Ich setzte mich ins Gras und sah die Sterne an. Sie waren im dem Moment das einzig heimatliche für mich. Und doch war es seltsam. Daheim bei meinem Vater, meiner Familie und meinen Freunden schienen die Sterne heller gestrahlt zu haben. Nun, da ohne Zweifel schwerere Zeiten angebrochen waren, schien sich ein Schleier über sie gelegt zu haben.
Ja, daheim… Die Erinnerung gab meinem Herzen einen kleinen Stich. Nun war ich ein Mitglied der Ringgemeinschaft. Meine Aufgabe war es nun, den Ringträger nach Mordor zu begleiten oder aber ihn um jeden Preis zu beschützen. Bereute ich diese Entscheidung? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube nicht. Zwar hatte ich dadurch mein Leben in dem Palast von Eryn Lasgalen vorerst aufgegeben, doch das war nicht schlimm. Nicht das erste Mal übernachtete ich in der Wildnis und es machte mir nichts aus, mit weniger auskommen zu müssen. Doch etwas Entscheidendes vermisste ich dennoch: Elben.
Hier war ich ein einer sehr seltsamen Gruppe gelandet. Vier kleine Halblinge, die ständig Hunger hatten, aber nicht leicht den Mut verloren und die Gemeinschaft oft mit Geschichten aus ihrer Heimat aufheiterten. Sie waren klein und auch keine guten Krieger, aber ihre Art gefiel mir. Sie schienen die Welt mit Humor zu nehmen, über das Schicksal zu lachen. Sorge schien ihnen Fremd zu sein, jedenfalls zeigten sie es nicht. Doch einer allein wäre wahrscheinlich nicht so fröhlich gewesen. Sie erinnerten sich gegenseitig an ihre geliebte Heimat und gemeinsam schwärmten sie von ihr.
Dann war da noch der Zwerg. Gimli. Ich wusste nicht wirklich, wie ich ihn beschreiben sollte, er war einfach ein Zwerg und damit war eigentlich alles gesagt. Er war sehr anders. Ich verstand seine Art nicht. Dieses Volk hatte einen anderen Humor und keinen Sinn für Schönheit, jedenfalls nach unseren Wertschätzungen.
Ebenfalls Teil der Gemeinschaft waren zwei Menschen. Aragorn und Boromir. Obwohl sie zwei beherzte Krieger desselben Volkes waren, waren sie sehr verschieden. Boromir kämpfte stets für die Ehre seiner Heimat. Er war ein rauer Kerl. Aragorn hingegen war anders. Er war unter Elben aufgewachsen, das spürte man. Vielleicht mochte ich ihn deswegen besonders… Er verstand mich, ja, sprach sogar in meiner Muttersprache mit mir. Schließlich war es auch seine. Er war ein Waldläufer, keine Frage, doch er war sehr klug und hatte ein sanftes Gemüt. Wenn auch nicht äußerlich, so erinnerte er mich von allen Gefährten am meisten an mein eigenes Volk.
„Na mein Junge, worüber denkst du nach?“ Der Zauberer hatte sich neben mich gesetzt. Unwillkürlich musste ich lächeln. Er hatte mich ‚Junge’ genannt, obwohl er wusste, dass ich der älteste der Gefährten war. Mit Ausnahme von ihm selbst vielleicht… Ja, er ist der neunte im Bunde und er barg viele Geheimnisse. Manchmal schien er nur ein alter, freundlicher Mann zu sein, doch manchmal staunte man über seine enorme Weisheit. Er war einer der Istari und stammte aus Valinor. Auch wenn er nun einen festen Körper besaß, so war er dennoch ein Maia. Er kannte das Volk der Elben und auch bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er mich verstehen würde. Ich mochte ihn.
„Über vieles.“, antwortete ich schlicht und sah in seine weisen Augen. Auch wenn meine Antwort keinerlei konkrete Information enthielt, so hatte ich dennoch das Gefühl, als wüsste er genau wovon ich sprach. Noch lange unterhielten wir uns in dieser Nacht und er nahm mir ein wenig von dem Gefühl, fremd zu sein. „Du bist hier unter Freunden.“, sagte er und ich wusste, dass er es ehrlich meinte…
Ja, dass sind meine Erinnerungen an diese Nacht, eine Nacht, in der unsere Gemeinschaft noch vollständig war. Nun jedoch musste er gehen. Nun ist die Gemeinschaft in Lothlórien, es ist Abend und doch findet niemand Schlaf. Die Trauer liegt noch zu nah an unseren Herzen. All unsere Gedanken ruhen auf ihm.
Ein Balrog hat ihn aus dieser Welt gerissen, eines der gefürchteten Feuermonster, genau wie er ein Maia. Doch dieses Wesen war anders. Es hatte dem dunklen Herrscher, der damals, als die Welt noch jung war, sehr mächtig gewesen war, gedient. Er hatte Ilúvatar und allem Guten den Rücken gekehrt und seine Seele dem Bösen gewidmet, lange bevor ich diese Gefilde betreten habe.
Dieser Verlust lässt uns alle hier in Lórien keine Ruhe finden. Auch wenn unser graubärtiger Freund Mittelerde nun verlassen hat und zurückgekehrt ist in seine Heimat, so ist er dennoch hier. Er ist in unseren Herzen und lässt uns keine Ruhe finden. Sein Verlust bereitet uns Schmerzen und auch dieses wundervolle Land kann sie uns nicht völlig nehmen.
Ja, es ist ein Gefühl der Ohnmacht. Wir haben einen Freund sterben sehen, für den der Tod nicht bestimmt war. Aber noch mehr schmerzt es, zu wissen, dass er für uns gestorben ist. Es zerreißt einem das Herz, doch irgendwie ist es auch ein beruhigender Gedanke, der die Wunde, die er hinterlassen hat, ein wenig heilen lässt. Er ging, um uns zu schützen, uns, seine Freunde. Doch noch wichtiger ist, dass er sein Leben für den Ringträger gegeben hat. Er starb nicht umsonst, er starb mit der Gewissheit, einen Teil dazu beigetragen zu haben, dass Mittelerde nicht erneut im Schatten versinkt…
ENDE