Arda Fanfiction

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Sturmwogen

von Celebne

Wichtige Gespräche

Tindómerels grauen Augen leuchteten vor Freude, als sie die Kette erblickte.
„Ich habe sie schon so lange vermisst“, rief sie glücklich aus. „Wo habt Ihr sie gefunden?“
Faramir war über diese Reaktion doch ziemlich erstaunt. Die Auftraggeberin eines Mordes hätte sich in diese Situation ganz anders verhalten, dessen war er sich sicher.
Er wollte noch einmal prüfend in ihre Augen blicken, deswegen hob er sachte ihr Kinn an. Zu seinem Erstaunen sah er in ihren Augen so etwas für Zuneigung für ihn. Nein, sie war keine Mörderin. Es tat ihm leid, dass er sie verdächtigt hatte und die Tatsache, dass sie für ihn etwas empfand, löste bei ihm ein angenehmes Gefühl aus. Es kam ihm vor, als würden Schmetterlinge in seinem Bauch herumtanzen.

Er begann sie in seine Arme zu nehmen und vorsichtig zu küssen. Es war zunächst ein vorsichtiges Abtasten ihrer Lippen, die so weich und so verführerisch rot waren. Tindómerel erwiderte überraschend geübt seinen Kuss und Faramir spürte ihre Zunge, die durch seine Zähne stieß. Oja, diese Dame hatte ja Erfahrung im Küssen, wie ihm plötzlich schmerzlich bewusst wurde. Er ließ von Tindómerel wieder ab und trat einen Schritt zurück.
„Warum tust du das?“ fragte sie erstaunt. „Wir sind doch bald Mann und Frau.“
„Ich muß erst wissen, ob du auch wirklich frei bist“, meinte Faramir zögernd. „Ich habe die Sache mit Marach nicht vergessen. Es könnte gut sein, dass du dir vielleicht in der Zwischenzeit einen neuen Geliebten genommen hast.“
„So schätzt du mich also ein?“ fragte Tindómerel erschüttert. „Glaubst du also von mir, ich sei eine Hure?“

Faramir wusste, dass seine Worte nicht besonders weise gewählt waren. Allerdings wollte er sich nicht unbedingt in eine Ehe stürzen, in welcher noch ein Nebenbuhler vorhanden war.
„Verzeih mir, Tindómerel“, sagte Faramir aufrichtig. „Ich wollte dich nicht verletzen. Aber wir sollten besser über die Kette reden. Du wolltest wissen, wo sie gefunden wurde.“
Tindómerel blickte ihn finster an. Sie wusste nicht, warum er plötzlich das Thema auf die Kette lenken wollte.
„Es ist mir jetzt gleich, wo du die Kette gefunden hast“, erwiderte sie kühl. „Ich möchte jetzt lieber zu meinen Eltern hineingehen.“
„Ich hatte dir versprochen, den Mörder Marachs zu finden“, fuhr Faramir rasch fort und packte sie am Arm.

Tindómerel schüttelte ungehalten seine Hand ab. Sie war immer noch zornig.
„Hast du ihn nun gefunden oder nicht?“ fragte sie fast aggressiv.
„Der Mörder von Marach wurde unter anderem mit dieser Kette bezahlt“, sagte Faramir und deutete auf den Schmuck, den sie immer noch in der Hand hielt.
„Du denkst aber nicht, dass ich die Auftraggeberin war“, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
„Nein, jetzt nicht mehr“, seufzte Faramir. „Aber vielleicht kannst du dich erinnern, wo die Kette verloren hast.“
Tindómerel war ganz blaß geworden. Sie ging unruhig zwischen den Blumenbeeten hin und her. Dass ihr Kleid davon beschmutzt wurde, kümmerte sie auf einmal jetzt wenig.
„Ich kann mich leider nicht erinnern“, sagte sie schließlich bedrückt. „Mir fiel es eigentlich erst zuhause auf, dass die Kette fehlte. Als ich hier zu Besuch war, trug ich jeden Tag etwas anderes. Die Kette passt nur zu ganz wenigen Kleidern.“

Sie stutzte wieder und dachte nach.
„Nein, nein“, stieß sie dann leise kopfschüttelnd hervor. „Aber vielleicht kannst du mir sagen, wer Marach getötet hat.“
„Der Mörder war Argond, ein habgieriger Gärtner der Zitadelle“, erklärte Faramir ernst.
„Was habt ihr mit ihm gemacht?“ wollte Tindómerel aufgeregt wissen.
„Er ist spurlos verschwunden“, meinte der junge Mann traurig. „Wenn ich nicht wochenlang schwerverletzt in den Häusern der Heilung gelegen hätte, dann hätte ich mich auf die Suche nach ihm gemacht.“
Er erzählte auf Tindómerels Nachfragen, was ihm in Ithilien zugestoßen war. Tindómerel erschrak, als sie von Faramirs schwerer Verletzung hörte. Wie leicht hätte er getötet werden können!
„Ich bitte dich jetzt, die Kette anzulegen“, sagte er zu der jungen Frau, die betroffen zu Boden blickte. „Vielleicht kriegen wir so den wahren Mörder zu Gesicht.“
Mit zitternden Fingern versuchte Tindómerel die Kette anzulegen. Auch sie wollte wissen, wer diesen feigen Mord in Auftrag gegeben hatte. Faramir half ihr die Kette zu verschließen.

Dann kehrte das Paar wieder in die Zitadelle zurück. Auf einen der Korridore standen Fürst Imrahil und seine kleine Tochter, die sich mit den beiden Gästen aus Rohan unterhielten. Faramir nickte ihnen zu und ging dann mit Tindómerel weiter. Ihr Weg führte zurück in den Thronsaal. Dort saßen der Truchseß mit Boromir und Tindómerels Eltern im Gespräch vertieft an der Speisetafel. Ivriniel drehte sich zu ihrer Tochter herum.
„Schön, dass ihr wieder hier seid“, meinte sie lächelnd.
Doch plötzlich gefror ihr Lächeln.
„Woher hast die Halskette?“ wollte sie wissen.
Faramir wurde sofort aufmerksam. Er blickte in die Augen der Fürstin und sah, wie unbehaglich sie sich fühlte. Er sah Angst darin aber auch Kälte und Berechnung. Sie war die Auftraggeberin und somit Marachs wahre Mörderin! Wahrscheinlich hatte sie die Kette ihrer Tochter genommen, um den Gärtner damit zu bestechen.

„Faramir hat die Kette gefunden“,  behauptete Tindómerel mit gespielter Freundlichkeit.
Boromir blickte seinen Bruder an: beide dachten das Gleiche.
Ivriniel lenkte rasch das Gespräch auf ein anderes Thema, während Boromir sich erhob und mit seinem Bruder in eine ruhigere Ecke des Saales ging.
„Die Fürstin hat den Auftrag gegeben“, zischte Faramir dem blonden Hünen zu. „Sie muß wohl herausgefunden haben, dass ihre Tochter ein Verhältnis mit Marach hatte, und wollte ihn beseitigen, damit er der künftigen Ehe nicht im Weg steht. Vielleicht würde Marach noch leben, wenn er nicht mit nach Minas Tirith gereist wäre.“
„Das ist eine verzwickte Sache“, meinte Boromir nachdenklich. „Sie ist deine künftige Schwiegermutter. Wir müssen mit unserem Vater darüber reden.“
Faramir sah sich kurz nach dem Truchseß um. Dieser war bereits mit finsterem Gesicht unterwegs zu seinen Söhnen.

„Was soll das?“ fuhr er Faramir mit gedämpfter Stimme grimmig an. „Das ist deine Feier! Erst gehst du mit Tindómerel weg und jetzt flüsterst du mit deinem Bruder herum. Geh sofort zur Tafel und setze dich neben deine Braut!“
„Vater, wir wissen jetzt, wer den Auftrag zu Marachs Ermordung gegeben hat!“ warf Faramir aufgeregt ein.
„Hör endlich auf mit dieser dummen Geschichte“, sagte Denethor mit drohender Stimme. „Es interessiert mich nicht! Marach war nur ein kleiner Soldat. Ein unbedeutendes Staubkorn.“
In Faramirs Gesicht zuckte es vor Zorn, als er seinen Vater so verächtlich reden hörte. Obwohl Marach sein Rivale gewesen war, hatte er es nicht verdient, auf diese Weise zu sterben, und auch nicht, dass so über ihn geredet wurde. Boromir merkte, wie es in seinem Bruder arbeitete, und er legte beruhigend seine Hand auf Faramirs Schulter.
„Komm, laß uns zu Tisch gehen.“

Am nächsten Tag traf sich Faramir mit Meneldil und Thalin im Gasthof „Grauer Drache“.  Die Freunde nahmen in der Schankstube an einem kleinen Tisch Platz und ließen sich etwas Wein bringen. Die junge Frau, welche die Getränke brachte, musterte die seltsamen Gäste neugierig. Faramir gab ihr einen Wink, sich zu entfernen. Der Zwerg war beunruhigt.
„Ich fürchte, dein Vater wird inzwischen längst wissen, dass wir hier sind“, sagte er brummig zu Faramir. „Die Leute starren uns hier alle an, als ob wir nicht von dieser Welt seien.“
„Das seid ihr auch nicht“, bemerkte der junge Mann grinsend. „Ein Elb und ein Zwerg tauchen nicht alle Tage in Minas Tirith auf. Ich werde euch noch heute zu meinem Vater bringen.“
Meneldil hörte schweigend zu, wie sich Faramir und Thalin unterhielten. Ihm war schon bei der ersten Begegnung aufgefallen, dass Faramir irgendetwas bedrückte.

„Du bist kein glücklicher Bräutigam, mein Freund“, stellte er besorgt fest.
„Das kann ich auch nicht sein, weil wegen meiner Hochzeit ein Mensch sterben mußte“, platzte Faramir schließlich heraus.
Er erzählte seinen Freunden von der Ermordung Marachs.
„Bei Thorin Eichenschild!“ entfuhr es dem Zwergen erschrocken. „Und du willst trotzdem diese Dame noch heiraten? Das ist ja eine saubere Familie.“
„Mit Tindómerel komme ich zurecht“, seufzte Faramir und drehte seinen Weinkelch hin und her. „Ich mag sie sogar irgendwie. Allerdings fühle ich, dass unsere Ehe unter keinem guten Stern stehen wird.“
„Dann solltest du die Hochzeit absagen“, riet ihm Meneldil weise. „Höre auf dein Herz, Faramir.“
„Das kann ich nicht, Meneldil“, murmelte Faramir bedrückt. „Von meiner Hochzeit mit Tindómerel hängt zuviel ab. Ich muß diese Bürde auf mich nehmen.“
Meneldil schwieg. Wieder einmal hatte er Probleme, die Gedankengänge der jüngeren Kinder Illuvatars zu verstehen. Niemals würde ein Elb seinen Sohn zwingen, eine Frau zu heiraten, sei es aus familiären oder aus politischen Gründen.


*

Tindómerel schlich nachdenklich durch die Zitadelle. Sie wusste jetzt, dass ihre Mutter Marach ermorden hatte lassen. Das würde sie ihr niemals verzeihen. Sie war jetzt auch ganz froh, nie wieder nach Lossarnach zurückkehren zu müssen. Vor der Ehe mit Faramir graute es ihr auch nicht mehr. Es hatte ihr gefallen, als er am Abend zuvor versucht hatte, sie zu küssen. Er schien noch nicht viel Erfahrung mit Frauen zu haben. Das fand sie irgendwie reizvoll. Allerdings erinnerte sie sich auch daran, dass ihm ihr Vorsprung an Erfahrung nicht gefallen hatte. Ja, es ziemte sich wirklich nicht für Edeldamen, vor der Hochzeit einen anderen Mann geküsst zu haben. Sie seufzte leise und betrat den Garten. Dort sah sie ein blondes Mädchen herumlaufen. Ihr war diese fremde Maid schon gestern aufgefallen: sie schien zu der Abordnung aus Rohan zu gehören. Tindómerel fragte sich, ob sie die Tochter des Königs war. Plötzlich kam das blonde Mädchen direkt auf sie zu.

„Seid gegrüßt, Herrin“, sagte Éowyn schüchtern. „Ich möchte Euch meinen Glückwunsch aussprechen.“
Tindómerel blickte das Mädchen aus Rohan freundlich an. Es wirkte einerseits noch  kindlich ungezwungen, aber es hatte andererseits auch irgendetwas verletzliches, trauriges in seinen Augen.
„Ihr werdet sicher auch in einigen Jahren einen netten Edelmann aus Rohan ehelichen“, meinte Tindómerel lächelnd. „Seid Ihr die Königstochter?“
„Nein, ich bin nur die Nichte von König Théoden“, erklärte Éowyn leise. „Allerdings behandelt mein Onkel meinen Bruder und mich, als ob wir seine eigenen Kinder seien.“
„Das ist schön“, sagte Tindómerel und ihr Lächeln wurde jetzt gezwungen.
Sie verspürte eigentlich keine große Lust, sich mit diesem Mädchen weiter zu unterhalten.
„Herr Faramir ist ein guter Mann“, fuhr Éowyn fort. „Ich wünsche mir, auch eines Tages solch einen Ehemann wie ihn zu finden.“
Tindómerel verspürte jetzt einen Hauch von Eifersucht. Hatte sie da in Éowyns Worten so etwas wie Schwärmerei gehört?
Dummes Kind, dachte sie empört. Geh und spiel mit deinen Puppen!
Sie presste die Lippen zusammen, nickte Éowyn zu und machte kehrt. Sie wollte nur noch in den Palast zurück und ihre Ruhe haben.

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