Arda Fanfiction

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Ein unerwartetes Abenteuer

von Ethelfara Ceorlred

Von den alten Geschichten

„Maglor war einer der Söhne Feanors.“ Daeros lehnte sich in seinen Sessel zurück und nippte an seinem Weinglas. „Einst lebten sie in Valinor. Dort erschuf Feanor die drei silmaril, die schönsten Juwelen, die es jemals gab. Aber Morgoth neidete ihm diesen Erfolg, und er stahl die silmaril.“

„Und er floh nach Mittelerde, habe ich gehört?“ Bucca liebte die alten Geschichten über Elben und ihre Taten im Ersten Zeitalter.

„Ja, Bucca, er floh nach vielen üblen Taten mit den drei silmaril nach Mittelerde. Das sah aber anders aus als heute. Morgoth hatte weit im Norden und Westen sein Land und weiter südlich lag Beleriand, wo die Elben lebten, und es ist lange her, seit diese Lande im Meer versanken. Feanor und seine Söhne setzten Morgoth nach und überzogen ihn mit Krieg. Zuerst sah es für die Elben recht gut aus, aber der Feind behielt die Oberhand und drängte sie langsam in Richtung Süden. Selbst die Väter der Menschen konnten ihm nicht lange widerstehen, viele fielen gleich unter seinen Schatten und diejenigen, die ihm widerstanden wurden zusammen mit den Elben zurückgedrängt. Viele mutige Taten wurden damals begangen, die noch heute im Lied besungen werden.“

„So wie das von Elbereth und Lúthien, das ist mein Lieblingslied. Aber fielen nicht alle, die sich mit den Elben verbündet hatten unter den Fluch des Mandos? Schließlich halfen sie den Söhnen Feanors bei der Erfüllung ihres Eides.“

„Der Eid wurde nie erfüllt. Feanors Söhne konnten nie die Gewalt über alle drei silmaril gewinnen, aber es ist strittig, ob die Menschen, die ein Bündnis mit Feanors Söhnen eingingen ebenfalls dem Fluch des Mandos unterlagen. Schließlich war es ein Mensch, Earendil, dem es gelang, Valinor zu erreichen und die Valar um Vergebung für viele Untaten zu bitten. Und bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Valar den Elben vergeben hatten war es keinem von ihnen gelungen, auch nur einen Blick auf das Gesegnete Reich zu werfen. Und die Edain, das sind die Menschen, die mit den Elben verbündet sind wurden reich belohnt: sie erhielten die Insel Andor, das Land der Gabe, Númenor wurde sie später genannt.“

„Und was geschah mit Feanors Söhnen, als der Juwelenkrieg gewonnen war?“

„Bis auf Maglor und Maedhros hatten alle ihr Leben im Kampf verloren. Und die beiden letzten der Söhne Feanors waren nach der Letzten Schlacht, in der Morgoth endgültig niedergeworfen worden war, bei den Valar auf ewig in Ungnade gefallen, heißt es. Sie gaben ihren Anspruch auf die silmaril nicht auf, aber Eonwe, der Herold der Valar verweigerte ihnen die Herausgabe. So stahlen sich die beiden des Nachts heimlich in das Heerlager, erschlugen die Wachen und stahlen die Juwelen. Aber ein silmaril läßt sich nur von jemandem berühren, der ein reines Herz hat, und so mußten Maglor und Maedhros unerträgliche Schmerzen ertragen, die sie schließlich rasend machten. Maedhros stürzte sich in seiner Pein in eine Erdspalte, und Maglor warf seinen silmaril ins Meer, und manche sagen, seither würde er an den Ufern der Meere entlang wandern, immer singend und klagend. Aber das ist ein Gerücht, denn unter den Elben ward er seit diesen Tagen nicht mehr gesehen.“

„Eine tragische Geschichte“ sinnierte Bucca. „Ich fände es interessant, mit diesem Elben, wie heißt er – Maglor zu sprechen. Er hätte sicher viel zu erzählen.“

„Das hätte er, zweifellos. Aber niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Kein Elb und kein Mensch hat ihn je wieder gesehen, oder zumindest hat niemand von solch einer Begegnung erzählt und es ist unklar, was aus ihm geworden ist.“

Ein seltsamer Wunsch, die westlichen Gestade Mittelerdes zu sehen erfüllte den Hobbit. Vor seinem geistigen Auge sah er seltsame Landschaften, steile Klippen ragten im Nebel auf. Natürlich wußte er seit seiner Reise nach Gondor, wie das Meer aussah und er hatte den staunenden Hobbits des Auenlandes oft und gern davon erzählt. Und ja, er war wirklich mit einem Schiff gefahren. Aber das war ihm dann doch unheimlich gewesen und er war seekrank geworden. Trotzdem erzählte er gern von diesem kleinen Abenteuer (sein Unwohlsein dabei verschwieg er) und seither galt er in den Augen der meisten Hobbits als seltsam, ja sogar ein wenig verschroben. Aber keiner ließ sich davon etwas anmerken wenn sie ihn sahen:  immerhin war er ja der Herr vom Bruch. Und der Herr vom Bruch hatte seine Verpflichtungen, jetzt da die große Pest endlich überwunden war und so vieles zu reparieren, zu heilen und wiederherzustellen war. Bucca seufzte.

„Na, da hat wohl jemand Mühe, seine Abenteuerlust zu überwinden“ lächelte Daeros.

„Ja, irgendwie fängt es an, hier langweilig zu werden“ lachte Bucca. „Aber ich glaube, wir beide können hier nicht weg und was sollten wir auch westlich, südlich oder östlich von Arnor zu tun haben?“

„Vielleicht könnte es ja sein, daß wir wieder nach Gondor entsandt werden“ erwiderte Daeros. „Oder der König schickt uns nach Bruchtal oder übers Gebirge. Ich vermute, er wird uns bald wieder auf eine Mission schicken; wir haben uns in seinen Augen sicher bald genug ausgeruht. Wer weiß, was wir in einem Monat tun werden?“

„Uns des Abends am Kaminfeuer von unserem harten Tagwerk ausruhen“ meinte der Hobbit. „Ich denke, das werden wir tun.“

„Na, Herr vom Bruch, wann hattest du in der letzten Zeit denn ein hartes Tagwerk auszuführen?“ lachte Daeros.

„Genau so oft wie du“ versetzte Bucca. „Nein, im Ernst: wir haben uns beide seit der Vertreibung der Orks und Räuber aus Arnor nicht mehr überanstrengt, und das ist auch gut so. Wir hatten harte Zeiten gehabt, und ich möchte das kein zweites Mal erleben.“

„Ich auch nicht. So, ich gehe jetzt zu Bett.“ Daeros erhob sich und verließ das Wohnzimmer. Bucca räumte noch die Weingläser in die Küche, dann begab auch er sich zur Ruhe.

In der Nacht träumte der Hobbit einen seltsamen Traum. Er sah sich auf einer hohen Klippe stehen. Unter ihm rauschte das Meer und ein kühler, regenschwerer Westwind blies ihm ins Gesicht. Der Wappenrock und sein Umhang flatterten im Wind. In der Ferne hörte er Gesang, wie er ihn noch nie gehört hatte.
Plötzlich sah er sich wieder in Gondor, er stand vor dem Königspalast von Osgiliath. Es war heiß, kein Lüftchen regte sich. Niemand beachtete den kleinen Hobbit, der sich ernsthaft fragte, was er hier verloren hatte. Ihm kam wieder sein Abenteuer am Spinnenpaß in den Sinn, und schweißgebadet wachte er auf.

„Meine Güte, was für ein Traum. Ich bin froh, daß ich aufgewacht bin.“

„Was ist denn los, Bucca“ fragte Primula schlaftrunken.

„Ach, nichts. Bloß ein seltsamer Traum.“

„Na, dann. Wenn´s weiter nichts ist.“ Primula drehte sich um und schlief wieder ein, und Bucca lag noch ein paar Minuten wach, ehe auch er wieder einnickte. Kein Traum behelligte jetzt seinen Schlaf.
Die Sommertage flossen dahin, im Brandyweintal war es sonnig und warm und die Mücken tanzten im Sonnenlicht. Gegen Mittag wurde die Luft schwül und drückend, und das Leben verlangsamte sich. Erst gegen Abend wurde es wieder kühler und die Hobbits arbeiteten bis tief in die Nacht. Bucca war oft am Fluß unterwegs oder an der Grenzwache droben in Balgfurt. Obwohl der Brandyweinfluß mitten durch Arnor floß, bildete er die Ostgrenze des Auenlandes, und in Zeiten der Not wurden die Grenzen dieser Provinz von den Hobbits bewacht. Die Feinde waren zwar aus Arnor vertrieben worden, aber Bucca hielt es für möglich, daß versprengte Gruppen von Orks oder Räubern sich in den Alten Wald am Ostufer des Brandyweins geflüchtet hatten und dort ihr Unwesen treiben könnten. Aus diesem Grund beließ er eine gut besetzte Wache an der alten Steinbrücke.

Daeros half Bucca so gut er konnte. Oft war er an den Grenzen des Auenlands unterwegs, in Balgfurt oder an der Sarnfurt. Dort war die Südgrenze Arnors, und dieser Grenzposten war dauerhaft besetzt. Daeros war für die Ausbildung der Grenzwächter verantwortlich, und diese Aufgabe war tagefüllend.

Marcho und Blanco kamen ab und an zu Besuch vorbei, wenn sie auf der Reise nach Königsnorburg waren, oder sie kamen von dort. Sie hatten Briefe des Königs dabei oder nahmen Depeschen an ihn mit, und so blieben Bucca und Daeros in stetigem Kontakt mit dem Königshof, und das obwohl sie nun schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr am Hof lebten. Auch in Königsnorburg lief alles wieder seinen alten gewohnten Gang, nur waren jetzt viele der Häuser unbewohnt. Die Pest hatte dort oben verheerend gewütet, und die Hobbits hatten in ihrem Auenland im Vergleich dazu noch mal Glück gehabt.

Nein, es schien tatsächlich so, als ob Bucca ausnahmsweise einmal recht gehabt hätte: alles blieb wie es war, und offensichtlich sollten sie sich in einem Monat wirklich wie immer am Kaminfeuer von ihrem nicht allzu harten Tagwerk erholen. Die Rolle des Herrn vom Bruch bei allen diesen Aufgaben war die eines Ausbilders, Verhandlers und Anleiters, und er hatte mit diesen Aufgaben genug zu tun. Aber die Handwerker hatten immer genug Material für die Reparatur- und Aufbauarbeiten zur Verfügung, und das war nicht überall im alten Arnor der Fall. Und genau das ließ Bucca ein wenig an seiner Vorhersage zweifeln.

„Das alte Arnor“ dachte Bucca bei sich, als er wieder einmal Gesuche von Zimmerleuten aus der Nordprovinz auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Wieder einmal waren sie für getane Arbeit nicht bezahlt worden, weil es in Annúminas und sogar in Königsnorburg an Material gefehlt hatte und sie deswegen ihre Aufträge nicht zum genannten Zeitpunkt fertig bekommen hatten. Es hatte sich herumgesprochen, daß es im Auenland besser lief und daß dort besser und, noch wichtiger, pünktlich bezahlt wurde, und es wurde höflichst und untertänigst beim berühmten Herrn vom Bruch nach offenen, noch zu erledigenden Aufträgen gefragt. „Das ist also aus dem alten Arnor geworden“ murmelte Bucca kopfschüttelnd. „Na ja, aus Arthedain und ein wenig Cardolan, sollte ich wohl eher meinen. Auch wenn die Dùnedain um König Argeleb das gar nicht gerne hören: vom alten Arnor ist wahrlich nicht viel übrig.“ Dann nahm der Herr vom Bruch einen Bogen Briefpapier und seine Feder und machte sich daran, den Bittstellern seine Antwort zu schreiben. Noch mußte er nur selten solche Gesuche abweisen: es gab noch immer mehr als genug für gute Handwerker zu tun. Und für den Bau neuer Scheunen bei Weidegrund würde er gute Zimmerleute brauchen können.

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