Arda Fanfiction

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Einsame Lichter

von Feael Silmarien

Kapitel 3

Faramir wusste nicht, was er fühlte. Es war diese knisternde Anspannung, diese Unrast... Er wollte nicht, dass Ealdor den Wunsch seines Vaters erfüllte, aber er wollte auch nicht, dass sein bester Freund wieder im Gefängnis bei den sadistischen Aufsehern landete. Und er konnte dem jungen Gelehrten nicht einmal helfen...

Jetzt, wo einige Zeit seit ihrem Streit vergangen war, konnte Faramir klarer denken und zürnte Ealdor nicht mehr. Er hatte Verständnis für ihn. An seiner Stelle hätte er bestimmt nicht anders gehandelt. Er zweifelte auch nicht daran, dass er sich eines Tages in einer ähnlichen ausweglosen Situation befinden würde. Diese Vorstellung machte ihm Angst. Vielleicht sollte er Ealdors Beispiel sogar folgen?

Er schaute kurz quer über die Tafel zu seinem Freund und erschrak. Eigentlich hatte er erwartet, dass Ealdor einen inneren Kampf ausfechten würde, doch er hatte sich geirrt. Es war viel unheimlicher: Das Gesicht des jungen Mannes sah so aus, als würde er seinem eigenen Galgen entgegenblicken. Er aß nichts und starrte nur ausdruckslos auf seinen leeren Teller. Sein Antlitz hatte einen unnatürlich bleichen Farbton.

Er hat sich selbst zu Grabe getragen, als er Súrions Angebot annahm, dachte der Statthaltersohn, er hat seine Seele getötet, er lebt nicht mehr. Er zwang seine Lippen zu einem aufmunternden Lächeln, mit dem er Ealdor sagen wollte: Ich habe dir verziehen, ich verstehe dich, es ist in Ordnung, wenn du es tust. Aber der Tote starrte nur weiterhin mit leerem Blick auf seinen Teller.


Sobald die hohen Herren mit dem Speisen mehr oder weniger fertig waren, erhob sich Marschall Súrion und machte eine tiefe Verbeugung in Denethors Richtung.

"Erlaubt mir zu sprechen, mein Gebieter." Seine Stimme bebte vor falscher Ehrfurcht. "Ich möchte mich für das Fehlverhalten meines Sohnes entschuldigen und allen hier anwesenden edlen Herren mitteilen, dass er versprochen hat, sich zu bessern. Um dies zu bestätigen, will er sich heute Abend ganz offiziell bei Euch entschuldigen, Herr Denethor." Mit einem Wink befahl er Ealdor sich zu erheben und setzte sich.

Alle Köpfe wandten sich nun dem jungen Mann zu, der einen Augenblick lang seine Unsicherheit niederzukämpfen schien, darauf kurz die Augen schloss und scheinbar eine Art Gebet murmelte und schließlich tief Luft holte.

"Ich verspüre Reue, meine Herren", sprach er. Zuerst klang er leise und schwach, doch mit jeden Wort wurde seine Stimme kräftiger und entschlossener. "Ich verspüre Reue und Scham. Jahrelang versuchte ich, dem Volk Gondors zu beweisen, dass die Vorstellung, die reinblütigen Dúnedain seien mehr wert als andere Menschen, falsch sei. Jahrelang suchte ich in der Bibliothek Belege dafür, dass Herr Denethor seine Grenzen als Truchsess überschreitet. Jahrelang habe ich mir größte Mühe gegeben, den edlen Herren, die hier anwesend sind, ein Hindernis zu sein. Jahrelang habe ich gegen den Regenten Gondors und seine Verbündeten gekämpft. Heute hat mein verehrter Vater mit mir gesprochen und mich ermahnt, all meine Angriffe gegen die Elite zurückzunehmen. Und nun verspüre ich Reue und Scham. Ich bereue es, meinem Vater zugestimmt zu haben, ich schäme mich dafür, dass ich aus Furcht vor einer grausamen Strafe alles, wofür ich lebe, beinahe aufgegeben habe."

Faramir konnte den Blick von seinem besten Freund nicht abwenden. Alles, was die beiden jahrelang verbunden hatte, war wieder zurück. Alles. Ealdor war nicht tot. Er kämpfte, er war stark. Er war der Ealdor, den Faramir kannte, schätzte und bewunderte.

"Ich nehme nichts zurück, meine Herren", fuhr Ealdor trotz der bedrohlichen Stille unbeirrt fort. "Und mehr noch: Ihr könnt mit mir machen, was Ihr wollt, aber es wird alles vergeblich sein, das verspreche ich Euch. Denn meine Widerstandskraft ist stärker als Eure Methoden, andere Menschen auf den sogenannten 'rechten Weg' zu bringen. Ja, ich kann nicht viel bewirken. Ich kann nicht verhindern, dass Menschen, die nicht das reine Blut von Westernis in den Adern haben, ihr letztes Hab und Gut abgeben müssen, damit Ihr Euch reiche Paläste bauen könnt. Ich kann nicht verhindern, dass Ihr alle behauptet, von rein númenórischer Abstammung zu sein, was nach so vielen Jahren nach dem Untergang von Atalante kaum möglich ist. Ich kann nicht verhindern, dass alle, die anders denken, zu Tode gefoltert werden. Aber es steht in meiner Macht, nicht einer von Euch zu sein. Ich schwöre Euch: Lieber sterbe ich, als dass ich wie Ihr Burgen aus Gold erbaue, die auf Knochen und Menschenblut stehen. Lieber sterbe ich, als dass ich meine Seele an grausame Macht und Berge von Schätzen verkaufe. Denn ich bin ein Mensch. Ich bleibe ein Mensch und ich sterbe als Mensch, ohne mich für mein Leben zu schämen." Er schaute offensiv in die Runde. "Mehr habe ich nicht zu sagen."

Stille. Schweigen. Hass.

Der Schleier der Bewunderung zog sich von Faramir zurück und der junge Feldhauptmann dachte daran, was man mit Ealdor für diese Rede anstellen würde. Beunruhigt musterte er die anderen Gesichter und sein Herz schmerzte vor Angst um seinen Freund.

Ealdor hatte mitten ins Schwarze getroffen. Vor allem während des zweiten Teils seiner Ansprache waren einige der "edlen Herren" errötet und hatten ihre Gesichter verhüllt. Jetzt saßen sie alle zurückgelehnt da und grinsten ihn an. Was du nicht sagst, du kleiner Bengel, sagte ihre Blicke, ihre Masken, mit denen sie ihre Scham verbargen, ein Welpe bist du, der seine törichte Zunge nicht im Zaum halten kann.

Doch ihre Reaktion war Sonnenschein im Vergleich zu dem, was in Súrions Antlitz brodelte. Es war, als würde der Marschall seinen Sohn allein mit seinem Blick in Stücke reißen wollen.

Aber noch viel schlimmer war Denethor. Der Truchsess tat so, als hätte er den jungen Mann nicht einmal gehört. Er schaute ihn nur kurz an und gebot ihm mit einer ruhigen Geste, sich zu setzen.


Als alle sich erhoben und die Tafel verließen, immer noch zornig wegen Ealdors Auftritt, packte Faramir den Gelehrten am Arm und zerrte ihn nach draußen an die frische Luft.

"Bist du wahnsinnig?", zischte er in Ealdors Ohr. "Sie bringen dich um!"

Ealdor lächelte. "Das können sie nicht. Sie können meinen Leib zerstören, aber töten können sie mich nicht."

Faramir zog ihn über den großen Hof der Zitadelle, die von der Form her an ein Schiffsdeck erinnerte. Sein Ziel war der "Bug", der wie eine majestätische Pfeilspitze nach Osten zeigte. Dort war die Wahrscheinlichkeit belauscht zu werden am geringsten.

"Sie werden dich nicht nur töten, sie werden dich foltern!", flüsterte Faramir. "Sage mir: Wem hast du damit geholfen?"

"Mir selbst", antwortete Ealdor und genoss die frische Nachtbrise, die über seine Wangen strich.

Faramir starrte ihn an und brachte kein Wort hervor. Was hatte das zu bedeuten?

Ealdor schloss die Augen und atmete so selig ein und aus, als hätte man ihm eine starke Fessel von der Brust genommen.

"Ich sagte, es hätte keinen Sinn", sagte er schließlich. "Jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Alles, was ich getan habe, tat ich nicht für das Volk, sondern für mich. Ich tat es, um frei zu sein. Ich besiegte meine Furcht und tat das, was ich für richtig hielt, und nicht das, was man von mir wollte. Ich bin ich selbst. Ich bin frei."

"Wenn sie dich in den Kerker stecken, bist du es nicht mehr", sagte Faramir matt.

"Oh doch, das bin ich", erwiderte Ealdor. "Denn - Was ist Freiheit, Faramir? Ist es, wenn du dich frei bewegen kannst oder wenn du du selbst bleibst, was auch immer auf dich zukommt? Das ist wahre Freiheit, das habe ich nun begriffen."

Faramir schaute nachdenklich hinab zur Stadt. Vielleicht hatte Ealdor recht, aber...

"Die größte Herausforderung hast du noch vor dir."

Ealdors Lächeln wurde bitter. "Ich weiß."

"Warum hast du überhaupt das Angebot deines Vaters angenommen?", seufzte Faramir. "Wieso gerade vorhin? Früher konntest du ihm doch immer standhalten."

"Nimloth", antwortete Ealdor. "In den Häusern der Heilung sind wir uns sehr nahe gekommen und ich konnte es nicht ertragen, sie leiden zu sehen. Ich möchte zu ihr, Faramir. Ich möchte zu ihr und es macht mich schwach. Ich fange an, mir ständig etwas einzureden, ich fange an, mich zu fürchten. Ich darf sie nie wiedersehen."

Faramir legte ihm mitfühlend seine Hand auf die Schulter. "Sie wird es nur schwer verkraften können."

"Tust du mir einen Gefallen, Faramir?", sagte Ealdor plötzlich. "Hilf ihr, sorge dafür, dass sie nicht verwelkt, wenn ich nicht mehr da bin."

"Das werde ich tun", versprach Faramir.


"Eigentlich sollte ich dich vierteilen lassen, Súrion." Die ruhige Stimme des Statthalters klang geradezu beiläufig.

Der Marschall schwitzte. Er war nicht mehr der stolze Offizier und Vater, der vor einigen Stunden seinem Sohn eine Predigt über dessen Fehlverhalten gehalten hatte. Er hatte den Kopf eingezogen und kaute nervös auf seiner Unterlippe.

"Ich beuge mich Eurem Urteil, mein Gebieter", murmelte er.

"Ich sagte 'eigentlich', Herr Marschall", sagte der Truchsess mit honigsüßer Stimme. "Ich brauche dich noch."

"Es ist mir eine Ehre, dass Ihr mir trotzdem noch vertraut." In Súrions Augen funkelte ein kleiner Hoffnungsschimmer.

"Dein Sohn stört", erklärte Denethor kühl.

"Ich werde ihn unverzüglich hinrichten lassen, Herr", sprudelte Súrion hastig hervor.

"Nein." Der Truchsess lächelte. "Und weißt du auch, wieso?"

Der Marschall schüttelte den Kopf.

"Wenn wir ihn hinrichten, wird er als Sieger sterben", sagte Denethor. "Du weißt, dass ich das nicht mag, Súrion."

"Was soll ich tun, Herr?", fragte Súrion demütig.

"Das ist mir gleich", antwortete Denethor. "Ich will nur, dass er, seine Macht, sein Willen, zerstört ist."

Súrion schaute ihn entgeistert an. "Wie soll ich das denn schaffen?"

"Das überlasse ich dir", sagte Denethor hart. "Er ist dein Sohn, du kennst seine Schwachstellen am besten."

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