Arda Fanfiction

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Fensterbeleuchtung

von E. E. Healing

Glühwürmchen für Frodo

Frodo saß in Beutelsend und starrte in das Feuer, welches sein Onkel Bilbo gerade schürte. Es war kalt geworden in den letzten Tagen, doch der junge Hobbit spürte es kaum. Die Kälte, die er in seinem Inneren fühlte, wog tausend mal schwerer, als der Schnee, der begann, das Auenland mit einer pudrigen Schicht zu überziehen.

     „Frodo, mein Junge…“, versuchte es der alte Hobbit.
     „Ja, Onkel Bilbo?“
     „Ich weiß, dein Verlust wiegt schwer. Aber vielleicht wird es dir bald wieder ein wenig leichter ums Herz…“
     „Wie sollte das gehen? Meine Eltern sind noch kein halbes Jahr von uns gegangen. Es werden die ersten besinnlichen Tage sein, die wir ohne sie verbringen müssen.“
     „Aber wir werden nicht allein sein.“

Wie, als habe jemand auf sein Stichwort gewartet, klopfte es nun an der Tür des Smials.

     „Öffnest du die Tür? Ich bin nicht mehr der jüngste Hobbit.“
     „Ja, Onkel.“

Der junge Halbling schlurfte mit hängenden Schultern zu der großen, runden Tür und öffnete sie, ohne den Gast anzusehen. Seine Augen zählten die Furchen in der Diele seines Onkels. Sicher war es Lobelia, die etwas Zucker und einen Löffel borgen wollte. Schon sehr früh hatte Bilbo seinen Neffen darüber aufgeklärt, dass diese Frau nur mit Vorsicht zu genießen war.

     „Komm herein, was ist heute dein Wunsch?“, fragte er so auch recht unfreundlich.

Die Stimme, die nun ertönte, ließ Frodo ungläubig aufsehen.

     „Begrüßt man so einen alten Freund?“

Vor der Tür stand nicht die erwartete Hobbitdame, wie der Junge nun erkannte. Auf einen Stab gestützt und sich nach unten zum Eingang beugend, stand ein Mann in grauem Rock und blauem Spitzhut. Seine Augen strahlten Freude aus, so wie sein Gesicht ein Lächeln trug. Dennoch entging keinem mit Verstand, wie viel Macht in diesem Gast wohnte. Frodos Erscheinung straffte sich sofort, ein winziges, freundliches Zucken der Mundwinkel überlief nun auch sein Antlitz, als er von der Tür nach draußen, in den einsetzenden Schneefall trat, nun um die Hüfte des Mannes hing und ihn so herzlich begrüßte, wie schon lang niemanden mehr.

     „Gandalf! Was tust du hier? Wieso hat Onkel Bilbo nicht erzählt, dass du uns besuchst?“
     „Weil es eine Überraschung für dich werden sollte, mein Junge“, erklärte der grauhaarige Hobbit nun aus dem Inneren seiner Wohnhöhle heraus.

Auch er trat an den Istari heran, umarmte ihn herzlich und bat ihn, nun endlich einzutreten, bevor sie alle noch festfroren, wo sie standen.

     „Wer kann so einer netten Einladung schon widerstehen?“, scherzte der Zauberer auch sogleich, trat ein und ließ sich Stock, Silberschal und Hut abnehmen, die die Hobbits eilfertig an extra der Größe angepasste Haken im Flur hingen.
     „Möchtest du etwas essen? Wir haben gestern erst Kümmelkuchen gebacken.“

     „Nein danke.“
     „Oder frisches Brot?“

     „Nein, ein Tee reicht vollkommen.“
     „Etwas Käse oder Obst?“
     „Onkel, bitte, ich brühe einen Kamillentee für euch beide auf. Wie wäre das?“
     „Vielen Dank, Frodo. Das wird uns beiden sicher gut tun. Ich hatte nicht erwartet, dass Bilbo so aufgeregt sein würde, nur weil ich einen Tag eher komme.“

*****

Es dauerte ein wenig, doch endlich saßen sie alle drei in Bilbos gemütlichem Wohnzimmer, hatten dampfende Teetassen vor ihren Nasen und einige kleine Köstlichkeiten auf dem Tisch, von denen sich Frodo und Bilbo kräftig bedienten, während Gandalf seine Pfeife stopfte und von den letzten Jahren berichtete, die er dem Auenland fern geblieben war. Als dann die Hobbits erzählten, was ihnen widerfahren war, war es unausweichlich, dass sie auch an jenem schrecklichen Ereignis anlangten, das Frodo nun zu einem Dauergast in Bilbos Heim auserkoren hatte.

     „Du weißt, dass dies nicht so ist, mein lieber Junge. Du bist weit mehr, als nur ein Dauergast für mich. Ich liebe dich, als wärst du mein eigen Fleisch und Blut!“
     „Danke, Onkel.“
     „Sieh Frodo, du hast sie immer in deinem Herzen bei dir. Sicher hast du viele, wunderbare Erinnerungen an sie, die dein Inneres erwärmen“, schaltete sich nun auch Gandalf ein.
     „Ja, das ist wahr“, lächelte der Junge wehmütig.
     „Was ist die Schönste, die du hast? Wenn du sie teilst, dann wird sie noch bedeutungsvoller. Glaube mir.“

Frodo schluckte, als er die Worte des Zauberers vernahm. Er musste nicht lang überlegen. Sollte er es wirklich erzählen? Würden die beiden Männer ihn dann nicht für ein Kind halten?

     „Ich sehe, wie es dich beschäftigt“, erklärte Gandalf.
     „Wir werden es verstehen.“
     „Gut…“

Der Halbling ruckte sich zurecht, nahm noch einen Schluck seines Tees und seufzte kurz, ehe er seinen Blick in den Kamin richtete.

     „Es war einen Tag vor dem Unfall. Der Sommertag war heiß gewesen, die Nacht seidenweich und so warm, dass wir lange Zeit nicht daran dachten, in unser Smial zu gehen. Mama lachte mit mir, scherzte mit Papa und gab ihm einen Kuss. In diesem Augenblick geschah etwas, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Überall auf der Wiese vor unserem Heim leuchtete es plötzlich. Es waren kleine Glühwürmchen, die aus ihren Verstecken hervorkamen.
     Mama war von ihrem Schein ganz hin und weg, also haben Papa und ich versucht, auf sie Jagd zu machen und sie Mama zu bringen. Wir tobten über die Wiese, während sie ein paar Einweckgläser brachte und wir wirklich das eine oder andere dieser Käferchen fingen. Wir brachten sie zu Mama, taten sie in die Gläser und gingen wieder auf die Jagd.
     Den ganzen Abend und die halbe Nacht haben wir so verbracht. Es war so schön. Nie zuvor hatten wir so viel Spaß, den wir gemeinsam erlebten. Ich wusste es damals nicht, aber es waren auch gleichzeitig die letzten Stunden, die wir zusammen verbrachten. Ich wünschte, ich könnte sie wiederhaben, nur für einen Abend…“

Tränen liefen Frodo über die Wangen, als Bilbo ihn umarmte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, das verdächtig nach `Sie haben dich geliebt´ klang.

     „Ich weiß, Onkel.“

Die Uhr auf dem Kaminsims schlug neun Uhr am Abend. Erschrocken zuckten sie alle zusammen. Es war spät geworden.

     „Komm, wir machen uns bettfertig, damit Gandalf dann freien Zugang hat zum Bad. Du weißt doch, dass er immer ewig lang da drin ist.“
     „Ja, weil ich kaum in der Lage bin, durch die Tür zu kommen, lieber Freund.“

Frodo lächelte kurz, als er die gespielte Bestürzung in Gandalfs Worten hörte. Dann eilte er in sein Zimmer, holte sich dich Sachen, die er für die Nacht benötigte und ging, sich auf den Schlaf vorzubereiten. Bilbo tat es ihm nach. Beide bemerkten nicht, wie Gandalf ihnen nachsah, dann davon schlich und etwas murmelte.
Ein Glühen ging durch Beutelsend, das auch von den Hobbits unbemerkt blieb. Der Istari schwang seinen Zauberstab, murmelte noch immer seine Formeln, bis er sichtlich zufrieden seine Füße wieder leise in Richtung Wohnzimmer wand. Es war gerade rechtzeitig, denn Frodo erschien, fertig für die Nacht.

     „Schlaf gut, lieber Gandalf.“
     „Du auch, mein lieber Junge…“, schmunzelte er vielsagend.

*****

Der Halbling mit den dunklen Locken stapfte müde zu seinem Zimmer. Hatte er vorhin nicht die Tür offen stehen gelassen? Was war das für ein zartes Leuchten, das unter eben jener Tür hervordrang? Ein wenig ängstlich öffnete Frodo nun den Eingang und schob seinen Kopf in das Zimmer. Ungläubig stolperte er zurück, rieb sich die Augen und trat noch einmal näher.

     „GANDALF, ONKEL BILBO… SCHNELL…“, schrie er aufgeregt.
     „Was ist denn los?“, fragte der ältere Hobbit, als er verwirrt und sich das Nachthemd über den Kopf zerrend aus dem Bad strauchelte.
     „Sieh doch!“, flüsterte Frodo nun.

Er zeigte mit einem zittrigen Finger nach vorn, hinein in sein Reich.. Auch Bilbo bekam große Augen, als er es erkannte.

*****

Der Raum war erfüllt von einem sanften Glühen, dass hier erschien, dort auftauchte.

     „Nun geh´ hinein. Es ist ein Geschenk für dich, Frodo“, erklärte Gandalf.

Seinen ganzen Mut zusammen nehmend tat der Junge erst einen Schritt, dann einen Zweiten und Dritten, bis er schließlich in der Mitte seines Zimmers stand und sich mit großen Augen drehte. Um ihn herum schwirrten hunderte, kleine, warme Lichter, die beständig ihre Position wechselten. Die Geräusche von unzähligen Flügelpaaren erfüllten den Raum.

     „Das sind Glühwürmchen, Onkel“, erkannte Frodo.

Ein wirkliches Lächeln zierte das Gesicht des Jungen, als er es aussprach, dabei seine Arme ausbreitete und sich erneut drehte.

     „Sie werden in der nächsten Zeit deine Nächte erhellen, mein lieber Junge. Ich habe diesen Zauber für dich gewirkt. Sie sind dein Licht in der Nacht.“

Wie durch Zauberhand senkten sie sich nun an die beiden Fenster des Zimmers, beleuchteten von dort aus den Raum. Frodos Augen wurden groß, als er erkannte, dass sie einen großen Stern bildeten und auf dem anderen Fenster das Bild einer kleinen Familie, die auf einer Wiese tanzte.

     „Das ist die schönste Fensterbeleuchtung, die ich je gesehen habe“, hauchte Frodo glücklich.

Er betrachtete sich die Fenster noch einen Augenblick, ehe er vorsichtig mit seinen Fingern über das Glas strich und sich zum Zauberer umdrehte.

     „Ich danke dir, Gandalf“, kam es leise vom Fenster.

Zufrieden ließen er und Bilbo den endlich wieder glücklichen, jungen Halbling allein, damit er sich im Schein der Glühwürmchen beruhigt zum Schlaf legen konnte.

ENDE

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