Arda Fanfiction

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Avari

von Ramona

Kapitel 1

Glorfindel wandte sich um und hieb seinem Gegner den Kopf ab. Er hatte Mühe, auch die anderen Angriffe abzuwehren. Vor ein paar Tagen war er von Imladris aus losgezogen und befand sich nun mitten im Nebelgebirge, denn er war als Botschafter unterwegs zum Düsterwald. Er sollte Thranduil, den König der dort lebenden Tawarwaith, treffen und ein paar wichtige Dinge mit ihm besprechen, aber im Moment bezweifelte er, dort jemals anzukommen.

Auf seinem Weg war er von Orks überfallen worden. Natürlich war er ein guter Kämpfer und hatte schon einen Balrog getötet, doch er wollte nicht riskieren, ein weiteres Mal nach Mandos geschickt zu werden. Zu seinem Leidwesen war es nicht nur eine Hand voll dieser stinkenden Kreaturen, sondern eine recht große Gruppe.

Plötzlich hörte er neben sich noch mehr Schwerter aufeinander schlagen. Er wandte sich um und sah, dass er Verstärkung bekommen hatte. Eine Elbin kämpfte an seiner Seite, doch sie war die ungewöhnlichste Elbin, die er jemals gesehen hatte. Er war überrascht, denn sie kämpfte sehr gut. Ihre Technik war ungewöhnlich. Er fürchtete, im Kampf mit ihr würde er einige Schwierigkeiten haben.

Gemeinsam konnten sie die Linie der Feinde durchbrechen und viele starben unter ihren Klingen. Der Rest der Horde ergriff die Flucht, denn sie sahen, dass sie gegen diese Krieger nichts ausrichten konnten. Sie ließen die Schwerter sinken und Glorfindel wandte sich zu seiner Helferin um.

Er betrachtete sie überrascht. Sie hatte hüftlanges, ebenholzfarbenes Haar und nussbraune Augen. Ihre Figur war schmal aber Kräftig und sie trug ungewöhnliche Kleidung. Sie war aus einem Stoff, den er nicht kannte und auch ihre Waffen schienen aus keinem ihm bekannten Elbenvolk zu stammen.

Überhaupt wirkte sie völlig anders. In ihren Augen sah er, dass sie schon sehr viel erlebt haben musste und eine fremdartige Aura umgab sie. Eine Elbin war sie, keine Frage, aber sie schien wenig von dem gleißenden Wesen seines Volkes zu haben. Mehr schien sie wie eine Kriegerin der Schatten zu sein. Ihre Kleidung versprach perfekte Tarnung und ihre Bewegungen waren mehr die einer Raubkatze, elegant und geschmeidig, doch auch wieder anders.

Als sie seine Verwirrung sah, lächelte sie. Glorfindel schloss kurz die Augen und öffnete sie dann wieder. Sie erschien ihm sehr fremd, doch auf irgendeine Weise war sie ihm merkwürdig vertraut. „Wer seid Ihr?“, fragte er und war ehrlich gespannt auf ihre Antwort.

„Folgt mir“, sagte sie schlicht und er war unschlüssig, was zu tun sei. Schließlich ging er ihr aber nach, denn er sah ein, dass es die einzige Möglichkeit war, etwas über sie herauszufinden. Sie führte ihn nicht weit, denn bald waren sie an einem kleinen Lager angekommen. Er staunte. Es war kein gewöhnliches Lager in der Wildnis. Nein, es war so gut getarnt, dass selbst seine Augen es erst bemerkten, als er mitten darin stand.

Sie hatte ein Feuer entzündet und setzte sich. Auch ihm deutete sie, platz zu nehmen. Er ließ sich neben ihr nieder und sah sie neugierig an. „Wer seid Ihr?“, fragte er abermals und wieder lächelte sie nur.

„Ihr würdet es mir nicht glauben“, sagte sie schlicht.

„Warum nicht? Ihr kommt mir vertraut vor, doch ich kann es mir nicht erklären“, hakte er nach.

„So?“ Sie schien interessiert.

„Erzählt mir Eure Geschichte. Erst danach kann ich entscheiden, ob ich sie glauben werde.“

„Also gut, Glorfindel“, sagte sie und er stutzte. Er hatte ihr nicht seinen Namen gesagt, dessen war er sich sicher.

„Ich bin eine der letzten aus dem Volke der Avari“, erklärte sie und betrachtete gespannt seine Reaktion. Sie war, wie sie es erwartet hatte. Er war total geschockt.

„Was? Aber – das ist nicht möglich! Die Avari sind verschollen, sie sind getötet worden, vor sehr langer Zeit!“, sagte er. Er wusste selbst nicht mehr wirklich, was er glauben sollte. Das konnte unmöglich ihr Ernst sein, doch sie klang nicht, als würde sie scherzen.

„Getötet? Ja, viele sind gestorben. Verschollen? Vielleicht… Wir sind vergessen. Ja, das sind wir. Und wir sind anders. Es ist eine lange Geschichte und ich habe sie in all ihrer Länge und mit allen Gefahren miterlebt. Eru selbst hat uns erschaffen. Wie auch ihr es seid, sind wir seine Kinder. Und gemeinsam waren wir ein Volk. Wir waren die Quendi, die Sprechenden, die gemeinsam unter dem Dach der Sterne weilten.

Doch dann wurden wir getrennt. Der Jäger kam um uns alle zu erretten vor dem schwarzen Grauen. Doch wir trauten ihm nicht, so heißt es, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wir folgten ihm nicht. Unsere Fürsten haben sich gegen den Weg der Valar entschieden. Aus Feigheit sagt ihr, aus Überzeugung sagen wir.

Eru ist unser Vater und ihm sind wir verpflichtet. Seinen Dienern wollten wir nicht folgen, nein. Wir vertrauten auf ihn und wir haben dafür bezahlt, ja. Doch das Vertrauen hat sich gelohnt. Cuiviénen war unsere Heimat und wir, die Quendi waren zahlreich genug, um überleben zu können.

Doch dann haben sie uns verlassen. Ihr, die Eldar. Ihr seid den Valar gefolgt, doch wir wollten unseren Weg nicht verlassen, niemals! Also blieben wir zurück. Wir sind in den Schatten gegangen und haben uns versteckt.

Ja, schreckliche Qualen mussten wir erleiden, denn unser Feind war stark. Lange haben wir es geschafft, seinen Angriffen zu trotzen. Viele von uns ließen ihr Leben und viele wurden gefangen. Die, die er lebendig fing, wünschten sich bald den Tod. Er versklavte sie und folterte sie. Er machte sie zu Monstern, machte sie zu Orks. Wenige von uns schafften es, zu überleben.

Doch diejenigen kämpften weiter. Im Stillen und unter Erus wachsamen Auge. Ihr wart fort. Lange Zeit wart ihr fort. Wir wurden für euch zu Legenden, doch wir behielten euch in Erinnerung. Und dann kamt ihr zurück. Ja, wir wollten euch wieder in die Arme schließen, doch Eru warnte uns.

Nicht vor euch, aber vor dem Funken des Bösen, der noch zu tief saß. Uns hatte er nie treffen können. Der Feind konnte uns töten, sich aber nicht unserer Herzen bemächtigen, dafür war er zu nah. Wir mussten vereint gegen ihn kämpfen um zu überleben und das taten wir.

Euer Volk war infiziert und es brach uns fast das Herz, euch nicht willkommen heißen zu können. So blieben wir versteckt, unentdeckt von euch. Ihr schlugt Schlachten gegen Morgoth und auch wir kämpften gegen ihn, noch immer im Untergrund. Und mit unserer Hilfe konntet ihr siegen.“

„Warum? Warum habt ihr euch nicht gezeigt?“

„Das Volk der Quendi war gespalten. Unsere Linien hatten sich auseinander entwickelt. Ihr vergaßt uns, doch wir hörten nie auf, euch zu lieben und wir starben für euch, für unsere Brüder, die uns vergessen hatten.

Doch ihr wart fortan den Valar verpflichtet. Sie erretteten euch und ihr wart an sie gebunden. Wir jedoch überlebten aus eigener Kraft. Ihr seid das Volk des Lichtes, wir sind das Volk des Schattens. Doch Schatten kann ohne Licht nicht existieren und es gibt kein Licht ohne Schatten. So ist es auch mit unseren Völkern. Niemand hätte ohne den anderen überleben können.

So kämpften wir Seite an Seite und doch so fern voneinander. Auch eure Valar glaubten uns verloren, doch wir lebten. Sie dachten, der Feind hätte uns in die Knie gezwungen oder uns auf seine Seite gezogen. Doch das könnte er beides nicht. Er hat uns zu viel Leid zugefügt, als dass er unsere Herzen hätte gewinnen können. Auch Morgoth ist nur ein Ainu und unsere Herzen, unsere Liebe, gehörte nur Eru selbst. Uns so ist es noch heute.“

Als sie geendet hatte, schwieg Glorfindel. Das alles war einfach zu unglaublich. „Aber… wenn ihr im Schatten geblieben seid, warum hast du dich mir gezeigt? Warum hast du mich gerettet? Warum hast du mir all das erzählt?“

Sie lächelte wieder ihr geheimnisvolles Lächeln. „Du sagtest, du hast das Gefühl mich zu kennen und ich sage dir, du kennst mich. Ja, in der Tat. Doch du hast niemals jemandem davon erzählt, habe ich Recht?“

„Erzählt, wovon?“

„Glorfindel, du bist kein gewöhnlicher Elb. Du bist einer der wenigen, die noch leben. Du bist am See von Cuiviénen erwacht. Du hast dich den Vanyar angeschlossen und bist Ingwe gefolgt. Dann, viel später, bist du mit den Noldor zurückgekehrt. Doch niemand wusste, dass du zu den Ältesten gehörst.“

Er schwieg. Sie hatte Recht, doch woher wusste sie davon?

„Ich weiß das, weil ich selbst eine der Ältesten bin. Auch ich habe keine Eltern, auch ich bin dort erwacht, von Eru selbst geschaffen. Doch ich gehörte zu dem Volk der Avari. Ich folgte unserem Fürsten und ging nicht mit euch fort. Dennoch kennen wir uns. Erinnerst du dich?“

Glorfindel überlegte und versuchte sich zu erinnern. Dann kehrten die Bilder zurück. All das, was so lange Zeit vergessen war, konnte er wieder klar vor sich sehen. Sie las es in seinen Augen.

„Ja, wie ich sehe erinnerst du dich. Du hast mich damals gerettet. Du hast mich vor den bösen Kreaturen von Morgoth gerettet und wir saßen lange beisammen und haben uns unterhalten.

Doch dann musstest du gehen. Du hast mit den anderen zusammen unsere Heimat verlassen und mich niemals wieder gesehen. Doch ich habe dich gesehen. Ich habe gesehen, wie du nach Gondolin gegangen bist. Ich habe gesehen, wie du gestorben bist und ich habe dein Grab gepflegt. Dann bist du zurückgekehrt.“

„Aber warum…“

„Du hast mir das Leben gerettet, Glorfindel. In unserem Volk ist das keine leichtfertige Tat und ich bin dir immer dankbar dafür. Nun habe ich eine Gelegenheit gefunden, mich zu revanchieren. Nun kann ich gehen.“

„Nein!“, sagte er. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie war so geheimnisvoll und hatte ihn auf eine seltsame Weise berührt. „Bitte bleib. Bitte komm mit mir nach Imladris. Bitte lerne meine Freunde kennen. Du musst nicht so in Abgeschiedenheit leben!“

„Doch, Glorfindel. Unsere Völker sind einander fremd geworden. Ihr seid das Volk der Valar und auch wenn wir einst alle Quendi waren, so sind wir nun zu verschieden. Eigentlich hätte ich nicht einmal mit dir sprechen dürfen. Ich kann das Leben in meinem Volk nicht aufgeben.“

„Aber…“

„Kein Aber. Ich muss gehen. Ich bin froh, dich getroffen zu haben, doch ich kann nicht bleiben.“ Sie stand auf und war in Begriff, sich abzuwenden.

„Wie kann ich dich wieder finden?“, fragte er. „Du hast mir noch nicht einmal deinen Namen gesagt!“

Sie lächelte. „Du wirst mich nicht finden, Glorfindel. Wir Avari können von euch Eldar nicht gefunden werden. Über Jahrtausende lebten wir im Schatten und eure Augen nehmen uns nicht wahr, wenn wir wünschen verborgen zu bleiben. Wir sind Meister der Tarnung.“

Er wollte wieder etwas sagen, doch sie gebot ihm mit einer Handbewegung Einhalt. „Nein, Glorfindel, mehr werde ich dir nicht verraten. Doch wir werden uns wieder sehen, wenn du das möchtest. Ich werde dich finden.“

„Ja, das will ich“, sagte er und war sich noch nie bei etwas so sicher gewesen.

„Gut. Mein Name ist Lianor. Vergiss ihn nicht.“

„Bestimmt nicht“, entgegnete er.

Sie wandte sich um und ging davon. Als sie hinter einem Strauch verschwunden war, konnte er sie nicht wieder finden. Er ging ihr nach, doch er fand keine Spur von ihr. Glorfindel ging zurück zu ihrem kleinen Lager und setzte sich. Die Reise nach Düsterwald konnte warten. Jetzt musste er nachdenken …

ENDE

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