Arda Fanfiction

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Einsame Lichter

von Feael Silmarien

Kapitel 2

Viele Wochen waren verstrichen, seit Ealdor in die Häuser der Heilung gebracht worden war. Er hatte immer noch Bettruhe und durfte sich nicht bewegen, damit seine Verletzungen auch wirklich heilten. Hier genoss er Stille und Frieden, doch er hasste es. Er gehörte zu der Art von Menschen, die nicht untätig daliegen konnten. Aber den Heilern war das Wohl seines Leibes offenbar wichtiger. Sie wollten ihm nicht einmal Schreibzeug geben. So verbrachte er die langen Tage damit, die Schatten, die immer wieder an seiner Kammer vorbeiglitten, zu beobachten, lauschte den Gesprächen, die seine Ohren erreichten, und versank immer tiefer in seine Sorgen.

Wenn Nimloth vorbeikam, um nach ihm zu sehen, war es für ihn immer ein ganz besonderes Ereignis. Seit er hier war, bekam er sie sehr oft zu Gesicht und konnte nie genug haben, so sehr liebte er ihre zierlichen Bewegungen, die ihn an das stille Rieseln des Schnees erinnerten, ihre Stimme so hell wie das Zwitschern eines Vogels an einem kühlen Frühlingsmorgen, ihr Lächeln voller Sonnenwärme, ihr Lächeln, das immer seltener auf ihrem traurigen Gesicht erschien. Er konnte ihre Besuche kaum erwarten und fürchtete sich zugleich vor ihnen.

Er wusste, dass sie ihn schwach machte, verletzlich. Oft nahm er sich vor, sie nicht zu beachten, doch ihre dahinwelkende Lebensfreude rührte ihn immer wieder. Es rührte ihn auch, wie sie ständig versuchte, ihn ein wenig zu trösten, indem sie ihm ihre letzten Sonnenstrahlen schenkte. Er fühlte sich in ihrer Wärme geborgen und wünschte sich sehnlichst, für immer bei ihr bleiben zu können, doch der Gedanke, dass er irgendwann wieder draußen in der kalten Welt landen würde, war stets auf der Hut.


"Wie geht es uns heute?", zwitscherte Nimloth, als sie eintrat und Ealdor aus seinem grauen Halbschlaf riss.

Der Angesprochene lächelte sie nur matt an.

"Mal sehen..." Die junge Frau versuchte fröhlich zu klingen, um seine Stimmung ein wenig zu heben, während sie ihm das Hemd auszog, um den Verband zu wechseln.

"Na, das sieht ja ganz gut aus!", stellte sie halb erfreut, halb verbittert fest, nachdem sie seine Verletzungen befühlt hatte.

"Darf ich mich jetzt endlich irgendwie beschäftigen?", fragte er ebenfalls nur mit halber Begeisterung.

Sie überlegte. "Ich werde mit dem Vorsteher sprechen. Vielleicht lässt er dich sogar bald gehen."

Sie unterdrückte den Wunsch, ihm bei diesen Worten übers Gesicht zu streichen. Sie war eine Helferin, er ein Verletzter. Sie musste Abstand bewahren, so sehr sie sich auch danach sehnte, ihn in ihre Arme zu schließen und ihren unterdrückten Tränen freien Lauf zu lassen.

Sie bewunderte ihn. Für sie war er das letzte schwache Licht in dieser erstickenden Dunkelheit. Es gab viele, die mit der Tyrannei nicht zufrieden waren, aber kaum einer wagte es, etwas zu sagen. Und diejenigen, die genug Mut dazu hatten, endeten im Kerker oder am Schafott, wenn sie nicht kapitulierten. Ealdor dagegen ertrug alles, was man ihm antat, und blieb seinen Überzeugungen treu. Hätte sie die Macht ihn zu beschützen, würde sie ihre Arme um ihn legen und nie wieder loslassen, damit nicht irgendwelche schwarzen Hände ihn fortzerren konnten, sie würde ihn von seinem Schicksal losreißen und in ein Wunderland geleiten, in dem es keinen Schrecken und keine Furcht gab.

Nimloth spürte, dass Ealdor sie beobachtete. Auch ich würde dich beschützen, wenn ich könnte, dachte er, aber im Moment kann ich das nur, wenn ich mich von dir fernhalte. Sie wusste, was er ihr sagen wollte. Sie schaute ihn an und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

"Bitte hör auf damit." Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihr Gesicht auf seine Brust. "Fang nicht wieder damit an. Sie werden dich kriegen. Sie werden dich vernichten. Du leidest eh schon genug unter deinem Vater!"

All die Tränen, die sie wochenlang vor ihm verborgen hatte, flossen über ihr Gesicht, während ihre Finger immer stärker seine Schultern umklammerten.

"Ich will nicht, dass du gehst."

Er hatte gewusst, dass es irgendwann kommen würde. So sehr er diesen Augenblick begehrt hatte, so sehr hatte er sich gewünscht, dass es nur ein Traum blieb. Doch jetzt, wo die Zeit gekommen war, konnte er sich nicht länger widersetzen. Seine Arme wanden sich um ihren Körper, er klammerte sich an sie, weil er nie wieder von ihr getrennt sein wollte. Sie gehörte zu ihm. Er gehörte zu ihr. Alles andere war jetzt unwichtig.

"Du musst gehen", hauchte er, presste sie aber immer kräftiger an sich. "Du musst gehen, Nimloth, das hier darf sich niemals wiederholen. Geh."

Er brachte seine gesamte Willenskraft auf, um seine Umarmung zu lockern, und sie löste sich von ihm. Ihre Augen waren rot und verquollen. Mit schmerzendem Herzen verließ sie die Kammer. Sie hatte begriffen, dass dies ein Abschied gewesen war. Sie durften sich nicht wieder begegnen, damit sie nicht auch noch in Gefahr schwebte. Sie musste ihre Gefühle für ihn vergessen, damit auch er sie verdrängen konnte. Diesen Gefallen musste sie ihm tun.


Seit jenem Vorfall kam Nimloth nicht mehr zu ihm und bald wurde er vom Vorsteher der Häuser der Heilung entlassen. Als er das Gebäude verließ, erblickte er Faramir, der vor dem Eingang auf ihn wartete. Seine Miene hellte sich ein wenig auf.

"Deine Verletzungen sind verheilt, aber du wirkst immer noch krank", stellte Faramir besorgt fest.

Ealdor seufzte und ließ seinen Blick über die Menschen auf der Straße schweifen. "Ich will nicht zurück."

"Und die Bibliothek? Du bist ein Gelehrter, man braucht dich dort!"

"Es ließt doch eh niemand, was ich schreibe", meinte Ealdor verbittert. "Die ganzen edlen Herren wollen es nicht lesen, weil es Dinge sind, die sagen, dass sie Unrecht haben. Meine Texte sind ja auch nicht für sie bestimmt. Aber jene, für die ich das alles schreibe, können nicht lesen. Es hat keinen Sinn."

Die letzten Worte erschütterten Faramir. Es hat keinen Sinn, wiederholte er für sich, es hat keinen Sinn, weil die Arbeiten, die sich gegen Vater richten, weggeschlossen werden, es hat keinen Sinn, weil die Adressaten es sowieso nicht verstehen. Wir sind allein. Diese bittere Erkenntnis spukte in der schwarzen Leere der Hoffnungslosigkeit von Faramirs Gedanken herum. Wir sind allein. Wir sind allein, weil das Volk, die graue Masse, sich wie eine Herde von Schafen unterwirft. Es unterwirft sich, es will nicht frei sein, es kann mit der Freiheit nicht umgehen.

"Wozu dann für die Freiheit kämpfen?", überlegte er laut. "Wozu jenen helfen, die keine Freiheit wollen?"

"Es hat keinen Sinn", wiederholte Ealdor. "Es hat gar keinen Sinn."

Faramir fühlte sich so schwach wie noch nie zuvor. Ealdor, der an seine Ziele geglaubt hatte, an den Faramir geglaubt hatte, hatte aufgegeben. Alles, was er in den letzten Jahren aufgebaut hatte, zerfiel zu einer Ruine. Es hatte keinen Sinn, sie würden aufhören, es war das Ende.

Der Feldhauptmann verspürte den Wunsch, alleine zu sein. Er musste es verarbeiten.

Er wechselte das Thema: "Dein Vater will mit dir reden, sobald du in der Zitadelle bist. Er hat ein Angebot für dich."

Ealdor wurde ein wenig blasser, ansonsten reagierte er nicht. Er war wie eine leere Hülle, die von ihrer Seele verlassen worden war.


Marschall Súrion war ein kräftig gebauter Mann mit dunkelbraunem, fast schwarzem, Haar, einem majestätischen Kriegerbart und kalten, grau-blauen Augen, der sein Kettenhemd nie auszuziehen schien. Mit übermäßig gerader Offiziershaltung schritt er in seinem Arbeitszimmer auf und ab, während sein kreidebleicher Sohn ins Leere starrte.

"Du hast mich mal wieder enttäuscht, Ealdor", predigte der Marschall. "Ich habe unvorstellbare Summen investiert, um dir eine hervorragende militärische Bildung zu verschaffen. Und wo geht das alles hin? Du bist mein Sohn, Ealdor. Jeder deiner Vorfahren war ein Held auf dem Schlachtfeld gewesen und du verkriechst dich in der Bibliothek! Mit deinen Begabungen! Welch eine Verschwendung..." Er schüttelte den Kopf. "Aber ich bin so gnädig gewesen, dir zu verzeihen. Und wie dankst du mir dafür? Du, der Sohn eines Marschalls, Spross eines der ältesten und reinblütigsten Geschlechter Gondors, nimmst stinkenden Pöbel in Schutz! Aber damit gibst du dich noch nicht zufrieden: Du gehst sogar so weit, mit deiner dreckigen Verräterzunge unseren Truchsess zu beleidigen!"

Ealdor antwortete nicht.

"Es gibt nur einen Weg, dein Verhalten zu korrigieren", fuhr Súrion streng fort. "Heute Abend wirst du an der Tafel unseres Herrn und Gebieters eine Rede halten, du wirst dich entschuldigen und deine lügenverseuchten Worte zurücknehmen. Anschließend schwörst du Herrn Denethor Treue und Ergebenheit und versprichst, nie wieder gegen ihn zu handeln. Verstanden?"

Der junge Mann senkte seinen Blick. Es hatte keinen Sinn, es hatte überhaupt keinen Sinn. Er war es leid, sich ständig zu fürchten. Er wollte, dass es aufhörte. Er wollte endlich Frieden. Er wollte mit Nimloth zusammen sein können, ohne ständig an die möglichen Folgen denken zu müssen. Es hat keinen Sinn, niemand braucht meine kritischen Aufsätze, ich kann ihnen nicht helfen, wenn sie nicht frei sein wollen, es hat keinen Sinn. Er bemerkte plötzlich, dass er es sich einredete, er war sich nicht sicher, ob er es sich nun wirklich einredete oder daran glaubte. Es hatte keinen Sinn, das war eine Tatsache. Eine Tatsache, die er sich immer wieder einredete. Er glaubte daran, aber er redete es sich trotzdem ein.

Er nickte.


Faramir schwieg. Er war so bestürzt, dass er kein Wort hervorbrachte. Doch sein Schweigen sagte mehr als durch Sprache auszudrücken möglich gewesen wäre. Erschüttert, erstarrt, zerschlagen. Aber auch vorwurfsvoll. Wie konntest du dem nur zustimmen?, schmerzte es erbarmungslos in seinem Herzen. Ich habe an dich geglaubt, du hast mir immer das Gefühl gegeben, dass das, was wir tun, einen Sinn hat! Und jetzt wendest du dich nicht nur davon ab, sondern verrätst alles, was dir teuer gewesen ist! Ich habe an dich geglaubt, Ealdor, ich habe an dich geglaubt...

"Ich dachte, du würdest lediglich nur mit dem Kampf aufhören, ich wusste nicht, dass du einer von ihnen werden willst", presste er schließlich heiser hervor.

Ealdor schaute zu Boden. Er wollte etwas erwidern, doch er schloss den Mund wieder, presste die Lippen zusammen, schüttelte leicht den Kopf und wandte sich zum Gehen.

Faramirs Verzweiflung und Enttäuschung schwollen bei diesem Anblick zu einer gigantischen Zornesflut an.

"War das alles etwa eine Lüge?", schrie er, riss seinen Freund herum und schaute ihm mit tränenden Augen ins Gesicht.

Der Gelehrte schloss nur kurz seine Augen und schaute weg. Faramir wusste, dass seine kritischen Aktivitäten keine Lüge gewesen waren.

"Warum, Ealdor?", flüsterte er, als seine Wut ein wenig nachließ. "Warum?" Seine Stimme zitterte.

Ealdor wollte weg. Weg von Faramir. Er nahm dessen Hände von seinen Schultern und trat einige Schritte zurück.

"Du verstehst es nicht", murmelte er. "Ich kann nicht anders." Er fürchtete sich. Er fürchtete sich vor Faramir.

Diese Worte ließen Faramirs Zorn wieder ansteigen.

"Verräter!", brüllte er und schmiss den schwächeren Ealdor zu Boden. "Ich hasse dich!"

Ealdor nahm es hin, er akzeptierte es. Er verdiente es.


Der Tag neigte sich dem Ende und bald würde er zum Abendmahl gehen. Ealdor hasste diesen Gedanken. Er hatte das Gesicht mit seinen Händen verhüllt. Faramir hatte recht, daran hatte er keinen Augenblick gezweifelt. Er war ein Verräter. Aber ich habe einen guten Grund, redete er sich ein, ich habe einen guten Grund, ich werde mich vor nichts mehr fürchten müssen, ich werde frei sein. Ich werde mit Nimloth zusammen sein. Aber zugleich wusste er, dass er es nicht konnte. Er konnte es nicht tun. Er konnte es nicht. Doch wenn ich es nicht tue, bin ich verloren.


Mit tränenverschmiertem Gesicht blickte Faramir auf die ganzen Bücher und Pergamentblätter, die den Boden seiner Schreibstube bedeckten. Er hatte an ihnen seine Wut ausgelassen. Nun lehnte er nur noch schwer atmend an der Wand mit einem Blick voller Bitterkeit. Er wusste nur zu gut, wieso Ealdor das Angebot seines Vaters angenommen hatte. Und dennoch konnte er seinem besten Freund nicht verzeihen. Ealdor war sein Halt gewesen. Nun war er allein.

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