Die Mittagsstunde nahte, und Elanor beschloss, eine kleine Rast einzulegen. Ihren kleinen, ledrigen Rucksack legte sie auf den kühlen Boden. Sie wollte ein wenig essen und sich einige Zeit auf dem weichen Boden ausruhen. Als sie am Morgen von Hobbingen aufgebrochen war, hatte sie nicht mehr genügend Zeit gehabt, ein richtiges Mahl einzupacken, und so musste sie sich mit drei kleinen Schnitten Brot, einem Stück wohlduftendem Käse, zwei saftig roten Äpfeln und einer Flasche glasklarem Wasser zufrieden geben. Noch mit knurrendem Magen legte sie sich auf das frisch duftende Gras und blickte in den Himmel. Er war fast wolkenlos und erstrahlte in einem eindringlichen Hellblau. Überhaupt war es ziemlich schönes Wetter für diese Jahreszeit, angenehm warm, und ein leichtes Lüftlein wehte. Der Wald schien sehr lebendig zu sein, und überall konnte man das Rascheln von Waldtieren hören. Alle Tiere waren während dieser Jahreszeit damit beschäftigt, Nahrung für den bevorstehenden Winter zu sammeln. Die Hobbits bemerkten jedoch nicht, dass die Tiere in diesem Jahr aufgeregter waren als in anderen Jahren und viel fleißiger sammelten. Die Tiere spürten, dass die Luft nicht den gleichen Geruch hatte wie sonst vor einem Winter und etwas Ungewöhnliches geschehen würde, im Gegensatz zu den unbesorgten, fröhlichen und immer hungrigen Hobbits. Zu Recht, wie sich leider später herausstellte …
Doch Elanor bemerkte dies alles erst recht nicht. Sie war in Gedanken versunken, und einige Tränen rollten über ihre kugelrunden Wangen. Denn heute war nicht irgendein unbedeutender Tag für sie: Heute war der 22. September 1482 nach Auenland-Zeitrechnung, der Tag, an dem der letzte Ringträger Mittelerde verließ und über die weiten Meere segelte. Dieser Ringträger war ein stattlicher, beliebter und sehr angesehener Hobbit im ganzen Auenland, der lange Zeit der Bürgermeister von Hobbingen war. Sein Name war Samweis Gamdschie, was nichts anderes bedeutet, als dass er Elanors Vater war.
Heute Morgen hatte Samweis Hobbingen in aller Früh – ohne Abschied zu nehmen – verlassen. Er hatte nur einen kleinen Abschiedsbrief geschrieben und ihn auf den großen Küchentisch in Beutelsend gelegt. Elanor hatte den Brief am Morgen als Erste entdeckt und war ihrem Vater sogleich nachgeritten. Sie wusste schon immer, dass auch er eines Tages das Auenland verlassen würde, so wie es die anderen Ringträger vor ihm getan hatten. Heute vor 61 Jahren segelten Herr Frodo und Bilbo Beutlin mit den drei Verwahrern über die Meere.
Im selben Jahr kam auch Elanor auf die Welt. Sam war damals auch an die Küste geritten, doch er entschloss sich, noch für einige Zeit in Mittelerde und vor allem im Auenland zu verweilen. Er hatte ein Jahr zuvor Rose Hüttinger geheiratet, also im Jahre 1420. Er führte ein sehr schönes Leben und hatte dreizehn Kinder mit Rosie: Elanor die Schöne, Frodo (ein sehr tüchtiger Gärtner), Merry, Pippin, Goldglöckchen, Hamfast, Margerite, Primula, Bilbo, Rubinie, Robi und Tolma, besser bekannt als Tom. Doch während der letzten paar Jahre wurde er des Öfteren krank und machte sich immer häufiger Gedanken über eine Abreise aus Mittelerde. Der Tod seiner Frau vor einigen Monaten, am Mittjahrestag, verstärkte seinen Willen, das Auenland zu verlassen, denn nun fühlte er sich oft allein, obwohl er oft von Elanor besucht wurde. Und so geschah es, dass er nun mit stolzen 101 Jahren den Sprung wagte. Elanor kannte ihren Vater sehr gut und merkte bald, dass er etwas im Schilde führte. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie davon überzeugt, dass ihr Vater nicht mehr lange zögern würde. Sie musste den bescheidenen Abschiedsbrief nicht einmal lesen, sondern machte sich schnell auf den Weg, ihm zu folgen. Natürlich schrieb Sam nicht, wohin er gehen würde, doch Elanor konnte ihn durchschauen.
Sie traf ihn etwa eine Meile nach dem Dorf Wegscheide. Schon von hier konnte man die Spitzen der Turmberge, Emyn Beraid in der Elbensprache, sehr gut erkennen. Sam war nicht sonderlich verwundert über das Erscheinen seiner ältesten Tochter. Er lächelte sie an, sagte aber nichts, und sie ritten gemeinsam ein Stück weiter in Richtung Westen, zu den weißen Türmen. Nach einiger Zeit stieg Sam von seinem weißen Pony, holte das "Rote Buch"2 aus seinem Rucksack und sagte zu Elanor:
"Nimm es, mein Kind, und bewahre es gut auf. Wie du weißt, beinhaltet es die einzigen erhaltenen Aufzeichnungen über die Hobbits. Besonders wertvoll und streng geheim sind die Abenteuer und Gedichte vom alten Bilbo und die von Herrn Frodo. Auch ich habe meinen Teil dazu beigetragen und meine eigenen Erlebnisse hineingeschrieben. Halte es fern von neugierigen Augen, denn nur du, Fastred, deine Schwester Goldglöckchen und ihr Mann Faramir kennen die wahren Hintergründe unserer Abenteuer und die Geschichte des Ringkrieges!
Nicht einmal deinen anderen Geschwistern darfst du das "Rote Buch" jetzt schon anvertrauen, es ist noch zu früh. Wenn du willst, kannst auch du weiterschreiben und es am Ende deiner Tage an eine vertrauenswürdige Person weitergeben. Halte deine wertvolle Freundschaft mit den zurückgebliebenen Elben und Zwergen immer aufrecht, denn irgendwann wirst auch du vielleicht ihre Hilfe brauchen können. Beachte jene Hobbits nicht, die über dich und deine Verwandten spotten, denn deine Familie und deine Freunde sind und waren immer etwas Außergewöhnliches, auch wenn sie nicht immer nach Hobbitart gehandelt und gelebt haben. Auch du hast besonderes Blut in den Adern und denkst schon jetzt mehr wie ein Elb als ein Hobbit und hast in den Augen vieler Hobbits einen nicht zu beachtenden Freundeskreis. – Vergiss mich nicht und sorge für deine jüngeren Geschwister. Ich werde dich nun verlassen und nie wieder zurückkehren. Doch in meinem Herzen wirst du bis ans Ende meiner Tage bei mir sein, so wie deine Mutter …"
Er umarmte Elanor liebevoll und ritt nachdenklich und traurig in Richtung Westen, zu den Weißen Türmen und den Grauen Anfurten. Nie wieder wurde Sam Gamdschie in Mittelerde gesehen, aber die Hobbits behielten ihn immer in Erinnerung, auch wenn diese nicht immer Gutes beinhalteten.
Als Elanor aus ihrem Mittagsschläfchen erwachte, war die Sonne schon beträchtlich weit gesunken und die Schatten wurden immer länger. Elanor hatte zwar sehr lange geschlafen, doch sie war nicht sehr ausgeruht. Sie hatte einen seltsamen Traum, in dem sie mit Tränen in den Augen vor einer riesigen Mauer stand. Doch die Mauer war von einem Krieg zerstört worden und hatte den Anschein, dass sie gleich auf Elanor stürzen würde.
Noch ein wenig verwirrt machte sich Elanor auf den Heimweg; d. h. sie machte sich auf den Weg nach Hobbingen. Aber Hobbingen war nur ihr vorübergehendes Zuhause. Sie zog nach dem Tode ihrer Mutter in Hobbingen, also in Beutelsend, ein, um ihrem Vater Gesellschaft zu leisten. Ihr Sohn Elfstan, der noch nicht einmal "mündig" war, verwaltete ihr Haus in Untertürmen auf den Turmbergen. Sie wollte in Wegscheide die Nacht verbringen, um auch ihrem Pony eine Pause und ein anständiges Mahl zu gönnen. Sie packte ihren Rucksack, band ihr Pony vom Baum und schwang sich auf dessen Rücken. Sie hatte es nicht eilig, denn es war nicht sehr weit bis Wegscheide. Also ritt sie in gemütlichem Schritt auf der Großen Oststraße nach Wegscheide.
Gerade zur rechten Zeit, zur Essenszeit, kam Elanor in Wegscheide an und fand auch gleich einen Gasthof. Sie ließ ihr Pony in den Stall führen und brachte ihre Sachen in ihr Zimmer. Sie hatte keine Lust, in die Wirtstube zu gehen und sich mit der fröhlichen Gesellschaft abzugeben; also bestellte sie sich ihr Essen auf ihr Zimmer. Die Mahlzeit war genau richtig für einen solchen Tag: eine heiße Suppe, etwas geräuchertes Fleisch, frisches Brot, Butter und Käse. Zum Dessert wurden ihr schmackhafte Haselnusstörtchen nach Hausrezept angeboten. Sie lehnte das Angebot nicht ab und bediente sich reichlich.
"Ein richtiges Hobbitmahl", dachte sie sich. "Fast dasselbe, das mein Vater, Herr Frodo und seine Gefährten in Bree bei dem feinen Herrn Butterblume erhalten haben."
Nachdem sie sich den Bauch vollgeschlagen hatte, fühlte sie sich schon etwas frischer und nicht mehr so müde. Trotzdem wollte sie sich auch auf Bitten des Wirtes nicht der Gesellschaft anschließen. ‚Man habe nicht jeden Tag eine so bekannte Person in seinem Hause und seine Kunden würden sich gerne einige Geschichten über Ihren Vater und dessen Abenteuer anhören', meinte er freundlich, aber enttäuscht. Elanor setzte sich stattdessen in einen gemütlichen Sessel ans Feuer und nickte auch bald ein. Nach einiger Zeit wurde sie von einem Lärm in der Wirtsstube aufgeweckt. Wahrscheinlich war irgendein Krug oder Teller auf den Boden gefallen. Sie nutzte diese Gelegenheit und legte sich müde ins Bett. Sie schlief die ganze Nacht friedlich und fest.
Am nächsten Morgen machte sie sich früh auf den Heimweg. Vor ihrem Aufbruch hatte sie sich ein anständiges Frühstück gegönnt, ihre Sachen gepackt und ihr Pony geholt. Sie schulterte ihren Rucksack und schwang sich auf ihr treues Pony. Als sie Wegscheide verlassen hatte, lag noch alles in tiefer Stille. Nur der Bäcker auf der anderen Straßenseite hatte schon Licht an und war fleißig am Backen und der Wirt, der wegen Elanor früh aufstehen musste, um ihr ein Frühstück aufzutischen und, was für ihn wichtiger war, das Geld für die Übernachtung entgegenzunehmen. Elanor war nun schon einige Meilen von Wegscheide entfernt.
Zu ihrer Rechten lag das Tukland mit den Dörfern Tukhang und Buckelstadt und das Grünbergland, das die Spitze vom Südviertel bildet. Zu ihrer Linken lag Hobbingen und der Bühl. Doch leider gab es noch keine direkte Straße von Wegscheide nach Hobbingen, so dass man einen Umweg über Wasserau zu bewältigen hatte. Vor Elanor lag das Ostviertel mit den vielen kleinen Dörfern wie Froschmoorstetten und Weissfurchen. Noch weiter in Richtung Osten floss der Brandywein, der größte Fluss im Auenland, wo das wohlbekannte Bockland mit dem Brandyschloss lag. Elanor genoss den schönen Morgen und ritt in gemütlichem Trab. Auch das Pony war vergnügt, denn es war nicht schlecht behandelt worden und hatte eine angenehme Nacht hinter sich. Die Straße war weitgehend leer und nur selten kam Elanor ein Kaufmann oder ein fröhlicher Wanderer entgegen. Der Morgen strich schnell vorüber und Elanor entschloss sich, einen kleinen Umweg bis zum Drei-Viertel-Stein zu reiten und dort Mittagsrast einzulegen. Von dort würde es dann auch nicht mehr sehr weit bis Hobbingen sein.
Als sie um die Mittagszeit beim Stein ankam, tischte sie sich die Reste aus ihrem Rucksack und die, die sie vom Frühstück mitgenommen hatte, auf und verzehrte sie genüsslich. Wie sie so in der Sonne lag, kam ihr der vergangene Tag wieder in den Sinn und ihre Laune verschlechterte sich. Sie malte sich die neugierigen Gesichter der Hobbits in Hobbingen aus, denn diese hatten das Gerücht von Sams Verschwinden sicherlich schon vernommen; Derartige Dinge verbreiten sich unter Hobbits wie Lauffeuer. Die meisten Gerüchte wurden jedoch auch bald wieder vergessen, außer sie sind etwas sehr Außergewöhnliches, so wie zum Beispiel die Geschichten vom alten Bilbo und seinem Neffen Frodo.
"Mutti, erzähl mir die Geschichte von Herrn Frodo und seinen Gefährten!" Solche und ähnliche Bitten waren des Abends in Hobbitkinderzimmern nicht selten und es wurde und wird noch immer über jene Tage erzählt. Großer Argwohn verbreitete sich damals unter den Hobbits, als im Jahre 1418 nach Auenland-Zeitrechnung bekannt wurde, dass Frodo Beutlin aus dem Westviertel und aus Beutelsend ausziehen und sich nach Brandyschloss begeben würde.
Seltsame Dinge geschahen in diesem Jahr: Angsteinflößende, schwarze Reiter hielten sich im Auenland auf und suchten nach "Beutlin". Ein Jahr später wurde die Unruhe jedoch noch größer, als Frodo nach seinem Abenteuer im Ringkrieg wieder ins Auenland zurückkehrte. Natürlich wussten die Hobbits nichts von den Geschehnissen in Mittelerde, denn sie interessieren sich nicht sehr für Begebenheiten außerhalb ihres Landes. Doch auch bei ihnen im Auenland geschah etwas Seltsames. Das Auenland geriet damals in eine schlimme Lage: Saruman, ein Zauberer und Feind der Ringgefährten, machte sich nach seiner Niederlage auf nach Hobbingen, um sich zu rächen. Er machte sich zum Vertreter des neuen Bürgermeisters, nachdem er diesem half, den alten abzusetzen, ordnete das Land neu und verbreitete Furcht und Schrecken. Doch Frodo und seine Gefährten riefen das Auenlandvolk zum Aufstand auf, als sie zurückkehrten, und so fand am 3. November 1419 die Schlacht von Wasserau statt. Saruman wurde endgültig besiegt und das Auenland wurde von der Schreckensherrschaft befreit.
"Hoffentlich werden sich die Hobbits von Sams plötzlichem Verschwinden schnell wieder beruhigen", dachte sich Elanor. Nach einem kurzen Mittagsschläfchen nahm sie das letzte Stück ihrer Heimreise in Angriff. Sie kam durch Wasserau, am Wasserauer See vorbei und sah schließlich die Dächer von Hobbingen. Das Dorf sah friedlich aus und der Anblick ließ das Herz von Elanor höher schlagen. Sie lebte gerne in dem großen Hobbingen, obwohl sie nicht mit allen Hobbits besonders gut auskam. Ihr Mann Fastred von Grünholm wohnte vorübergehend auch mit ihr hier. Ihre zehn Jahre jüngere Schwester Goldglöckchen und deren Mann Faramir wohnten schon lange in Beutelsend, der größten Hobbit-Höhle in ganz Hobbingen. Natürlich wäre auch Elanor gerne für immer in Hobbingen geblieben, doch in der Westmark würde man sie eher gebrauchen, denn ihr Mann war 1455 vom Thain zum Vertreter der Westmark ernannt worden.
Die Westmark gehörte erst seit 1452 zum Auenland. König Elessar, einer der neun Ringgefährten, machte sie den Hobbits als Geschenk und gliedert sie dem Auenland an. Viele Hobbits zogen dorthin, doch die Verwaltung klappte nach dreißig Jahren noch immer nicht. Elanor wurde gebeten, in Markingen, einem kleinen Dörfchen, das Amt der Bürgermeisterin anzutreten, denn es war allgemein bekannt, dass sie solchen Dingen gewachsen war, und ihr Mann konnte ebenso gut von dort aus sein Amt als Vertreter der Westmark ausführen. In Hobbingen selber war die Ordnung sehr gut. Der Bürgermeister war sehr angesehen und bewältigte seine Arbeit mit viel gutem Eifer und Stolz. Es war Faramir I., demzufolge Goldglöckchens Mann, der Sohn des berühmten Thain Peregrin.
Die Häuser kamen näher und Elanor gab ihrem Pony noch einmal die Sporen. Kaum erreichte sie die ersten Hütten, strömten die Hobbits aus ihren runden Türen, um sie zu sehen. Die Hobbitkinder umzingelten Elanor und überschütteten sie mit Fragen über Sam. Die jüngeren Hobbits hielten nämlich viel von Sam Gamdschie und sie saßen oft mit ihm im Garten von Beutelsend unter dem goldblühenden Mallorn, dem einzigen Baum der Elben westlich des Nebelgebirges, und hörten gespannt seinen Geschichten von fremden Ländern und seltsamen Wesen zu. Auch Elanor war sehr beliebt, denn sie war oft bei den zahlreichen Kindernachmittagen ihres Vaters dabei und brachte den Kindern großzügig Getränke und kleine Leckerbissen. Die älteren Hobbits sahen Elanor nur skeptisch nach. Sie waren sich nicht mehr so im Klaren, was sie von Hobbits halten sollen, die in Beutelsend hausen. Einige behaupteten, es sei die Schuld der Hobbit-Höhle.
"Die Hobbits, die dort hausten, sind schon immer etwas merkwürdig gewesen. Man kann ihnen nicht trauen und man weiß nie, wann sie sich wieder aus dem Auenland schleichen und ihre ‚Abenteuer' erleben."
So tönte es aus vielen Hobbitmündern und einige hatten sogar Angst davor, ihre Kinder könnten sich dort mit irgendeiner ‚Abenteuerkrankheit' anstecken und ließen daher ihre Kinder nicht in der Nähe von Beutelsend spielen. Elanor konnte über solche Ansichten nur lachen und ritt langsam weiter. Den Kindern sagte sie nur, dass Sam für einige Zeit verreist wäre und wohl einige Wochen wegbleiben werde. Natürlich gaben sich die neugierigen Mädchen und Knaben mit dieser sehr knappen Antwort nicht zufrieden. Sie folgten Elanor bis über die Brücke, doch dort gaben sie auf und kehrten enttäuscht um. Elanor kam an der Mühle vorbei und ritt die Bühlstraße hinauf. Die Straße machte eine Biegung und ein kleiner Weg zweigte nach links ab. Sie folgte der Bühlstraße weiter und kam am Alten Hof und am Gutshof vorbei, die beide nach der Schlacht von Wasserau und der Herrschaft von Saruman wieder aufgebaut wurden. Die Straße machte einen leichten Knicks nach rechts und dann schlängelte sie sich den Bühl hinauf. Der Bühl war der einzige Hügel in Hobbingen, in dem man noch einige traditionelle Hobbit-Höhlen finden kann. Eine solche Höhle konnte sich nicht mehr jeder Hobbit leisten und viele zogen in einstöckige Häuser um, die man im Auenland immer häufiger fand. Elanor erreichte die letzte Kurve und sah auch schon ihren Mann Fastred und Faramir gemütlich im Garten sitzen und Pfeife rauchen. Als diese sie erblickten, standen sie mit verwunderten Gesichtern auf und kamen auf sie zu.
"Wo bei meinem Pfeifenkraut warst du?“, fragte Fastred. "wir haben uns die ganze Zeit gefragt, ob du mit Sam mitgegangen bist, doch in seinem Brief schrieb er nichts davon, dass er von dir begleitet wird!"
"Beruhige dich, Fastred! Ich bin meinem Vater nachgeritten, weil ich ihn nicht einfach so gehen lassen konnte. Ich traf ihn in der Nähe von Wegscheide und habe dann dort übernachtet."
Fastred nahm die Zügel des Ponys und ließ Elanor absteigen. "Nun komm aber hinein und erzähl uns, was er dir noch gesagt hat. Er wusste sicher, dass du ihn nicht einfach so gehen lassen würdest, und hat dir noch einiges erzählt. Der gute alte Sam! Ich werde ihn vermissen …"
Die drei Hobbits gingen durch die runde Türe in die Höhle. Goldglöckchen hörte die Stimme ihrer Schwester, kam aus der Küche herausgerannt und umarmte Elanor.
"Wie kannst du nur einfach so gehen, ohne mir Bescheid zu geben. Ich habe mir Sorgen gemacht", sagte sie.
"Aber Goldglöckchen, du musst dir doch keine Sorgen um mich machen. Du weißt doch, dass ich dein Essen nicht mehr als einmal verpassen will", sagte Elanor mit lächelndem Gesicht. Faramir und Goldglöckchen begaben sich in die Küche und Fastred und Elanor setzten sich ins Esszimmer, denn es war bald Essenszeit. Der Tisch war schon gedeckt und bald stand ein wohlduftendes Essen darauf. Während des Essens sprachen sie nicht sehr viel, sondern konzentrierten sich viel mehr auf die köstlichen Sachen auf dem Tisch, was nicht verwunderlich war, denn Goldglöckchen war eine sehr gute Köchin. Sogar einige Elbenfreunde von Elanor mögen das Essen von Goldglöckchen, obwohl sie die Speisen anderer Völker normalerweise für ungenießbar und auch ungesund halten.
Nach dem wohltuenden Abendessen stand Elanor auf und wollte das Geschirr wegräumen. Doch Goldglöckchen hielt sie zurück und sagte: "Heute sind Faramir und ich an der Reihe und du solltest dich besser ein wenig ausruhen."
Elanor befolgte dankend die Worte ihrer Schwester und ging mit ihrem Mann in das Wohnzimmer. Sie setzte sich auf einen bequemen Sessel vor das Feuer und schloss ihre Augen.
Plötzlich befand sich Elanor auf einer breiten Straße. Neun Reiter galoppierten mit hohem Tempo auf sie zu. Doch Elanor konnte sich nicht bewegen und blickte ihnen ängstlich entgegen. Die Reiter trugen dunkle Mäntel und man sah nur ihre hasserfüllten, rotglühenden Augen. Der vorderste Reiter zog ein Schwert und schrie ihren Namen. "Elanor, Elanor, dich kriege ich!" Wütend schwang er das Schwert und ritt auf Elanor zu. Der Reiter holte zum Todesschlag aus. Elanor konnte sich immer noch nicht rühren und schaute ihrem Gegner voller Schrecken ins Gesicht, oder was man davon erkennen konnte. Sie sah das scharfe Schwert aufblitzen und auf sie zukommen und glaubte schon, tot zu sein. Doch als die Schwertklinge ihren Hals schon fast berührte, änderte sich die Umgebung auf einen Schlag und Elanor blickte verwundert um sich. Sie befand sich mitten in Hobbingen. Die Straßen waren voll von Hobbits und die Luft war erfüllt von lautem Jubel und Geschrei. Blumen flogen durch die Luft, Musik spielte und alle klatschten in die Hände. Plötzlich teilte sich die Menge und zwei prächtige Reiter kamen die Straße herauf. Es waren Meriadoc der Prächtige und Peregrin der Thain. Ihre Ponys waren wunderschön geschmückt und trugen ihre stolzen Reiter durch die tobende Menge. Elanor wollte auf sie zugehen, doch sie stand wie versteinert am Straßenrand. Die zwei Reiter ritten an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken. Einige Hobbitkinder liefen ihnen begeistert nach und bestaunten ihre Rüstungen und Schwerter. Doch die Reiter gaben ihren Ponys die Sporen und galoppierten aus Hobbingen heraus. Elanor blickte ihnen mit Tränen in den Augen nach.
Doch sobald die Reiter hinter dem Hügel verschwanden, kam ein eisiger Wind auf. Riesige Wolken bildeten sich und türmten sich auf. Voller Angst und Schrecken rannten alle Hobbits in ihre Häuser und verriegelten die Türen. Elanor stand fassungslos auf der Straße und blickte in den Himmel. Plötzlich fegte ein eisiger Schnee über die Landschaft. Weiße, grelle Blitze schlugen abwechselnd in die höchsten Bäume und zerschmetterten viele Häuser. Das ganze Land lag im Nu im tiefsten Winter. Der Schnee stieg immer mehr an. Elanor stand wie eingefroren da und beobachtete den Schnee. Bald stand er ihr bis zum Bauch, bald bis zum Hals. Sie wollte um Hilfe schreien, doch ihre Stimme war wie verschwunden. Der Schnee stieg immer noch an und Elanor konnte kaum noch atmen. Sie versuchte mit den Händen, den Schnee wegzuräumen, doch merkte, dass sie gar keine Arme mehr besaß. Sie wollte einen lauten Angstschrei ausstoßen, doch der Schnee hatte sie bereits vollständig eingegraben und Elanor konnte nicht mehr atmen. Schwarze Flecken tanzten wild vor ihren Augen und sie wurde langsam ohnmächtig.
Schweißgebadet wachte sie auf. Fastred hielt besorgt ihre Hand und wusch ihr mit einem feuchten Tuch die Schweißtropfen von der Stirn.
"Endlich bist du aufgewacht. Wir haben versucht, dich wachzurütteln, doch es wollte uns nicht gelingen. Anscheinend warst du nicht in einem normalen Traum. Du hast geschrien und mit den Händen um dich geschlagen. Wir konnten dir nur zusehen und nichts unternehmen", sprach Fastred mit leiser Stimme.
"Ich hatte einen Alptraum", erzählte Elanor noch mit zitternder Stimme. "Ich befand mich auf einer breiten Straße und ein schwarzer Reiter wollte mich mit einem Schwert töten. Dann war ich auf einmal in Hobbingen, unten auf der Wasserauer Straße. Ich sah, wie Meriadoc und Peregrin Hobbingen verließen. Doch kaum waren sie außer Sichtweite, kam ein riesiger Schneesturm auf. Ich konnte mich nicht bewegen und wurde eingeschneit."
"Beruhige dich. Du bist wieder bei uns und alles ist in Ordnung. – Das ist wirklich ein merkwürdiger Traum. Der schwarze Reiter war sicherlich einer der Neun von dem Land, dessen früheren Namen ich nicht erwähnen will. Aber was bedeutet wohl der Schneesturm?“, fragte sich Faramir.
"Der große Schneesturm war schon vor langer Zeit. Ich glaube, im Jahre 1158–1159, also schon sehr, sehr lange her", erinnerte sich Fastred. Elanor beruhigte sich langsam und sagte:
"Lasst uns nicht über diesen albernen Traum Gedanken machen. Ich will euch nun erzählen, was mir mein Vater noch geraten hat und wo er hingegangen ist."
Die vier Hobbits saßen noch lange im Wohnzimmer und erzählten sich gegenseitig ihre letzten Erlebnisse mit Samweis und von seinen Taten und Abenteuern. Sie gingen alle sehr spät zu Bett und jeder dachte beim Einschlafen an den alten Sam.