Fast eine Woche war der Regen gefallen, ein sanfter Vorhang aus kühlem Wasser, der die trockenen Vertiefungen auf der Straßen zwischen Hobbingen und Wasserau auffüllte. Dies war der erste warme und sonnige Tag. Lily Stolzfuß ging vom Markt nach Hause; ein Weidenkorb hing über ihrem Arm und der appetitliche Geruch eines Apfeltörtchens frisch aus dem Ofen drang daraus hervor wie eine süße Wolke und kitzelte ihre Nase.
Lily war, was die alten Klatschbasen in der Nachbarschaft „vernünftig und von guter Natur“ nannten, und in den letzten zwei Jahren hatten viele ansehnliche junge Hobbits deutlich mehr als ein Auge riskiert, wenn sie vorbeiging oder an einem der Sommertänze teilnahm. Es war seltsam genug, dass sie sich bisher noch keinen Ehemann gesucht hatte, und ihre Mutter war oft besorgt, wenn sie an Lilys Zukunft dachte. Lily war ein schönes Hobbitmädchen, mit einem klaren, frischen Gesicht, rot und golden wie ein Sommerapfel; ihre weichen, kastanienbraunen Locken fielen fast bis zur Taille hinunter. Sie hatte starke, kleine Hände, die freudig die frühen Erdbeeren pflückten, unten im Bach Unterröcke ausspülten und Blusen und Hemden bügelten. Sie trockneten die Tränen ihrer jüngeren Geschwister, brachten verloren gegangene Kätzchen zum Schnurren und stickten Blumen in die Schürzen ihrer Freundinnen. Es waren geschickte Hände... aber nie hatten sie sich in das Haar eines erwachsenen Hobbits vergraben oder waren gar zärtlich über seine Haut gewandert. Sie saß im Schatten der Geißblattlaube im hinteren Garten des Stolzfuß-Smials und lauschte dem Geflüster und dem atemlosen Gekicher von Marigold Gamdschie und Viola Boffin („und dann hat er mich geküsst, und er hat gerochen wie das große Bierfaß im Grünen Drachen, und stell dir vor, was er mit seiner Zunge gemacht hat!“), und sie lächelte und sagte nichts. Manchmal fragte sich Mutter Stolzfuß, ob vielleicht irgend etwas mit ihrer lieblichen, freundlichen Tochter nicht in Ordnung war. Sie schien einfach nicht daran interessiert zu sein, eine Familie zu gründen.
Sie hatte keine Ahnung, dass Lily Stolzfuß zwei Jahre zuvor ihr Herz verloren hatte, und dass kein junger Hobbit, ansehnlich oder nicht, auch nur die allerkleinste Chance hatte seit jenem verzauberten Tag... dem Tag, an dem Lily unter dem Festbaum nahe Beutelsend gesessen hatte, inmitten eines lärmenden Mittsommerfestes, und an dem sie Frodo Beutlin allein hatte tanzen sehen. Sein Geist war befeuert von Wein und Musik, seine Augen glitzerten und sein Lachen war strahlend und fröhlich genug, dass ihr in jäher Freude und Anziehung der Atem stockte.
Sie vergaß ihre Gefühle in diesem Moment nie wieder, und von jener Nacht an liebte sie den Vetter des verrückten Bilbo Beutlin.
*****
Lily erreichte den Stolzfuß-Smial und stellte ihren kleinen Korb auf den kleinen Holztisch in der Geißblattlaube. Sie dachte, dass ein Glas vom Apfelwein ihrer Mutter gut zu dem frischen Törtchen passen würde, aber sie hatte ihrer Mutter versprochen, die Hemden von der Leine im vorderen Garten abzunehmen. Sie waren ihr wie ein blütenweißer Willkommensgruß entgegengeflattert, als sie vor ein paar Minuten dem Weg herauf gekommen war. Sie holte sich den großen Wäschekorb ihrer Mutter und nahm erst ein Hemd herunter, dann das zweite und das dritte, und faltete sie säuberlich zusammen.
„Guten Morgen, Lily.“
Das vierte Hemd rutschte ihr aus der Hand und landete im feuchten Gras. Sie musste nicht hinsehen; sie wusste, wer da gekommen war. Sie hätte diese Stimme selbst noch in der dunkelsten Nacht wiedererkannt.
„Guten Morgen, Herr Frodo.“
Sie war überrascht darüber, dass sie so ruhig und leise sprechen konnte; endlich brachte sie es fertig, aufzuschauen und begegnete seinen Augen. Er lächelte sie an, nicht abwesend und mit zerstreuter Höflichkeit wie sonst so oft, sondern ziemlich amüsiert.
„Passiert dir das jedes Mal, wenn jemand unerwartet zu Besuch kommt?“ fragte er, und sie lachte unsicher und musste ihre Hand davor zurückhalten, seine leicht sonnengebräunte Wange zu berühren. Er riecht wie der Sommer.
„Nein, Herr.“ erwiderte sie scheu und dann, mit neuem Mut: „Möchtest du gerne etwas Kühles trinken? Meine Mutter hat frischen Apfelwein gemacht.“
„Das würde ich gern, Lily.“ sagte er zu ihrer Überraschung. „Eine großartige Idee – es ist sehr warm heute Morgen.“
Er ließ sich im Schatten der Laube nieder; die Geißblattranken zeichneten ein lebendiges Muster auf sein Gesicht. Sie holte zwei Becher und einen frisch gefüllten Krug aus der Küche und hastete in den Garten zurück; ein misstrauischer Teil von ihr war sicher, dass er gegangen sein würde, wenn sie wiederkam (oder dass er niemals wirklich da gewesen war und dass dieses gesamte Wunder sich nur in ihrer verliebten Einbildung abgespielt hatte).
Aber er war noch da, entspannt halb auf der Bank ausgestreckt, die Augen geschlossen, während er geduldig auf sie wartete. Sie zögerte vor der Laube. Sie war bezaubert von der Fülle seines Haars, das nur um ein weniges dunkler war als ihre eigenen Locken, und von der seidigen Tönung seiner Haut – oh, wie sehr sie sich wünschte, ihre Fingerspitzen in die leichte Vertiefung unter seinem Kinn zu legen!- und von der eleganten Form seiner Hände. Es waren schöne, geschickte Hände, mit glatten Handflächen und Tintenflecken auf beiden Daumen. Diese Hände, um ihr Gesicht geschlossen, diese Lippen, fähig zu Gedichten und Liedern, die einer Spur folgten von ihrem Kinn hinunter bis zu ihren...
Plötzlich entdeckte sie, dass er seine Augen wieder geöffnet hatte; er beobachtete sie mit einem kleinen, fragenden Lächeln. Sie errötete heftig und zuckte zusammen. Die Gerüchte kamen ihr wieder in den Sinn, und sie war sicher dass er sie alle kannte, und dass er auch um ihre Gedanken wusste. Zutiefst beschämt wandte sie ihr Gesicht ab.
Eine Hand – und ja, sie war wirklich sanft – berührte ihre Wange, und dann begegnete sie wieder seinen Augen, und sie waren blau wie der Himmel in der Dämmerung, blau wie ein Fluss am ersten Tag des Frühlings, blau wie Vergissmeinnicht und prachtvoller Flieder. Blau...
„Was ist denn, Lily?“
Ein Lächeln lag in seiner Stimme, und eine sanfte zärtliche Neckerei.
Sie schluckte. Dann nahm sie mit einer mutigen Anstrengung ihr Herz in beide Hände.
„Vor zwei Jahren habe ich dich beobachtet, bei dem großen Mittsommerfest unter dem Festbaum. Du warst das lebendigste und das allerschönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte. Ich konnte meine Augen nicht von dir abwenden. Seit diesem Tag habe ich dir immer sagen wollen... dir sagen wollen...“
„Was wolltest du mir sagen?“
Sie schaute zu ihm auf und wagte den Sprung.
„Dass ich dich liebe. Ich liebe dich, Herr Frodo.“
Er stieß ein kleines, überraschtes Lachen aus.
„Womit habe ich denn das verdient?“ fragte er. „Ich hatte niemals auch nur die geringste Ahnung, dass du an mir interessiert warst, Lily. Ich habe mich nur immer gefragt, warum du... also gut, warum du dich nie für einen deiner zahllosen Bewunderer entschieden hast. Du hast eine Menge gebrochener Herzen auf deinem Weg zurückgelassen, Fräulein Stolzfuß.“
Sie schüttelte den Kopf, und plötzlich stieg ein glückliches Lachen in ihr auf und schlüpfte zwischen ihren Lippen hindurch, ein Lachen voller Freude und Erleichterung.
„Ich habe niemals irgend jemanden ermutigt.“ antwortete sie. „Sie hätten sich all ihre Blumen und Gedichte sparen können... reichlich schlechte Gedichte übrigens, die meisten jedenfalls.“
„Und jetzt... was möchtest du, dass ich jetzt tue?“
Seine Hände lagen plötzlich um ihre Mitte, und sie konnte ihn unglaublich dicht bei sich spüren, und sie konnte ihn riechen – ein intensives Aroma von alten Büchern, Moos und Leder. Sie holte tief Luft und dann, ohne zu zögern, vergrub sie ihr erhitztes Gesicht in seinem sauberen Leinenhemd, auf der Suche nach dem Duft seiner Haut darunter.
Seine Brust erzitterte in atemlosen Gelächter, und Lily lachte gemeinsam mit ihm, und jetzt fühlte sie überhaupt keine Scham mehr. Es kam ihr vor, als würde sie fliegen, als hätte sie frisch gewachsene Flügel ausgebreitet und den Boden unter ihren Füßen hinter sich gelassen. Sie hob wieder den Kopf und rang nach Atem. Dann schlossen sich seine Hände um ihr Gesicht – der Traum war endlich wahr geworden – und seine Lippen lagen auf ihrem Mund, süß und weich, Honig und Wein und Pfeifenkraut, und sie stöhnte leise und ließ seine Zunge ein für einen ersten, tiefen Kuss, der ihren Kopf wirbeln ließ und ihr die Knie weich machte.
Sie zog sich zurück und stellte fest, dass seine Finger heimlich zu ihren Brüsten hinunter gewandert waren.
„Meine wunderschöne Kastanie... ich fürchte, ich bin nicht sehr dafür geeignet, dir anständig den Hof zu machen.“ sagte Frodo zwischen tiefen und schnellen Atemzügen. „Es ist nicht mein Schicksal, eine Familie zu gründen und ein Rudel Kinder aufzuziehen – obwohl ich sie liebe. Also, falls du auf der Suche nach einem Ehemann bist, solltest du mich lieber fortschicken, bevor es zu spät ist.“
Wieder schüttelte sie den Kopf und blickte ihm in die Augen. Sie sah das Begehren darin, das tiefe, hungrige Verlangen, und einen kleinen Hauch von Bedauern.
„Es gibt nichts, was du bedauern müsstest, Frodo.“ Sie sprach mit Stolz, und zum allerersten Mal nannte sie seinen Namen ohne das respektvolle „Herr". „Ich will dankbar alles annehmen, was du bereit bist zu geben, und ich verspreche dir, ich werde mich niemals über irgendetwas beklagen.“
Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn zu der offenen Tür des Stolzfuß-Smial.
„Meine Eltern sind nach Bockland gefahren, um meine Tante Esmeralda zu besuchen, und sie haben meine kleinen Brüder mitgenommen.“ sagte sie. „Niemand wird wissen, dass du hier bei mir bist.“
*****
Ihr Zimmer war sonnig und still; Staub tanzte in den schmalen, goldenen Strahlen, die durch das Fenster hereinkamen. Draußen wurde der Tag älter; die Sonne reiste über den Himmel und erfüllte die Welt mit strahlendem Licht. Drinnen stand sie völlig still, die Arme zu beiden Seiten herabhängend. Sie sah ihm zu, wie er die Bänder ihres alten, weißen Mieders löste; plötzlich war sie sehr dankbar, dass sie am Abend zuvor ein Bad genommen und dabei ihre beste Veilchenseife benutzt hatte.
Dann hörte sie auf zu denken. Das Mieder rutschte mit einem leisen Flüstern herunter, und sie spürte kühle Luft auf ihren Brüsten. Er umschloss sie mit beiden Händen, und seine Daumen liebkosten ihre schokoladenbraunen Brustwarzen; ihr Kopf sank nach hinten und wieder lachte sie atemlos, die Haut glühend von Leben und von einem plötzlichen, tiefen Begehren.
Sie sah zu, während er sich auszog. Er legte sein Hemd, seine Hosenträger und seine Hosen sorgfältig auf den Stuhl neben ihrem Bett. Dann stand er vor ihr, endlich nackt, und sie betrachtete ihn mit bewundernden Augen. Endlich wagte sie es, ihn zu berühren – sie ließ ihre Hände über die glatte Haut seiner Schultern wandern, liebkoste seinen Hals mit zärtlich liebenden Fingerspitzen und küsste mit einem dankbaren Lächeln die Vertiefung unter seinem Kinn. Seine Hände glitten an ihren Seiten herunter und streichelten geschickt und zielbewusst ihre Schenkel. Wieder küssten sie sich, hungrig und ungeduldig, and dann hob er sie hoch und bettete sie zwischen die weichen Kissen.
Er war der erste, den sie in ihr jungfräuliches Bett einlud, und er wusste es auf der Stelle. Er strich ihr das Haar glatt und küsste den kurzen Schmerz fort, and dann begann er, sich zu bewegen, behutsam zuerst und sehr langsam. Aber sie hatte zu lange auf ihn gewartet und ihr Begehren bezähmt, und sie öffnete ihm ihren Leib und ihren Geist und ermutigte ihn mit atemloser Stimme und feurigen Worten. Da hielt er seine Leidenschaft nicht länger im Zaum und gab ihr, wonach sie verlangte. Und als sie ihren ersten Höhepunkt erreichte, hielt er sie so fest er es vermochte und fühlte, wie sie in seinen Mund hinein aufschrie, und dann bewegte er sich mit einem letzten, berauschenden Stoß in ihre warmen, unwiderstehlichen Tiefen und küsste die Tränen von ihrem lächelnden Gesicht.
*****
Sie ist jetzt eine alte Frau. Die Jahre sind gekommen und gegangen, und ihre Brüder sind groß geworden und haben geheiratet, und es gibt ein gutes Dutzend niedlicher Lockenköpfe, die Tantchen Lily zu ihr sagen.
Ihr kastanienbraunes Haar ist nun weiß. Aber tief in ihrem Herzen ist sie immer noch das junge, schöne Mädchen aus diesem Sommer des Jahres 1416... seine Kastanie, sein Schatz, seine geduldige und selbstlose Geliebte. Wenn sie mitten in der Nacht in ihrem Bett liegt, ruft sie sich ihre Begegnungen ins Gedächtnis, erinnert sich an seine zärtlichen Hände, seinen kraftvollen Körper und an die Musik in seiner Stimme.
Sie sah ihn gemeinsam mit Sam Gamdschie fortgehen, nach Krickloch, wie die Leute behaupteten. Er sagte ihr nichts, aber zwei Tage, bevor er abreiste, trafen sie sich zum letzten Mal in einer stürmischen, kalten Nacht, und er nahm sie mit verzweifeltem Hunger. Manchmal erwachte sie, und ihr Herz hämmert in dem zerbrechlichen Körper einer alten Hobbitfrau, und sie hat den erstickten Klang seiner Stimme in den Ohren, die ihren Namen herausschreit in Lust und Schmerz.
Sie schliefen nie wieder gemeinsam in einem Bett; er kam mehr als ein Jahr später zurück, und alles war verändert. Sie versuchte nie, sich ihm wieder zu nähern oder ihre Liebe zu erneuern, aber sie und Rosie Kattun – nun Rosie Gamdschie – wurden Freundinnen. Und Rosie sprach von Frodo und von seinem verzweifelten Kampf gegen seine Dämonen, und Lily hörte zu und verstand.
Sie wartete am Wegesrand, als er zum letzten Mal ging, um nie wiederzukommen. Und zum ersten Mal seit jener letzten Liebesnacht vor mehr als zwei Jahren rief sie seinen Namen: „Frodo...!“ Und er wandte den Kopf und hob seine Hand, und er schenkte ihr ein schmerzhaft süßes Lächeln. Und sie lächelte zurück und blieb an der selben Stelle stehen, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte und die Tränen sie endlich blendeten.
Und nun wird ihr Lebensweg bald enden, und sie fürchtet sich nicht vor dem Sterben. Vielleicht wird er wieder da sein, jenseits dieser letzten, unbekannten Grenze, und er wird ihre Hände nehmen und sie werden einander umarmen, umgeben von dem Duft nach Geißblatt, und sie wird ihn endlich festhalten können, heil und ganz und voller Frieden.
Sie liegt in tiefem Schlaf, ein leises Lächeln auf ihrem von Runzeln durchzogenen Gesicht.
Bald.
ENDE