Arda Fanfiction

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Die Wunschpflanze

von Alistanniel

Verlust

Mit dem Grauen des Morgens stimmten die Vögel nach und nach ihr Lied auf den Beginn des neuen Tages an. Bald fielen die ersten Lichtstrahlen durch die Baumwipfel, vertrieben die geisterhaften Schatten des nächtlichen Waldes. Langsam erwachten die Geschöpfe des Tages, während sich die Wesen der Dunkelheit bereits zur Ruhe gelegt hatten, bevor das erste Licht die Tautropfen an den Blättern wie Diamanten glänzen ließ.

Neben sich konnte Galadriel das tiefe Atmen Celeborns hören. Sie selbst war schon seit geraumer Zeit wach. Eine seltsame Taubheit hatte sich in ihrem Unterleib ausgebreitet, und sie vermochte nicht die kleinste Bewegung des Ungeborenen zu fühlen. Das war ungewöhnlich, denn auch wenn das Kind schlief, trat es dann und wann ein wenig.

Langsam beschlich sie das bedrückende Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch zunächst beschloss sie abzuwarten. Schließlich war es ihre erste Schwangerschaft und sie wusste nicht genau, was diese alles noch mit sich bringen würde, bis das Kind endlich auf der Welt war. Auch wollte sie Celeborn nicht unnötig beunruhigen.

Um auf andere Gedanken zu kommen, begann sie leise ein Lied zu summen. Es war ein Kinderlied, das ihre Mutter ihr und ihren Brüdern vorgesungen hatte, als sie noch klein war. Die wenigen Zeilen, an die sie sich erinnerte, wiederholte sie immer wieder.

Komm funkle für mich,

mein kleiner Stern.

Immer bin ich da für dich,

denn ich habe dich so gern.

Niemals sind wir allein,

solange wir einander zugetan.

Du zündest ein Lichtlein

in meinem Herzen an.

Das dumpfe Gefühl in ihrem Unterleib verging nicht. Aber es wurde auch nicht stärker oder schwächer. Ihre Augen weiteten sich, als sie spürte, dass etwas warm an den Innenseiten ihrer Schenkel hinab floss.

Blut!

Plötzlich aufkommender Schmerz veranlasste sie dazu ihre Finger in Celeborns Arm zu krallen, woraufhin er erwachte. Er benötigte nur wenige Augenblicke um zu realisieren, was geschah.

Galadriel sog scharf die Luft ein, als der Schmerz zunahm, ihren Leib überflutete. Sie hatte Angst. Hilfesuchend sah sie ihren Ehemann an, der inzwischen ihre Hand hielt, um ihr eine mentale Stütze zu geben.

„melethril", sagte er leise, „Du schaffst das."

„Etwas… etwas stimmt nicht", brachte sie unter zusammen gebissenen Zähnen hervor, „Ich weiß es!"

Celeborn verzog das Gesicht, als sich ihre Hand krampfhaft um seine schloss. Er wünschte sich mehr tun zu können um ihr zu helfen. Sein Blick fiel auf einen Zweig, der in seiner Reichweite lag. Ohne ihre Hand loszulassen langte er danach. Erst dann löste er sich aus ihrem Griff, hockte sich vor sie und legte die Hände auf ihre Knie.

„Komm, mach weiter. Du hast es bald überstanden", versuchte er sie zu ermuntern, „Ich sehe schon den Kopf."

Sie gab einen weiteren schmerzerfüllten Schrei von sich, und er hörte, wie der Zweig, den er ihr gegeben hatte, zwischen ihren Fingern brach. Der Kopf des Kindes war nun vollständig zu sehen. Mit Schrecken erkannte Celeborn, dass er eine tiefblauviolette Farbe angenommen hatte.

„Was… was ist?" Sein Schweigen hatte Galadriel dazu veranlasst, zu ihm aufzusehen.

Er schluckte. „Es ist nichts."

Ihr sagen, dass das Kind, das sie gebar, tot war? Das konnte er nicht. Die Wahrheit würde sie früh genug erkennen.

Galadriel nahm ihre gesamten verbliebenen Kräfte zusammen, und unter einem letzten Aufschrei verschwand der ungeheure Druck in ihrem Leib. Endlich.

Sie wartete auf den ersten Schrei des Neugeborenen, aber alles blieb still. Nicht einmal ein Wimmern war zu hören.

„Celeborn… das Kind?"

Er sah auf, als er seinen Namen vernahm, und schüttelte traurig den Kopf. „Es tut mir so leid, melethril."

Ruckartig richtete sie sich auf, was dazu führte, dass ihr Blick auf den kleinen blau angelaufenen und mit Blut bedeckten Körper fiel.

„Nein!" entfuhr es ihr, und sie wandte sich ab. Celeborn legte tröstend die Arme um sie.

Unter Tränen murmelte sie, „Bitte tu es weg, ich will es nicht sehen."

Er nickte, stand dann auf und begrub den toten Körper seines Sohnes zwischen einigen Brombeerbüschen. Dann ging er zum See, um sich das Blut von den Händen zu waschen.

Als er zu seiner Ehefrau zurückkehrte, hatte sie den Kopf in ihren Armen verborgen und weinte.

Vorsichtig umarmte er sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Eine Weile saßen sie so da, Arm in Arm, sich gegenseitig Trost spendend. Galadriel weinte, bis all ihre Tränen aufgebraucht waren.


melethril = Geliebte
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