Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Flucht

von Celebne

Aufbruch

Die Sonne ging gerade unter, als ein vermummter Reiter von den Hügeln der Emyn Arnen hinabritt. Éowyn hatte nicht viele Möglichkeiten, wohin sie reiten konnte: Ihr Bruder in Rohan würde ganz gewiss nicht dulden, dass sie bei ihm unterschlüpfte. Er war mit Faramir gut befreundet und hielt große Stücke auf ihn. Sie wusste, dass Éomer ihr schrecklich zürnen würde. Sie kannte seinen Jähzorn nur zu gut. Sie lenkte Windfola nordwärts. Erst einmal wollte sie Ithilien verlassen. Sie hoffte, dass man sie nicht finden würde. Sie war eine gute und ausdauernde Reiterin, und Windfola war ein schnelles Ross, das auch lange durchhielt. Während sie unter dem Abendhimmel dahingaloppierte, dachte sie an Faramir, der in wenigen Stunden merken würde, dass sie weg war. Was würde er wohl denken? Es gab ihr einen Stich durchs Herz, als sie an ihn dachte. Natürlich liebte sie ihn noch. Aber ihre Liebe zu ihm war nicht stark genug, um dieses eintönige Leben an seiner Seite auszuhalten. Vielleicht hätte sich das geändert, wenn sie ein Kind geboren hätte. Aber in ihrer dreijährigen Ehe war ihnen bisher Nachwuchs versagt geblieben, auch wenn sie viele gemeinsame Liebesnächte erlebt hatten.

Vermutlich würde Faramir ihr diese Flucht nicht verzeihen. Auch seine Gutmütigkeit hatte Grenzen. Ein Mal in ihrer dreijährigen Ehe hatte sie erlebt, dass er ihr ernstlich gezürnt hatte: leichtsinnig hatte sie mit Windfola einen gefährlichen Sprung über einen Bach gewagt, wobei das treue Pferd fast gestrauchelt wäre. Faramir war bei diesem Ritt dabei gewesen und er hatte vor Schreck aufgeschrien, als er das beobachtet hatte. Doch Éowyn hatte nur gelacht: in Rohan waren solche waghalsigen Sprünge für sie fast alltäglich gewesen. Aber Faramir war ernstlich böse geworden und hatte sie hart gescholten. Éowyn hatte schließlich zerknirscht versprochen, so etwas nie wieder zu tun.

Die ehemalige Schildmaid verzog verächtlich den Mund, als sie daran dachte. Nie wieder würde sie sich von einem Mann etwas verbieten lassen. Als sie sich im Sattel umdrehte, sah sie, dass die Hügel Emyn Arnens schon weit hinter ihr lagen. Die Sonne war nun völlig hinter dem Mindolluin verschwunden und in Minas Tirith gingen die ersten Lichter an. Éowyn machte einen großen Bogen um die Weiße Stadt und galoppierte den Anduin entlang. Osgiliath hatte sie bereits hinter sich gelassen, nun lag Cair Andros vor ihr. Die Festung im Fluß lag schon dicht an der Grenze zu Anórien.

Dort in der Nähe wollte Éowyn dann eine Rast einlegen. Sie war zügig geritten und Emyn Arnen lag bereits viele Meilen weit weg. Vermutlich würden die Diener  Faramir gerade melden, dass niemand zum Nachtmahl erschienen war und fragen, wie man sich verhalten solle. Der junge Statthalter würde Éowyn  bestimmt suchen lassen und sich dann schließlich selbst auf die Suche machen. Das würde sich alles vermutlich noch Stunden hinziehen. Éowyn lächelte grimmig, als sie daran dachte. Sie stieg jetzt von Windfola ab. Die Kleidung, die sie trug, hatte sie heimlich aus der Wäschekammer geholt: es war  eine Tunika und eine Hose von Beregond, dem treuen Wächter von Emyn Arnen. Sie stellte sich Beregonds erstaunte Miene vor,  wenn man ihm mitteilte, dass seine Kleidung verschwunden sei. Unwillkürlich musste sie kichern.  

Windfola graste in der Nähe des Flusses, während sich Éowyn in einer Decke gehüllt, ausruhte. Schlafen konnte sie jedoch nicht: sie war so aufgeregt und aufgewühlt. Was würde ihr wohl die Zukunft bringen?
Kurz darauf stieg sie wieder auf Windfola und ritt weiter. Viele Vorräte hatte sie nicht dabei: ihre Flucht aus Emyn Arnen war hastig und nicht durchdacht gewesen. Immerhin hatte sie einen Beutel voll Gold mitgenommen. Das würde eine Zeitlang reichen, um sie über Wasser zu halten.

Im Morgengrauen sah sie ein kleines Dorf vor sich liegen. Sie befand sich nun schon in Anórien, dem Garten Gondors: dort gab es die meisten Obstplantagen und bewirtschafteten Felder, denn die Erde dort war recht fruchtbar. Die Bauern  verkauften ihre Ernte in Minas Tirith und Umgebung. Éowyn verspürte großen Appetit auf ein deftiges Frühstück, aber wenn sie mit ihren langen blonden Haaren durch das Dorf ritt, würde man sich  vielleicht an sie erinnern, wenn man später nach ihr dort suchte. Und sie wusste  ganz sicher, dass Faramir so schnell nicht aufgeben würde. Diese Tatsache stimmte sie traurig: sie wusste, dass der junge Statthalter sie über alles liebte und er würde der hartnäckigste Verfolger sein. Aber dann dachte sie wieder an das Fürstenhaus in Emyn Arnen und an den öden Alltag, den sie als Fürstin dort hatte. Die Freiheit war viel zu verlockend. Und nachdem sie jetzt schon ein klein wenig davon gekostet hatte, wollte sie dieses Ziel keineswegs aufgeben, im Gegenteil, sie wollte noch viel mehr davon schmecken.

An einem kleinen Bach in der Nähe des Dorfes  Drúwath stieg sie von Windfola ab. Sie beugte sich über den Bach, um daraus zu trinken. Dabei fielen ihre Haare nach vorne. Éowyn fasste einen neuerlichen schweren Entschluß: sie zog einen Dolch aus dem Gürtel und säbelte sich das lange Haar ab, bis es nur noch auf die Schultern reichte. Ihr Gesicht beschmierte sie mit Schmutz. Jetzt sah sie aus wie ein junger Mann, der noch keinen Bartwuchs hatte. So würde sie vielleicht unerkannt bleiben. Um ihre langen Haare, die sie in den Bach hineinwarf, tat es ihr leid, aber es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Freiheit, die Haare kürzer zu tragen.

Das Dorf, welches Drúwath hieß, war nicht besonders groß. Aber es gab ein Gasthaus, das sich "Das weiße Ross" nannte. Éowyn hielt vor dem Gasthaus ihr Pferd an und stieg ab. Sie band die Zügel an einem Lattenzaun fest, der extra dafür gedacht war. Dann nahm sie den Goldbeutel an sich und betrat die Schänke etwas unsicher. Sie hoffte, dass man sie für einen jungen Mann halten würde.
Das Gasthaus war um diese Zeit am frühen Morgen noch ganz leer. Hinter dem Tresen stand eine Frau in einem einfachen Kleid und putzte Gläser.
"Wir haben noch nicht geöffnet, Junge", sagte sie barsch und wandte sich wieder ihren Gläsern zu.
"Ich habe aber Hunger und Durst", erwiderte Éowyn mit verstellter, tiefer Stimme und legte ein Goldstück auf den Tresen.
Die Wirtin bekam Stielaugen, als sie das Gold sah. Sie grapschte es sich sofort und biß hinein, um zu prüfen, ob es echt war.
"Ihr könnt Euch setzen, junger Herr", sagte sie nun  bedeutend freundlicher und bot Éowyn einen schönen Platz am Fenster an.
Im Nu  bekam die verkleidete Fürstin alles, was das Herz begehrte: frisches Brot, Butter, Käse, Schinken und gekochte Eier. Dazu Milch. Éowyn hatte einen Bärenhunger: schließlich hatte sie seit dem gestrigen Mittag nichts mehr zu sich genommen. Das, was sie nicht schaffte, ließ sie sich als Proviant mitgeben.
Sie dachte auch an Windfola und besorgte Hafer für sie. Nach zwei Stunden verließ sie Drúwath  wieder.

Ihr Weg führte nordwärts, Richtung Entwasser-Mündungen. Dort war es recht sumpfig und Éowyn musste aufpassen, nicht vom Weg abzukommen. Es ärgerte sie, dass sie auf der ausgebauten Straße bleiben musste, wo ihr doch immer wieder Reiter und Pferdewagen begegneten. Trotz der warmen Sonne hatte sie die Kapuze ihres Umhanges immer tief ins Gesicht gezogen.
Um die Mittagszeit herum wurde Éowyn sehr müde: sie hatte ja in der Nacht vor Aufregung nicht schlafen können. Sie fand eine schattige Mulde, die ringsherum mit Büschen bewachsen war. Das war ein idealer Platz zum Schlafen und es war auch nicht so heiß dort. Sie sattelte Windfola ab und ließ sie in der Nähe grasen. Dann wickelte sie sich in ihre Decke und legte sich zum Schlafen nieder. Diesmal übermannte sie rasch der Schlaf.    

Erst gegen Abend erwachte sie wieder. Natürlich ärgerte sie sich, dass sie so lange geschlafen hatte. Das war nicht geplant. Sie pfiff Windfola herbei und sattelte sie. Dann machte sie sich wieder auf den Weg. Während des Reitens aß sie etwas von ihrem Proviant. Schließlich hatte sie sich lange genug aufgehalten. Sie hoffte nur, dass ihre Verfolger noch weit weg waren. Denn dass sie inzwischen gesucht wurde, war ihr klar. Faramir würde sie nicht so einfach aufgeben.  Während sie daran dachte, trieb sie Windfola schneller voran. Sie wollte Faramir nicht sehen, am besten nie wieder. Der Wind trieb Tränen in ihre Augen. Rasch wischte sie die Tränen weg. Nein, sie weinte nicht um Faramir. Sie wollte das einfach nicht.

Rezensionen