Arda Fanfiction

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Lied des Windes

von julianna2luv

Der Garten in Gondor

Der Morgen dämmerte und tauchte Gondor unter Éomers rastlosen Schritten in ein helles Blau. Er würde sich nie daran gewöhnen so weit über der Stadt zu sein, so weit abgeschnitten von allem Land, unter ihm nichts als harter, grauer Stein. So nah dem Himmel.

Die Müdigkeit zehrte an ihm, aber die Vorstellung tatsächlich zu schlafen erschien lächerlich. Die ganze Nacht hatte er wie ein Wolf den Mond angeheult, war auf und abgeschritten und hatte keine Rast gefunden. Er fühlte sich fremd und eigenartig, anders als der Mann, der zu der Alten in die Stube getreten und ihre Wahrsagung gehört hatte.

Er wollte jedes ihrer Worte einsammeln und ihr zum Fraß geben, wollte darauf achten, dass jeder einzelne Buchstabe in ihrem Mund verschwand und zwischen ihren morschen Zähnen zermalmt wurde, bis sie es endlich herunterschluckte.

Verschwindet, wollte er rufen. Verschwindet und lasst uns in Ruhe.

Aber er war kein Herr der Worte, war er nie gewesen und er konnte nichts ungeschehen machen. Nein, nicht einmal Gandalf, der viel mächtiger als er war, konnte dies.

Er erinnerte sich mit schwerem Herzen an die Minuten nach den Worten der Frau. Kalt waren sie gewesen und er hatte das erste Mal das Gefühl gehabt, dass er unerwünscht war, obwohl sie ihre Hand ausstreckte und sie auf die seine gelegt hatte.

Lasst mich Eure Zukunft lesen.“

Die Sonne wagte sich nun die Hügel des Schattengebirges hoch und tauchte sie in tiefes Schwarz und Rot. Éomer schaute ihr entgegen und hob seine Hand, die immer noch Éowyns Kleid hielt. Er dachte daran, dass dies vielleicht alles war, was er für eine lange Zeit von ihr sehen würde.

Das Weiß des Kleides schimmerte in allen Farben der Sonne unter deren warmen Händen. Beinahe erschien es wie ein gutes Omen, für einen guten Tag.

So stand er immer noch auf der Terrasse und sah der Stadt dabei zu wie sie sich regte. Wie in einen schlafenden Riesen, fuhr langsam wieder Leben in sie. Stände wurden angekarrt, geöffnet, die Hühner, die er letzte Nacht noch hatte schlafen sehen, als er mit Faardan durch die Straßen gegangen war, zeterten nun laut, schrien, machten andere Leute wach, die aus ihren Häusern kamen, mit leeren Bastkörben unter den Armen, nach Äpfeln und Gemüse Ausschau haltend.

Der Wind kam von Osten und flüsterte leise.

Er fühlte wie es an ihm zehrte: Das Gefühl aufbrechen zu müssen und Éowyn zu suchen.

Lasst mich Eure Zukunft lesen. Vielleicht gibt es Euch Aufschluss darüber wo *Ihr* hingehen müsst.“

Aber er hatte ein Volk, das er führen musste, ein Volk, das einen König brauchte, nachdem Théoden Ednew gefallen war und er hatte einen Eid an Aragorn zu erfüllen, der schon vor Jahrhunderten gegeben worden war.

„Éowyn ...“, sagte er in den Ostwind hinein. „Reite so schnell du willst, aber noch vor Loëndë werde ich dir folgen.“

*

Es vergingen noch weitere drei Tage bis die Reiter, die Aragorn ausgesandt hatte, wiederkehrten und Nachricht brachten. Doch die Zeit bis dahin war gefüllt mit Diskussionen über verstreute Orkbanden, die plündernd durch das Land zogen und vereinzelte Stellungen, die sie nicht aufgeben wollten und wie sie gedachten diese zu besiegen.

Die Neuigkeiten der Reiter waren für Éomer nicht überraschend. Bis über die Ebenen von Anórien hätten sie ihre Spuren verfolgt, doch danach hätten sie Éowyn am Meeringbach verloren.

Während Faramir und Aragorn sich noch fragten wo sie hin reiten würde, wusste Éomer es bereits.

*

„Du schienst nicht überrascht über das, was die Reiter an Nachrichten brachten.“

Aragorns Stimme wurde von den Pflanzen um sie herum aufgenommen wie Wasser. Es war schattig in den Gärten von Minas Tirith. Die Blumen und Zierbäume reihten sich neben den kleinen angelegten Wegen und verliehen dem Schloss die Illusion von ein wenig Freiheit. Doch es erschien Éomer genauso lebendig wie ein Bild, denn es wehte kein Wind.

„Ich war auch nicht erstaunt.“

Aragorns Augen maßen Éomers Gesicht, ordentlich, als suche er den Boden nach Spuren ab und vielleicht war dies hier auch nicht viel mehr als eine Suche nach der Richtung, in die man sich wenden musste.

„Wirst du deiner Schwester folgen?“ Éomer spürte wie das Wort Schwester, wie ein unabsichtlich fallen gelassener Stein in sein Innerstes fiel und kleine, aber schließlich immer größere Kreise zog. Aragorns Augen suchten immer noch.

Éomer berührte die blühte eines Kirschbaumes.

„Nein.“ Sie schwiegen und Éomer wusste, dass Aragorn nicht fragen würde wieso. „Ich werde mit dir in den Krieg ziehen. So wie es Eorls Eid verlangt. Aber nicht nur deshalb gehe ich mit dir, sondern auch, weil du mir so nah wie ein Bruder stehst.“

„So nah wie ein Bruder. Ja. Aber ich wünschte, ich könnte etwas für dich und deine Schwester tun.“

„Das wünschte ich auch. Aber es gibt nichts, das du tun kannst. Auch Könige sind nicht allmächtig.“

„Leider.“

Sie lachten zusammen und gingen ein paar Schritte durch den Garten. Diesmal war das Schweigen weniger schwer und sie genossen das sorgenfreie Beisammensein ohne Berater und den Schatten in ihren Herzen, der sich ihrer immer wieder bemächtigte, wenn sie an erneuten Kampf dachten.

„Ich habe dich oft hier herkommen sehen. Gefällt dir der Garten?“ Aragorns Stimme schwang voll Neugierde.

„Nein. Ich meine ... Es ist ein hübscher Garten.“ Aragorn sah ihn interessiert an, die Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln verzogen. „Aber nicht das, was ich unter Schönheit verstehe. Ich komme hier her, wenn ich etwas Erde unter meinen Füßen spüren möchte.“

Aragorn nickte und Éomer glaubte, dass niemand ihn besser verstehen konnte außer er, denn er war ein Waldläufer, jemand der jahrelang nirgendwo anders als unter freiem Himmel gelebt hatte.

„Vermisst du es nicht draußen zu sein? Vermisst du nicht die Freiheit zu tun und zu lassen wie es dir beliebt?“

Schwarzes Haar fiel in Aragorns markantes Gesicht und er strich es hinfort und rieb sich über das Kinn.

„Es war nie meine Bestimmung ein Waldläufer zu bleiben. Es war meine Bestimmung König zu sein. Ich bin im Gegensatz zu dir in die Wildnis gesetzt worden um meinen Weg zu finden. Dein Weg hingegen ist die Wildnis.“

Éomer konnte dem nicht widersprechen, doch es gab seinem Bild von Aragorn eine neue Note. Also waren die Jahre des Sehnens für Aragorn endlich vorbei? Er war heimgekehrt? Und er hatte vor ein paar Minuten gedacht, dass Aragorn ihm ähnlich war.

„Also engen dich diese Steinmauern nicht ein?“ Éomer blieb stehen und sah nach oben in den Himmel, der von allen vier Seiten von den steinernen Geländern eingerahmt wurde. „So traust du dich hoch zu sehen und dich zu fragen ob nun der Himmel eingefangen ist zwischen deinen Wänden oder ob du es bist, der eingesperrt ist?“

Er sah Aragorn unverwandt an, dessen Blick zuerst auf den Himmel und dann auf Éomer gerichtet war.

„Das was du sagst erinnert mich an die ersten Worte, die ich mit deiner Schwester wechselte. Auch sie redete damals über einen Käfig.“

Éomer lächelte.

„Wir, die in den weit überschaubaren Ebenen aufgewachsen sind, halten unsere Freiheit am höchsten. Und doch frage ich mich, wie meine Schwester es hier aushält. Ich bin noch keine vier Tage hier und ich bin unruhig.“

„Vielleicht ist dies der Grund, warum deine Schwester fort ist.“ Aragorn lachte kurz. „Vielleicht hielt sie es einfach nicht länger aus.“

Éomer wünschte es wäre so.

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Es gefiel ihr hier. Sie mag die Höhen. Als sie klein war kletterte sie oft auf den Ausguck und vertraute dem Wind ihre Geheimnisse an.“

Sie setzten sich auf eine hölzerne Bank zwischen zwei Sträuchern und Éomer hatte das Bild vor Augen, wie Faramir und Éowyn hier entlang gegangen waren. Wie sie auf der selben Bank gesessen hatten. Einen Moment glaubte er ihr Lachen hören zu können.

Aragorn wandte sich ihm zu.

„Glaubst du noch daran, dass es eine Hochzeit zwischen dem Hause des Stadthalters und Rohan geben wird?“

Éomer antwortete nicht, aber sein Gesicht schien dem König von Gondor Antwort genug zu sein. Aragorn nickte und ließ ihn allein mit seinen Gedanken.

*

„Ich habe von Aragorn erfahren, dass du Éowyn nicht folgen wirst.“

Faramirs sonst so ausdrucksloses Gesicht war in Wut und Erregung verzogen. Der Sohn des Statthalters schlug die Tür zu Éomers Gemach zu und kam auf ihn zu, bis er vor seinem Bett stand, wo Éomer seine Sachen packte.

„Das stimmt“, sagte Éomer ruhig.

„Warum?“

„Weil es nicht nötig ist.“

„Nicht *nötig*? Ich dachte, dass wenigstens einer von uns nach ihr suchen sollte.“

Éomer schüttelte den Kopf. „Wenn du willst, dass einer von uns ihr folgt, dann folge du ihr. Ich habe einen Eid geleistet dem König beizustehen. Éowyn würde mich mit meinem eigenen Schwert erschlagen, würde ich ihr erzählen, dass ich Aragorn im Kampf im Stich gelassen habe.“

„Bist du der gleiche Mann, der hier hergekommen ist, um *mich* zu erschlagen, weil er geglaubt hat, ich hätte seiner Schwester etwas angetan?“

Éomer sah von seinen wenigen Habseligkeiten auf und fragte sich dasselbe. „Ja“, sagte er schließlich und etwas leiser: „Und auch nein.“

„Was ist“, und Faramirs Stimme zitterten bei diesen Worten, „wenn sie es nicht schafft? Wenn Orks sie überfallen? Oder abtrünniges Bergvolk?“

Éomer traf nicht Faramirs Blick als er antwortete: „Selbst, wenn Éowyn es nicht schafft, so wird Dernhelm doch nicht versagen.“

Faramir sah ihn verwirrt an, und sein Blick glitt unfokussiert durch den Raum bis er schließlich auf Éomers Sachen landete. Seine Augen leuchteten, als hätte er einen Schatz gesehen und als Éomer dem Blick folgte, sah er den anderen Mann aufmerksam an. Einen Moment war es sehr still im Raum, bis Faramir den Arm ausstreckte und nach dem etwas auf dem Bett griff.

Zu hart ergriff Éomer nach Faramirs Hand und hielt ihn am Handgelenk fest, es war das weiße Kleid, das Faramir entdeckt hatte, und die Augen der beiden Männer blieben aneinanderhängen, als sähen sie sich zum ersten Mal.

Nach einem Moment ließ Éomer Faramir los und dieser verließ Éomers Räume.

*

Es war ein kalter, aber klarer Morgen für den Mai. Pferde traten unruhig von einem auf das andere Bein und ihr Atem stieg in Stößen in den Himmel auf. Soldaten gingen hektisch an Éomer vorbei, der sein Pferd durch die Menge führte und neben Aragorn zum Stehen kam.

„Guten Morgen“, begrüßte Éomer ihn und er nickte und erwiderte den Gruß.

„Es wird ein langer Ritt werden“, sagte er während er sein Pferd sattelte, dann lächelte er. „Ich wünschte nur ich könnte auf Brego gegen den Feind reiten.“

„Wenn du willst werde ich dir ein anderes Pferd für Brego in Edoras geben. Sieh es als ... Hochzeitsgeschenk an.“

Aragorns Lächeln wurde breiter.

„Ein Pferd als Hochzeitsgeschenk.“ Er schien kurz darüber nachzudenken, bevor er sagte: „Arwen wird sich darüber sehr freuen.“

„Oh, tatsächlich?“, fragte Éomer gutgelaunt. „Ich habe bestimmt auch für sie ein Pferd.“

„Pferde“, brummte Gimli, der bereits aufsaß und nun zu ihnen geritten kam. „Immer unterhalten sie sich über Pferde.“

Legolas winkte ab und nahm Arods Zügel.

„Hört ihm nicht zu, er ist nur neidisch, dass er kein eigenes Pferd hat.“

Éomer lachte laut auf und stieg nun ebenfalls auf. Gimli brummte weiter vor sich hin, sagte aber nichts mehr.

„Bis Edoras ist es ein Ritt von sieben Tagen, wenn wir schnell reiten und kurze Pausen machen“, meinte Legolas und setzte sich vor Gimli in den Sattel.

Éomer schüttelte den Kopf. „Ich habe den Weg in fünf Tagen zurückgelegt.“

„Aber dich trieb auch die Wut an“, meinte Gimli.

Und noch bevor er weitersprechen konnte, war Faramir neben Éomer, der ihn düster ansah: „Ich frage mich immer noch, warum du mit Aragorn reitest wo deine Schwester verschwunden ist.“

„Meine Schwester“, sagte Éomer und sah dabei den Männern zu, wie sie die Tore öffneten und der Blick auf den Himmel frei wurde, „kann auf sich selbst aufpassen. Falls du dich noch daran erinnerst: Sie war es, die den Hexenkönig getötet hat. Sie ist stark und ich zweifele nicht daran, dass sie wohl auf ist.“ Dann sah er Faramir fest in die Augen. „Es war ihre Entscheidung Minas Tirith zu verlassen und ich zweifele nicht daran, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist.“

Éomer hielt Faramirs verletzten Blick und Gimli, der zwischen ihnen ritt, machte sein ahnungsloses Gesicht und versuchte Legolas dazu anzutreiben, dass das Pferd endlich laufen sollte. Faramir war der Erste, der fortsah. Auch Éomer wandte sich ab und hatte Faramir bereits wieder vergessen. Was viel wichtiger als dies war, war dass er die Erwartung in seiner Brust wie die Aufregung seines Pferdes spürte.

Dann ritten sie los. Ein Heer von Reitern in Richtung Norden, in der fahlen Sonne glitzerten die Rüstungen Gondors weiß und ihre Banner wehten hoch in den hellgrauen Himmel. Frauen und Kinder hatten sich versammelt um ihren Männern und Brüdern nachzusehen und zu winken, bis auch die letzte Fahne am Horizont verschwunden war, immer in der Hoffnung, dass sie zurückkehren würden.

Éomer hingegen ritt mit Aragorn voran und sah nicht zurück zu Faramir. Er wusste, dass sie sicher war. Wenigstens für eine Weile. Und er würde ihr folgen. Bald.

Er dachte noch einmal an das Kleid seiner Schwester, das er in eines seiner Hemden eingewickelt und ordentlich in der Satteltasche verstaut hatte.

Der Himmel war klar und die Ebene erstreckte sich verheißungsvoll vor ihnen.

Bald.

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