Arda Fanfiction

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Der Greve von Grimslade

von Ethelfara Ceorlred

Winter in Grimslade

Der König war bei seinem Besuch in Grimslade von den begonnenen Veränderungen mehr als begeistert gewesen, und er wollte die erste Ernte persönlich zu den Köchen von Meduseld bringen. Aber eine Sache hatte König Éomer keine Ruhe gelassen, und das war Roderics Reaktion auf die Bemerkung, dass vielen seiner jungen Krieger weder Familie noch eine Heimat geblieben wäre. Éomer und Roderic hatten an einem regnerischen Novemberabend lange in der Methalle am Feuer zusammengesessen und der König hatte einen sehr ausführlichen Bericht von Roderic über alles, was ihm in den zwei Jahren Unruhen im Auenland passiert war bekommen.

„Jetzt verstehe ich, was dich mitunter so aus der Fassung gebracht hatte“ meinte Éomer nachdenklich, als Roderic endlich bei seiner Erzählung beim ersten Aufbruch nach Rohan angekommen war. „Ich hatte meinen Vater Éomund recht schnell verloren: er war im Kampf gegen Orks in der Ostfold gefallen. Aber kurze Zeit später starb meine Mutter an Kummer, und ich und Éowyn waren alleine. Wir wurden recht bald von König Théoden, meinem Onkel, nach Meduseld gebracht, aber wir kamen in die oberste Kammer. Und Éowyn wurde bald zu den Kammerdienerinnen der Königin gebracht, auf dass sie lernen sollte, wie eine Dame sich nach Ansicht der Königin zu verhalten habe. Und ich war plötzlich des Nachts allein mit meinem Kummer. Na ja, immer noch besser als einen leiblichen Vater zu haben, der einen sogar töten wollte und der als Verräter eingekerkert ist.“

„Auch damit war ich alleine, mein König. In den Augen der Bevölkerung des Kernlands im Auenland soll ich zu meinem Vater stehen, hätte ihn aber vom Verrat abhalten sollen, ihm aber dennoch unbedingten Gehorsam leisten müssen.“

„Ich sehe, das ist dasselbe Ding der Unmöglichkeit, das manche von mir als kleinem Bub abverlangt hatten. Ich hätte nämlich den Dritten Marschall Éomund davon abhalten sollen, in Unterzahl in diesen Kampf zu ziehen.“

„ Das kenne ich nur zu gut, mein König. Leute, die selbst noch nie etwas zum Wohle der Allgemeinheit getan hatten, das aber von allen anderen fordern. Aber das sind dieselben Leute, die im Auenland Herrn Holdwine zwar bewundern, wenn er vorbeireitet, hinter vorgehaltener Hand aber über ihn spotten und lästern, dass die Balken brechen. Wenn es an meiner alten Heimat eine Sache gibt, die ich ganz und gar nicht vermisse, dann ist es das.“

„Was ich dir sofort glaube, Roderic Céorlred! Nun, jetzt wäre ich in Edoras ohnehin alleine gewesen: Lothíriel weilt in Mundburg, wo sie auf Wunsch des Hochkönigs einige Angelegenheiten zu erledigen hat. Und des Abends, wenn das Tagwerk getan ist wird es in Meduseld mitunter sehr ruhig. Hier in der Methalle von Grimslade ist immer Betrieb, du hast aber auch alle Unterkünfte mit deinen neuen Einwohnern belegt.“

„Ja, manchmal ist es sogar etwas zu viel für mich und Ardwyn. Wir werden uns wahrscheinlich noch nach einem kleinen Haus in unmittelbarer Nähe zur Methalle umsehen, wenn alle ihre dauerhafte Unterkunft bezogen haben (das hier ist nur eine Zwischenlösung) um dann wenigstens zur Nacht einen Rückzugspunkt zu haben. Hier in der Halle ist man immer auf einer Art Präsentierteller. Das mag für einen Marschall in seinem Heer angemessen sein, aber auf Dauer ist das für alle Beteiligten sehr anstrengend.“

Éomer nickte zustimmend. Er weilte gerade mal für einige Nächte hier, und trotzdem fand er das ständige Hintergrundgeräusch, das in einer vollen Methalle herrscht reichlich lästig. Dabei hatte ihn der Greve in seinem eigenen Quartier untergebracht; Roderic und Ardwyn ruhten derweil auf Feldbetten in der Großen Halle. Es war vielleicht standesgemäß, aber der König fand, dass es nicht richtig war: Roderic und Ardwyn hatten den ganzen Tag über viel zu tun und kaum einen Moment der Ruhe. Selbst während der Mahlzeiten wurde der Greve um Rat oder eine Entscheidung gefragt, die Roderic scheinbar in aller Gemütsruhe gab. Éomer wusste aus eigener Erfahrung, dass so etwas auf Dauer nicht gutgehen würde. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

„Roderic, Ardwyn, ihr beide werdet wieder in eurem Quartier ruhen. Keine Widerrede: ich werde persönlich darauf achten, dass ihr die Nachtruhe auch einhalten werdet! Ihr beide leistet schon über Tag mehr, als auf Dauer zu leisten geht. Nicht auch noch des Nachts: selbst die fleißigsten Bienen ziehen sich zur Ruhe in ihr Nest zurück, und so wird es für euch ebenfalls sein.“

„Mein König, meint Ihr nicht, dass das für drei aber etwas zu beengt sein wird?“ Ardwyn wollte noch mehr sagen, aber Éomer winkte ab.

„Wird es nicht, Ardwyn. Auch ich hatte lange genug meine Zeit als Marschall und Heerführer, und ich werde einige Tage durchaus auf einem Feldbett in eurem Quartier zubringen können. Immer noch bequemer als ein Feldbett in einem Zelt zu haben. Außerdem werden weniger Leute es wagen, eure Nachtruhe zu unterbrechen, wenn sie damit den König ebenfalls aufwecken. Für wichtige Dinge ist das in Ordnung, aber nicht auch noch für Angelegenheiten, die sich ohne Schwierigkeiten unter Tag lösen lassen.“

Damit war es so, wie der König es wünschte, und Roderic konnte seine erste halbwegs ruhige Nacht seit Langem genießen. Éomers Vorhersage wirkte tatsächlich: niemand wagte es, die königliche Nachtruhe für irgendwelche Dinge zu unterbrechen, die auch noch bei Tag geklärt werden konnten. Ardwyn meinte, dass es an sich in Grimslade des Nachts ja doch ruhig sein könnte.

„Sicher tut es das“ lächelte der König. „Nachdem ich und Éowyn nach Meduseld gekommen waren, war es erst Grímferth und dann Grimbold, der uns regelmäßig nach Grimslade holte, und ich hatte den Aufenthalt hier immer als etwas sehr Erholsames in Erinnerung behalten. Ich bin mir sicher, dass ihr beide das so wieder hinbekommen werdet. Dann werde ich meine Schwester nach Grimslade holen: ich bin gespannt, was sie dann dazu sagen wird.“

König Éomer war wieder nach Edoras zurückgekehrt, und Greve Roderic hatte über den Jahreswechsel genug damit zu tun, die laufenden Arbeiten in Grimslade anzuleiten. Der Winter war erstaunlich mild geblieben, und so konnten schon Ende Januar alle Wohnhäuser im Ort als fertig renoviert angesehen werden. Zeitgleich waren die ersten Wagen voller Wintergemüse nach Edoras geschickt worden, und ein staunender Éomer meinte, dass allein diese Menge schon die komplette letzte Jahresernte übertroffen hatte. Einige Tage später kam ein Bote aus Feldheim in Grimslade an: Greve Elfmar hatte seinem Sohn vertretungsweise die Verantwortung über die Feldmark übergeben, jetzt ließ er anfragen, ob es für Greve Roderic ein Problem wäre, wenn er in Grimslade die Ankunft von Saradoc und Sithric erwarten könnte. Zudem wollte er wissen, wo um alles in der Welt sie diese Mengen an Lauch und Rosenkohl angebaut hätten.

Natürlich war es für Roderic kein Problem, wenn Elfmar in Grimslade bleiben wollte, schließlich hatte er fast zeitgleich eine Nachricht von Lothrandir aus Königsnorburg erhalten: dieser schrieb davon, dass seine Edelleute bereits aufgebrochen seien und ob des milden Winters bereits jetzt die Durchquerung von Enedwaith wagen wollten. Und sie hatten den Auftrag, zum ersten Februar fünf Reisende aus dem Bockland in Bree zu erwarten, um sie nach Rohan zu geleiten.

„Na, hoffentlich müssen die fünf Reisenden aus dem Bockland nicht auch noch die gondorischen Edelleute schützen“ lachte Roderic. Ardwyn kannte die Geschichte von Roderics erster Reise nach Rohan bereits und stimmte in das Gelächter ein.

Einige Tage später meldete die Torwache, dass sich ein Reiter im gestreckten Galopp Grimslade nähern würde, und Roderic ritt zum Tor. Elfmar konnte es scheinbar wirklich nicht mehr erwarten, seine alten Freunde wieder in Rohan zu begrüßen.

„Ich sehe und staune“ sagte ein überraschter Elfmar, als Roderic seinen Gast am Tor begrüßte. Natürlich waren beide voll gerüstet. „Vierter Marschall der Riddermark – was mein König über dich berichtet hatte stimmt tatsächlich! Grímferth und Grimbold haben einen würdigen Nachfolger, das will ich meinen. Und was die Lieferung aus Grimslade angeht: das kam doch nicht wirklich alles von dir?“

„Ich weiß nicht, was der König alles zu dir geschickt hat“ lächelte Roderic. „Wir hatten fünf Handelswagen aus Grimslade nach Edoras entsandt, der Inhalt von drei weiteren Wagen sollen unsere Vorräte bis zum Herbst sein. Ansonsten werden wir uns von dem ernähren, was die Wälder des Gebirges hergeben. Und glaube mir, das sind gute Jagdgründe!“

„Das werden Saradoc und Sithric dir mit Sicherheit bestätigen“ sagte Elfmar. „Also, der König hatte einen Handelswagen mit dem besten Wintergemüse und dem dazu passenden Wild nach Feldheim entsandt. Und ich frage mich wirklich, was davon zugekauft worden war.“

„Nichts davon. Vielmehr ist es so, dass in Edoras offenbar noch etwas aus dem Wagen entnommen worden ist: wir haben fünf Wagen voller Gemüse entsandt. Weitere Handelswagen waren mit Wild beladen, das ich und einige meiner Krieger im Gebirge erlegt hatten. Schließlich gehört zu gutem Gemüse doch wohl auch ein guter Braten. Übrigens hat meine Frau Ardwyn offenbar schon ein gutes, kräftiges Abendmahl für alle bereiten lassen, die weit gereist sind oder ein hartes Stück Arbeit hinter sich haben.“ Ein kräftiger Duft zog über Grimslade.

Damit machten sich die beiden auf den Weg zur Methalle, wo Elfmars Erwartungen wieder einmal übertroffen wurden. Neben einem ganzen, gebratenen Wildschwein türmte sich der Rosenkohl, aber in der Methalle hatten sich ja auch alle versammelt, die an diesem Tag wieder ein Stück in der Erschließung weiteren Ackerlandes weitergekommen waren. Und selbst Elfmar stieß einen satten Seufzer aus, als der Greve die Tafel aufgehoben hatte.

„Mein lieber Greve Roderic, das letzte Mal, dass ich so reichhaltig gegessen hatte war bei der Begräbnisfeier von König Théoden! Und das ist schon einige Jahre her und bei Weitem kein so freudiger Anlass wie heute. Ich glaube, wenn ich dich in einem oder zwei Jahren wieder hier besuchen sollte, dann dürfte deine Tafel der der Herren vom Bockland mit Sicherheit in nichts nachstehen!“

„Hoffen wir es“ sagte Roderic und erhob seinen Krug. „Auf die baldige und sichere Ankunft unserer Gäste aus dem fernen Bockland! Und auf uns!“

Die folgenden Tage nutzte Roderic dafür, seinem Gast die umliegenden Felder zu zeigen und Elfmar zu erklären, weshalb sie die größten Äcker in der direkten Ortsnähe brachliegen ließen. Weiter oberhalb von Grimslade waren die Rodungen noch immer zugange, aber der Greve achtete darauf, dass vor allem die zugewachsenen Buschlande wieder urbar gemacht wurden. Elfmar nickte anerkennend: er konnte davon berichten, dass unter Greve Grímferth die Lande, die jetzt wieder gerodet wurden als Weideland genutzt worden waren.

„Und du willst dort oben wirklich Getreide anbauen lassen?“ Elfmar blickte zweifelnd zu Roderic.

„Ich dachte an die robusten und ausdauernden Sorten, die im Nordviertel und jetzt auch an den Turmbergen verwendet werden. Das Klima dort ist mitunter selbst im Sommer rauher als hier im Frühjahr oder im Herbst, und viele Böden dort sind mager. Saradoc und Sithric kommen übrigens nicht nur mit ihren Ehefrauen, sie bringen zudem noch eine Landwirtschaftsmeisterin mit, die vorher bei der Regenerierung ausgelaugter Böden bei Sackheim und im Langgrund mitgewirkt hatte. Und sie werden das nötige Saatgut mitbringen, Elfmar. Aber die dafür vorgesehenen Äcker müssen bereit sein, wenn die Reisenden hier eintreffen.“

„Das erklärt den Fleiß, mit dem alle hier bei der Sache sind. Ich bin mir sicher: nächstes Jahr werden zur Erntezeit nicht nur die Leute in Edoras Augen machen!“

„Hoffen wir, dass alles auch so wie geplant funktioniert“ meinte Roderic nachdenklich. Noch waren die Reisenden aus dem Bockland nicht in Rohan eingetroffen, und bei jedem eintreffenden Reiter zuckte er zusammen. Aber noch waren es lediglich die üblichen Nachrichten und Botschaften, die zwischen dem König und seinem Greven ausgetauscht wurden.

Die arbeitsamen Tage flossen dahin, aber so langsam waren die von Roderic angedachten Änderungen für alle sichtbar. Jetzt war den Bauern von Grimslade klar, was ihr neuer Greve mit den Rodungen bezwecken wollte: nicht immer mehr auf den gleichen Feldern anbauen, sondern dem Boden ausreichend Zeit zur Erholung geben – und nicht immer nur Gerste, Hafer und Emmer anbauen. Dafür sollte es mehr Abwechslung auf den Tafeln und Tellern geben, und mit dem Wintergemüse hatte Roderic eine erste Änderung im jährlichen Arbeitsplan eingeführt.

Und was den Arbeitsplan selbst anging: der Greve legte Wert darauf, dass wenigstens einer in jeder Familie des Lesens und Schreibens mächtig war (je mehr diese Kunst beherrschten, desto besser, fand er) damit zum einen seine Weisungen schneller ihre Verbreitung fanden und zum anderen irgendwann die einzelnen Familien Aussaat und Ernte selbst festlegen und die Reihenfolge der Feldfrucht selbst bestimmen konnten. Immerhin hatte Roderic in Ardwyn eine gute Lehrerin, und Elfmar beteiligte sich ebenfalls am Unterricht. Und wenn der Greve von Grimslade die Zeit dafür fand, dann gab es einige besondere Unterrichtsstunden: dann brachte er den Schülern bei, welche Rückschlüsse sie aus ihren Aufzeichnungen ziehen konnten.

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