Arda Fanfiction

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Schatten des Schicksals

von Celebne

Das Wintersonnenwendfest

Die Tage bis zum Fest vergingen rasch. Éowyn hatte sich ein extra prächtiges Kleid mit einem gewagten Ausschnitt schneidern lassen. Faramir hatte Bedenken wegen dieses Kleides, doch er wagte nichts dagegen zu sagen, um seine Gemahlin nicht zu kränken.
Éowyn ließ sich den ganzen Nachmittag von einer Zofe frisieren und schminken. Zuletzt entschied sie sich dann doch dafür, ihr Haar offen zu tragen. Die Zofe legte ihr ein kostbares Geschmeide aus Juwelen um den schlanken Hals, das sie von Faramir zur Hochzeit bekommen hatte.

Dann klopfte es heftig an der Tür des Ankleideraumes.
"Éowyn, bist du fertig? Mein Onkel, Fürst Imrahil ist soeben angekommen."
Die ehemalige Schildmaid mochte Imrahil sehr. Er war ein sehr freundlicher und zuvorkommender Mann. Als Éowyn in das Kaminzimmer trat, saß Imrahil bereits in einem der Sessel und trank mit Faramir einen Kelch Wein. Der Fürst von Dol Amroth sah Faramir in gewisser Weise ähnlich. Sein Haar war ein wenig dunkler als das seines Neffen, und erinnerte Éowyn an frisch gefallenes Herbstlaub. Als er sie erblickte, erhob er sich und verneigte sich kurz vor ihr.
"Ich grüße dich, Éowyn von Ithilien", sagte er lächelnd.
Éowyn stellte sich verlegen neben Faramir hin. Plötzlich begann sie sich ein wenig für ihren  gewagten Ausschnitt zu schämen. Sie hatte nicht gewusst, dass Imrahil auch zu der Feier kommen würde. Aber jetzt war es zu spät, um sich ein anderes Kleid anzuziehen.
"Wir müssen los", meinte Faramir, als von der Zitadelle her eine Fanfare ertönte.
Der junge Truchseß trug ein schwarzes Gewand mit einem ebenso schwarzen Umhang, ganz aus Samt. Es war das Staatsgewand  des Statthalters. Auch Denethor hatte meistens schwarze Kleidung getragen. Éowyn hasste dieses dunkle Gewand an Faramir. Ihn machte diese Farbe sehr blaß. Imrahil dagegen trug eine leuchtend rote Tunika und einen blauen Umhang, auf den ganz groß das Wappen von Dol Amroth - der weiße Schwan - eingestickt war.

*

Die Halle der Könige war festlich geschmückt mit Girlanden und Tannengrün. Denn Blumen gab es um diese Jahreszeit nicht im Norden Gondors. Arwen hatte ein schneeweißes Kleid an und trug ein Diadem auf dem Kopf. Als sie das Statthalter-Ehepaar und Imrahil erblickte, ging sie mit einem maskenhaften Lächeln auf das Trio zu und begrüßte es.  Selbst Éowyn gelang es so etwas wie ein Lächeln zustandezubringen. Doch die Atmosphäre zwischen den beiden Frauen war frostig. Faramir warf seinem Onkel einen verzweifelten Blick zu, der natürlich von dieser Sache durch die Briefkorrespondenz mit seinem Neffen wusste. Jetzt endlich kam der König und die vier Personen atmeten auf.
Aragorn hatte zur Feier des Tages eine dunkelrote Samttunika mit kostbaren Stickereien angelegt. Natürlich trug er auch die schwere Krone. Er nickte seinen Gästen höflich zu, die sich tief vor ihm verneigten. Dann trat er neben seine Gemahlin und grinste Faramir, Imrahil und Éowyn breit an.
"Ich habe übrigens großen Hunger", bemerkte er gutgelaunt. "Höchste Zeit, dass ich die Gäste zur Tafel bitte."

In der Mitte der großen Halle war eine lange Tafel aufgestellt. Alles, was Rang und Namen in Gondor hatte, war zum Fest eingeladen worden. Nach dem köstlichen und üppigen Mahl wurde Faramir sofort von den Adeligen Gondors umringt. Schließlich war er bei allen bekannt und auch sehr beliebt wegen seiner höflich-zurückhaltenden Art. Auch viele Frauen hielten sich in Faramirs Nähe auf. Éowyn, die sich an eine Säule gelehnt hatte,  merkte  dies natürlich sofort .
"Dein Gatte scheint  schon etliche Herzen in Gondor gebrochen zu haben, ohne es zu merken", meinte Aragorn amüsiert, der plötzlich neben Éowyn aufgetaucht war.
"Faramir ist ja auch ein sehr gutaussehender Mann", erklärte die ehemalige Schildmaid kühl.
Es behagte ihr ganz und gar nicht, dass Aragorn ihre Nähe gesucht hatte. Sie wusste, dass Arwen das nicht mochte. Und schon kam die Königin mit finsterer Miene auf die Beiden zugelaufen.        
"Estel, ich möchte, dass du mich kurz in die Gärten begleitest", flötete sie ihrem Gemahl zu und warf Éowyn einen vernichtenden Blick zu.
Aragorn lächelte verzerrt, nickte der ehemaligen Schildmaid zu, und ließ sich von seiner Gattin wegführen. Éowyn verschränkte wütend die Arme und sah  dem Königspaar kopfschüttelnd nach. Was war nur aus Aragorn geworden? Sie erkannte den kühnen Waldläufer von einst nicht wieder. Seufzend wandte sie sich wieder dem anderen Geschehen zu.
Faramir war jetzt völlig aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie sah am anderen Ende der Halle eine große Menschentraube und vermutete, dass sich dort ihr Gatte befand. Langsam schlenderte sie durch die  Halle. Einige Hofdamen standen mit ihren Weinkelchen in einer Ecke und redeten miteinander. Éowyn lehnte sich an eine Säule in der Nähe und versuchte, zuzuhören. Die Hofdamen sprachen Sindarin, die Sprache des gondorischen Adels. Éowyn hatte in den letzten Monaten diese Sprache fast vollkommen erlernt: mit dem Sprechen tat sie sich noch hart, doch sie konnte fast alles verstehen. Als sie merkte, dass diese hochwohlgeborenen Damen über sie sprachen, erstarrte sie fast.

"Ich wünschte, Herr Faramir hätte eine Dame aus gutem Hause geheiratet", meinte Amrith , die Fürstentochter aus Morthond, hochmütig.
"Diese Pferdemagd aus Rohan ist doch in keinster Weise kultiviert", flötete Firiel, eine andere Dame. "Habt ihr das Kleid gesehen, das sie heute abend trägt?"
"Sie soll angeblich immer noch in den König verliebt sein, munkelt man", ergriff Amrith von neuem das Wort.
"Der arme Herr Faramir!" rief Aredhel, die Tochter des Herren vom Ringló-Tal bedauernd aus.
"Sie ist eine Hure", bemerkte Amrith bekräftigend.
Jetzt reichte es Éowyn und sie trat zu der Hofdame hin, entriss ihr den Weinkelch und schüttete den Inhalt über das kostbare Kleid der Dame.  
"Ihr dachtet wohl, ich verstehe kein Sindarin, ihr hochwohlgeborenen Damen!" Rief Éowyn höhnisch und verließ dann hocherhobenen Hauptes den Thronsaal, während die Damen zu lamentieren begannen.

*

Éowyn eilte schnurstracks ins Haus der Truchsessen zurück. Die Tränen liefen ihr unaufhörlich dabei über das Gesicht. Was für ein entsetzlicher Abend! Sie fühlte sich furchtbar. Zum ersten Mal überkam sie fürchterliches Heimweh nach Rohan. Am liebsten hätte sie sich auf ihr Pferd gesetzt, um in die Heimat loszureiten. Aber nein, das durfte und konnte sie nicht: sie war die Frau des Statthalters von Gondor. Sie war gefangen in dieser Stadt bei diesen grässlichen Menschen Numenórs, die sich für etwas besseres hielten. So wie sie war, in dem Kleid und dem Geschmeide, ließ sie sich auf das Bett fallen und weinte unaufhörlich.

*

Faramir war in ein Gespräch mit Imrahil und einigen anderen Fürsten aus dem Süden Gondors vertieft, als er plötzlich das laute Geschrei der Hofdamen vernahm. Schließlich drängte sich Amrith zu ihm durch und zeigte auf den großen Weinfleck, der ihr Kleid eingefärbt hatte.        
"Seht, Herr Faramir, was mir Euere Gattin angetan hat!" jammerte sie.
Einige der hohen Herren unterdrückten nur mühsam ein Lachen. Faramir jedoch lief krebsrot im Gesicht an: er schämte sich schrecklich für Éowyn und war zugleich wütend auf sie.
"Wo ist sie?" fragte er mit beherrschter Stimme.
"Sie ist einfach weggelaufen!" rief Firiel, die andere Hofdame, entrüstet.
"Ich werde das so bald wie möglich klären", sagte Faramir schließlich so ruhig er konnte. "Das Kleid werde ich Euch natürlich ersetzen, Frau Amrith. Und ich werde dafür sorgen, dass sich meine Gemahlin bei Euch entschuldigt."
Er konnte das Fest unmöglich verlassen: es  war schon schlimm genug, dass der König und seine Gemahlin spurlos verschwunden waren. So musste er notgedrungen als Statthalter des Königs hierbleiben und Aragorn würdig vertreten. Zum ersten Mal verfluchte Faramir seinen hohen Posten im Stillen.
Es dauerte über eine Stunde, bis Aragorn und Arwen wieder erschienen. Die Elbin lächelte erleichtert, als sie sah, dass Éowyn weg war. Faramir ging sofort zum König.
"Meine Gattin hat sich nicht wohl gefühlt und ist nach Hause gegangen", erklärte er mit bebender Stimme. "Wenn Ihr erlaubt, mein König, würde ich jetzt auch gerne gehen, um nach ihr zu sehen."

Aragorn sah ihn erstaunt an. Er merkte sofort, dass Faramir sehr aufgewühlt war. Es musste irgendetwas auf dem Fest passiert sein.
"Natürlich, geht nur, mein Freund", sagte er erschrocken.
Faramir lächelte verzerrt und verabschiedete sich vom Königspaar. Dann eilte er zum Saal hinaus.

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