Arda Fanfiction

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Die Chroniken von Ithilien

von Celebne

Henneth Annûn

Durch die Äste rann ein kühler Sommerregen auf die vermummten Waldläufer nieder. Die wasserdichte Schicht ihrer olivgrünen Kapuzenmäntel hatte sich längst aufgelöst. Entmutigt schob Faramir seine Gesichtsmaske herunter. Er war ebenso wie seine Männer durchnässt bis auf die Haut und er fror erbärmlich, obwohl die Temperaturen angenehm waren. Damrod, der neben ihm stand, unterdrückte ein Niesen.

„Es hat keinen Zweck mehr“, meinte Faramir mit einem leisen Seufzen. „Bei diesem Wetter werden die Haradrim wohl auch nicht weiterwandern wollen. Sie werden unten am Wildbach in ihren Zelten sitzen und warten, bis es aufhört zu regnen. Laßt uns zurück nach Henneth Annûn gehen.“
Die Waldläufer nickten erleichtert. Sie packten ihre Bögen und Lanzen, und marschierten dann auf leisen Sohlen den Weg zur geheimen Festung zurück.

Faramir zog seine nassen Sachen aus, trocknete seinen Körper mit einem rauen Leinentuch ab, schlüpfte dannach in eine trockene Tunika und in eine dunkle Lederhose. Er befand sich in einer kleinen Felsenkammer, die ihm alleine als Heermeister zustand. Henneth Annûn war für ihn inzwischen ein zweites Zuhause und seine Waldläufer waren für ihn fast zu Familienmitgliedern geworden. Er war seit zwei Monaten nicht mehr in Minas Tirith gewesen. Faramir dachte wehmütig an die Weiße Stadt: er sehnte sich dannach, endlich einmal wieder durch die Festungsringe zu schlendern, seine Lieblingstaverne aufzusuchen und in den Gärten stundenlang zu lesen.

„Herr Faramir?“
Es war Damrods Stimme, die ihn aus seinen Träumen aufschreckte. Faramir drehte sich zu dem treuen Soldaten um.
„Was gibt es?“ fragte er ein wenig niedergeschlagen.
„Das Nachtmahl ist angerichtet“, erklärte der Waldläufer freundlich. „Wir haben heute frische Vorräte aus Cair Andros bekommen. Endlich gibt es wieder Früchte und knuspriges Weißbrot.“
Faramirs Miene hellte sich auf. Das war wirklich eine willkommene Abwechslung in der eintönigen Kost, die es zuletzt gegeben hatte. Langsam konnte er nämlich Dörrfleisch und Zwieback nicht mehr sehen.

Die Waldläufer hatten eine Tafel in der vorderen Höhle errichtet: ein großes Brett war auf Fässern gelegt worden. Holzteller und irdene Schüsseln standen darauf. An Faramirs Platz stand ein Pokal aus Silber, aus welchem er immer trank. Der junge Heermeister ging zu seinem Stuhl und die anderen Waldläufer gingen auch zu ihren Plätzen. Faramir legte die rechte Hand auf seine Brust und blickte Richtung Höhleneingang, der nach Westen zeigte. Seine Männer taten es ihm gleich. Das kleine Ritual dauerte nur einige Augenblicke. Faramir war der Erste, der sich dann setzte. Geräuschvoll nahmen auch seine Männer ihre Plätze ein.
Es gab tatsächlich frisches Brot, Früchte, Käse, Fisch und sogar kleine Honigkuchen zum Nachtisch.

„Das reinste Festmahl“, bemerkte der junge Anborn strahlend.
„Das ist es wahrlich“, bestätigte Faramir fröhlich und er brach sich ein Stück vom Brot ab und reichte es weiter.
Es wurde ausgiebig geschmaust und zur Feier des Tages bekam jeder Waldläufer noch einen kleinen Krug Wein. Es wurden noch mehr Fackeln  in der Höhle entzündet, da es Nacht geworden war. Faramir erhob sich von der Tafel und ging noch einen Augenblick nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Der Mond war über der stillen Welt aufgegangen. Der rothaarige Mann blickte hinab in das bewaldete Tal, in welches auch der tosende Wasserfall stürzte, der eine Art Schutzvorhang für die Höhle der Waldläufer bildete.

Irgendwo dort unten befand sich das Heerlager der Haradrim. Der junge Heermeister seufzte leise: es würde nicht einfach werden, Südländer aus Ithilien zu vertreiben. Er hatte zu wenig Männer, um die Haradrim in ihrem Lager anzugreifen. Man konnte eigentlich nur einen Hinterhalt legen, um ihnen so möglichst viele Verluste zuzufügen. Immerhin hatte es jetzt aufgehört zu regnen. Faramir hoffte, dass der nächste Tag auch trocken blieb. Dann gab es sicher eine Gelegenheit, die Haradrim in eine Falle zu locken.

Auf einmal sah Faramir drei Gestalten in der Dunkelheit, die langsam auf die Höhle zukamen. Zwei davon waren Waldläufer, Mablung und Tarcil: sie führten einen dritten Mann mit sich, der gefesselt und dessen Augen verbunden waren. Faramir erkannte, dass der Gefangene die Tracht der Haradrim und die entsprechende Kopfbedeckung trug. Von seinem Gesicht sah man nur die Nasenspitze – alles andere war verdeckt.

„Den Burschen haben wir unten im Wald aufgestöbert“, erklärte Tarcil stolz und gab dem Gefangenen einen unsanften Stoß, so dass dieser hinfiel.
Faramir warf Tarcil einen strafenden Blick zu, denn er konnte das unnötige Quälen von Gefangenen nicht leiden.
„Hat er dir persönlich etwas getan, Tarcil?“ fragte der Heermeister streng.
Der jüngere Mann blickte Faramir ganz verdattert an und schüttelte schließlich verlegen den Kopf. Faramir half dem Gefangenen jetzt wieder auf die Füße und zog ihn in die Höhle hinein.

„Bringt eine Lampe!“ rief er Damrod und den anderen zu, die drinnen herumsaßen.
Damrod sprang sofort auf und brachte eine helle Lampe, deren Flamme mit Öl gespeist wurde. Faramir nahm sie und stellte sie auf ein Faß. Dann wandte er sich wieder dem Gefangenen zu. Er zog ihm die Augenbinde herunter und blickte zu seiner Überraschung in klare, hellgraue Augen und nicht in kohlschwarze Haradrim-Pupillen. Vorsichtig machte Faramir dem Gefangenen auch noch das Tuch weg, das er vor dem Mund trug. Und plötzlich blickte er in ein Mädchengesicht.

„Was für eine Überraschung“, sagte der junge Heermeister erstaunt.
„Habt Ihr noch nie eine Frau gesehen?“ fragte das weibliche Wesen spöttisch in reinem Sindarin.
„Ihr seid ganz schön dreist!“ rief Damrod empört. „Wißt Ihr nicht, vor wem Ihr steht? Das ist Faramir, der Heermeister Gondors!“
„Schon gut, Damrod“, winkte Faramir ab und wandte sich der jungen Frau zu.
„Für eine Dame aus Harad sprecht Ihr ausgezeichnet Sindarin.“
„Ich bin nicht aus Harad!“ fauchte das Mädchen zurück. „Mein Name ist Areanor, Pelendirs Tochter. Ich stamme aus einer der edelsten Familien von Ithilien ab. Zu meinen Urahnen gehört auch Húrin, der Statthalter.“

„Dann sind wir ja sogar verwandt“, bemerkte Faramir mit einem leichten Lächeln. „Trotzdem macht mich Euer Aufzug etwas mißtrauisch. Es dürfte ja nicht zur Normalität gehören, dass eine junge Frau aus Ithilien in Harad-Tracht herumläuft und sich noch dazu aus Mann ausgibt.“
„Die derzeitige Lage in Ithilien zwingt mich dazu“, erwiderte Areanor gelassen und streifte sich die Kopfbedeckung ab.
Zur Überraschung der Waldläufer waren ihre Haare auf Schulterlänge gekürzt. Normalerweise trugen die Frauen Gondors ihre Haare hüftlang. Areanor entging die Verblüffung der Männer nicht und sie lächelte schief.
„Wie gesagt, dieses Land ist mit Krieg überzogen und man kommt nur durch, wenn man sich anpasst“, fuhr sie fort. „Ich wusste allerdings nicht, dass Gondor hierher noch Truppen schickt.“

„Warum seid Ihr nicht aus Ithilien geflohen, so wie es die anderen Einwohner getan haben?“ wollte Faramir wissen und verschränkte die Arme.
„Meine Familie wird ihr Land niemals aufgeben“, sagte Areanor stolz. „Wir haben unterhalb der Emyn Arnen ein prächtiges Anwesen. Einst waren meine Vorfahren sogar die Fürsten dieses Landes.“
„Ihr meint wohl ‚unsere’ Vorfahren“, verbesserte Faramir sie. „Fürsten gab es in Ithilien nicht mehr, seid die Truchsessen nach Minas Tirith zurückgekehrt sind.“
„Mein Vater hätte es jedenfalls verdient, Fürst zu sein“, entgegnete Areanor ungehalten.
„Und wo steckt Euer Vater?“ wollte der junge Heermeister wissen.
„Er ist Gefangener der Haradrim“, sagte Areanor bedrückt. „Aber ich werde ihn befreien.“
„Mit dieser Rüstung?“ fragte Faramir erneut spöttisch. „Woher habt Ihr sie eigentlich?“
„Ich habe einige Haradrim gesehen, die in einem Bach badeten“, erwiderte Areanor und errötete leicht. „Die Rüstungen lagen am Ufer es herum. Es war einfach für mich, eine davon zu stehlen.“

Faramir betrachtete die mutige, junge Frau bewundernd. Er fragte sich jedoch ob es sinnvoll war, ihr zu helfen. Eigentlich konnte er keine Männer entbehren. Doch Pelendir war ein angesehener Mann, auch in Minas Tirith. Dass er eine Tochter hatte, hatte Faramir bisher nicht gewusst. Er ließ Areanor etwas zu essen geben und beriet sich dann mit seinen ältesten Kriegern: Damrod, Mablung und Madril.

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