Arda Fanfiction

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Mehr als das Auge sieht

von shirebound

Am Kaminfeuer

Zurück kamen sie mit zwei Bratschen, so groß wie sie selber, und mit Thorins Harfe, die in ein grünes Tuch eingewickelt war. Es war eine schöne goldene Harfe, und als Thorin sie anschlug, setzte die Musik mit einem Mal ein, so lieblich, dass Bilbo alles andere vergaß und davongetragen wurde in die dunklen Lande unter fremden Monden, weit jenseits der Wässer und fern von seiner Hobbithöhle unter dem Bühl.

‚Ein unerwartetes Fest‘ - Der Hobbit
 




Wie lange war es her, dass er und seine Kameraden sich auf diese Weise versammelt hatten, um aus purer Freude an der Musik auf ihren Instrumenten zu spielen - die uralten Melodien, die für eine Weile die bitteren Erinnerungen und die herzzerreißende Sehnsucht wegspülten, die sie nie ganz verließen? Wie viele Gastwirte hatten seine Lieder lediglich als kurzweilige Unterhaltung begrüßt und im Gegenzug eine Übernachtung oder eine warme Mahlzeit angeboten? Wie tief waren die stolzen Söhne Durins gesunken, wie fast vergessen, wie ...

Während er spielte und seine Gedanken in dunkle Gefilde abschweiften, warf Thorin zufällig einen Blick auf den Hobbit. Dieser Herr Beutlin war so aufgeregt und unwissend über die weite Welt, und so jung. Noch zierte kein Hauch eines Bartes sein rundes Gesicht. In seinem Haus gab es keine Waffen, die stolz zur Schau gestellt wurden, weder Schwert noch Bogen noch Axt, und er trug auf seinen einfachen Kleidern kein Zeichen von Rang oder Stellung in seinem Volk. Wie konnte sein Verdienst beurteilt werden? Was sah Gandalf in diesem Hobbit, was er nicht sehen konnte?

Doch in diesem Moment bemerkte er im flackernden Licht der Feuerstelle etwas Seltsames. Der Hobbit starrte aus einem der Fenster in die Nacht. Sein Gesicht war gerötet, seine kleinen, zappeligen Hände lagen völlig still in seinem Schoß, sein Atem ging langsam und gemessen. Mit einem leichten Schaudern spürte Thorin die Aufregung des wahren Sehens, die seltene Gabe, die den Angehörigen des königlichen Geschlechts von Durin dem Unsterblichen im Blut lag. Mit der Anstrengung einer lange nicht mehr genutzten Fähigkeit folgte er den Gedanken des Hobbits, als sie über seine gemütliche Stube und seine sichere Heimat hinausflogen. Herr Beutlin, dessen Augen plötzlich vor Staunen glühten, wurde von einer Vision von Höhlen und Edelsteinen, feuerspeienden Bestien und Bergen, die seine physischen Augen nie gesehen hatten, gefangen und festgehalten. Thorin spürte, wie das Herz des Burschen schlug und sein Atem sich beschleunigte.

Thorin spürte, dass ihn jemand mit nachdenklicher Miene ansah. Noch immer sanft auf seiner geliebten Harfe spielend, drehte er sich leicht um, um Gandalfs gleichmäßigen Blick zu begegnen. Der Zauberer deutete mit dem Kinn auf den Hobbit, nickte, und mit einem Augenzwinkern verschwand sein Gesicht wieder hinter einem Rauchvorhang.

An diesem Hobbit war also mehr dran, als man auf den ersten Blick sehen konnte. Er besaß zumindest die geistige Tiefe, sich von der uralten Macht der zwergischen Musik anregen zu lassen, und den Mut, ihr zu folgen. Nun denn. Lasst ihn seinen Weg wählen, wenn er will. Lass ihn hören und fühlen, was wirklich jenseits der sorgfältig bestellten Felder und des vorhersehbaren Lebens in seinem sanften Land lag.

Und so schloss Thorin seine Augen und begann zu singen.

"Über die Nebelberge weit
Zu Höhlen tief aus alter Zeit ..."

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