Es war ein wundervoller Frühlingsmorgen im Jahre 3010 DZ. Faramir und eine Schar Waldläufer, alle in grün und braun gewandet, kehrten von einem Auftrag in Ithilien zurück. Zwei Monate lang hatten sie in den Wäldern rund um Henneth Annûn Orkbanden gejagt, die einige Dörfer Ithiliens überfallen hatten. Fünf Waldläufer waren dabei ums Leben gekommen und acht weitere verwundet worden. Faramir schmerzte der Verlust seiner Männer sehr, doch war es nicht seine Schuld, dass sie getötet worden waren. Die Orks waren den Waldläufern oft zahlenmäßig überlegen gewesen in den zahlreichen Scharmützeln, in denen sie aufeinandergetroffen waren.
Faramir sah es als seine Pflicht an, die Familien der Gefallenen aufzusuchen und ihnen Trost zu spenden, allerdings erst, nachdem er seinen Vater Bericht erstattet hatte.
Die Waldläufer wurden in der Stadt freudig begrüßt. Die Menschen liefen auf den Straßen zusammen, winkten und warfen Blumen. Ein junges Mädchen wagte sogar, zu Faramir persönlich hinzugehen und ihm eine Tulpe in die Hand zu drücken. Der junge Heermeister bedankte sich verlegen und warf dem Mädchen ein scheues Lächeln zu.
Sie erinnerte ihn etwas an Féwen in ihrer unbefangenen Art. Obwohl die ganzen Ereignisse bereits neun Jahre zurücklagen, hatte Faramir seine unglückliche Liebe zu dem Mädchen aus Breeland nicht vergessen. Er seufzte kurz auf und ging weiter.
Während die Waldläufer ihre Quartiere, beziehungsweise ihre Familien aufsuchten, lenkte der junge Heermeister seinen Schritt zur Zitadelle. Dort oben herrschte geschäftiges Treiben, als wenn ein Fest vorbereitet würde.
Faramir war ziemlich erstaunt darüber, denn normalerweise gab sein Vater nie ein Fest, wenn er von einem Feldzug zurückkehrte. Die Bediensteten hatten den Eingangsbereich der Zitadelle mit Blumen und Teppichen geschmückt. Überall duftete es nach Gesottenem und Gebratenem. Als Faramir wie üblich in den Thronsaal gehen wollte, um seinem Vater Bericht zu erstatten, hielt ein Bediensteter ihn zurück.
„Nein, junger Herr, der Truchseß empfängt heute in seiner Amtsstube – der Saal wird für das Fest vorbereitet.“
„Welches Fest?“ fragte Faramir nun erstaunt.
„Euer Vater hat hohe Gäste aus Lossarnach eingeladen“, erklärte der Diener eifrig, welcher Tircil hieß.
Der junge Mann hob erstaunt eine Augenbraue und sagte nichts weiter. Normalerweise war es nicht üblich, dass Denethor Gäste einlud und ein Fest gab, denn der Truchseß war eher mürrisch und eigentlich niemals in Feierlaune. Das letzte große Fest war Boromirs dreißigster Geburtstag vor zwei Jahren gewesen.
Faramir war nun gespannt zu erfahren, was der Truchseß im Schilde führte. Als er zur Amtsstube seines Vaters trat, hörte er darin Stimmen, die sich scheinbar angeregt unterhielten. Er vernahm sogar das Kichern einer Frau. Der junge Mann beschloß, schnell in sein Gemach zu gehen und sich umzuziehen, denn in seiner verschmutzten, staubigen Waldläuferrüstung wollte er keine Gäste begrüßen. Sein Vater würde dies bestimmt nachsehen. Rasch ging Faramir also zu der Privatwohnung der Truchsessfamilie, die im Nordflügel der Zitadelle lag. Mit einem Lächeln betrat der junge Heermeister den Raum. Sein erster Blick fiel auf den mattglänzenden Kelch, der in einem Regal stand. Kurz wurden die Erinnerungen an sein Abenteuer mit Sûl Lomin wach. Doch jetzt galt es, sich so schnell wie möglich frisch zu machen, denn der Truchseß wartete nicht gerne allzu lange. In seinem Gemach stand bereits eine Schüssel warmes Wasser, daneben lag ein Stück Seife, ein Handtuch, und sogar Rasierzeug. Faramir zog rasch die Rüstung aus und begann sich dann zu waschen. Er betrachtete sich im Spiegel: ein dünner, rotblonder Bart umrahmte sein Gesicht. Der Bart wirkte nicht verwildert, daher beschloß der junge Mann, ihn nicht abzunehmen. Er schlüpfte in eine dunkelgrüne, dünne Tunika mit silberner Bordüre und zog schwarze Hosen dazu an. Er kämmte seine schulterlange Lockenmähne und blickte noch einmal kurz in den Spiegel.
Als er das Gemach verließ, begegnete ihm Boromir. Auch dieser trug eine schöne Tunika, seine Haare und sein Bart waren sauber gestutzt. Lachend fiel er Faramir um den Hals.
„Du hast dich also schon gewaschen – sehr gut!“ lobte er seinen jüngeren Bruder. „Vater hat die Gäste aus Lossarnach bei sich in der Amtsstube empfangen.“
„Weißt du, was das alles für einen Grund hat?“ fragte Faramir verwundert. „Vater läd doch fast nie Gäste bei sich ein. Und wenn, dann gibt er deswegen kein Fest.“
Boromir ließ seinen Bruder plötzlich los und sah betreten zu Boden.
„Nun, Vater wird dir schon sagen, welchen Zweck dieses Fest hat“, druckste er herum.
Faramir verschränkte die Arme und blieb stehen. Soviel Zeit mußte sein, um zu erfahren, was los war.
„Du musst mir sagen, was Vater vorhat“, bedrängte er Boromir.
Der blonde Krieger seufzte und fuhr sich verlegen durch das halblange Haar.
„Kennst du eigentlich Frau Tíndomerel, die Tochter von Fürst Forlong?“ fragte er schließlich.
„Ich habe sie vor einigen Jahren flüchtig kennengelernt, als wir zum Mettarë-Fest in Lossarnach eingeladen waren“, gab Faramir nachdenklich zurück. „Sie ist sehr hübsch und war damals auch recht unterhaltsam.“
„Das ist gut zu wissen“, seufzte Boromir leise. „Dann ist vielleicht das Ganze nicht so schlimm für dich.“
„Was soll schlimm für mich sein?“ bohrte der junge Mann neugierig nach.
„Dass dich Vater mit Tíndomerel verheiraten will“, erwiderte Boromir bedrückt.
Faramir traute seinen Ohren nicht: er sollte heiraten? Eine Frau, die er kaum kannte und der er noch nie den Hof gemacht hatte?
„Ich kann doch keine Dame ehelichen, die ich nicht liebe“, sagte der junge Heermeister entsetzt und schüttelte den Kopf. „Darüber muß ich mit Vater noch reden.“
Boromir sah ihm traurig nach, wie er mit erhobenen Hauptes zur Amtsstube des Truchseß schritt. Faramirs Einwände würden mit Sicherheit nichts nützen, das wusste er schon jetzt. Denethor hatte während der Abwesenheit seines jüngeren Sohnes dies beschlossen. Eine Heirat sollte Faramirs Aufmerksamkeit von ihm ablenken. Er hatte in all den Jahren immer das Gefühl gehabt, dass der junge Mann versuchte, in seinem Herzen zu lesen. Denethor hasste seinen Sohn dafür, dass ihm die Weisheit des Kelches Sûl Lomin zuteil geworden war, ihm selbst aber nicht. Daher war ihm Faramirs Nähe unerträglich. Zuletzt war es vermehrt deswegen zu Reibereien gekommen, denn der junge Mann ließ sich nicht mehr alles von seinem Vater gefallen.
Mehr als einmal hatte er Denethor dessen Schwächen aufgezeigt. Es gab also für den Truchseß Anlaß, den jungen Mann zu verheiraten, denn dann hatte er einen guten Grund, ihm ein Haus, möglichst weit weg von der Zitadelle zuzuweisen. Er wollte Faramir nach der Heirat nach Emyn Arnen schicken. Dort sollte er im ehemaligen Fürstenhaus wohnen und von dort aus Befehle von ihm empfangen.