Arda Fanfiction

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Winterzauberwald

von Luminella

Ein winterliches Abenteuer

»Das ganze Gebirge lag tief eingebettet in Schneelasten. Hirsche und Rehe waren mit den Menschen zu Tale gegangen, um sich vor den Wintergewalten zu bergen. Hoch oben sangen nur die Flockenwirbelstürme ihre johlenden, höhnenden Choräle und der Schnee jagte in Huschen über den weißgrauen Hang.«

Carl Hauptmann: Nächte, 1912

Es war tiefster Winter in den Ered Luin. Soweit das Auge reichte, waren die weiten Hügel, Wälder und steilen Gipfel über und über mit Schnee bedeckt, welcher im Sonnenlicht wie Millionen Diamanten funkelte.

Thorin hatte sich von seinen beiden Neffen, Fíli und Kíli, überreden lassen, erstmals die Jagdgesellschaft begleiten zu dürfen. Da sie jedoch noch jung, ungestüm und vor allem unerfahren waren, mussten sie ihm hoch und heilig versprechen, stets in der Nähe der Jäger zu bleiben. Seine Schwester Dís würde ihm anderenfalls den Kopf abreißen, sollte ihren Söhnen etwas zustoßen.

Die Jagdgesellschaft der Zwerge bestand aus nicht ganz zwanzig Mann. Rotwild stand ganz oben auf ihrer Liste und dieses lebte fast ausschließlich geschützt in den Wäldern, die das Gebirge säumten.

„Nicht bummeln“, wies Thorin seine beiden Neffen an, als diese immer wieder staunend stehen blieben und die winterliche Landschaft bewunderten. Wer konnte es den Jungen verdenken? Sie hatten den größten Teil ihres bisherigen Lebens unter Tage im Berg verbracht, wie es bei ihrem Volk nun mal üblich war. Nur selten zog es Zwergenkinder an die frische Luft und so gab es jetzt natürlich reichlich zu entdecken.

Über dem verschneiten Wald tanzten zarte Schneeflocken im Wind, die in der Luft wirbelten, als wären sie von unsichtbaren Waldfeen geführt. Große, alte Bäume bogen sich unter dem Gewicht des Schnees, deren Äste mit einer dünnen Schicht Eiskristalle überzogen waren, die in allen Farben des Regenbogens schillerten, wenn sie vom Tageslicht getroffen wurden. Für die Kinder hatte dieser Wald etwas Magisches an sich. „Sieh mal, ein Kauz!“, ließ sich Fíli begeistert vernehmen und zeigte auf einen großen Vogel, der soeben unweit von ihrer Position auf einem verschneiten Tannenzweig gelandet war. Kíli folgte dem Fingerzeig seines Bruders und staunte nicht weniger.

Auch Thorins Blick folgte dem der Kinder. „Das ist kein Kauz, sondern eine Schnee-Eule“, korrigierte er seinen Neffen. Dieser grummelte etwas Unverständliches und zuckte die Schultern. „Aber jetzt seid leise und bleibt in meiner Nähe.“

Sobald Thorin seinen Neffen den Rücken zuwandte, sahen sich die Jungen an und schnitten ihm Grimassen. Diese Erwachsenen konnten echte Spaßverderber sein. Dabei gab es so viel Schönes zu entdecken! Für eine gewisse Zeit fügten sich die Jungen brav in ihr Schicksal und folgten der Jagdgesellschaft, aber irgendwann wurde ihnen dann doch langweilig. Das Rotwild versteckte sich mindestens ebenso gut wie die Keiler. Als wüssten die Tiere, was ihnen bevorstand. Für die Kinder schien eine Ewigkeit zu vergehen, in der nichts Aufregendes geschah, und so kam es, dass sie beschlossen das restliche Tageslicht fernab der langweiligen Erwachsenen zu verbringen, um zumindest ein wenig Spaß im Schnee zu haben.

Ganz unbemerkt von den Erwachsenen ließen sie sich zurückfallen, versteckten sich schließlich hinter einem dicken Baumstamm und warteten, bis die Jagdgesellschaft weit genug entfernt war. „Und was jetzt?“, fragte Kíli nach wenigen Minuten.

Fíli hob mit beiden Händen, die in dicken Wollfäustlingen steckten, Schnee auf und formte ihn zu einer Kugel. Dann warf er den Schneeball an Kílis Kopf.

„Hey!“ Das wollte Kíli nicht auf sich sitzen lassen und so entbrannte eine wilde Schneeballschlacht zwischen den Jungen. Sie gingen hinter Bäumen in Deckung, die nicht selten einen Schneeball abbekamen, rannten fröhlich spielend durch den Wald und kamen schließlich, schwer atmend, an einem umgefallen Baumstamm zur Ruhe. Ihre Wangen und Nasenspitzen waren rot vor Kälte, aber ihnen selbst war durch das Herumtollen recht warm.

„Das hat Spaß gemacht“, sagte Fíli schließlich, der neben seinem Bruder saß und entspannt gegen den Baumstamm lehnte.

Sein Bruder nickte zustimmend. „Oh ja.“ Durch das Herumalbern war er ganz durstig geworden, aber der Wasserschlauch war bei seinem Onkel. „Wir sollten wieder zu den anderen, Fíli. Ich habe Durst und müde bin ich auch etwas.“

Fíli erging es ähnlich, daher sah sich im Wald um. Rings um sie herum stand ein Baum am anderen, alles sah gleich aus. Der schneebedeckte Boden war durch ihre Schneeballschlacht dermaßen zertrampelt, dass er nicht mehr sagen konnte in welcher Richtung der Jagdtrupp gegangen war, oder in welcher Richtung ihr Zuhause lag.

Kíli erhob sich, zuversichtlich, dass sein großer Bruder den richtigen Weg kennen würde. „Also …“ Er drehte sich einmal um die eigene Achse. „Wo geht’s lang?“

* * *

Geraume Zeit später, ganz woanders im Wald. „Fíli, Kíli?“ Der Ruf des Zwergenkönigs hallte so laut durch den Wald, dass er unmöglich überhört werden konnte. Zorn war längst tiefer Besorgnis gewichen. Ein Teil des Jagdtrupps war mit der erlegten Beute auf dem Heimweg, während ein halbes Dutzend Männer mit Thorin systematisch den Wald durchkämmten, um die Zwerglinge zu finden. „Wo seid ihr?“ Inzwischen schneite es so stark, dass Thorin kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Wesentlich schlimmer war jedoch die Tatsache, dass die Sonne allmählich unterging.

Er und seine Männer holten Fackeln aus den Rucksäcken und entzündeten sie, ehe es zu dunkel wurde. „Fíli, Kíli! Wo steckt ihr? Meldet euch!“ Eisiger Wind pfiff um ihn herum, so dass sich der Schnee im Gesicht wie tausende feine Nadelstiche anfühlte. „Kinder, wo seid ihr?“ Um ihn herum echoten die Stimmen des Suchtrupps, die abwechselnd die Namen der Jungen riefen und breit gefächert den Forst durchkämmten. Je mehr Zeit verstrich und je dunkler es wurde, desto banger wurde Thorin zumute.

Wie hatte er die Jungen nur aus den Augen verlieren können? Er hätte sie nicht mitnehmen sollen. Sie waren noch zu jung, zu leichtsinnig, zu abenteuerlustig. Und nun würden sie seinen Fehler womöglich mit dem Leben bezahlen müssen. Thorins Herz wurde schwer. „Fíli, Kíli!“, schrie er erneut aus Leibeskräften. Plötzlich vernahm er den Ruf einer Eule, ganz in seiner Nähe. In Gedanken entschuldigte er sich für die Ruhestörung des Waldes, da er den Ruf der Eule für einen Protest hielt. Trotzdem rief er immer wieder nach den Jungen. Und dann flog die Eule, so dicht über seinen Kopf hinweg, dass sie ihm beinahe die Mütze von selbigem riss. Unweit von Thorin blieb sie schließlich auf einem tief herabhängenden Ast sitzen. Der Vogel starrte ihn direkt an, ohne zu blinzeln. „Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an“, sagte Thorin zu dem Vogel. Er glaubte, dass es sich dabei um die selbe Schnee-Eule handelte, die er bereits am Vormittag gesehen hatte, als seine Neffen sie für einen Kauz hielten. „Ich suche die Kinder, das musst du verstehen.“

Die Schnee-Eule gab ein markantes ‚Schuhu‘ von sich und flog ein Stück weit weg, ehe sie wieder landete und Thorin abermals anstarrte. Erneut rief sie, blickte in jene Richtung in die sie geflogen war und wieder den Zwergenkönig an. Ein weiterer Ruf folgte.

Thorin betrachtete den Vogel einen gedehnten Moment. „Weißt du, wo die Jungen sind? Soll ich dir folgen?“

Die Schnee-Eule schlug mit den Flügeln und stieß erneut einen Ruf aus. Als Thorin einige Schritte auf ihn zumachte, flog der Vogel wieder einige Meter weiter, wartete dort einigermaßen geduldig auf den Zwerg und flatterte wieder weiter, als dieser ihm weiter folgte. Thorin wusste nicht weshalb, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass diese Schnee-Eule genau wusste, wo seine Neffen zu finden waren. Und so begann er im Laufschritt zu folgen, die Schnee-Eule landete nicht mehr und flog stattdessen kreisend vor ihm her. Und auch Thorins Gefährten folgten ihm, ohne genau zu wissen wohin.

* * *

„Ich will heim, Fíli! Ich hab Hunger und Durst.“ Kíli saß eng bei seinem Bruder, so dass sie sich gegenseitig wärmen konnten. Ihr Versuch ein kleines Feuer zu schüren, war kläglich gescheitert.

Fíli hatte tröstend einen Arm um seinen kleinen Bruder gelegt und drückte ihn fest an sich. „Ich weiß, mir geht es nicht anders. Aber ich kenne die Richtung nicht und wenn wir einfach losgehen, geraten wir womöglich noch tiefer in den Wald.“

Sie sahen einander an. Kíli sah aus, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Inzwischen war es Nacht geworden. Das fahle Mondlicht fiel durch die Baumwipfel und spendete ihnen gerade genug Licht, dass sie einander sehen konnten. „Onkel Thorin hat mir mal gesagt, dass ich an Ort und Stelle bleiben soll, wenn ich mich verirrt habe. Und genau das machen wir jetzt. Ob im Bergwerk oder im Wald, das Prinzip ist dasselbe.“ Kíli nickte langsam. „Ist dir kalt?“, wollte Fíli wissen.

Diesmal schüttelte Kíli den Kopf. „Vorhin war mir kalt, inzwischen nicht mehr.“ Er glaubte, dass die Nähe zu seinem Bruder ihn wärmte und er war heilfroh, dass er nicht allein war. Seine Augenlider wurden langsam schwer, als bleierne Müdigkeit von ihm Besitz ergriff.

* * *

Er konnte die Schnee-Eule kaum noch sehen, obgleich ihr Gefieder im silbrigen Mondlicht zu leuchten schien. Die Dunkelheit und das Schneetreiben machten es ihm nicht gerade leicht, den Vogel nicht aus den Augen zu verlieren.

Die eisige Luft brannte in seinen Lungen, trotzdem lief er unbeirrt weiter. Als die Schnee-Eule dann Kreise über einer Stelle im Wald zog, wusste Thorin sofort, dass er dort die Jungen finden würde. Er hoffte nur, dass er nicht zu spät kam. „Hierher!“, rief er seinen Männern zu.

Und tatsächlich, halb eingeschneit lagen die beiden Jungen eng beieinander kuschelnd an einem morschen Baumstamm gelehnt. Leblos, wie es zunächst den Anschein machte. Thorins Herz setzte einen Schlag aus. Er ging vor seinen Neffen in die Knie, rüttelte und schüttelte sie. Aber keiner von beiden regte sich. „Rasch, schürt ein Feuer!“, verlangte er von niemand bestimmtem, aber sofort wurde um ihn herum emsig Holz gesammelt und ein Lagerfeuer entzündet.

Thorin lehnte sich dicht an die Gesichter seiner Neffen und konnte kaum etwas spüren. Er war sich nicht sicher, ob er ihren Atem fühlen konnte, oder ob es nur Einbildung war. Die Schnee-Eule saß indessen unweit der Jungen auf dem Baumstamm und beobachtete das angespannte Geschehen.

„Fíli, Kíli ...“ Thorin zog seine dicken Handschuhe aus und strich mit seinen warmen Händen über die Wangen der Jungen. Ob es seine Berührung war, oder Zufall, wusste im Nachhinein niemand zu sagen, aber die beiden Knaben begannen sich leicht zu regen. „Sie leben!“ Thorin erlaubte sich ein erleichtertes Aufatmen und Tränen der Freude traten ihm in die Augen. „Bei Aulë, sie leben!“, wiederholte er und war nie im Leben glücklicher gewesen. Unweit saß noch immer die Schnee-Eule und blickte Thorin stumm an. „Danke“, sagte dieser zu dem Vogel und deutete eine Verbeugung an. Darauf gab die Eule lediglich ein Leises ‚Schuhu‘ von sich, breitete die Flügel aus und flog davon in die Nacht.

Sofort wurden die Jungen in sämtliche Felle gewickelt, die die Jagdgesellschaft bei sich trug, damit sie geschützt waren. Einer der Jäger hatte ein großes Lagerfeuer entzündet, an dem sich die Zwerge in jener Nacht warm hielten. Thorin kümmerte sich hingebungsvoll um seine Neffen, bis diese wieder ansprechbar waren. Eine Standpauke ließ er ausfallen. Viel zu groß war die Freude darüber, dass sie ihr leichtsinniges Abenteuer überlebt hatten.


Wenn euch meine erste Zwergengeschichte gefallen hat, würde ich mich sehr über Feedback freuen. :)

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