Arda Fanfiction

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Stau

von E. E. Healing

Bilbo und sein Rabenbook-Problem

Als der erste Schnee fiel, da wurde es hektisch um Thorin herum.

Warum nur rannte Bilbo wie von der Kankra gestochen durch die Gänge, immer wieder hin zu Balin, dann zu Ori und schlussendlich zu den Raben auf ihren Berg hinauf? Er ächzte unter schweren Lasten, wenn er bei ihnen ankam. Noch immer bestaunte er, wie Bombur in der Lage gewesen war, das Heim der gefiederten Freunde wieder so aufzubauen, wie es Thorin in Erinnerung geblieben war. Dennoch hatte er in jenen Tagen kaum Zeit, sich an den neu gemauerten, reich verzierten, kleinen Häuschen satt zu sehen.Viel mehr breiteten die Raben ihre Flügel aus, hüpften näher an den Hobbit, den sie als einen der Schar um Thorin Eichenschild akzeptierten, und warteten darauf, dass er die Säcke öffnete.
Gern tat der Halbling ihnen diesen Gefallen, beherbergten sie doch wichtige Fracht. Erst öffnete er den kleineren, wenn auch ungleich schwereren, Sack. Dort drin fanden sich Obststücke, Samen und die eine oder andere Maus, die Bilbo jedoch nur mit spitzen Fingern herausholte, um sie auf die einzelnen Schalen zu verteilen, die den verschiedenen Raben gehörten. Sofort stimmten sie einen freudigen Ruf an, fraßen sich Kraft an und hüpften alle nach einander zu dem kleinen Lockenkopf zurück. Nun begab es sich, dass er den zweiten, weit größeren, Sack öffnete.

     „Ich freue mich, dass ihr euch bereit erklärt habt, diese Einladungen in ganz Mittelerde zu verteilen. Die Zwerge, die nun im Erebor leben, haben ihre Familien zurück gelassen. Ich möchte, dass sie alle am vierundzwanzigsten des Dezembermonates bei uns sind und den Tag, sowie die Nacht, mit uns verbringen. In diesem Jahr soll es ein ganz besonderes Mittwinterfest sein, das wir feiern wollen.“

Zustimmend nickten die Nachkommen des großen Roac. Sie ließen sich nicht dazu herab, Bilbo in seiner Sprache zu antworten, doch ihre großen Augen blickten freundlich auf seine Gestalt, während sie die Briefe an sich nahmen, die er in mühevoller Arbeit an die einzelnen Familien verfasst hatte. Runenschrift hatte der Hobbit erlernt, um sie in angemessenem Rahmen verfassen zu können.
Balin hatte ihm viele Bücher gezeigt, in denen er sie fand. Ori zeigte dem Halbling, wie er sie schreiben musste, doch die Einladungen verfasste der Kleinste der Gemeinschaft ganz und gar allein. Nun hoffte er darauf, dass die Zwergenfamilien zahlreich erscheinen würden. Aus allen verbliebenen sechs Zwergenreichen würden sie anreisen, wenn es so wurde, wie Bilbo es plante.

*******

Der große Tag kam immer näher. Viele Antworten waren zurück gekommen, wenn auch oft sehr kryptisch.
     „Wenn es dein Wunsch ist, so werden wir alle erscheinen. Mahal sei mit Dir“, war die vorherrschende Meinung der antwortenden Zwerge.
Meist war der Unterton ein wenig ungläubig, doch Bilbo schob es darauf, dass sie sicher nicht damit rechneten, dass drei Jahre nach der Schlacht der Berg schon wieder bewohnbar und heimelig war. Dennoch, sie würden für alle Zwerge ausreichend Platz haben.

Immer, wenn Thorin oder einer der anderen Zwerge den Hobbit sah, dann pfiff er fröhlich, während er durch die Gänge rannte, Betten abstaubte, neue Waschschüsseln verteilte, die Kamine in den einzelnen Zimmern entrußte. Immer dabei hatte er ein Schriftstück, den Entwurf der Einladungen. Er gab ihm Kraft und Schwung, wenn immer der Halbling dachte, die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, sei zu groß oder zu schwierig. Wenn er es vermochte, zwergische Runen zu erlernen, dann auch, den Erebor wohnlicher zu gestalten, als es die Männergemeinschaft bisher für nötig erachtet hatte.

     „Die Straße gleitet for und fort…“, trällerte der Hobbit gerade, während er die Gemächer herrichtete, die denen Thorins am Nächsten waren.
     `Sie werden für seine Schwester gerade gut genug sein´, überlegte er dabei.
     „Was hast du nur vor, kleiner Hobbit?“, schreckte ihn dabei eine Stimme auf.
Mit wild klopfendem Herzen drehte sich eben angesprochener Halbling und beruhigte sich, als er Fíli erkannte, der in der Tür stand, sich an deren Rahmen lehnte.
     „Aus welchem Grund putzt du das Zimmer meiner Mutter?“
     „Oh, du weißt, dass es ihr ehemaliges Kinderzimmer ist?“
     „Lenke nicht ab. Was hast du vor?“
Fíli stieß sich ab, trat in das Zimmer hinein und nahm sich eine Puppe, die frisch abgestaubt auf einem kleinen Regal stand. Liebevoll betrachtete er das Spielzeug, ehe der Zwergenprinz sie wieder an Ort und Stelle legte.
     „Ja, es gibt den einen oder anderen Hinweis, wem dieses Zimmer einst gehörte. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Doch du bist mir eine Antwort schuldig.“
     „Ich… nun… hier.“

Bilbo kramte besagtes Schreiben aus seiner Tasche und reichte es an Fíli weiter. Dessen Augen wurden immer größer, als er die Zeilen las. Bald wurde er bleich, lachte dennoch kurz darauf, als er Bilbo wieder ansah.
     „Hast du diese Zeilen verfasst?“
     „Sicher. Ich habe lange geübt, bis ich die Runen beherrschte.“
     „Nun, du hast wohl ganze Arbeit geleistet.“
     „Danke. Es soll eine Überraschung für euch alle sein.“
     „Oh, das wird es sicher…“, meinte der Prinz.
     „Was willst du damit sagen?“
     „Nun… was glaubst du, bedeutet diese Rune hier?“, fragte Fíli, während er auf die besagte Stelle zeigte.
     „Hier steht ´lade ich die Familien offiziell ein.`“, meinte Bilbo siegessicher.
     „Verzeih´, wenn ich dich berichtige. Doch da steht ´öffentlich`. Du hast nicht nur die offizielle Familie eingeladen, sondern alle, die erscheinen wollen…“

******

In den Eisenbergen war Dáin endlich mit seinen Vorbereitungen zu einem Ende gekommen. Er sah sich die Zwerge an, die wie er auf Ziegenböcken saßen, oder in Kutschen fahren würden. Sicher, die Einladung des kleinen Hobbits, sie war ein wenig überraschend, doch nie würde er diese Bitte abschlagen. Zu sehr interessierte ihn, was sein Vetter nun aus dem Berg geschaffen hatte. Wie froh Fürst Eisenfuß doch war, dass er sich sicher sein konnte, seinen Berg mit nur wenigen Zwerge zurück zu lassen.
Seine Vákazâd, die schon zu alt waren für die Reise, einige wenige Zwerginnen und deren Kinder würden verbleiben, doch über die Hälfte seines Stammes machte sich bereit, den Weg anzutreten. Wenn sie sich eilten, dann kamen sie zu Mittwinter zur Mittagszeit an. Sicher würde Thorin seinen Vetter und die anderen Zwerge mit prasselnden Feuern und gut abgehangenem Fleisch erwarten.


Dís verfluchte zum wiederholten Mal ihren Bruder und diesen Bilbo, merkwürdiger Name für einen Zwerg, welche Zwergin nannte ihr Kind schon Bilbo? Doch Dís´ Gedanken schweiften ab. Lieber sollte sie dankbar sein, Elrond und seinem grünen Essen entkommen zu sein. Da kraxelte die Zwergin doch viel lieber durch das Nebelgebirge und suchte ihr Heil in der Flucht vor diesem Elb.
Wieder blickte sie nach hinten, um sicherzustellen, dass auch kein Zwerg auf dem Weg abgestürzt war oder doch noch in einem elbischen Bett lag. Aber zu ihrem Glück war dies nicht der Fall. Nein, die Zwerge aus den Blauen Bergen waren vollzählig, während sie sich durch den beginnenden Schneefall quälten. Doch sobald sie Thorin sah, würde sie ihn fragen, wie er dazu kam, seine Einladung erst so spät im Jahr zu verschicken. Es war kaum Zeit geblieben, alle Dinge einzupacken, die sie benötigen würden, um den Weg zu bestreiten.
     `Wehe, wenn das Mittwinterfest nicht glänzend wird. Dann ziehe ich ihm die Hammelbeine lang!´


Die Breitstämme waren bereit. Sie waren zügig unterwegs, mit dem einen oder anderen Lied auf den Lippen. Wann immer einer der Zwerge meinte, nicht mehr laufen zu können, dann wurde er auf einen Wagen gesetzt, bis es wieder besser ging. Nicht einer aus diesen Zwergenvolk, so klein er auch war, wollte sich entgehen lassen, wie der Erebor in neuem Glanz erstrahlte. Wenn der große König rief, dann würden sie kommen. Immerhin hatten sie schon lang darauf gewartet, endlich an der Reihe zu sein.
Sicher hatte er in den Jahren zuvor erst die eigene Schwester und dann den Vetter eingeladen. Dies war durchaus nachzuvollziehen. Doch nun war es endlich an Brónnar und seiner Sippe, die großen Wunder des einsamen Berges zu sehen und dessen Annehmlichkeiten zu genießen. Diese Feier zum Mittwinter würde grandios werden, so viel war sicher.

******

Bilbo rannte seit einer Woche wie ein kopfloses Huhn durch den Erebor. Wie nur? Wie hatte ihm dieser Fehler geschehen können? Nun suchte er seit sieben Tagen nach einer Lösung für das Problem. Sicher, sie hatten viele freie Zimmer, sehr viele freie Zimmer und auch die Vorräte waren weit mehr, als nur ausreichend. Doch wie sollte es gelingen, sie alle auch in den Berg zu bekommen? Und wenn er sich das schon fragte, dann drängte sich den armen Hobbit noch die Frage auf, wie viele dieses alle wohl beinhalten würde. Keiner der Stämme hatte ihm eine Zahl genannt.
Immer beunruhigter wurde der Halbling, bis ihn Thorin schließlich festhielt, als er am Zwergenkönig vorbei rannte. Der Schwarzhaarige schüttelte ihn, bis Bilbo endlich wieder seinen Blick ein wenig klärte. Dennoch jammerte er immer weiter.

     „Meine Schuld, es ist meine Schuld. Wie soll ich nur…?“
     „Bilbo, was ist nur mit dir?“, wollte Thorin nun endgültig wissen.

     „Sie werden alle erscheinen. Sie alle werden an Mittwinter hier sein…“
     „Bei Mahal, wen meinst du?“
     „Die Zwergenfamilien, die ich einlud.“
     „Was hast du getan?“, fragte Thorin nun noch einmal sanfter nach.

Bilbo begann zu erzählen. Thorin lachte immer lauter, je mehr er davon vernahm. Schließlich war er so laut, dass immer mehr Zwerge zusammen liefen, um nachzusehen, was in ihrem König solch große Heiterkeit auslöste. Doch als dann noch Bofur vom Tor zu ihnen stieß, verhallte das Glucksen in den großen Hallen.
     „Habt ihr gesehen, was vor dem Berg gerade geschieht?“
Sofort rannten sie nun los, sprangen auf die Brüstung und starrten hinaus auf die ehemalige Einöde. Dort draußen, im beginnenden Schneefall, sahen sie, wie eine unglaublich große Anzahl an Zwergen versuchte, mehr oder minder gleichzeitig durch den schmalen Schlund zu brechen. So, wie es schien, waren dort sechs Zwergenstämme, die versuchten, als erste durch die Ebene zu gelangen. Dies jedoch führte dazu, dass sich die Wagen in einander verkeilten, Tiere gegenseitig abdrängten und die Zwerge nicht mehr voran kamen.
Selbst aus der Ferne war es möglich, die Flüche und Drohungen zu vernehmen, die in den Erebor geschickt wurden. Bilbo klingelten die Ohren, selbst Thorin wurde hin und wieder rot, wenn eine besonders saftige Verwünschung an seine Ohren drang. Als er dann auch noch seine Schwester und den Vetter unter den Stimmen ausmachte, da stöhnte der große König auf.
     „Wir werden wohl dort hinunter müssen…“


Auf der schneebedeckten Fläche hingegen stießen gerade Dís und Dáin auf einander, zusammen mit ihren Gefolgschaften. Sie hatten die anderen vier Stämme erfolgreich abgedrängt, nur gegen die Verwandtschaft waren sie kläglich gescheitert. Nun hatten sich ganz an der Spitze ihrer Truppen mehrere Kutschen und Fuhrwerke in einander verkeilt. Es gab weder ein vor, noch ein zurück. Nichts war mehr möglich, als abzuwarten, ob die Zwerge es schaffen würden, sie wieder auseinander zu ziehen. Es hieß nun also warten, bis sich dieser Stau wieder lösen würde.
     „Was machst du hier, Vetter?“
     „Das wollte ich dich auch gerade fragen, liebste Base.“
     „Wir wurden eingeladen.“
     „Wir ebenso. Dieser kleine Halbling, der mit deinem Bruder kämpfte, der hat uns Raben geschickt.“
     „Ein Halbling? Nun verstehe ich auch diesen merkwürdigen Namen. Ich wusste doch, dass dies kein Zwergenname ist. Doch wie dem auch sei, auch wir haben mehrere Raben erhalten. Sie alle luden uns öffentlich ein, dem Erebor heute einen Besuch abzustatten.“
     „So erging es uns und wohl auch den anderen Völkern, wenn ich diesen Andrang hier bedenke…“, gab Dáin bekannt.
     „Meine liebste Schwester, mein liebster Vetter…“, erklang nun aus einigem Abstand.
     „Thorin“, riefen beide zur gleichen Zeit.

Ehe er begriff, was geschah, fand sich Thorin in einer klammernden Umarmung wieder, auf der einen Seite Dáin, auf der anderen Dís. Sie brachen ihm fast die Rippen und er fragte sich ernsthaft, ob dies nicht Sinn und Zweck ihrer Begrüßung sein sollte. Doch ehe er Knochen knacken hörte, ließen sie wieder von ihrem König ab.
     „Was sollte das?“, fragte Dís stattdessen.
     „Nun, was dies angeht, werte Zwergin, so ist es wohl meine Schuld.“
Suchend sah sich Dís um, bis sie ihren Blick nach unten lenkte. Dort, in Brusthöhe, sah sie einen gelockten Kopf, der sich demütig beugte.
     „Bist du der Hobbit?“
     „Ja, Bilbo Beutlin ist mein Name. Ich zeige mich dafür verantwortlich. Ich erlernte die Runenschrift, um euch alle gebührend einladen zu können. Doch mir ist ein Fehler unterlaufen. So war es nun meine Schuld, dass nicht die offiziellen Familien hier stehen, sondern wohl fast alle Zwerge, die in Mittelerde beheimatet sind.“
     „Sicher. Und wie lösen wir nun dieses Problem? Ich hoffe, ihr habt einen Plan“, überlegte Dáin.
     „Noch nicht so ganz“, gestand Thorin ein.
     „Aber ich denke, ich weiß, was wir tun könnten“, lachte Bilbo nun.

Als die Sonne langsam unterging, sah man überall auf der Ebene kleine Feuer aufflammen. Es hatte eine Weile gedauert, doch am Ende waren sie zu einer Lösung gekommen, die alle mehr oder weniger zufrieden stellte. Es war nicht abzusehen, wann die ineinander geschobenen Wagen wieder frei sein würden, doch zum großen Glück aller hatten einige Zwerge große Zelte mit sich geführt. Die Gemeinschaft um Thorin brachte Bier, Fleisch und Brot, Wein und Kuchen, Brötchen und süße Törtchen aus dem Erebor. Sie schleppten einige Tische heraus, auf denen sie verteilen konnten, was die Zwerge verspeisen sollten.
Schließlich brachten sie auch ihre Instrumente, dicke Felle und genug Holz, um einen ganzen Winter überstehen zu können. Dann, im Schein der Sterne spielten sie auf. Sie alle sangen, lachten und scherzten. Die Zwerge tanzten, aßen und tranken, bis sie allen Ärger vergaßen und das Glück zu schätzen wussten, diesen Abend im Kreise ihrer Liebsten verbringen zu dürfen.


ENDE


Ich wünsche euch allen einen ganz wunderbaren heiligen Abend!

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