Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Brother to Brother – Father to Son

von Eldameldis

Kapitel 1

„Gondor hat keinen König! Gondor braucht keinen König!“ Boromir seufzte. Heute Nachmittag im Rat hatten diese Worte in seinen Ohren gut und richtig geklungen. Er wusste, er hatte genau das ausgesprochen, was sein Vater dachte. Denethor wäre heute stolz auf seinen Erstgeborenen gewesen. Wahrscheinlich war das der Grund, warum er auf diese Mission geschickt worden war. Obwohl doch Faramir den Traum gehabt hatte. Faramir.... Boromirs Gedanken wanderten zurück....

* * * * *

„Nein, Faramir, ich habe keinen Sinn für so etwas. Geh’ damit zu deiner Mutter!“
Denethor, der Truchsess von Gondor, drehte seinem Sohn demonstrativ den Rücken zu. Enttäuscht blickte Faramir auf das Pergament in seiner Hand. Boromir legte seinem Bruder tröstend die Hand auf den Arm. „Ich habe gewusst, dass er das sagen würde. Und im Grunde hast du es auch gewusst. Sei nicht traurig, kleiner Bruder, ich finde dein Gedicht wunderschön. Und Mutter wird es sicher auch gefallen. Komm, gehen wir zu ihr!“
Die beiden Jungen fanden Finduilas, in einem hohen Lehnstuhl sitzend auf der an ihre Räume angrenzenden Terrasse. Sie verbrachte die meiste Zeit hier sitzend. Manchmal mit einer Handarbeit, oder lesend, manchmal spielte sie auch auf ihrer kleinen Harfe. Und oft träumte sie nur vor sich hin. Faramir besuchte seine Mutter täglich. Boromir versuchte, es ihm gleich zu tun, aber oft legte ihm Denethor so viele Pflichten auf, dass er es einfach nicht schaffte. Finduilas beklagte sich nie. Die beiden Jungen umarmten ihre Mutter. Und wie so oft, wenn er sie seit ein paar Tagen nicht gesehen hatte, erschrak Boromir darüber, wie zerbrechlich sie doch war. Finduilas lächelte liebevoll. „Meine Söhne. Faramir, du siehst so traurig aus. Bedrückt dich etwas?“ Faramir wollte die Mutter nicht mit seinem Kummer belasten, aber Boromir antwortete an seiner Stelle: „Faramir hat ein so schönes Gedicht gemacht, Mutter. Ich habe es für ihn niedergeschrieben.“
„Und Vater hatte mal wieder keine Zeit, es zu lesen. Ich verstehe. Darf ich es sehen, mein Sohn?“ Zögernd reichte Faramir seiner Mutter das inzwischen leicht zerknitterte Pergament. Finduilas strich es glatt und begann dann zu lesen. Nachdem sie fertig war, reichte sie das Pergament lächelnd an Faramir zurück. „Das ist ein sehr schönes Gedicht, Faramir. Sehr liebevoll.“
„Während Boromir aufschrieb, was ich ihm ansagte, musste ich die ganze Zeit an dich denken, Mutter.“
„Oh, ich hatte angenommen, du dachtest an das Mädchen, das du einmal heiraten wirst.“ Faramir errötete.
„Mach nicht solche Späße, Mutter. Bis dahin ist es noch lange.“
Ein Diener trat ein. „Verzeihung, aber der Herr Denethor wünscht Master Boromir zu sehen.“ Boromir drehte sich um.
„Nur mich, nicht auch Faramir?“
„Von Master Faramir sagte der Herr nichts.“ Faramir winkte ab.
„Ist schon gut, Boromir, ich bin ganz froh, wenn er mich in Ruhe lässt. Du weist, ich kann ihm nie etwas Recht machen. Gehe du zu ihm. Ich bleibe hier, bei Mutter.“
„Wie du willst. Aber heute Nachmittag trainieren wir zusammen Schwertkampf. Du brauchst Übung.“
„Du meinst, irgendwann lerne ich es vielleicht. Na gut.“ Sie lachten beide. Boromir ging mit dem Diener nach draußen, und Faramir setzte sich auf ein Kissen zu Füssen seiner Mutter.

* * * * *

Wenige Monate später ging Finduilas. Sie ging so, wie sie gelebt hatte: leise, ruhig, wie eine Kerze, die langsam erlischt. Eigentlich hatten alle damit gerechnet. Sie war schon so lange krank gewesen. Dennoch konnte der sensible Faramir ihren Tod kaum verarbeiten. Er weinte lange und heftig um seine geliebte Mutter.
Denethor, dem dies nicht verborgen blieb, fuhr ihn an: „Höre mit der Heulerei auf! Überlasse das den Klageweibern! Männer weinen nicht! Fange endlich damit an, mir zu zeigen, dass du ein Mann bist!“ Faramir erschrak und schluckte heftig. Dann senkte er den Kopf und erwiderte leise „Ich werde mein Bestes tun, Vater.“ Drehte sich um und verließ den Raum. Von diesem Tage an gab es nur einen Menschen der, ohne zu lügen, behaupten konnte, Faramir zeige in seiner Gegenwart Gefühle: Boromir. Die Brüder hatten sich schon immer nahe gestanden, aber nach dem Tode der Mutter schlossen sie sich noch enger aneinander an. Boromir stand seinem Bruder bei, wo immer er konnte, vor allem dann, wenn Denethor seinen jüngeren Sohn mal wieder unnötig hart behandelte.

Faramir trainierte hart und verzieh sich selbst keinen Fehler. Er wollte es um jeden Preis seinem Vater Recht machen. Aber wie sehr er sich auch bemühte, stets hatte Denethor etwas zu bemängeln. Oftmals konnte selbst Boromir seinen Vater nicht verstehen. Zum Beispiel nach einem langen, harten Zweikampf im Bogenschießen, den der immerhin sechs Jahre ältere Boromir nur ganz knapp gewonnen hatte. „Ich werde wohl nie den Tag erleben, an dem du einen Kampf gewinnst“, war alles, was Denethor seinem Zweitgeborenen zu sagen hatte. Faramir erwiderte nichts. Boromir sagte: „Du bist ungerecht, Vater.“
„Wieso, er gewinnt doch nie. Was mischst du dich eigentlich ein?“ Der Statthalter drehte sich um und ging. Faramir sattelte sein Pony und ritt in die Wälder. Es wurde schon dunkel, als er zurückkam. Beim Abendessen hatte er gefehlt, nicht zum ersten Male. Denethor erkundigte sich nie, wo sein Jüngster sei. Faramir erschien nicht oft zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Der Truchsess war kein angenehmer Tischgenosse. Und wenn er begann, an Faramirs vorgeblichen Charakterschwächen herumzumäkeln, verging sogar Boromir der Appetit.

* * * * * *

„Und was weiß ein Waldläufer von solchen Dingen?“ Bei der Erinnerung huschte ein kurzes Lächeln über Boromirs Gesicht. Auch mit dieser Antwort wäre Vater sehr zufrieden gewesen. Er hatte vorgegeben, Aragorn zum ersten Male zu sehen. Dabei war der Waldläufer früher schon in Gondor gewesen. Es war schon so viele Jahre her, dass es eigentlich unmöglich war, aber der Waldläufer hatte sich seitdem nicht verändert. Und Boromir erinnerte sich gut....

* * * * * *

„Gut so, Faramir. Etwas höher, den Schild! Achte auf deine Füße! Ja, das war sehr gut!“ Faramir errötete vor Stolz über dieses Lob. Boromir, der Faramirs Übungspartner war, dachte bei sich, dass es eigentlich traurig war, dass ein fremder Krieger Faramirs Fechtkünste lobte. Denethor hatte dem Übungskampf nur wenige Minuten zugesehen. Dann war Faramir ein Abwehrfehler unterlaufen, Boromir hatte seine Verteidigung durchbrochen und den Kampf gewonnen. Denethor hatte nur verächtlich „Was soll man von diesem Schwächling auch anderes erwarten!“ gemurmelt und war gegangen. Und dann hatte Anárion das Kommando auf dem Übungshof übernommen. Mit seiner ruhigen, freundlichen Art war es ihm gelungen, Faramirs Unsicherheit für diesen Nachmittag zum Schweigen zu bringen. Faramir war kein schlechter Kämpfer. Aber die ständige Kritik des Vaters zerstörte sein Selbstbewusstsein und machte ihn unsicher. „Du bist wirklich besser, wenn Vater nicht dabei ist.“ Bemerkte Boromir.
„Wundert dich das? Er ist doch nie mit mir zufrieden. Das war doch schon immer so. Wenn ich nur wüsste, warum.“
„Ja, vielleicht frage ich ihn eines Tages mal danach. Ich habe Durst. Machen wir Schluss für heute?“
„Du hast Recht. Anárion, trinkt Ihr ein Bier mit uns?“ Der Waldläufer, er war vor einigen Wochen aus dem Norden nach Gondor gekommen, trat zu ihnen. „Aber nur, wenn ich eingeladen werde!“ Lachend packten die drei ihre Übungswaffen zusammen und gingen nach oben zur Schänke. Der Waldläufer wunderte sich darüber, wieso die Söhne des Truchsess lieber in der Kneipe bei den Soldaten Bier tranken, statt Wein in der Halle ihres Vaters.
Er fragte danach, und der inzwischen 21jährige Boromir antwortete: „Ihr habt gesehen, wie unser Vater auf den kleinsten Fehler reagiert. Das war heute keine Ausnahme. Faramir legt keinen großen Wert auf die Gesellschaft unseres Vaters. Und auch ich gebe zu, dass ich lieber mit meinem Bruder und den Kameraden zusammen bin, als mit dem Truchsess, wenn er übel gelaunt ist. Und das ist er seit dem Tode unserer Mutter beinahe ständig.“ Anárion nickte. Er hatte nun schon einige Gefechte an der Seite der Krieger Gondors bestritten. Denethor selber ritt so gut wie nie mit in den Kampf. Aber er hatte beinahe jedes Mal anschließend etwas dazu zu sagen. „Mir ist aufgefallen, dass euer Vater besonders an Faramir beinahe immer etwas auszusetzen hat.“ Faramir blickte den Waldläufer über den Rand seines Bierkruges hinweg an. „Sogar Fremden fällt es auf.“
„Das liegt aber vielleicht daran, dass ich dich und Boromir mag. Deshalb achte ich auf alles, was euch widerfährt.“ Boromir legte seine Hand beruhigend auf Faramirs Arm.
„Du bist kein schlechter Kämpfer, das sagt Anárion auch. Und irgendwann wird auch Vater es einsehen.“
„Ja, und bis dahin gebe ich mich mit der Anerkennung von fremden Menschen zufrieden, während mein eigener Vater sich von mir abwendet.“ Antwortete Faramir bitter.
Am nächsten Tag kämpfte Faramir an der Seite seines Bruders und Anárions in vorderster Reihe. Dabei nahm er so wenig Rücksicht auf sein eigenes, junges Leben, dass Boromir Angst um seinen Bruder bekam und versuchte, ihn zu decken, wo er nur konnte. Nach erbittertem Kampf schlugen sie die Gruppe angreifender Orks in die Flucht. Der ganze Kommentar Denethors dazu bestand aus: „Das hatte ich von meinen beiden Söhnen auch nicht anders erwartet.“
Wenige Wochen später sprach der Waldläufer den beiden Brüdern noch einmal Mut zu. Dann machte er sich auf den Rückweg in den Norden.
Aragorn mochte glauben, Boromir habe diese Begegnung, die schon viele Jahre zurücklag, vergessen. Aber das hatte er nicht. Nur brauchte das ja niemand zu wissen. Es war eine kluge Entscheidung gewesen, schon unten in dem Gewölbe, wo die Bruchstücke von Narsil ruhten, so zu tun, als habe er Anárion nicht wiedererkannt...

* * * * *

„Das ist nicht einfach ein Waldläufer. Das ist Aragorn, Arathorns Sohn. Du bist ihm zur Treue verpflichtet!“
Der Elb hatte gesprochen. Boromir wusste nicht viel über Elben. Das war eher Faramirs Gebiet. Der Kleine hatte oft und lange mit ihrer Mutter und später mit Fürst Imrahil über dieses Thema gesprochen. Boromir war nicht immer dabei gewesen...

* * * * *

„...Aber Fürst Imrahil hat es doch gesagt...!“ Herausfordernd schaute Faramir seinen Vater an.
„Es ist mir gleich, was der Bruder deiner Mutter dir alles erzählt. In uns fließt kein Elbenblut! Wir sind eine Familie von Kriegern, mit diesen blasshäutigen, weichhändigen Waldbewohnern haben wir nichts gemeinsam! Ich will solchen Unsinn nicht hören!“
Faramir zuckte die Schultern. Er war anderer Meinung, was die Elben anging, aber er wusste, es hatte keinen Sinn, mit Denethor zu streiten.
Am Nachmittag desselben Tages kam Denethor hinaus auf die Weide. Seine Söhne und einige Knechte waren damit beschäftigt, eine Pferdeherde zusammen zu treiben. Einzelne Tiere wurden abgesondert, sie sollten an den Sattel gewöhnt werden. Denethor beobachtete Faramir, der sich eine Stute ausgesucht hatte und vorsichtig damit anfing, das Vertrauen des Tieres zu gewinnen.
Als sie Mittags eine Pause machten, um etwas Brot und Käse zu essen, setzte Denethor das am Morgen begonnen Gespräch fort, als sei dazwischen nicht ein halber Tag vergangen. „Allerdings könnte man bei dir Elbenblut vermuten, wenn man sieht, wie du mit Pferden umgehst...“ Boromir sah, wie Faramirs Gesicht gerade begann, sich aufzuhellen, als Denethor fortfuhr: „Aber von einem, der im Zimmer sitzt und Gedichte schreibt, anstatt sich im Schwertkampf zu üben, habe ich auch nichts anderes erwartet.“ Das schwache Leuchten in Faramirs Augen erlosch. Denethor schien eine Antwort zu erwarten, aber Faramir schwieg. Der Truchsess schnob verächtlich. „Wahrscheinlich gehst du besser wieder hinein und machst mit deinem Gekritzel weiter.“ Er nickte Boromir zu und ging davon.
Boromir legte Faramir die Hand auf die Schulter. „Ich weis nicht, was er heute wieder hat. Meiner Meinung nach zählt das Ergebnis. Und die von dir zugerittenen Pferde waren immer die sanftesten und die treuesten. Aber woher weiß er denn nur, dass du noch hin und wieder Gedichte schreibst?“
Faramir seufzte.
„Ich weis es nicht. Von mir gewiss nicht.“
„Und von mir auch nicht, das schwöre ich dir.“
„Du brauchst nicht zu schwören. Du bist mein Bruder. Ich vertraue dir.“ Faramir stand auf und wischte seine Hände an der Hose ab. Gemeinsam gingen die Brüder zurück zur Weide, um die Arbeit fort zu setzen.
Als sie abends am Feuer ihre Decken nebeneinander ausbreiteten, dachte Boromir wieder an die Worte des Vaters vom Morgen. „Was genau hat Fürst Imrahil dir denn erzählt?“ fragte er seinen Bruder, während sie sich nebeneinander hinlegten.
„Dass im Fürstenhaus von Dol Amroth Elbenblut fließe, weil sie alle von der Elbin Mithrellas abstammen. Und weil unsere Mutter die Schwester von Fürst Imrahil war, haben auch wir, wenn auch wenig, elbisches Blut in den Adern.“
„Du kennst dich in Geschichte besser aus, als ich. Wer war Mithrellas?“
„Ein Elbenmädchen, das in lange vergangenen Zeitaltern gemeinsam mit der sagenhaften Nimrodel verschwunden sein soll. Der Sage des Hauses Amroth folgend hat sie sich in den Númenórer Imrazor verliebt und ihn geheiratet. Von diesen Beiden stammen alle Fürsten von Dol Amroth ab. Sagte Imrahil. Und ich glaube ihm.“
„Ja, ich glaube das auch. Zumal es erklärt, wieso besonders du so gut mit Tieren und Pflanzen umgehen kannst. Und mit diesem Wissen verstehe ich auch, warum Mutter hier verwelkte, wie eine Blume. Sie war für ein Leben an der Seite eines Mannes wie dem Truchsess einfach nicht geschaffen.“
Faramir schluckte schwer. Seine Augen schimmerten feucht.
„Arme kleine Mutter! Wie muss sie gelitten haben. Ich glaube, sie blieb so lange bei dir und mir, wie sie nur konnte. Aber irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Darum hat sie dann einfach das Leben losgelassen.“
„Ja, so war es wohl. Aber grübele nicht darüber nach, kleiner Bruder. Das macht dich nur traurig. Versuche, nun zu schlafen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“

* * * * * *

„Warum lange reden? Warum zerstören wir das Ding nicht einfach?“ Das waren die Worte des Zwerges Gimli gewesen. Worte nach Boromirs Geschmack, kurz und bündig. Dass Gimlis Axt zersprang, als er seinen Worten die Tat folgen lassen wollte, war eine andere Sache.
Aber diese Zwerge schienen auch lieber zu kämpfen, als zu reden......

* * * * * *

„Diese Stadt war einst das Juwel unseres Königreiches. Ein Hort des Lichts, der Schönheit und der Musik! Lasst es den Streitkräften Mordors gesagt sein: niemals wieder fällt das Land meines Volkes in des Feindes Hand. Die Stadt Osgiliath ist zurück gefordert worden. Für Gondor! Für Gondor! Für Gondor!“ Strahlend grüßte Boromir die Soldaten, welche sein dreimaliges „Für Gondor“ lautstark erwidert hatten. Dann wandte er sich seinem Bruder zu.
„Gut gesprochen! Schön und kurz!“ Lachte Faramir.
„So bleibt zum trinken mehr Zeit. Die Fässer angestochen, diese Männer sind durstig! Merk dir den heutigen Tag, kleiner Bruder! Heute ist das Leben schön!“ Auch Boromir lachte, sah dann in Faramirs Augen und wurde schnell ernst. „Was?“
„Er ist hier.“
Truchsess Denethor trat aus dem Schatten zwischen den Säulen. „Ihr habt euch tapfer geschlagen, Männer.“
„Nicht einen Moment des Friedens kann er uns gönnen...“ murmelte Boromir. Denethor blickte sich scheinbar suchend um.
„Wo ist er? Wo ist Gondors Bester? Wo ist mein Erstgeborener?“
Boromir wandte sich um. „Vater.“ Die beiden Männer umarmten sich, dann sagte Denethor:
„Sie sagen, fast im Alleingang hast du den Feind bezwungen.“
„Ach, sie übertreiben. Faramir hat sich genau so um den Sieg verdient gemacht.“
„Hätte Faramir sein Teil geleistet, stünde die Stadt noch. ---- Hattest du nicht den Auftrag, sie zu verteidigen?“ Wandte sich Denethor herausfordernd an Faramir.
„Ich hätte sie verteidigt, aber wir waren zu Wenige.“
„Ach, zu Wenige? Du hast den Feind förmlich eingeladen, die Stadt einzunehmen. Wie so oft lässt du mich in keinem guten Licht erscheinen.“
„Das war nicht meine Absicht.“ Während Denethor seinen Erstgeborenen am Arm fasste und in einen Nebengang führte, verteidigte Boromir seinen Bruder, wie so oft.
„Er versucht, dir zu Willen zu sein und nie hast du ein gutes Wort für ihn. Er liebt dich, Vater!“
„Behellige mich nicht mit Faramir, ich weis um seine Stärken und es sind nicht viele. Wir haben Dringenderes zu besprechen...“

* * * * * *

„Ash nazg durbatulûk, ash nazg gimbatul,
ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi-krimpatul.“
Die Elben hatten sich die Ohren zugehalten, als Gandalf damit anfing, in der schwarzen Sprache von Mordor zu reden. Lord Elrond hatte wie schmerzlich das Gesicht verzogen. Und dem Zauberer eine Rüge erteilt, sobald dieser schwieg. Gandalf hatte sich für sein Verhalten nicht entschuldigt. Das gefiel Boromir. Im Übrigen konnte er den Zauberer nicht so Recht einordnen. Gandalf würde nicht zulassen, dass Boromir die mächtige Waffe des Feindes nach Gondor brachte. Doch hatte der Zauberer sonst immer auf der Seite von Boromir und Faramir gestanden....

* * * * * *

„Boromir! Schau nur, wer uns hier besuchen kommt!“ Freute sich Faramir.
„Viel Zeit ist vergangen, seit Ihr das letzte Mal bei uns weiltet, Mithrandîr.“ Begrüßte auch Boromir den Zauberer.
„Ihr solltet euch nicht beschweren. Wenn ich nicht komme, bedeutet dies, dass alles in Ordnung ist und es keinen Grund zur Sorge gibt. Aber heute bin ich gekommen, um Zugang zur Bibliothek zu erbitten.“
„Nun, den kann Euch nur der Truchsess selbst gewähren. Ich werde Euch zu ihm führen.“
Einige Zeit später kam Gandalf, leise vor sich hinbrummelnd, aus dem Audienzsaal zurück.
Faramir und Boromir hatten ihren Dienst bei der Wache für heute beendet und traten gerade in die Halle, als Gandalf hinaus wollte. Faramir blieb stehen.
„Herr Gandalf, habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?“
„Ah, Faramir, ja, ich wollte dich ohnedies bitten, mit mir in die Bibliothek zu kommen, sofern deine Zeitplanung es erlaubt. Du kannst mir helfen, eine bestimmte Schriftrolle zu suchen. Aber was wolltest du denn von mir?“
„Nun, Ihr könntet mir behilflich sein, eine Frage zur Zufriedenheit zu klären...“
Mehr hörte Boromir für den Moment nicht, denn er war weitergegangen in Richtung seiner Gemächer, während Faramir und Gandalf in Richtung Bibliotheks-Gewölbe verschwanden.
Nach dem Abendessen saßen Boromir und Faramir auf der an ihre Zimmer angrenzenden Terrasse und unterhielten sich. „Was wolltest du denn von Gandalf wissen, Faramir? Wenn es etwas ist, worüber du mit mir reden magst...?“ Faramir lächelte leicht.
„Natürlich, großer Bruder. Ich habe ihn gefragt, ob er weiß, was an dem dran ist, das Fürst Imrahil neulich gesagt hat.“
„Und, was meinte er dazu?“
„Nun, er war nicht so recht bei der Sache, murmelte etwas von Aufzeichnungen von Isildur und von einem Ring der Macht. Glaubst du, Isildurs Fluch könnte ein Ring sein? Aber er sagte mir, Fürst Imrahil sage die Wahrheit. Soweit Gandalf das weiß, haben wir einige Tropfen elbisches Blut in den Adern.“
„Ich wusste es!“

* * * * * *

„Wir haben nur eine Wahl. Der Ring muss zerstört werden.
Tief in den Feuern des Schicksals-Berges ward er geschmiedet. Und nur dort kann er vernichtet werden. Man muss ihn tief nach Mordor hineinbringen und in die feurige Kluft zurückwerfen, aus der er stammt. Einer von euch muss das tun.“
Elrond der Halbelb hatte gesprochen. Sein Wort war Gesetz in Bruchtal. Und nicht nur dort.
Truchsess Denethor gab nicht viel auf das, was die Elben sagten oder taten. Und dieser hier war auch noch mit dem Zauberer Gandalf befreundet, auf den Boromirs Vater in letzter Zeit ohnehin nicht gut zu sprechen war....

* * * * * *

„Mein Lord Faramir, schade, dass Ihr auch mit den anderen Damen tanzen müsst. Im ganzen Saal ist kein zweiter Tänzer so sicher und leichfüßig wie Ihr.“
Lächelnd verbeugte sich Faramir vor dem Mädchen, mit dem er gerade getanzt hatte. „Ihr übertreibt schamlos, Mistress Niemeth, und das wisst Ihr auch. Andere Männer können auch tanzen.“ Über belanglose Dinge plaudernd, führte er sie zum Buffett, wo er ihr galant ein Glas Wein einschenkte, ehe er sich fürs erste von ihr verabschiedete. In einem Punkt hatte Mistress Niemeth nämlich Recht gehabt: die jungen Frauen und Mädchen bei Hofe drängelten sich darum, mit Faramir zu tanzen. Schon beim nächsten Tanz hielt er eine andere Schönheit im Arm. Der junge Heermeister von Gondor wusste, was von ihm erwartet wurde und gönnte sich zwischendurch nur kurze Pausen für ein Glas Wein gemeinsam mit Boromir, der genauso fleißig, wenn auch nicht ganz so umschwärmt war. “Nun, kleiner Bruder, wieder einmal kann keines der anwesenden Mädchen morgen behaupten, von dir mehr bekommen zu haben als einen Tanz...?“
„Hör auf, mich damit zu necken, Boromir. Wenn mir die Richtige begegnet, werde ich es wissen. Eine Frau sollte erst einmal meine Freundin werden, das wäre schön...“ Die Musiker kehrten an ihre Plätze zurück und Faramir und Boromir forderten die nächsten beiden Mädchen zum Tanzen auf.
Am nächsten Morgen war Denethor noch griesgrämiger als üblich. An allem und jedem mäkelte er herum. Und vor allem Faramir war wieder einmal das Ziel seiner bösen Worte. Faramir, selbst unter Schlafmangel leidend, hielt es nicht aus, sondern stand auf, noch ehe er selber sein Frühstück beendet hatte und verließ den Speisesaal. Worauf ihm Denethor noch ein „Und Manieren hast du auch nicht!“ nachbrüllte.
Vor der Tür trafen Faramir und Boromir, der seinem Bruder gefolgt war, auf Gandalf, der im Begriff war, hinaus in den Hof zu gehen, und Denethors letzte Worte gehört hatte.
„Warum tut er das nur immer?“ Boromir hatte mehr oder weniger laut gedacht, aber Gandalf beantwortete die Frage.
„Nun, Boromir, das ist eigentlich ganz normal. Schau, als euer Vater Finduilas heiratete, brauchte er eines: einen Erben. Den bekam er auch, mit dir. Darauf ist er stolz. Dann wurde Faramir geboren. Aber einen weiteren Jungen brauchte Denethor nicht. Und dann bist du, Faramir, auch noch um keinen Deut hinter Boromir. Du bist ein guter Kämpfer, Bogenschütze und Fechter. Du kannst ebenso gut wie Boromir tanzen, lesen, rechnen und du schreibst sogar Gedichte – ja, ich weiß davon – was Boromir nicht tut. Aber du bist nun mal nicht der Erstgeborene. Also musste alles, was du tust, schlecht gemacht werden, damit das, was Boromir tut, noch etwas besser aussieht.“
„Aber das ist doch Blödsinn!“ Ereiferte sich Boromir. „Ich liebe meinen Bruder – und er mich! – wir sind doch keine Konkurrenten!“
„Ja, dafür hat Finduilas gesorgt, so wenig Zeit ihr auch blieb. Möge Elbereth sie dafür segnen!“
Faramir hatte bis dahin schweigend zugehört. Nun blickte er von Gandalf zu Boromir und zurück. „Aber was sollen wir denn nur tun?“
„Das Selbe, was ihr schon seit Jahren tut. Euer Bestes. Er wird sein Verhalten nicht mehr ändern. Darum müsst ihr immer füreinander da sein. Nie darf Einer den Anderen verraten. Versprecht euch das...“
Und die Brüder versprachen es.

* * * * * *

„Ich werde gehen. Ich werde den Ring nach Mordor tragen. Auch wenn ich den Weg nicht weis.“
Frodo. Der Halbling. War er es, von dem die Prophezeiung sprach, jener Traum den Faramir gehabt hatte? War das der Grund, warum Denethor ihn, Boromir nach Bruchtal entsandt hatte? Wusste er überhaupt von Faramirs Traum? Wenn ja, maß er ihm irgendeine Bedeutung bei? Oder war er, Boromir, nur aus rein politischer Erwägung hierher geschickt worden? Wie auch immer....

* * * * * *

„Wir haben Dringlicheres zu besprechen. Elrond von Bruchtal hat einen Rat einberufen. Er will nicht verraten, warum, doch kann ich mir den Anlass denken. Es geht das Gerücht, man habe die Waffe des Feindes gefunden.“ Inmitten der lautstark feiernden Soldaten gelang es Denethor, halblaut und dennoch eindringlich zu seinem ältesten Sohn zu sprechen. Allerdings hörte Boromir nur widerwillig zu. Solche Gespräche mochte er gar nicht. Mehr zu sich selber als zu seinem Vater murmelte er: „Der Eine Ring. Isildurs Fluch.“
Denethor nickte, seine Augen glänzten begierig. „Er ist in die Hände der Elben geraten. Alle wollen sich seiner bemächtigen. Menschen, Zwerge, Zauberer. Das dürfen wir nicht geschehen lassen! Dies Ding muss nach Gondor gelangen.“
„Nach Gondor...!?“ Boromir zweifelte.
„Es ist gefährlich, ich weiß. Stets wird der Ring versuchen, die Herzen schwacher Menschen zu verderben. Doch du, du bist stark. Und unsere Not ist groß. Es ist unser Blut, das vergossen wurde. Unser Volk, das den Tod erleidet. Sauron wird zunächst noch abwarten. Er lässt Massen von Truppen aufziehen. Er wird zurückkehren. Und wenn das geschieht, sind wir viel zu machtlos, um ihn aufzuhalten. Du musst gehen! Bringe mir dieses mächtige Geschenk!“
Zum ersten Male in seinem Leben kamen Boromir leise Zweifel an der Redlichkeit von seines Vaters Vorhaben. „Nein! Mein Platz ist hier, bei meinem Volk, nicht in Bruchtal.“ Denethor blickte ihn ungläubig an. Offenen Ungehorsam war er nicht gewohnt.... „Du verweigerst dich deinem eigenen Vater?“
Faramir trat zu seinem Vater und seinem Bruder. Er hatte alles mitangehört, aber bis jetzt geschwiegen.
„Ist es nötig, nach Bruchtal zu reiten, schicke mich an seiner Statt!“
Denethor bedachte ihn mit einem Blick, wie man vielleicht etwas ansieht, das unter einem Stein hervorgekrabbelt kommt.
„Dich? Ah, ich verstehe. Nun kann Faramir, der Heermeister Gondors, zeigen, was er Wert ist. Lieber nicht. Diesen Auftrag vertraue ich nur deinem Bruder an. Dem einen, der mich nicht enttäuschen wird.“
Wenige Stunden später war Boromir zur Abreise bereit. Bereits im Sattel sitzend, hatte er sich von seinen Soldaten und von Faramir verabschiedet. Denethor war längst ins Schloss zurückgekehrt. Boromir warf einen Blick nach oben und wandte sich dann an Faramir.
„Merk dir den heutigen Tag, kleiner Bruder.“ Damit ritt er weg.

* * * * *

„Wenn ich mit meinem Leben oder Tod dazu beitragen kann, dich zu beschützen, will ich es tun. Du hast mein Schwert.“
Der Thronerbe von Gondor hatte vor dem Halbling gekniet.
„Und meinen Bogen!“ Schloss der Elb sich an. „Und meine Axt!“ Der Zwerg warf dem Elben grimmige Blicke zu, weil er schneller gewesen war. Die Blicke, die zurückkamen, waren nicht unbedingt freundlicher, dem Elb gefiel es gar nicht, dass der Zwerg sich der Gruppe anschloss.
Alle wollten sie den Ring vernichten, diese Narren! Aber was sollte er tun? Er hatte seine Meinung gesagt, aber er war überstimmt worden.
„Du bestimmst unser aller Schicksal, kleiner Mann. Und wenn dies denn der Wille des Rates ist, schlisst Gondor sich an.“
So! Sie würden ihn wohl kaum abweisen... Und vielleicht ergab sich ja unterwegs noch eine Möglichkeit, sie umzustimmen. Dieser Frodo sah doch aus, wie ein Kind. Vielleicht war er ja ebenso leicht zu beeinflussen. Oder wenn er Aragorn auf seine Seite bringen könnte. Die übrigen würden auf seinen Rat hören. Bei Gandalf brauchte er es erst gar nicht zu versuchen. Aber wenn alle anderen anderer Meinung waren und den Zauberer überstimmten, konnte der auch nichts mehr tun. Boromir schreckte aus seinen Überlegungen auf. Die übrigen drei Hobbits waren aus Verstecken rings um die Ratsterrasse hervorgesprungen. Und in die Fahrtgemeinschaft aufgenommen worden. Als Boromir wieder bewusst zuhörte, sagte Lord Elrond gerade:
„Neun Gefährten. So sei es. Ihr seid die Gemeinschaft des Ringes.“

ENDE

Rezensionen