Brütend lag die heiße Julisonne des Jahres 2 VZ über dem fürstlichen Anwesen in den Emyn Arnen. Das große Fenster von Faramirs Schreibstube war weit geöffnet, doch es kam kaum ein kühler Luftzug in den Raum. Der junge Fürst saß in einer leichten Sommertunika an seinem Schreibpult, die Ärmel hochgekrempelt. Seine rote Lockenpracht hatte er im Nacken zusammengebunden, damit er nicht noch mehr schwitzte.
Rhythmisches Klirren drang aus dem sonst stillen Hof zu ihm in das Zimmer hoch. Es war das Geräusch von zwei Schwertern, die immer wieder aufeinandertrafen. Dazwischen konnte er lautes Ächzen vernehmen. Faramir legte die Schreibfeder seufzend nieder. Er verstand beim besten Willen nicht, warum seine Gemahlin selbst bei dieser Hitze Wert auf tägliche Schwertkampfübungen legte.
Verdammt, sie war die Fürstin von Ithilien und nicht mehr die Schildmaid Rohans!
Er erhob sich und trat an das offene Fenster, und zwar so, dass sie ihn nicht sah. Éowyn hatte den Brustharnisch ihrer Rüstung über das leichte Sommerkleid gezogen und kämpfte so gegen Borlach, ihren Trainingspartner. Borlach war ein hochgewachsener Mann, der früher in der Turmwache von Minas Tirith gedient hatte. Er gehörte zu den geschicktesten Schwertkämpfern von Gondor und hatte sich sofort gemeldet, als Éowyn nach einem Partner für ihre Übungskämpfe gesucht hatte. Nicht ohne Eifersucht mußte Faramir feststellen, dass seine Gemahlin mehr Zeit mit Borlach verbrachte als mit ihm. Sein Blick fiel wehmütig auf die Gärten hinter dem Haus. Dort hatte Éowyn nach ihrer Hochzeit ein halbes Jahr lang artig versucht, Heilkräuter zu ziehen. Eines Tages war sie dann zu ihm gekommen und hatte verdrossen erklärt, sie sei nicht zur Heilerin geboren, sondern eigentlich schon immer eine Schildmaid gewesen. Seitdem übte sie jeden Tag mit dem Schwert.
Im Hof war jetzt Stille eingekehrt und Faramir machte vorsichtig einen Schritt vom Fenster zurück. Er hörte, wie sich seine Gemahlin lachend von Borlach verabschiedete und ins Haus ging. Ihr Weg führte nach oben zu den Privatgemächern des Fürstenhauses. Faramir hielt es nicht mehr länger in der Schreibstube aus und folgte ihr. Sie war bereits oben angekommen und befand sich offensichtlich im Ankleidezimmer, denn der eiserne Harnisch fiel mit einem scheppernden Laut zu Boden.
„Hurtig, Gwyneren, bereite mir ein Bad!“ rief Éowyn aufgekratzt, denn sie dachte, ihre Zofe sei nach oben gekommen.
„Ich muß später nach Minas Tirith reiten“, fuhr sie eifrig fort und schlüpfte aus ihrem Sommerkleid.
„So?“ machte Faramir etwas ungehalten, welcher plötzlich im Türrahmen des Ankleidezimmers stand.
Éowyn, die nur noch einen hauchdünnen Unterrock trug, erschrak und hob rasch ihr Kleid vom Boden hoch, um ihre Blöße zu bedecken. Faramir machte einen Schritt auf sie zu. Er begehrte sie in diesem Moment über alle Maßen, doch er ahnte bereits, dass Éowyn nichts von einem Schäferstündchen im Ehebett halten würde. Er wusste schon gar nicht mehr, wann sie zum letzten Mal zusammengelegen hatten. Die Schildmaid hatte seit einem halben Jahr ihr eigenes Schlafgemach, da sie für ihre Kampfübungen angeblich einen ruhigen Schlaf brauchte. Faramir jedoch vermutete, dass Éowyn Angst vor einer Schwangerschaft hatte, und das ärgerte ihn. Sie redete nie mit ihm offen über ihre Wünsche und Ängste. Sie stellte ihn aber gerne vor vollendete Tatsachen.
„Was willst du hier?“
Ihre Stimme klang bei dieser Frage eine Nuance zu schroff, was Faramir empörte.
„Ich frage dich, was du schon wieder in Minas Tirith willst“, wollte er ungehalten wissen und fixierte sie mit seinen stahlblauen Augen.
Éowyn ertrug es nicht, wenn er sie so anklagend anblickte, und sah an ihm vorbei zur Tür.
„Ich wollte nur das Königspaar und die kleine Prinzessin besuchen“, nuschelte sie verärgert.
„Gefällt dir die kleine Tochter unseres Königs so sehr?“ fragte Faramir spöttisch, weil er merkte, dass sie log. „Wäre es nicht schön, wenn wir auch so ein reizendes Kind hätten?“
Éowyn machte plötzlich einen Schritt zurück.
„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ fauchte sie ihn an. „Keinen Schritt und Tritt kann man hier alleine machen. Ich komme mir bei dir vor wie in einem....“
„Käfig?“ ergänzte Faramir ironisch. „Ich habe mir diese Käfiggeschichte oft genug schon von dir angehört. Immer wenn ich dich an deine ehelichen Pflichten erinnere, kommst du damit. Wenn dir unsere Ehe wie ein Käfig vorkommt, frage ich mich, warum du mich geheiratet hast.“
„Du weißt, warum ich dich geheiratet habe“, konterte Éowyn finster. „Muß ich dich an meine Worte in den Häusern der Heilung erinnern?“
„Manchmal schadet das nichts“, meinte Faramir fast amüsiert und versuchte sie in die Arme zu nehmen.
Doch Éowyn wies ihn unwillig zurück.
„Bitte laß mich jetzt und sag Gwyneren Bescheid wegen des Bades.“
Faramir blickte sie verletzt an und verließ wortlos das Ankleidezimmer.
Als er wieder nach unten ging, fragte er sich, was aus seiner Ehe geworden war. Eigentlich gifteten er und Éowyn sich nur noch an, wenn sie alleine waren, und das nach einerhalb Jahren Ehe. Bei offiziellen Anlässen konnte die ehemalige Schildmaid sehr liebenswürdig und zuvorkommend sein. Da spielte sie ausgezeichnet die liebende Ehefrau und himmelte ihn geradezu an. Faramir hatte sich inzwischen eine merkwürdige Art von Zynismus angewöhnt. Anders war dieser Zustand auch kaum zu ertragen.
Eine Frau mit flachsblondem Haar kam ihm in der Eingangshalle des Fürstenhauses entgegengelaufen. Es war Gwyneren, die Zofe aus Rohan, welche Éowyn diente.
„Mein Herr, ich suche Frau Éowyn“, sagte sie mit ihrem hartem Akzent und knickste kurz vor Faramir.
„Sie ist oben und möchte ein Bad von Euch bereitet haben“, meinte der junge Fürst mürrisch und wies nach auf die Treppe.
Er ging wieder in seine Schreibstube und fast schon gewohnheitsmäßig schenkte er sich einen Kelch Rotwein ein. Er wusste, dass er eigentlich zu viel trank, aber heute war wieder so ein Tag, wo ihm das herzlich egal war.