Arda Fanfiction

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Winterhauch

von Luminella

Wie Glorfindel nach Imladris kam

Wir schreiben das Jahr 1050 des Dritten Zeitalters. Es war zur Winterzeit und Mittelerde lag zu großen Teilen unter einer dichten Schneedecke begraben, als ein Schiff, aus Aman kommend, Lindons Küste erreichte. Das Wetter war nicht besonders einladend, doch das sollte die Reisenden nicht davon abhalten, den jeweiligen Verpflichtungen nachzukommen, wegen derer sie die Überfahrt auf sich genommen hatten. Neben den fünf Istarí, um die es in dieser Geschichte jedoch nicht gehen soll, betrat auch ein gewisser Elbenfürst aus dem Hause der Goldenen Blume Mittelerde. Er hatte viele Jahre mit sich gehadert und darüber sinniert, ob er jemals wieder zurückkehren sollte und sich schließlich dafür entschieden.

Viele Jahrhunderte lang hatte er im Segensreich gelebt, nachdem ihm die Reinkarnation geschenkt worden war. Die ersten Jahre, nach seiner Wiedergeburt, waren sehr harte Jahre gewesen. Er hatte nicht gewusst, dass sein Liebster kurz nach ihm im Kampf gegen Gothmog gefallen war. Und weshalb Ecthelion eine Reinkarnation abgelehnt hatte, sollte auf immer ein Rätsel sein, auf dessen Lösung Glorfindel vergeblich warten sollte.

Im Segensreich hatte er sich mit dem Maiar Olórin angefreundet, der ihn schließlich auch dazu verleitete, ihm nach Mittelerde zu folgen. Gerüchte wurden lauter, dass Saurons Macht wuchs und seine Schergen sich vermehrten, wieder erstarkten und dass die freien Völker Mittelerdes Unterstützung brauchten, um weiterhin in Frieden leben zu können.

Das Angesicht Mittelerdes hatte sich seit dem Ersten Zeitalter jedoch gewaltig verändert. Beleriand existierte nicht mehr. Und Glorfindel hatte das gesamte Zweite Zeitalter im Schutze Amans verbracht, seine seelischen Wunden geheilt und doch immer wieder den Ruf nach Taten vernommen. Zuerst war es nur ein fernes Flüstern gewesen, doch irgendwann waren die Stimmen lauter geworden und eindringlicher. Er hatte Visionen von Leuten, die er nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Weder in seinem ersten, noch in diesem. Und er fühlte sich verpflichtet, dem nachzugehen. Und war dies nicht der wohl wichtigste Grund, um eine Reinkarnation zu rechtfertigen?

Die Reisenden wurden von Círdan, dem Schiffbauer, aufs Herzlichste in Mittelerde empfangen. Lindon stellte sich als ein wunderschönes Elbenreich heraus, wenn es auch nicht an Gondolin heranreichte. Glorfindel spürte jedoch gleich, dass er weiter ins Landesinnere reisen musste, dass dort in der Ferne sein Schicksal verborgen lag. Die Istarí blieben noch eine Zeitlang bei Círdan, während Glorfindel sich zu Pferd durch Sturm und Schnee auf seine eigene Reise begab. Olórin versprach, ihm zu gegebener Zeit zu folgen, als wisse er bereits, wohin Glorfindels Reise ihn führen würde. Aber der Maiar gab sich geheimnisvoll, wie so oft. Der Elb war nichts anderes von seinem Freund gewohnt und verabschiedete sich derweil mit einer innigen Umarmung von ihm, auf dass sie sich eines Tages wiedersehen mochten.

Kälte und Hunger trotzend trieb Glorfindel sein Pferd weiter. Immer weiter, vorbei an Siedlungen der Zwerge und Menschen, sowie ungewöhnlicher kleiner Wesen, die er später als Periannath kennenlernen sollte, wie die Dúnedain sie bezeichneten. Diese lebten einigermaßen verborgen im Bogen von Mitheithel. Die dort ebenfalls beheimateten Dúnedain nahmen Glorfindel für eine Rast von einigen Tagen bei sich auf und erzählten ihm von Imladris und wie er das verborgene Elbenreich finden konnte.

Die Zweige der Kiefern hingen vom Gewicht des Schnees so tief, dass Glorfindel teilweise gebückt über den schmalen Pfad zwischen den Talhängen reiten musste. Als sich der Wald irgendwann lichtete, erblickte er das verborgene Reich des Elbenfürsten Elronds, der Eärendils Sohn war. Das Reich lag in einem geschützten Tal, umgeben von Felsen und dichten Wäldern. Er war den Dúnedain zweifellos zu Dank verpflichtet, denn ohne den Hinweis auf die Steinmarkierungen, hätte er den Weg hierher gewiss nicht gefunden.

Dies war der Ort, an den zu gelangen er gesucht hatte. Hier lag seine Zukunft, das konnte er deutlich spüren. Und so folgte er dem schmalen Pfad weiter, der sich ins Tal hinab schlängelte, bis ihm das größte und prächtigste Gebäude ins Auge fiel. Der Bruinen floss durch das Tal und war nur über gut bewachte Steinbrücken zu überqueren, wie der Elb schnell feststellte. Der Fluss stellte die letzte Barriere dar, ehe man das stark besiedelte Tal erreichte.

„Halt!“, rief auch bereits einer der Wächter, während sich sein Kamerad zu ihm gesellte, um Glorfindel demonstrativ den Weg zu versperren. In edler Kampfausrüstung und mit Speeren und Schilden bewaffnet, bildeten die beiden Männer einen Wall.

Die Sonne ging bald unter, doch das letzte Licht des Tages verlieh Imladris einen warmen Glanz. Glorfindel verneigte sich auf seinem Ross und grüßte die Wachen höflich. „Mein Name ist Glorfindel, vom Hause der Goldenen Blume. Ich wünsche eine Audienz bei Eurem Fürsten, dem Herrn Elrond.“

„Werdet Ihr erwartet, mein Herr Glorfindel?“, fragte ihn der andere Wächter.

Der Angesprochene schüttelte nur andeutungsweise den Kopf. Seine sämtlichen Gliedmaßen waren von der Kälte ganz steif. Es sehnte ihn nach einem wärmenden Feuer und einer Mahlzeit. „Nein“, gestand er schließlich. „Aber ich möchte Eurem Herrn meine Dienste anbieten. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn Ihr mein Anliegen vortragen würdet.“

Die beiden Wächter tauschten einen Blick aus, dann blies einer der beiden in ein Horn, das er unter seinem wärmenden Umhang hervorholte. Offenbar ein Signalton, der unerwartete Besucher ankündigte. „Es kommt gleich jemand, um Euch in Empfang zu nehmen“, sagte jener Wächter, der als erstes das Wort an Glorfindel gerichtet hatte.

Tatsächlich vergingen mehrere Minuten bis jemand kam. Es war ein weiterer Wächter, diesmal zu Ross. Die drei Männer unterhielten sich flüsternd, ehe jener auf dem Pferd Glorfindel winkte, er möge ihm folgen. „Verzeiht unsere Vorsicht. Unser Fürst Elrond erwartet zu dieser Zeit des Jahres keine unangemeldeten Besucher.“ Der Wächter ritt langsam neben Glorfindel her und deutete auf sich selbst. „Varondir ist mein Name.“

„Glorfindel“, stellte sich dieser ebenfalls vor. Diesmal ohne sein Haus zu nennen, da nach beinahe zwei Zeitaltern offenbar niemand mehr von diesem Haus Kenntnis besaß und es somit wohl bedeutungslos geworden war.

Varondir ritt gemächlich voran und Glorfindel folgte ihm. Er sog den Anblick dieses wunderschönen Tals auf und wollte ihn für alle Zeit in seiner Erinnerung bewahren. Der Schnee lag hoch, doch die Wege waren frei davon. Es waren nur wenige Elben unterwegs, aber die wenigen, denen er unterwegs begegnete grüßten ihn freundlich und er erwiderte die Geste. Als sie schließlich kurz davor waren, ihr Ziel zu erreichen – das größte Gebäude, das Glorfindel bereits auf seinem Weg ins Tal entdeckt hatte – fielen ihm einige scheinbar übermütige junge Elben auf, die sich gegenseitig mit Schneebällen bewarfen und ganz offensichtlich große Freude daran hatten.

„Da wären wir, mein Herr Glorfindel, dies ist Fürst Elronds Haus“, ließ sich Varondir vernehmen. Elegant stieg er vom Rücken seines Rosses, streichelte ihm flüchtig den Hals. „Bitte folgt mir.“

Glorfindel stieg ebenfalls von seinem Pferd, doch durch die lange Reise und die Kälte, die ihm in den Gliedern saß, nicht ganz so anmutig wie der Wächter. Er wollte gerade sein Ross anbinden, als ihn ein scheinbar verirrte Schneeball an der Schulter traf. Eine junge Elbin ging daraufhin beschämt in Deckung hinter einem kahlen Busch. Glorfindel hob daraufhin nur eine Augenbraue und schmunzelte.

„Arwen!“ Im selben Augenblick trat ein stattlicher Elb aus dem Haus und warf der jungen Frau einen strengen Blick zu. „Ist dies eine Art unseren Gast zu empfangen?“

„Verzeihung“, sagte sie und senkte das Haupt. Es war nicht klar, ob sie die Worte an Glorfindel oder den Hausherren richtete.

Varondir trat näher zu dem Elbenfürsten heran. „Mein Herr Elrond, dies ist Glorfindel.“

Elrond trat die wenigen Stufen hinab, die zu seinem Haus führten, und blieb voller Hochachtung vor seinem Besucher stehen. „Ihr seid mir wahrhaft willkommen. Es ist mir eine große Ehre Euch persönlich kennenzulernen. Ich habe so viel über Euch gelesen und gehört. Ihr seid eine Legende.“

Der Wächter Varondir machte bei Elronds Aussage große Augen. Offenbar hatte er nie zuvor von Glorfindel gehört und wusste gar nicht, wen er da zu seinem Herren geführt hatte.

„Kommt herein, wärmt Euch auf am Kamin auf“, bat Elrond. „Und ihr drei“, damit wandte er sich mit mahnender Strenge an die drei jungen Elben, die ihre Schnellballschlacht pausierten, „kommt in einer halben Stunde zum Essen rein.“

„Ja, Vater“, kam es unisono von seinen Kindern, die trotz ihres scheinbar adulten Aussehens noch recht verspielt wirkten.

Elrond wartete auf der Türschwelle und ließ seinen Gast zuerst eintreten. Hinter ihm schloss er die Tür – gerade noch rechtzeitig, ehe ihn ein Schneeball treffen konnte, der an der Tür zerbarst.

„Wie alt sind Eure Kinder, wenn Ihr die Frage gestattet?“, erkundigte sich Glorfindel und folgte Elrond in den großen Speisesaal, den er später als ‚Halle des Feuers‘ kennen sollte. Sofort erfüllte ihn angenehme Wärme und vertrieb die frostige Steifigkeit aus seinen Gliedern. Ein Bediensteter nahm ihm den durchfeuchteten Umhang ab. Die Säulen der Halle waren reich mit immergrünen Zweigen und sowohl mit goldenen als auch roten Ornamenten verziert.

„Alt genug, um es besser zu wissen zu müssen. Aber zur Julzeit, insbesondere wenn so viel Schnee wie jetzt liegt, sind sie wieder wie kleine Elblinge“, erwiderte Elrond und seufzte lächelnd. „Im Grunde beneide ich sie für ihre Unbeschwertheit.“

Julzeit. Davon hatte Glorfindel nie zuvor gehört. Aber er kam nicht dazu, sich diesen Begriff erläutern zu lassen, da er zur großen Tafel geführt wurde, wo bereits eine wunderschöne blonde Elbin saß. Sie erhob sich, sobald sie den unerwarteten Gast bemerkte.

„Darf ich Euch meine Gemahlin Celebrían vorstellen.“ Glorfindel verneigte sich tief vor ihr und sie erwiderte die Geste. „Liebste, dies ist Glorfindel, aus dem Hause der Goldenen Blume.“

Glorfindel winkte leicht ab. Er zog es vor, nicht dermaßen glorifiziert zu werden. Ihm war bis zu seiner Ankunft hier nicht bewusst gewesen, dass er in Mittelerde solchen Ruhm genoss.

„Willkommen, Fürst Glorfindel. Bitte, nehmt Platz. Ich habe noch ein zusätzliche Gedeck auflegen lassen. Sicher seid Ihr nach Eurer Reise hierher hungrig und durstig.“

„Sehr aufmerksam, habt vielen Dank. Aber bitte, ich bin kein Fürst mehr. Mein Haus existiert nicht mehr.“

„Ihr seid zu bescheiden“, ließ sich Elrond vernehmen und nahm selbst erst an der Tafel Platz, als sein Gast und seine Gemahlin sich gesetzt hatten.

„Was Ihr hier aufgebaut habt, übersteigt meine Taten bei Weitem“, entgegnete Glorfindel und machte keinen Hehl aus seiner Begeisterung.

„Ihr habt gegen einen Balrog gekämpft, um Gondolin zu schützen.“

„Und ich bin bei dem Versuch gestorben“, raunte Glorfindel. „Ich bin nicht den weiten Weg gereist, um mich im Glanze vergangener Tage zu sonnen, Fürst Elrond. Bitte verzeiht meine Direktheit.“

„Es gibt nichts zu verzeihen. Was führt Euch nach Imladris?“ Elrond war klug und respektvoll genug, um einzulenken und Glorfindels Wunsch nachzukommen.

Und so erzählte Glorfindel, was ihn hierher geführt hatte und dass er beabsichtigte in Elronds Dienste zu treten. Allerdings hatte Elrond bereits einen Hauptmann der Garde und war sich nicht sicher, was dieser davon halten würde, wenn er Glorfindel diese Stellung übergeben würde. Auf der anderen Seite war Glorfindel sehr viel kampferprobter, älter und dadurch weiser und obendrein eine Berühmtheit, auch wenn er sich dagegen sträubte. Fürs Erste bot er dem Noldo daher eine Stellung als Stellvertreter an. Damit schien Glorfindel durchaus zufrieden zu sein. Und noch bevor die Männer weiteres besprechen konnten, kehrten Elronds Kinder ein, um sich aufzuwärmen. Alle drei gaben ihrer Mutter jeweils einen Kuss auf das Haupt, entschuldigten sich für den ungewollten Schneeballtreffer bei Glorfindel und setzten sich dann an die Tafel.

Glorfindel kam nicht umhin zu bemerken, dass Elronds Kinder offenbar eher ihm ähnelten als ihrer Mutter. Das dunkle Haar und die grauen Augen hatten sich gegen das Blond ihrer Mutter und deren blaue Augen durchgesetzt. Die beiden jungen Männer, die er als Elladan und Elrohir kennenlernte, sahen sich zum verwechseln ähnlich und Glorfindel erfuhr im Laufe des Abends, dass sie Zwillinge waren. Zwillingsgeburten waren überaus selten, kamen in Familien jedoch vermehrt vor.

Es wurde viel über die Familien und die Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte an diesem Abend gesprochen. Aber eine Sache war Glorfindel noch nicht erzählt worden und so fragte er schließlich in die gemütliche Runde: „Was hat es mit dieser Julzeit auf sich?“

„Darf ich es erklären, Vater?“, bat Arwen bescheiden. Ihr Vater gab nickend seine Zustimmung und so fuhr sie fort: „Durch unseren Kontakt zu den Edain haben wir von dieser Tradition erfahren. Sie feiern die Wintersonnenwende, den kürzesten Tag des Jahres, bevor die Tage wieder länger werden. Durch die dunkle und kalte Jahreszeit, in welche die Julzeit fällt, sehnten sich die Edain nach Wärme, Geborgenheit und Licht. Und so begannen sie, ihre Häuser mit immergrünen Zweigen zu schmücken, um das Leben zu feiern, Kerzen aufzustellen, um die Dunkelheit zu vertreiben, und sich im Kreise der Familie und Freunde Geschichten zu erzählen, um sich gegenseitig Geborgenheit zu schenken.“

Arwens Begeisterung für die Julzeit war nicht zu übersehen. Ihre Augen strahlten, während sie weiter erzählte, wie diese menschliche Tradition sich zunehmend auch unter den Eldar ausgebreitet hatte und inzwischen überall in Mittelerde zelebriert wurde. „Ich sehe schon, ich habe viel nachzuholen“, schmunzelte der Noldo. „Aber fürs Erste möchte ich mich für diesen wundervollen Abend und das gute Essen bedanken. Mit Verlaub würde ich mich nun zu Bett begeben.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Elrond und stand auf, als auch Glorfindel sich von seinem Platz erhob. Sogleich stand die gesamte Fürstenfamilie auf und wünschte dem Noldo eine erholsame Nacht.

Ein Diener aus Elronds Gefolgschaft führte ihn daraufhin zu einem der Gästezimmer. Auch dort erwartete Glorfindel eine anheimelnde Atmosphäre und ein Kaminfeuer, sowie ein verlockend aussehendes Himmelbett, das seinen Namen zu rufen schien. Und so kam es, dass Glorfindel in Imladris ein neues Zuhause fand, neue Freunde und, wenn man so wollte, auch eine neue Familie.

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