Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Lied des Windes

von julianna2luv

Nachrichten und Gerüchte

"And yet, Éomer, I say to you that she loves you more truly than me; for you she loves and knows; but in me she loves only a shadow and a thought: a hope of glory and great deeds, and lands far from the fields of Rohan." 

Aragorn, Return of the King

*

I would live in your love as the sea-grasses live in the sea,

Borne up by each wave as it passes, drawn down by each wave that recedes;

I would empty my soul of the dreams that have gathered in me,

I would beat with your heart as it beats, I would follow your soul as it leads.

I Would Live in Your Love by Sara Teasdale (1884-1933)

*

Quietly would I thank my fate:

never do I lose you entirely.

As a pearl grows in the mussel,

so within me

grows your dewy essence sweet.

If at last one day I forget you -

then you will be blood of my blood,

then you will be one with me -

may the gods grant that.

Memory by Karin Boye (1900-1941)

*

Hold on tight, hold on fast

This ain't the kind that always lasts

If you want me to go just ask me to go, I'll go

All the way my love, over the hills and right on through you

Run away my love, over the hills and right on through you

Over the hills and right on through you

Steaming by Sarah McLachlan

 

 


 

 

Die Nachricht verbreitete sich so schnell wie ein Grasfeuer, so dass innerhalb ein paar Tagen ganz Minas Thirith und Osgiliath davon wussten, dass Faramir und Éowyn nicht heiraten würden. Es gab keine Straßenecke, wo sich nicht eine Verkäuferin zu einer Magd hinüber beugte, und sie fragte, ob sie es schon wüsste. Ob sie es auch gehört hatte. 

Man diskutierte offen an den Ständen über diese Nachrichten und einige Händler seufzten traurig oder schimpften laut, wegen Lieferungen, die sie nun nicht ausfahren konnten, Gemüse, das sie zurückbekamen und Fleisch, das sie für einen Spottpreis verkaufen mussten.

Mädchen trugen in ihren Haaren die weißen Hochzeitsblumen Éowyns, die einige Zofen in der Nähe des Tors verschenkten. 

Es war wirklich guter Gesprächsstoff.

Überall schien man dieser Tage im sonnigen Mai den Namen Éowyn zu hören. Denn die verwinkelten Gassen Minas Thirith‘ warfen die Worte von ihren steinernen Wänden zurück und so schliefen die Gespräche nie ein, fanden immer neuen Stoff. Immer neues Gras zum Brennen, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt das Minas Thirith eine Stadt aus Stein ist. 

Es war später Nachmittag als die nächste Nachricht Gondor erschütterte. 

Éowyn hatte Gondor, vor genau zwei Tagen, zu Pferde verlassen. 

*

Es war stickig in dem kleinen, dunklen Raum, da es nur zwei kleine Fenster zur Straße hin gab, nur zwei winzige Spalten, da die Wohnung unter der Erde lag und man konnte ständig Füße von der einen zur anderen Seite der Straße gehen sehen. Die Sonne, die hinein schien, war unnütz, da die Frau die hier wohnte kein Licht brauchte, denn ihre Augen waren alt und sie sah mit etwas anderem, mit etwas weit besserem, als Augen. 

Es roch nach getrockneten Blättern und Rinden, die säuberlich an einer Seite des Raumes auf eine Schnur gefädelt waren und den Blick auf eine Tür versperrten. 

Der Rest des Raumes war kahl und bestand aus nichts als Steinwänden und einem Tisch, mit zwei Stühlen, die knarrten, wenn man sich auf sie setzte. Es war ein heruntergekommenes und abweisendes Zimmer, aber das störte niemand, der hierherkam, nein, die Leute schienen es eher noch zu erwarteten. 

Die Tür zu ihrem Zimmer war immer offen. 

Und so entging es der alten Frau nicht, als sie gerade einen Sud von einer Pflanze abfüllte, dass eine Aufregung in den Straßen lag, die sogar die der letzten Tage überstieg. 

Sie zog ihre Ärmel über ihre knochigen Handgelenke und die goldenen Armreife, die sie trug, klimperten fröhlich vor sich hin, als sie den Topf noch ein wenig höher hob und den letzten Rest aus dem Topf in das Glas schüttete. Sie stellte den Topf ab, legte ein Stück Leder darüber und band es mit einem Stück Schnur fest. 

„So“, sagte sie schließlich und wischte sich über ihre nasse Stirn. Dann drehte sie sich um und sah zur Tür, erkannte allerdings nichts und sagte zu sich selbst: „Wo bleibt der Junge nur?“ 

Sie wischte sich ihre Hände an ihrer Schürze ab, bevor sie das Glas in eine Kiste mit weiteren Gläsern stellte, einige größer, andere kleiner, andere wiederum gedrungen und fett. Ihre Finger huschten über die Gläser und zählten, eins zwei drei ... 

Sie nickte und wandte sich dem Topf zu, den sie in einer niedrigen Zinnwanne aufwusch. Nach einiger Zeit hörte sie die eiligen Schritte eines Jungen. 

„Wo warst du nur, Faar?“, fragte sie in einem der Dialekte des Südvolkes und drehte sich zu dem Platz, wo sie ihren Enkel vermutete. 

„Ich war nach der Schule noch bei Ari. Hast du es gehört? Die schöne Frau ist weg! Sie ist fort!“ Faars junge Stimme überschlug sich fast vor Aufregung und die alte Frau musste lächeln, verstand sie doch genau seine Gefühle. 

Noch vor ein paar Tagen war sie hier gewesen. Aufrecht hatte sie gestanden, stolz und doch voller Güte und obwohl sie nichts sah, konnte sie es doch spüren, so wie die Elben die Gefühle von anderen auf ihren Gesichtern spüren können. Sie hatte die alte Frau in ihre Zukunft blicken lassen und die alte Frau würde die Linien in dieser Hand nicht vergessen, so wie sie die Geschichten ihrer Vorfahren, ihre Mythen und Legenden nicht vergessen würde. So wie sie noch nie eine Hand vergessen hatte. 

„Sie ist mit einem Pferd des Königs weg geritten, sagen sie!“ Faar kam nun zu seiner Großmutter und setzte sich vor die Zinnwanne auf den Boden. „Sie sagen, sie sei geritten wie der Wind und ihr Haar hätte im Wind geschwungen, wie der Schweif eines Pferdes, sie sagen ihr Haar hätte geleuchtet wie Gold!“ 

„Das hast du dir ausgedacht, Faar.“ Aber die alte Frau kicherte gutmütig und streckte die Hand aus, streichelte sein Haar, das weich unter ihren Fingern war und sie dachte darüber nach, was er gesagt hatte, bevor sie sich an ihren Traum erinnerte und ihre Hand sinken ließ und schließlich zu ihrem Enkel sagte: „Sie ist bei Nacht geritten, schnell wie der Wind, ja, und ebenso traurig. Niemand hat sie gesehen außer den Waschbeeren und den Raben und die werden nichts verraten.“ 

Sie konnte Faars Blick auf sich spüren, jung, unschuldig und neugierig. Einen Moment war es still. 

„Und wir auch nicht. Ja, Faar? Das ist unser Geheimnis.“ 

Der Junge nickte eifrig. 

„Erzählst du mir noch etwas von ihr? Ja, Großmutter? Warum ist sie verschwunden? Kommt sie wieder? Großmutter?“ 

„Für heute reicht es, Faar. Bring‘ lieber das dreckige Wasser raus.“ 

Sie wusste, dass er enttäuscht war, aber ebenso gut wusste er, dass es nichts bringen würde zu betteln und so brachte er die Wanne raus und schüttete das Wasser vorsichtig neben das Haus, wo es langsam die Straße hinab rann und in der Erde versickerte. 

Als er hinein kam saß seine Großmutter an dem kleinen Holztisch und rieb sich ihr Kinn. 

„Geh später noch einmal zu Ari. Sag ihr, dass, wenn sie gefragt wird, wo ihre Herrin vor drei Tagen gewesen ist, sie nicht lügen soll.“ 

„Aber--“

„Geh, Junge.“ 

„Ja, Großmutter.“ 

Sie blieb noch eine ganze Weile so sitzen. 

*

Éomer ritt am Abend in die Stadt Minas Thirith ein. Man hatte ihm Nachricht gesendet, dass seine Schwester Éowyn verschwunden war. Dass sie Brego, eines der Pferde des Königs genommen und hinfort geritten sei und dass niemand sie gesehen hatte. 

Éomer hatte ein bitteres Lachen zurück beißen müssen, als er diese Nachricht bekam. Einen Moment hatte er vollkommen stillgestanden und den Boten angestarrt. Verschwunden? Einfach so? Ohne dass jemand sie gesehen hatte? Aus Minas Thirith

„Ja, Herr“, hatte der Bote geantwortet und Éomer wurde klar, dass er seine Gedanken ausgesprochen haben musste. 

Fort. 

Allein.

An den Rest erinnerte sich Éomer bereits nicht mehr all zu gut. Er hatte sich sein Pferd aus dem Stall bringen lassen und war sofort los geritten. Hatte Gamling noch vom Pferd aus zugerufen, dass er während seiner Abwesenheit für alles zuständig sei. 

Die Tore von Edoras hatten sich geöffnet und wieder hinter ihm geschlossen, noch bevor jemand widersprechen konnte. 

Nicht mehr als fünf Tage ohne Rast war er geritten, um nach Gondor zu gelangen und noch immer war seine Wut brennend heiß.

Er trieb sein Pferd brutal an und konnte an nichts als an seine Schwester denken. Hatten sie sich nicht in zwei Wochen zu einem schönen Ereignis wiedersehen wollen? Er hatte schon mit dem Stolz eines Bruders auf seine Aufgaben als Brautführer gesehen. 

Was war passiert? 

Was?

Die Tore wurden sofort für ihn geöffnet, wahrscheinlich hatte Aragorn bereits vermutet, dass er kommen würde. Anstatt sein armes Pferd ruhen zu lassen trieb er es weiter an, bis sie durch die Stadt hindurch waren, durch die erwartungsvolle Menge und deren neugierigen, wissenden Gesichtern, auf denen alle dieselbe Frage stand, die er ihnen ebenso wenig beantworten konnte. 

Er ritt in den Hof ein und ein Stallbursche wartete bereits, um sein Tier wegzuführen. Er sprang behände von seinem Pferd und ging mit sicherem Schritt die Treppen hinauf, stieß die Türen auf, noch bevor Diener sie öffnen konnten, und betrat den Thronsaal.   

Gimli, Legolas, Aragorn und Faramir standen in der Halle, bei einem Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet lag. Sie hatten wahrscheinlich miteinander geredet, bevor er eingetreten war, denn sie sahen nun alle auf, aber er beachtete sie nicht, sein Blick war auf Faramir fixiert, der etwas abseits stand und mit vier Schritten war er bei ihm und stieß ihn hart gegen eine der Säulen. 

„Was hast du ihr angetan?“ Faramir sah ihn aus seinen blassen blauen Augen an und Éomer bemerkte in einem kleinen, immer noch intakten Teil seines Gehirns, dass dieser nicht antworten konnte, wenn er ihm die Luft abdrückte. Er ließ ihn ein wenig lockerer und schrie „Rede!“ 

Doch noch bevor er seine Faust zum Schlag heben konnte, hielten ihn Aragorn und Legolas fest. 

Éomer beruhigte sich langsam unter zureden von Aragorn und spürte, wie seine Wut zwar nicht weniger wurde, aber sein Verstand wieder einsetzte. Aragorn und Legolas ließen ihn vorsichtig los. Faramir hustete einige Male und rieb sich den Hals. 

„Ich ...“ Éomer reckte das Kinn vor und zog seinen Helm ab. „Ich entschuldige mich.“ Seine Stimme hallte in der großen Halle noch ein paar Mal nach und er fragte sich, ob seine Stimme tatsächlich so voller Wut klang. So ganz ohne Bedauern. 

Faramir schüttelte den Kopf und kam auf Éomer zu. 

„Nein, es gibt nichts zu entschuldigen. Du machst dir Sorgen um Éowyn, wie ich auch.“

Éomer sah hinüber zu Aragorn, dessen Gesicht ausdruckslos war, außer der immer anwesenden Trauer in seinen Zügen. 

„Deine Wut ist ziemlich ungesund, Junge“, brummte Gimli von seinem Platz aus und Éomer erinnerte sich an seinen Vater. Daran, dass ihn seine Wut sein Leben gekostet hatte. 

„Weiß denn niemand, wo sie hin geritten ist? Und wieso?“ 

Niemand bewegte sich. Vollkommene Stille. 

Wieder das Echo. 

„Weiß es denn niemand?“ 

Aragorn sah Legolas an, aber sie antworteten nicht. Faramir meinte schließlich: „Am Abend bevor sie fort ist, habe ich noch mit ihr einen Spaziergang gemacht. Bevor die Sonne unterging, brachte ich sie wieder auf ihr Zimmer, denn sie sagte mir, sie wolle noch mit den anderen Frauen beisammen sitzen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.“ 

Aragorn fuhr fort: „Aber Arwen sagte mir, dass Éowyn nicht bei ihnen gewesen ist, an diesem Abend. Sie schickte eine Zofe, die sagte, Éowyn fühle sich nicht gut.“ 

Éomer zog die Stirn in Falten und stellte seinen Helm auf den Tisch. Éowyn würde nicht einfach fortreiten. Nicht ohne einen Grund. Dafür kannte er sie zu gut. Etwas musste passiert sein, dass sie dazu gebracht hatte aufzubrechen. 

„Wer ist diese Zofe und wo kann ich sie finden?“ 

Wieder blickten Legolas und Aragorn sich an, bevor der König sagte: „Ich denke du solltest dich zuerst ausruhen. Du bist bestimmt müde von dem langen Ritt und--“

„Und wir wollen doch nicht, dass der Pferdeherr die arme Zofe zu Tode erschreckt.“ Gimli lachte über seinen eigenen Witz, aber offensichtlich war es das gewesen was Aragorn und Legolas gedacht hatten. 

Éomer zog hörbar die Luft ein, aber als er sprach war seine Stimme glatt und tief und nichts mehr war zu erkennen auf seinem Gesicht von seiner vorangegangenen Wut. 

„Nun gut. Du hast wohl recht. Ich würde mich freuen, wenn ich trotz meines ungehobelten Eintretens deine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen darf, Aragorn.“ 

„Iss mit uns zu Abend, bevor du die Zofe aufsuchst. Du wirst wohl nichts von ihr erfahren, außer, dass sie ihrer Herrin früh gute Nacht gesagt hat und sie dann allein ließ, aber wenn es dich beruhigt, sollst du mit ihr sprechen.“ Aragorn führte Éomer durch einen Flur zum Speisesaal. 

„Setz dich, Éomer.“ Aragorn bot ihm einen Platz neben ihm an, bevor er sich selbst niederließ. „Ich denke, was dich mehr beruhigen wird ist, dass ich zwei Männer ausgeschickt habe, die ihren Spuren folgen.“ 

Dies ist die erste gute Nachricht heute, dachte Éomer und lächelte ein dünnes Lächeln, das von Aragorn erwidert wurde. 

Langsam füllte sich der Saal mit Leuten. Einige, die er kannte, wie Legolas und Gimli und andere, die ihm vollkommen unbekannt waren. 

„Wir haben auch Besuch von Fürst Imrahil“, sagte Aragorn und deutete zur rechten Seite des Tisches hin, wo Fürst Imrahil und seine wunderschöne Tochter Lothíriel saßen. Lothíriel lächelte, aber heute erinnerte ihn ihr blondes Haar und ihre blauen Augen nur an seine Schwester. 

Er vergaß die Etikette und wandte sich wieder an Aragorn. 

„Ich würde gern selbst nach ihr suchen“, sagte Éomer so leise, dass nur Aragorn es hören konnte und wahrscheinlich die anwesenden Elben und Zwerge.

Aragorn nickte. 

„Das verstehe ich.“ 

„Danke.“ 

Da Aragorn nichts erwiderte, gab sich Éomer fürs Erste zufrieden und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er am liebsten das ganze Schloss nach ihr abgesucht hätte, so unsinnig dieses Unterfangen auch schien. 

*

Éomer ging leise durch die nur leicht erhellten Gänge und blieb schließlich vor dem Gemach seiner Schwester stehen. Er streckte die Hand nach der kalten Türklinke aus und drückte sie hinunter. Die prächtig verzierte Tür öffnete sich langsam vor ihm und gab den Blick frei auf ein großes Zimmer. 

Es war dunkel und lag verlassen da und es erschien ihm so, als wäre er wieder ein kleiner Junge und sie würden Verstecken spielen. 

‚Du findest mich nie!‘, hörte er Éowyns Kinderstimme rufen. 

Er war nie jemand gewesen der gerne verlor, aber selbst, wenn er gewusst hatte, wo sie sich versteckte, hatte er doch immer so getan als sehe er sie nicht hinter den Vorhängen oder hörte nicht das leise Knarren im Schrank. 

Éomer spürte, wie sein Herz sank. 

Was war, wenn er sie diesmal nicht finden würde? Wenn er dieses Mal nicht nur so *tun* müsste als fände er sie nicht? 

Er trat in das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. 

Still. 

Das Mondlicht schien durch die offenen Fenster hinein und übergoss alles mit lichtem Silber. Der Boden glänzte wie tiefdunkles Wasser und einen Moment blieb er dort stehen und schloss die Augen, holte sich aus seiner Kindheit zurück und trat mit seinem nächsten Schritt wieder in die Gegenwart.

Éomer streifte einige Zeit nur so durch ihr Zimmer, hob einige Dinge auf, Krimskrams, den er lächelnd wieder an seinen Platz zurückstellte, ein Kleid, das ausgebreitet auf dem Bett gelegen hatte und er nun hilflos in seinen zu großen, zu ungeschickten Händen hielt. 

Wo bist du nur?

Willst du nicht zu mir zurückkehren?

Die Tür öffnete sich und Éomer war sofort auf den Beinen und bei ihr, aber als er ihr Gesicht sah, blieb er stehen und räusperte sich. 

„Tut mir leid, Herr“, sagte die Zofe und sah ihn abschätzend an. “Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.“ 

Sie wandte sich zum Gehen, aber Éomer fiel etwas ein.

„Bist du Arinér?“ 

Das Mädchen blieb wieder stehen und hob die Lampe, die es trug. Sie konnte nicht älter als sechzehn sein und war offensichtlich aus dem Süden. 

„Ja, Herr, die bin ich. Eine der Zofen von Frau Éowyn.“ 

„Du warst die Letzte, die sie gesehen hat bevor sie fort ist, habe ich gehört.“

„Ja, Herr.“ 

Arinérs Gesichtsausdruck blieb unbewegt, doch Éomer hatte das Gefühl, dass sie wartete. Nicht darauf entlassen zu werden, sondern nur auf die richtige Frage. 

„Herr Faramir hat mir gesagt, dass er einen Spaziergang mit Frau Éowyn gemacht hat, er sie aber kurz vor Sonnenuntergang zurück zu ihren Räumen begleitete.“ 

„Ja, Herr.“ 

„Sie wollte eigentlich zu den anderen Frauen in den Westflügel. Doch schließlich schickte sie dich, um den Damen zu sagen, dass sie unpässlich sei.“ 

„Ja, Herr.“ 

„Und dann? Was war dann, Zofe Arinér?“ 

„Ich kam zurück und wünschte ihr gute Nacht.“ 

Éomer nickte und wandte sich dem Kleid zu, das wieder ausgebreitet auf dem Bett lag. Er fühlte sich auf einmal müde und wollte nichts sehnlicher als sich genau hier niederzulassen und die nächsten zwei Tage durchzuschlafen. 

„Braucht ihr mich noch, Herr?“ 

Éomer schüttelte den Kopf, sah nicht einmal mehr auf. 

Doch dann: „Was wolltest du hier?“, fragte Éomer schließlich und fixierte die dunkel umrissene Mädchengestalt. 

„Ich ...“ 

Die Augen des Mädchens huschten zu dem Kleid, das immer noch ausgebreitet dort lag und Éomer zog die Brauen zusammen und ging, seiner Intuition folgend, hinüber zu dem großen Schrank, den er öffnete, noch bevor die Zofe etwas sagen konnte. 

Zuerst fand er nichts, aber der Blick der Zofe sagte ihm, dass hier etwas vor sich ging, das ihm nicht gefallen würde. 

„Ein Mantel, eine Hose und ein Hemd ist alles, was sie mitgenommen hat ... Und ein Rock, soweit ich das sehe ... Ein paar schwere Stiefel ...“ 

Er beugte sich hinunter und sah ihre Schuhe durch, unter denen er Éowyns weiche, weiße Schuhe aus Leder fand, so wie sie alle Frauen in Edoras trugen. Sie waren mit Lehm beschmiert, als wäre sie draußen im Dreck spazieren gewesen. Aber die Gärten hier waren durchzogen von Gartenwegen. Dies war andere Erde. Er zerrieb sie zwischen den Fingern und roch daran. 

Ihr Aufbruch ist nicht geplant gewesen, dachte Éomer und starrte Arinér mit seinem suchenden Blick an, doch es war nicht sie die er sah, sondern Éowyn wie sie eilig alles zusammensuchte das sie brauchen würde. Nein, sehr hektisch ist er gewesen, wenn sie nur so wenig hat mitnehmen können. Hosen. Das heißt sie wird sehr schnell reiten, wird aber nicht als Mann herumlaufen, da sie den Rock mitgenommen hat. Was ist das für eine Scharade? Und dieser Dreck an ihren Schuhen ... Als ob ... Als ob sie noch einmal hinaus ist ... Aber nicht hier im Palast. Irgendwo ... Anders. Ebenerdig. Und dieses Mädchen scheint es zu wissen ... Sie wollte das Kleid verschwinden lassen ... 

„Bring mich dort hin, wo du Frau Éowyn hingebracht hast.“ 

Und sie tat, was er sagte, denn in seiner Stimme klang die unerbittliche Wut der Liebe mit.

*

„Folgt mir, Herr“, sagte die junge Zofe immer wieder und sie war so leise wie ein Hobbit und führte ihn zum Dienstbotentrakt, wo sie ihm gebot zu warten.

„Bleibt hier im Schatten, ich komme gleich wieder.“ 

Ihre Lampe wurde immer kleiner als sie bis an das Ende des offenen Ganges huschte und dort eine Tür öffnete und verschwand. 

Er wartete geduldig auf die Zofe, doch niemand sah ihn während dieser Zeit. Er lauschte auf die Wachen, die sich ihre Zeit mit Spielen vertrieben, hörte aber auch noch das ferne Treiben der Stadt, die immer noch auf den Beinen schien. Irgendwo sang eine Nachtigall. 

So bemerkte er Arinér erst, als sie wieder vor ihm stand, diesmal ohne Lampe, aber mit einem kleinen Jungen bei sich, auf den sie, in einer südländischen Sprache einredete. 

Da er nicht bewandert in den Sprachen war wie Aragorn oder Gandalf, wartete er bis die beiden fertig waren und das Mädchen sich an ihn wendete. 

„Dies ist mein Bruder, Faardan. Er wird euch dorthin führen, wo er auch eure Schwester hingeführt hat, Herr. Ich darf meinen Platz nicht verlassen, falls eine der Damen mich ruft.“ 

Éomer nickte und wandte sich an den kleinen Jungen, der etwa zehn Jahre alt war und so schwarzes Haar hatte wie seine Schwester. Seine Brauen waren gerade und sein Blick intelligent und wach. 

„Folgt mir“, sagte der Junge schließlich und ging voraus. 

Er führte Éomer durch die hinteren Gassen Gondors, die verwinkelt waren und nicht halb so breit und schön wie die Hauptstraßen. Voll mit Käfigen waren sie, in denen Hühner schliefen und kleinen Trögen, in denen Blumen wuchsen. Er wäre sicher verloren gegangen, in diesem Gewirr, aber der Junge war hier aufgewachsen und er ging schnell, bis sie Schicht für Schicht passiert hatten und es dauerte beinahe eine Viertelstunde, bis sie in einer dunklen Straße angekommen waren, die etwas tiefer als der Erdboden lag und die Wohnungen in die Erde eingelassen waren. Er erkannte sofort, dass es sich um die südländischen Siedlungen handeln musste. 

„Kommt, Herr. Keiner soll Euch hier sehen, hat Großmutter gesagt.“

Der Junge verschwand in einem der Häuser. 

Éomer schob den Vorhang langsam zur Seite und trat ebenfalls ein. 

In dem Raum war es düster und es roch nach fremden Gewürzen. Der Junge ging auf eine alte Frau zu, die auf einem Stuhl in der Ecke saß und umarmte sie kurz, bevor sie ihn ins Bett schickte. Eine junge Frau mit vernarbtem Gesicht saß neben ihr. 

Als der Junge verschwunden war trat Éomer einige Schritte näher zu der alten Frau. 

„Wer bist du?“ 

„Ich bin Rayhel.“ Sie sah in seine Richtung und er bemerkte jetzt, wo sich seine Augen an die Düsternis gewohnt hatten, dass ihre Augen trüb waren. „Setzt Euch, Éomer, Éomunds Sohn.“

Sie machte eine vage Handbewegung in Richtung des zweiten Stuhles und Éomer setzte sich ihr gegenüber bevor er begann, nach den richtigen Worten zu suchen. Als er sie gefunden hatte, ließ er seinen Blick zu der jungen Frau gleiten, die neben der Alten saß. 

„Sie ist nur meine Gehilfin. Habt keine Angst vor ihr zu sprechen. Sie kann es nicht weitersagen. Die Pocken haben ihr Gehör und Sprache genommen.“ 

Éomer nickte und fühlte eine kurze Welle des Mitleides in sich, aber es schien nur ein Echo zu sein und verschwand, als er begann zu reden.

„Was hat meine Schwester hier getan?“ 

Die Alte machte ein paar Handzeichen für ‚die Gehilfin‘ wie sie die junge Frau genannt hatte und sie stand auf und verschwand durch die Tür, durch die auch schon Faardan gegangen war. 

„Ihr habt im Schloss meine Enkelin Arinér gesehen?“ Éomer nickte an dieser Stelle, obwohl er nicht verstand, was dies mit der Situation zu tun hatte. „Sie hat lange Zeit als Dienstmädchen gearbeitet und vorher in der Küche. Sie ist nicht so intelligent wie Faardan, aber loyal. Frau Éowyn hat sie vor einiger Zeit zu ihrer Zofe gemacht. Deshalb wollte Arinér ihr vor der Hochzeit etwas ganz Besonderes schenken - einen Blick in ihre Zukunft.“ 

„Deshalb ist sie hergekommen?“ 

„Es scheint Euch zu erstaunen, dass Eure Schwester dies getan hat.“ 

Die Züge der Alten hellten sich auf, als wäre sie belustigt über irgendetwas. Éomer antwortete nicht darauf und sah die Alte weiterhin an. Schließlich fielen die Mundwinkel der Alten. 

„Es war nur ein Geschenk eines dummen Mädchens, das noch nicht versteht, dass nicht jeder so viel Glück hat wie sie selbst.“ 

Éomer lehnte sich vor, mit den Armen auf den Tisch.

„Wie meinst du das?“ 

Ein langes Schweigen trat ein und Éomer wiederholte seine Frage noch einmal.

„Es war vor zwölf Tagen als sie hierherkam. Es war Vollmond und die einzige Gelegenheit für sie, das Geschenk wahrzunehmen. Ein liebes Mädchen ist sie. Ehrlich und offen. Es pfiff ein kräftiger Südwind und ich war unruhig. Bereits nachdem sie eintrat, wusste ich, dass dies keine gute Idee gewesen war.“ 

Éomer starrte die Alte an, fand keine Worte mehr. 

Was? Wollte er wissen. Was ist passiert?

„Sie kam herein und begrüßte mich und sagte mir ihren Namen und ich erwiderte, dass ich wüsste, wer sie ist, nicht nur weil meine Enkelin es mir gesagt hatte, sondern auch weil ich die Gabe der Voraussicht habe. Und ich hatte schon einmal, kurz vor dem grässlichen Krieg von einer jungen Frau geträumt, mit Haar so strahlend wie Gold und einem Lachen so klar, als würde man Gebirgswasser hören und kleinen weißen Zähnen, so glatt wie Kieselsteine ... Dies war kein guter Traum, Herr. Aber damals wusste ich nicht, was der Traum bedeutete und selbst jetzt hoffe ich immer noch, dass nichts von dem wahr ist, was ich gesehen habe.“ 

Sie zitterte kurz, obwohl es warm in dem Zimmer war, und sie schlang ihre dünnen Arme und ein Tuch fest um sich.

„Erzählt mir was passiert ist.“ Éomer war wieder müde, konnte spüren wie etwas in ihm nachließ und er versuchte es festzuhalten. Er spürte, dass nichts Gutes aus dem Mund der Alten kommen würde. Er wünschte sich bereits wieder an die frische Luft. „Erzählt mir, warum meine Schwester fort ist, drei Wochen vor ihrer Hochzeit. Ohne jemand davon zu erzählen.“ 

Die Alte beugte sich nun auch vor und sie sah dabei noch viel älter aus als vorher. 

„Ihre Reise ist noch nicht vorbei.“ 

*

Die Tür ging auf und die Gehilfin betrat erneut das Zimmer, diesmal mit Tee. Sie stellte die Tassen und die Kanne vor sie beide auf den Tisch und schenkte ihnen ein.

„Trinkt den Tee. Der ist gut“, sagte die Alte und griff nach dem ihren, aber Éomer konnte ihn nicht anrühren. 

Doch als die Alte keine Anstalten machte fortzufahren, griff auch er nach dem Tee und trank. Er spürte, dass Kraft und Wärme in seine Knochen stiegen und er fühlte sich wach, entspannt. 

„Süßnesseltee“, sagte sie schließlich und stellte die Tasse ab. „Lasst einen Rest in der Tasse.“ 

Éomer stellte die Tasse wieder ab und lehnte sich in dem Stuhl zurück der unter seinem Gewicht ächzend stöhnte. 

Die Alte schien sich zu sammeln. 

„Nachdem ich ihr Tee gekocht hatte und sie so auf unsere Sitzung vorbereitet hatte, fragte ich sie auf welche Art ich in ihre Zukunft sehen sollte. Ich fragte sie, ob sie eine bestimmte Frage hätte, und sie schüttelte den Kopf. Ich sagte ihr, dass es dann am besten wäre die Karten zu befragen oder aber ihre Handfläche. Einen Augenblick lang sah sie unschlüssig auf ihre Hand, bevor sie diese vor mir auf den Tisch legte.“ 

Die Stimme der Alten war nun fest und unbeugsam, nicht mehr alt und splitterig, nicht mehr schwach und zitternd. Sie schien in sich zu wachsen und größer zu werden, sicherer und vielleicht war es dieser Umstand der Éomer an seinen Sitz gefesselt hielt. 

„Einst waren wir ein großes und stolzes Volk, das durch die Welt zog und geachtet wurde. Heute hält man uns für die Freunde der Haradrim, als wären alle aus dem Süden ein Volk und geeint und das nur, weil wir keinen festen Boden haben und ihn nie hatten. Aber wenn wir eines konnten, so war es Träume aus der Erde ziehen und dem Wind zuhören, wie er leise von dem flüsterte, was war und ist und sein kann. Viele sagen sie wären der Kunst des Handlesens mächtig, aber es gibt nur Wenige, die es tatsächlich *können* und man sagt ich sei die Beste unter ihnen. Ich irre mich kaum, aber nicht immer ist dies Glück. Manchmal hoffe ich auf einen Fehler.“ 

Sie lächelte traurig. 

„In der Hand Frau Éowyns sah ich zwei Pfade sehr klar. Es gibt viele Pfade auf unseren Händen und wir geben ihnen keine seltsamen Namen, wie es die Númenórer tun und wir benennen sie auch nicht nach den Sternen. Für uns gibt es keine Schicksalslinien und Herzlinien. Denn jede dieser Linien ist ein Weg und manchmal führt ein Weg zu einer Gabelung. Wir können uns für den einen Weg entscheiden oder den anderen. Aber manchmal sehen wir diese Entscheidung kaum. Meistens sehen beide Straßen so gleich aus, dass wir nicht bemerken, dass wir bereits auf dem Weg nach Haus sind. Dass wir bereits gewählt haben, ohne es bemerkt zu haben. Solche Hände hat Frau Éowyn nicht. Ihre Hände sind klein und zart, ganz anders als Eure. Ihr seid Éomer, Sohn des Éomund und da seid Ihr Euch sicher. Aber wer ist Éowyn?“ 

Éomer sah die Alte mit zusammengezogenen Brauen an. Sein Unverständnis war ihm auf die Stirn geschrieben. 

„Sie ist meine Schwester.“ 

Und ihr Blick war so hart und unbändig, dass er beinahe glaubte sie fragen gehört zu haben: Wirklich?

*

Sie sah ihn so durchdringend an, dass er sich entblößt fühlte, so gut wie nackt. Es war ein unangenehmes Gefühl und er versuchte es zu ignorieren. Konzentrierte sich auf ihre trüben silbernen Augen und ihre verdorrten Lippen. 

„Was hat sie erfahren?“, fragte er in die aufkommende schwere Stille hinein. 

„Wisst Ihr es denn noch nicht?“ Und sie klang erneut belustigt, kicherte, nahm eine Dattel von einem kleinen Teller auf dem Tisch und schob sie sich in den Mund. 

„Sie ließ mich in Ruhe meine Arbeit tun, ganz so wie ich es mag. Und ich muss wohl in eine Art Trance gefallen sein, während ich in ihre Hand sah, denn ich sah Bilder von ihr. Bilder, die nur ihr gehören konnten. Bilder, von der Goldenen Halle Meduseld. Von dem Tag als sie das erste Mal ein Messer in der Hand hielt. Bilder von ... von Euch. Aber auch von der Zeit *davor*.“ Sie schwieg, kaute Gedanken verloren auf ihrer Dattel herum. „Als ich erwachte, sagte ich ihr ihre Zukunft. Ich sagte ihr ‚Kind, du hast zwei Wege vor dir, die du gehen kannst. Einen, den du nie gehen wolltest, voller Liebe und Einerlei und‘ hier hielt ich inne und sie fragte gespannt nach ‚Und?‘ - ‚Und einen anderen, der dich durch die Vergangenheit führt, in eine ungewisse Zukunft. Wähle weise, denn du wirst nur einmal wählen können und von hier gibt es kein Zurück mehr.‘ Sie sah mich aus ihren blauen Augen an und ihr Blick war fest, trotzig. ‚Erzählt mir, was ihr gesehen habt.‘ forderte sie und ich tat es, ich sagte zu ihr ‚Eure Mutter lebt noch.‘“

Stille. 

„Unsere Mutter lebt noch?“, wiederholte Éomer leise. 

„Nein“, sagte die Alte müde, „nicht Eure Mutter, Éomer, sondern die von Éowyn.“

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