Arda Fanfiction

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Der jüngere Sohn

von Ramona

Kapitel 1

Ich war gerade auf dem Weg zur Waffenkammer, weil ich den Bestand an Pfeilen für die Bogenschützen unseres Heeres prüfen sollte. Hier in Minas Tirith wurde das sehr genau genommen.


Vor allem in letzter Zeit, wo die Orks immer mehr und immer dreister wurden und das Gerücht umging, dass sich eine dunkle Macht in Mordor erhebt. Doch darüber wussten wir Soldaten nicht sehr viel. Das waren die Angelegenheiten unserer Herren.

Denethor würde uns in den Sieg oder in das Verderben schicken, doch stets erhobenen Hauptes.

Gondor war die letzte Hoffnung gegen die Übermacht des Bösen. Was auch immer sich genau hinter der schwarzen Maske erheben würde. Die Nazgûl waren wieder da. Das war ein schlechtes Zeichen.

Ich selbst habe schon einmal einen von ihnen gesehen. Sie sind schwarze Gestalten auf mächtigen Reittieren, die sie durch die Luft tragen. Ich habe ihren Schrei gehört. Noch nie drang etwas schrecklicheres an mein Ohr. Es jagte einen eiskalten Schauer durch meinen Körper, brachte mein Herz einen Moment zum Stillstehen, ließ mir alle Sinne versagen und nahm mir jegliche Hoffnung auf den Sieg.

Doch ich war entkommen.

Ich war noch nicht oft hinaus geritten in die Schlacht, doch das war nur eine Frage der Zeit.

Faramir, unser Heerführer und jüngerer Sohn Denethors, war vor einigen Wochen mit einem großen Teil seiner Schar aufgebrochen um Osgiliath zu schützen. Diese Statt durfte der Feind nicht in die Hände bekommen, weil es ein wichtiger Schlüssel zu unserer Verteidigung war.

Doch unter den Soldaten wurde erzählt, dass die Verteidigung nicht standgehalten hätte. Faramir hatte den Rückzug antreten müssen. Doch der Rückzug war zur wilden Flucht geworden, denn die Nazgûl hatten wieder angegriffen. Zum Glück war Mithrandir ihnen zur Hilfe gekommen und hatte diese Biester vertrieben.

Gestern Abend sollten die restlichen Soldaten angekommen sein. So sagten es jedenfalls die Gerüchte. Doch was danach geschehen war und was als nächstes geplant war, wusste niemand genau.

Es hieß nur, dass Herr Faramir unverletzt sei und das beruhigte mich. Ich mochte ihn sehr. Schon öfters hatte ich mich mit ihm unterhalten. Er war sehr freundlich und weise. Nach den Plänen der Herren hatte ich ihn jedoch nicht gefragt. Das würden wir schon zur richtigen Zeit erfahren. Es gibt Dinge, in die sich jemand von meinem Rang lieber nicht einmischen sollte.

Doch er hatte sich verändert, seit Boromir fort war. Dieser hatte allein die Stadt verlassen, doch niemand wusste, warum er das getan hatte. Er war wohl von seinem Vater auf eine wichtige Mission geschickt worden. Faramir jedenfalls schien ihn sehr zu vermissen.

Ich hatte den paar Männern, die meinem Befehl unterstanden, aufgetragen, die Wache zu verstärken. Ich selbst sollte den Waffenbestand prüfen. Der Gang war schon sehr dunkel. Von draußen drang nicht mehr viel Licht hinein, da es schon spät war. Doch die Tür zu einem kleinen Garten stand offen. Es war nur eine kleine Rasenfläche inmitten der Mauern von Minas Tirith und ein großer Baum stand dort. Doch für gewöhnlich war die Tür geschlossen.

Ich sah hindurch. Mein Blick schweifte über das kleine Gartengelände und blieb an einer Gestalt hängen, die neben dem Baum stand. Der Wind strich ihr durch das Haar und sie bewegte sich nicht.

"Mein Herr Faramir!", entfuhr es mir und er wandte sich um. "Hallo, mein Freund.", sagte er und ich trat ein paar Schritte auf ihn zu. Er sah mich an und lächelte, doch es war nicht sein normales, freundliches Lächeln. In den weisen und sonst so unerschrockenen Augen war ein Ausdruck, den ich nicht zu deuten vermochte.

"Mein Herr, was ist los mit Euch?" Er hörte sofort die Sorge aus meiner Stimme heraus. "Ich weiß nicht, ob ich Euch unbedingt mit meinen Problemen belasten sollte."

Mein Verdacht, dass etwas nicht stimmte, verhärtete sich immer mehr. "Wenn ich Euch irgendwie helfen kann, dann möchte ich das tun. Bitte sprecht mit mir darüber, wenn es Euch möglich ist. Vielleicht wird Euch das helfen."

"Ja, so kenne ich dich. Und vielleicht hast du Recht." Er seufze. "Es gibt Probleme mit meinem Vater. Er scheint nicht mehr die richtigen Entscheidungen für unser Volk treffen zu können, doch mir bleibt keine Wahl, als ihm zu gehorchen." Gedankenverloren sah er zu Boden. "Aber...er ist der Truchsess von Gondor und er muss über unser Volk herrschen. Was ist denn geschehen?"

Er sah mich wieder an, scheinbar immer noch unschlüssig, ob er mir erzählen sollte, was ihn bedrückte. Dann schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Jedenfalls begann er leise zu erzählen: "Ich bin gestern Abend mit dem Rest meiner Schar nach Minas Tirith zurückgekehrt. Wir konnten Osgiliath nicht halten, der Feind war zu übermächtig. Dank Mithrandir sind wir ohne allzu große Verluste bei der Flucht relativ unbeschadet hier angekommen. Dann habe ich meinem Vater Bericht erstattet. Kurz vorher hatte er Bericht von dem Tod meines Bruders erhalten. "

Ich sog scharf die Luft ein, als ich von Boromirs Tod erfuhr. Er wollte seine Stimme ruhig klingen lassen, doch Trauer und Schmerz lagen immer noch darin. Ich wollte ihn nicht unterbrechen, da er mit seiner Erzählung noch nicht fertig zu sein schien. Einen Moment schwieg er, doch ich sagte nichts, sondern wartete nur darauf, dass er fortfuhr.

"Er...er hat gesagt, dass mein Bruder die äußeren Verteidigungswälle nicht so leicht preisgegeben hätte. Er war voller Bitterkeit. Auch mich schmerzte diese Nachricht natürlich. Doch ich wusste, was Vater damit eigentlich sagen wollte und ich habe es ausgesprochen. Er...er bestätigte mir, dass er unsere Rollen am liebsten vertauscht gesehen hätte. Weißt du...es ist nicht besonders schön, wenn man von seinem eigenen Vater den Tod gewünscht bekommt."

Bei dem letzten Satz hatte seine Stimme einen schmerzerfüllten, aber auch sarkastischen Ton angenommen. Mir stockte der Atem. Wie hatte Denethor seinem Sohn das antun können!? Natürlich war der Verlust seines Erben schmerzlich, doch so war er drauf und dran, seinen zweiten Sohn auch noch zu verlieren. Ich konnte ihn nicht verstehen. Faramir war so ein guter Mann. Er war so weise und tiefblickend. Wenn er jemandem in die Augen sah, sah er ihm direkt in die Seele. Außerdem war er ein tapferer Krieger und ein guter Hauptmann. Ich konnte nicht glauben, was unser Truchseß gesagt haben sollte.

Faramir jedoch fuhr fort: "Er bestand darauf, dass ich Osgiliath zurückerobern sollte. Er schickte mich und meine Männer zurück in die offenen Arme der übermächtigen Feinde. Ich weiß nicht, was ihn dazu bewegt hat, so viele Männer zu opfern. Auch durch meinen Tod wird Boromir nicht zurückkehren."

"Aber...Ihr wollt damit sagen, dass Ihr ihm nicht widersprochen habt?" Ich wollte Herrn Faramir nicht sterben sehen. Das konnte unmöglich sein Ernst sein. Faramir lächelte angesichts meiner Reaktion, doch es war ein trauriges Lächeln. "Wenn ich ihm nicht so meine Treue beweise, wie soll ich es dann tun? Er warf mir vor, ich würde mehr auf die Worte Mithrandirs geben als auf seine. So habe ich jetzt keine Wahl."

"Aber das wäre doch absolut unvernünftig. Das wäre Selbstmord! Wie kann ein Vater das von seinem Sohn verlangen?" Mir war klar, dass ich eben absolut zu weit gegangen war. Ich hatte soeben die Entscheidung meines Heerführers sehr scharf kritisiert und es stand mir erst recht nicht zu, so über den Herren von Gondor zu sprechen. Schon gar nicht seinem Sohn gegenüber.

Faramir jedenfalls blickte mir wieder in die Augen. Doch es lag keine Wut darin. "So edel, wie deine Absichten auch sein mögen, du kannst mich nicht aufhalten. Mein Entschluss seht fest. Morgen früh werden wir aufbrechen."

"Dann werde ich Eure Schar begleiten." Es gelang mir, meiner Stimme die nötige Entschlossenheit zu verleihen. "Nein. Du gehörst nicht zu meiner Schar. Du wirst dich nicht mit uns in den Tod stürzen. Hier ist dein Platz. In der entscheidenden Schlacht wirst du kämpfen, nicht jetzt." "Aber..." "Nein, du bleibst hier. Das ist mein letztes Wort."

Ich sah ein, dass ich keine Chance hatte, ihn umzustimmen. Ich hoffte nur, dass es wenigstens Mithrandir gelingen würde, denn er war sicherlich auch gegen diese Mission.

"Vielen Dank, dass ich mit dir darüber reden konnte. Ich glaube, es hat mir ein wenig geholfen." Faramirs Stimme klang jetzt wieder weich, ehrlich und freundlich. Gleichzeitig war klar, dass dieses Gespräch nun beendet war.

Ich war wie betäubt. Das, was ich gerade alles gehört hatte, musste ich erst einmal verdauen. Faramir lächelte mir ein letztes Mal zu, wandte sich dann um und ging wieder hinein. Ich stand noch eine Weile da, unfähig zu Handeln. Nun konnte ich nur noch beten, dass alles gut gehen würde...

ENDE

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