwummrig und er sah bunte Flecken, oder Glühwürmchen, die vor seinen Augen wie trunken tanzten. Er war gefangen in dem eisernen Griff der viel stärkeren Elbin, er war hilflos. Er wand und drehte sich, doch es war vorbei.

Lówen blickte in den Himmel, der inzwischen eine samtig dunkle Farbe angenommen hatte. Die ersten Sterne zeigten sich über ihr und hier und da wurden bereits einige der bunten Lichter in den frisch begrünten Bäumen und Hainen aufgehängt. Es war zu schön, als dass sie sich ernsthaft wegen ihres Bruders ärgern konnte, der mal wieder sein Versprechen nicht gehalten hatte. Aber er hatte noch Zeit bis Mitternacht und bis dahin würde er kommen, denn es war seine Pflicht.
Von innerer Ruhe erfüllt, betrachtete sie die weiße Stadt, die so schön und friedlich war. Gondolin. Das schönste der noldorischen Reiche Mittelerdes. Die Elben waren in lange, pastellfarbene Gewänder gekleidet, manche trugen auch einen silbernen Reif auf der Stirn, in dem ein sternengleicher kleiner Stein funkelte. Denn aus zeremoniellen Gründen trugen einige auch heute ihre Rüstung und Lówen war stolz, dazuzugehören. Der lange Umhang, in den Farben vom Haus der Schwalbe, lag um ihre Schultern und wurde von Nimros schöner Fibel zusammengehalten. Ihr langes schwarzes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern, den Helm mit dem weißen Federbusch hatte sie sich unter den Arm geklemmt. Sie würde ihn noch die ganze Nacht tragen müssen.

Die Dunkelheit wich, nur um einer neuen Platz zu machen. Verwirrt blinzelte Mordil in eine neue, staubige Schwärze. Doch alles blieb gleich. Ob er die Augen offen oder geschlossen hatte, es gab keinen Unterschied. Nichts. Ganz allmählich kehrte sein Bewusstsein zurück und die letzten Erinnerungen ließen für einen kurzen Moment seinen Atem stocken. Er befand sich in der Kohlekammer, so viel stand fest. Er konnte ihren stickigen und staubigen Geruch riechen und die kleinen knirschenden Brocken fühlen. Er hustete und würgte, als er den Fehler machte durch den Mund zu atmen. Doch dadurch bekam er nur noch mehr Kohlenstaub in die Lunge. Erst als er sich einen Ärmel vor den Mund hielt, kam er langsam wieder zu Atem. Seine Lungen brannten und er hatte einen widerlichen pelzigen Flaum auf der Zunge. Ein drückender Kopfschmerz, hervorgerufen von der schlechten Luft, pochte gegen seine Schläfen. Warum hatten die Maulwürfe ihn hierhergebracht und nicht gleich erschlagen?
Vielleicht, weil das gar nicht mehr nötig war, dachte er bitter. Alles deutete darauf hin, dass er recht gehabt hatte. In allem. Er musste hier raus. Er riss ein Stück von seinem Ärmel und band es sich vor Mund und Nase. Noch konnte er alle anderen warnen. Noch war es nicht zu spät – hoffentlich. Er richtete sich auf und tastete vorsichtig die Wände ab. Er suchte die Tür. Er fand die Klinke und drückte sie hinunter. Verschlossen. Einen Versuch war es wert gewesen. Er tastete nach dem Rahmen. Sie ging nach innen auf, eintreten konnte er also auch vergessen. Er stöhnte. Wie lang war er schon hier? Vielleicht war Heledhrin ja noch da, die ihn befreien konnte? Probeweise begann er gegen die dicke Tür zu schlagen und um Hilfe zu rufen. Er war erschrocken, wie heißer und rasselnd seine Stimme klang.
Er probierte es fünf Minuten. Zehn Minuten. Nichts. Hilflos ließ er sich gegen die Tür sinken. Dabei fiel ihm etwas ein. Die Zange. Rasch griff er in die Tasche und fand sie tatsächlich vor. Die Maulwürfe hatten ihn also nicht durchsucht. Er kramte in anderen Taschen und fand noch ein Stück Draht. Konnte das funktionieren? Wenn er einen Schlüssel vergessen hatte, hatte er schon öfters auf diese Weise Schlösser geöffnet. Doch das war bei Tageslicht gewesen und mit zwei gesunden Händen. Vielleicht schaffte er es ja auch jetzt. In Dunkelheit. Mit links. Zitternd vor Aufregung begann er den Draht zurechtzubiegen. Seine rechte Hand schmerzte, doch er ignorierte sie. Er tastete nach dem Schloss und musste voller Entsetzen feststellen, dass die Tür ja von außen mit einem Riegel geschlossen wurde. Zusätzlich schloss die Tür luftdicht ab, um dem Kohlenstaub Einhalt zu gebieten. Verzweifelt sank er in sich zusammen.

Mitternacht war vorbei und die Zeremonie in vollem Gange. Die ganzen Straßen waren nun von silbernen Lampen durchschwämmt und in den Bäumen und Hainen hingen kleine bunte Lichter. Leise Musik schwebte durch die Straßen, ansonsten herrschte vollkommene Stille. Trotz dieser atemberaubenden Schönheit machte Lówen sich jetzt doch Sorgen. Ihr Bruder war nicht gekommen und außer seinem Freund Fendîn kannte sie auch niemanden aus der Schmiede, den sie fragen konnte. Doch auch diesen hatte sie nirgends gesehen. Warum kam Mordil nicht? Er hätte längst da sein müssen! Ihre Eltern standen an anderer Stelle, doch auch sie wussten nichts von ihrem Sohn. Machten sie sich auch Gedanken? Natürlich.
Lówen schob ihre Sorgen beiseite. Sie wollte die Schönheit und die Ruhe genießen und ihr Bruder hatte sich gewiss nur sehr stark verspätet. Vielleicht stand er auch ganz anderswo und hatte seiner Familie gar nicht Bescheid gesagt. Unwahrscheinlich, aber dennoch eine Möglichkeit. Egal. Sie wollte sich nicht weiter die Nacht verderben lassen. Irgendwo hatte sie Nimros kurz durch die Menge waten sehen, eine zweite Gestalt dicht an seiner Seite. Lówen lächelte. Dass war also der Grund für sein Geschenk gewesen. Er hatte jemanden gefunden.
Sie schloss die Augen und lauschte der Musik. Bald würde die Sonne aufgehen und die Chöre anfangen zu singen. Alle richteten ihre Blicke gen Osten.

Nachdem das erste Grauen sich gelegt hatte, spürten Mordils Finger erneut die Zange. Es pochte schmerzhaft gegen seine Schläfen und trotz der Dunkelheit begann er bunte Lichter zu sehen. Die Luft war stickig, kaum noch atembar. Seine Hand schloss sich mit eiserner Gewalt um den Griff. Wankend stand er auf und begann mit aller ihm verbliebener Kraft auf die Tür einzuschlagen. Dort, wo auf der anderen Seite der Riegel saß. Das Eisen kreischte, als es auf anderes Eisen schlug. Ein Geräusch der Zerstörung und des Schmerzes, nicht des Schaffens. Plötzlich flog die Tür mit einem heiseren Kreischen auf und Mordil stürzte hinaus. Nach Atem ringend lag er auf dem Boden und hustete und spuckte schleimigen Kohlenstaub aus. Erst jetzt bemerkte er, wie wenig Luft noch im Inneren der Kohlekammer gewesen war. Vor Tagesanbruch wäre er erstickt.
Eine dunkle, schmale Gestalt beugte sich zu ihm hinab.
„Mordil? Mordil ist alles in Ordnung?“
Es dauerte eine Weile, bis die zittrige Stimme durch den Nebel seiner Gedanken drang und er seinen Freund erkannte.
„Fendîn?“, fragte er heiser, den staubig pelzigen Geschmack der Kohle in seinem Mund.
„Ja, ich bin es.“
Vor ihm kniete Fendîn, das feine Haar offen und zerzaust und er zitterte am ganzen Leib.
Mühsam setzte sich Mordil auf.
„Fendîn, was…“, er musste erneut husten.
„Sie… die Schmiede des Maulwurfs, sie haben mich aufgelauert, noch ehe ich die Schmiede verlassen habe“, sprudelte es aus seinem sonst so stillen Freund hinaus. „Die eine Elbin, ich kenne ihren Namen nicht, sie hatte ein Messer. Ich – ich bin weggerannt. Irgendwohin, ich wusste nicht, ob sie mir folgen. Plötzlich war da eine Treppe, ich habe nicht aufgepasst...“ Seine Stimme brach ab. Es dauerte einen Moment, ehe er fortfuhr: „Sie nahmen mich, fesselten mich und sperrten mich in den Keller. Mir gelang es nach einiger Zeit mich aus den Fesseln zu befreien und ich musste feststellen, dass sie die Türen verschlossen hatten. Daraufhin habe ich mit einer Metallsäge aus den dort lagernden Werkzeugkisten die Scharniere zersägt und dann habe ich dich hier auch schon gehört…“ Fendîn brach ab. Seine blauen Augen waren angstvoll aufgerissen, sodass sich das von draußen eindringende, silberne Licht der Laternen gespenstisch in ihnen spiegelte.
„Was ist mit dir, geht es dir gut?“
„Es geht schon, mich haben sie beim Wasserholen abgefangen, fast erwürgt und hier eingesperrt. Ohne dich wäre ich bald erstickt.“ Mordil holte tief Luft und spürte immer noch den feinen Staub in seiner Lunge.
„Ich brauch Wasser“, murmelte er und stand auf. Gemeinsam gingen sie in die nächste Schmiede, tranken etwas und wuschen sich den Großteil des Rußes aus dem Gesicht. Doch so ganz wollte es ihnen nicht gelingen, denn in ihrem Haar hatte sich so viel von dem feinen Staub angesammelt, dass er schwarze Schlieren über ihre Gesichter zog.
„Wir müssen sofort zum König“, sagte Fendîn. Er zitterte immer noch, aber die Panik in seinem Blick hatte sich ein wenig gelegt.
„Ja“, Mordil hustete. Wollte dieser Ruß denn gar nicht aus seiner Lunge verschwinden?
Fendîn erstarrte. Er stand auf und ging langsam zu einem der langen, schmalen Fenster. Es zeigte nach Norden.
Erst jetzt fiel Mordil auf, dass rotes Licht durch das Glas fiel.
„Nein…“, rasch eilte er auf das Fenster zu. Das Gebäude, in welchem sie sich befanden, lag weiter oben auf dem Amon Gwareth und so hatten sie eine gute Aussicht auf die Stadt. Vor und unter ihnen lag Gondolin, das wunderschöne, weiße Gondolin, dessen östliche Fronten bereits von der ersten Sommersonne in Gold verwandelt wurden. Doch auch von Norden kam ein Schein, denn von dort ergoss sich das Grauen über die grünen Wiesen der Tumladen und das Licht das sie verströmten, beschmutzte die weißen Mauern wie mit Blut.
Er bemerkte eine Träne, die Fendîn aus seinen blauen Augen rann und eine weitere weiße Linie durch die schwarzen Schlieren des Rußes zog.
„Wir sind zu spät“, sagte er.

Im Osten war der Himmel von einem hellen Gelb zu einem kräftigen Rot übergegangen, während hoch über ihnen allmählich die Sterne verblassten. Alle standen auf der Mauer und starrten erwartungsvoll nach Osten. Gleich würden die Chöre anfangen zu singen und alle würden die neue Jahreszeit begrüßen und feiern. Den ganzen Tag. Ihr Bruder war vergessen. Erfüllt vom Glück und der Schönheit um sie herum, stand Lówen auf der Mauer. Ihr Haar und der weiße Federbusch ihres Helms wehten sachte im Wind. Einem frischen Morgenwind, der einen warmen, klaren Tag versprach.
Plötzliche, unschöne Geräusche zerrissen den Frieden. Alle drehten sich nach Norden, von woher nun panische Schreie und Alarmsignale drangen. Untermalt von dem Stampfen einer gigantischen Armee – und schlimmerem. Die Häuser versperrten ihr die weitere Sicht, doch sie brauchte nichts mehr zu sehen, um zu wissen, was los war. Ihr Bruder stolperte auf sie zu. Mehr taumelnd als rennend und rußig, als hätte er sich in Kohle getanzt. Nur sein Gesicht hatte er von dem Dreck befreit und war nun von tränengleichen schwarzen Schlieren überzogen.
„Sie kommen, Morgoht! Im Norden, Drachen!“
Dann fiel er zitternd vor Erschöpfung in ihre Arme. Lówen hielt ihn fest und schloss die Augen. Eisiges Grauen breitete sich in ihr aus, während um sie herum weitere Schreie einsetzten.
Sie kommen. Morgoth. Im Norden. Drachen! 

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