Arda Fanfiction

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Bevor ich schlafen gehe

von Cúthalion

Mittsommer-Tänzer

Juni 3016

„Linker Fuß vor, rechter Fuß, linker Fuß… nein, Lily, den linken Fuß! Und dreh dich, dreh dich, dreh dich… du liebes Bisschen, nicht so schnell!”

Drei Hobbitmädchen landeten in einem Tohuwabohu aus Röcken, zerrauften Haaren und atemlosen Gelächter auf dem Rasen hinter dem Stolzfuß-Smial, Magnolia Gutleib ganz unten, Rosie Kattun in der Mitte und Lily Stolzfuß obenauf. Als sie die Bescherung entwirrt hatten, wischte sich Magnolia die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Man sollte meinen, du hättest noch nie vorher getanzt!“ sagte sie mit einem Grinsen.

„Nicht so oft,“ antwortete Lily, während sie sich Blätter und Grashalme von Rock und Mieder bürstete. „Letzten Mittsommer musste ich die Aussteuer von Butterblume Straffgürtel fertig machen, das Jahr davor habe ich statt meiner Mutter hinter unserem Stand auf dem Mittsommerjahrmarkt in Michelbinge gesessen, während Mama sich nach Färberware umgeschaut hat, und 1412... nein, 1413,“ sie zählte die Jahre an den Fingern ab, da waren Falco und Marco beide krank, und Mama wollte nicht, dass ich abends weggehe.“

Sie lächelte.

„Mag irgend jemand schwarzen Johannisbeersaft?“

Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und ging hinein. Rosie folgte der schlanken Gestalt mit zusammen gekniffenen Augen; sie zupfte abwesend an ihrer Ärmelspitze.

„Es ist eine Schande.“ sagte sie plötzlich. „Eine richtige Schande.“

„Was denn?“ Magnolia warf ihr einen neugierigen Blick zu, während sie auf einem Gänseblümchenstängel herumkaute.

„Lily,“ erwiderte Rosie, die Stirn gerunzelt. „Sie ist so ein feines Mädchen, aber sie hat beinahe keine Freunde, geschweige denn Verehrer... wenn Merle ihre Geschichten über Küssereien und Fummeleien im Heuschober erzählt, dann sitzt Lily da und schaut sie an, als würde sie eine fremde Sprache sprechen.“

Magnolia spuckte das Gänseblümchen aus.

„Oh, sie hat Verehrer, und sie hätte noch viel mehr, wenn die bloß die Gelegenheit hätten, sie irgendwann und irgendwo auch mal zu treffen.“ sagte sie trocken. „Dieses Jahr hat der alte Drachen sie wenigstens zum Frühlingstanz in Wasserau gehen lassen. Sie hat bloß ein- oder zweimal getanzt, aber ich war mit Butterblume Straffgürtels Bruder Nobby da, und er ist ihr den halben Abend wie ein liebeskrankes Mondkalb nachgelaufen... ich wette, er hätte es nicht mal bemerkt, wenn ich neben ihm in einem blendenden Lichtblitz verschwunden wäre, so wie der verrückte Beutlin vor fünfzehn Jahren.“

„Oh ja,“ Rosie gluckste. „Ja, ich erinnere mich. Und sie haben ihr so viele Gläser Erdbeerpunsch angeboten, dass sie wahrscheinlich wie ein überdehnter Wasserschlauch geplatzt wäre, wenn sie auch nur die Hälfte davon tatsächlich getrunken hätte.“ Sie wandte den Kopf, ein schräges Lächeln auf dem hübschen, sonnengebräunten Gesicht. „Der alte Drachen?“

Magnolia seufzte in einer Mischung aus Ärger und Verzweiflung.

„Hör mal,“ sagte sie, plötzlich ernst geworden. „Lily kümmert sich um ihren Vater, wenn Viola die Stickerei für ihre Stammkunden und für die Märkte erledigt. Sie kümmert sich sogar um ihre Brüder, wenn Viola es satt hat, die vollkommene Mutter für ihre geliebten Jungs zu sein und sich mit einem ihrer geheimnisvollen Anfälle von Kopfschmerzen ins Bett legt. Sie übernimmt sogar die Stickerei – und beinahe so geschickt wie Viola selber – wenn ihre Mutter beschließt, dass sie wieder einmal ihre Tante in Bockland besuchen muss, und dass sie Marco und Falco mitnimmt. Wenigstens hat Lily dann die Gelegenheit, mit ihrem Vater allein zu sein, aber du weißt, wie hart es sein kann, ihm durch den Tag zu helfen.“

Rosie wusste es wirklich; es war kein Geheimnis in Hobbingen, dass Fredegar Stolzfuß sich niemals vollständig von diesem fürchterlichen Unfall vor sechs Jahren erholt hatte. Es hatte Monate gedauert, bis er wieder auf seinen Beinen stehen konnte, und noch mehr Monate, ihm wenigstens ein paar unsichere Schritte zu ermöglichen – auf zwei schwere Krücken gestützt. Mittlerweile verbrachte er die meiste Zeit in einem Sessel und wurde jeden Tag (meistens von seiner Tochter) bei langsamen, mühseligen Spaziergängen durch den Garten begleitet. Es war auch kein Geheimnis, dass Viola sich mehr und mehr von ihrem Mann entfremdete, seit sich abzeichnete, dass er nie wieder der Hobbit sein würde, der er vor dem Unfall gewesen war.

Natürlich hatte sich Fredegar auch nicht mehr um die Kirschen kümmern können. Marco und Falco waren zu klein, um die Arbeit eines erwachsenen Hobbits zu tun, und Viola kam nicht mit allem allein zurecht; deshalb beschloss sie im zweiten Jahr nach dem Unfall endlich, den Obstgarten zu verkaufen. Dolgo Straffgürtels Sohn Odo hatte während der ersten zwölf Monate ausgeholfen; nun machte er ihr ein Angebot, das zu gut war, um es abzulehnen. Fredegar, der allmählich begriff, dass er wohl nie wieder auf einen Kirschbaum klettern würde, willigte schweren Herzens ein. Violas Stickereien verkauften sich zu dieser Zeit ziemlich gut, und er glaubte, das dies die einzig richtige Entscheidung sei, um seine Familie zusätzlich abzusichern.

Während der letzten Jahre hatte Lily oft den Kattun-Hof besucht und jede Zeit, die sie erübrigen konnte, mit Rosie, Jolly, Tom und Nick verbracht. Aber diese gestohlenen Momente waren rar geworden, sobald das Familieneinkommen einzig von den Fähigkeiten von Mutter und Tohter als Weißnäherinnen und Stickerinnen abhing. Viola wurde immer unzufriedener – ihre Kunstfertigkeit litt unter der Notwendigkeit, Wünsche nach Farben und Mustern zu erfüllen, anstatt ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. Ihre Augen protestierten gegen zu lange Tage und zu wenig Licht, und ihre Unzufriedenheit wuchs angesichts der unaufhaltsamen Verschlechterung der Lage ihrer Familie. Ihr Körper flüchtete sich in verschiedene Krankheiten... eine davon die Kopfschmerzen, die sie wieder und wieder heimsuchten und in ihrer Heftigkeit fast blind machten. Dass sie von Zeit zu Zeit zu ihren Verwandten nach Bockland floh, schien ihr das Einzige zu sein, das sie noch mit dem hoffnungsfrohen Hobbitmädchen verband, das sie einst gewesen war.

Um die Wahrheit zu sagen – sie hatte wahrscheinlich gar keine andere Möglichkeit, als den Löwenanteil der Hausarbeit und einen Gutteil der Bestellungen ihrer Tochter aufzubürden. Und Lily, stolz darauf, dass ihr Vater sie für all das pries, was sie für die Familie tat, beklagte sich selten. Die wahre Tragödie war, dass sie nicht fähig war, ihrer Tochter ihre Gefühle und ihre wachsende Verzweiflung zu zeigen (und dass sie es nicht einmal versuchte). Lily sah nicht, dass Viola litt... das einzige, was sie zu sehen bekam, war eine Frau, die keinen ihrer seltenen „weicheren“ Augenblicke an ihre Tochter verschwendete, eine Mutter, die mehr und mehr von ihr verlangte, ohne jemals irgend eine Ermutigung, tieferes Verständnis oder echte Dankbarkeit zurückzugeben. ----

Lily kam wieder aus dem Smial; sie trug ein Tablett mit drei Tonbechern, einem hohen Krug und einem Teller mit belegten Broten. Sie sah die ernsten Gesichter von Rosie und Magnolia, und ein schwaches, ganz leicht ironisches Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.

„Was ist los?“ fragte sie, während sie den tiefroten Saft in einen der Becher goss. „Habt ihr entschieden, dass es die Anstrengung nicht wert ist, mir zu zeigen, wie man anständig tanzt, weil ich zwei linke Füße habe... und jetzt wisst ihr nicht, wie ihr mir das beibringen sollt?“

Rosie nahm den Becher und trank. Der Johannisbeersaft war kühl, süß und gleichzeitig ein bisschen herb. Wie Lily, dachte sie plötzlich. Genau wie Lily.

„Natürlich nicht, du Dussel.“ antwortete sie mit einem Grinsen. „Gib mir ein Käsebrot, damit ich mich stärken kann, und dann zeig ich dir die nächsten drei Schritte.“

******

Endlich war der Mittsommertag da. Lily stand in ihrem Zimmer; sie war aufgeregt und fühlte sich – seltsam genug – ein wenig schuldig, dass sie tatsächlich an diesem Abend den Smial mit dem einzigen Ziel verlassen würde, sich zu amüsieren.

Sie blickte das Mädchen an, das ihr der Spiegel zeigte; ein ovales Gesicht mit großen Augen, dunkel im warmen Licht von einem Dutzend Kerzen, eine Stupsnase (das Einzige an ihrem Gesicht, das sie nicht mochte), ein voller Mund mit einer herzförmigen Oberlippe und einem festen Kinn, dass die mädchenhafte Weichheit ihrer Züge Lügen strafte. Heute Abend fiel ihr Haar offen und lockig bis fast zur Taille hinunter, Ihr Rocksaum streifte ihre Knöchel; sie hatte Frau Kattun geholfen, das Leinen zu spinnen und zu weben und es mit einer Mischung aus Brombeersaft und Waid eingefärbt. Die Baumwollbluse hatte einen Stehkragen und weite Ärmel, und die breiten Manschetten waren mit den gleichen Blumen bestickt wie das dunkelblaue Mieder.

„Was für eine hübsche Tochter ich habe...“

Ihr Vater stand in der Tür, auf seine Krücken gestützt. Lily wusste, wie viel Kraft es ihn kostete, sich aus dem Bett zu hieven und durch den Flur zu ihrem Zimmer zu humpeln, und sie war gerührt.

„Papa! Du hättest nicht... sind die neuen Krücken besser als die anderen? Und bist du sicher, dass ich nicht besser hier bleiben sollte, bis Mama vom Jahrmarkt in Froschmoorstetten zurück ist?“

„Aber natürlich hätte ich,“ erwiderte Fredegar mit einem Lächeln. „Und nein, bitte bleib nicht, bis deine Mutter wieder da ist; ich bin sicher Nobby Straffgürtel bringt sie innerhalb der nächsten Stunde nach Hause, wie versprochen... Magnolia Gutleib wartet darauf, dass er sie zum Tanz begleitet. Und ja, diese Krücken sind besser als die alten... viel besser.“

Die neuen Krücken hatten an diesem Morgen Samweis Gamdschie gebracht, Hamfast Gamdschies Sohn... zusammen mit der Nachricht, dass er sie und Rosie zum Tanz begleiten würde. Vor einigen Wochen hatte Sam Fredegar Stolzfuß dabei beobachtet, wie er sich langsam durch den Garten bewegte, auf den Krücken, die Viola für ihn hatte machen lassen, als er zum ersten Mal nach dem Unfall wieder das Bett verließ. Unglücklicherweise waren sie aus weichem Lindenholz gefertigt (vielleicht in der Hoffnung, dass Fredegar sie nicht allzu lange brauchen würde), und sie nutzten sich ziemlich schnell ab. Mittlerweile hinterließen die Stützen wunde Stellen, anstatt ihm, wie erwartet, Standfestigkeit zu geben.

Sam lud sich selbst zum Tee ein, und Lily, die Buttergebäck, Kirschkuchen und Sahne zurechtmachte, schaute aus dem Fenster und sah, wie er mit ihrem Vater sprach; als sie wieder hinaus in den Sonnenschein trat, nahm er gerade Maß.

Jetzt sah sie das Ergebnis seiner Arbeit zum allerersten Mal; Sam hatte die Krücken aus dem besten und härtesten Stück einer vom Blitz getroffenen Eiche geschnitzt, und er hatte fast drei Wochen lang die Abende damit zugebracht, das Holz zu formen, zu glätten und zu polieren.

„Ein feiner Junge ist das, dieser Sam,“ sagte Fredegar; er folgte seiner Tochter mit den Blicken, während sie durch den Raum ging, ein Handtuch wegräumte, das nach dem Baden liegen geblieben war, ihre Alltagsbluse auf einen Bügel hängte und ein Haarband aufwickelte, das sie heute Abend nicht brauchen würde. „Könnte es sein, dass er ein bisschen... interessiert ist?“ Er sah ihren Blick und fügte rasch hinzu: „An dir, Kind. Sicher nicht an mir.“

„Sam?“ Lily lachte, ein heller, leichtherziger Klang, der ihm das Herz wärmte. „Er ist nicht in mich verliebt, wenn es das ist, was du meinst. Er liebt Rosie.“

„Oh, wirklich?“ Fredegar hob die Augenbrauen. „Hat sie irgendeine Ahnung davon?“

„Natürlich nicht!“ Lily fing an, sich die Haare zu bürsten. „Ich bezweifle, dass er es selber weiß. Im Moment starrt er sie bloß an, so lange sie nicht hinschaut.“

„Lily?”

Die Stimme kam von der Vordertür; Rosie war eingetroffen. Lily legte die Bürste hin und legte einen Finger auf die Lippen.

„Rosie?“ rief sie. „Ist Sam bei dir?“

„Ich bin hier, Lily.”

Schritte kamen näher, dann erschien Sam im Eingang; seine Hände waren sichtlich geschrubbt, sein üblicherweise zerzauster, sonnengebleichter Schopf durch Willenskraft und Wasser gezähmt. Rosie folgte ihm auf den Fersen, ein hübscher Anblick in einem leuchtend blauen Kleid, das zu den Bändern passte, die sie sich in ihr haselnussbraunes Haar geflochten hatte.

„Bist du fertig?“ fragte Sam und, an Fredegar gewandt: „Guten Abend, Meister Stolzfuß. Kommst du mit den neuen Krücken zurecht? Oder soll ich irgendwas ändern?“

„Garnichts, Junge.“ erwiderte Fredegar, berührt von der Besorgnis und Fürsorge in der Stimme des viel jüngeren – und gesünderen – Hobbits, „Du hast großartige Arbeit geleistet. Und jetzt nimm diese beiden Schönheiten mit; geht und habt Spaß miteinander.“

Er sah ihnen zu, wie sie eilig den Smial verließen und blieb einen Moment, wo er war, bevor er sich auf den langen, ermüdenden Rückweg in sein Zimmer machte. Ein Jammer, dass Sam nicht in meine Tochter verliebt ist, dachte er plötzlich. Er würde einen wunderbaren Schwiegersohn abgeben.

******

Lily vergaß diesen Mittsommerabend für den Rest ihres Lebens nicht mehr.

Als sie auf die Wiese kamen, wo der Tanz stattfand, sah sie den Festbaum, der mit Laternen beleuchtet war und in allen Farben des Regenbogens schimmerte. Ein großer, hölzerner Tanzboden war errichtet worden, von langen Tischen umgeben, die mit Essen beladen waren, und von langen Bänken. Zwei Bierfässer wurden bereits von durstigen Hobbits belagert und der Klang von einer Flöte, zwei Fiedeln und einer Trommel erfüllte die Luft, von stampfenden Füßen untermalt.

Zuerst saß sie einfach an einem Tisch, ein wenig eingeschüchtert von der Menge; nichtsdestotrotz genoss sie die Symphonie aus Licht, Stimmen und Musik. Dann erschien Magnolia scheinbar aus dem Nichts, atemlos und mit leuchtenden Augen, einen jungen Hobbit im Schlepptau.

„Das ist Tom Braunwald,“ sagte sie mit einem breiten Grinsen. „Er hat mich gefragt, ob ich dich frage, ob du mit ihm tanzt, und ich habe mich entschlossen, die Angelegenheit abzukürzen.“

Er war ein paar Jahre jünger als sie, mit erstaunlich rotem Haar, einem freundlichen Gesicht und einem ziemlich unsicheren Lächeln auf den Lippen, und Lily hatte plötzlich Erbarmen mit ihm... von einem Wirbelwind wie Magnolia durch die Gegend gezerrt zu werden, konnte selbst den mutigsten Jüngling einschüchtern.

„Natürlich.“ antwortete sie, stand auf und knickste. „Es wäre mir ein Vergnügen.“

Es stellte sich heraus, dass die geduldigen Instruktionen ihrer Freundinnen Früchte trugen; Lily folgte der Musik mit sicheren Schritten, sie flog von Arm zu Arm und mit einem Mal war alles ganz einfach. Gesichter, die sie aus dem Alltag kannte, wandten sich ihr mit freundlichem Lächeln zu und sie stellte fest, dass sie freier sprach und lachte als seit Jahren, gewärmt von einem Interesse, das sie so kaum je zuvor erfahren hatte.

Als der Abend fortschritt und ihr Magen sie daran erinnerte, dass das Mittagessen schon eine ganze Weile her war, setzte sie sich mit Magnolia und Rosie hin, um gekühlten Apfelsaft zu trinken und Fleischpastetchen zu essen, als es auf der Tanzfläche einen plötzlichen Auflauf gab. Zwei Hobbits erschienen zwischen den Tänzern; einer davon war Lily unbekannt, ein großer Junge mit einem klugen Gesicht und hellen Augen, der seine sichtlich teure Kleidung mit achtloser Eleganz trug. Der andere war Frodo Beutlin.

„Wer ist der andere?“ fragte sie Magnolia mit gedämpfter Stimme.

„Merry Brandybock, ein Vetter von Herrn Frodo aus Bockland.“ zischte Magnolia leise; sie war sichtlich aufgeregt. „Er ist ein phantastischer Tänzer.“ Sie seufzte tief, und Lily begriff, dass sie mehr als bereit gewesen wäre, jeden Tanz mit ihm zu tanzen, zu dem er sie aufforderte. Armer Nobby Straffgürtel, dachte sie mit einem kleinen Schmunzeln, so ein Rivale ist schwer auszustechen...

Aber Merry Brandybock tanzte nicht. Er lehnte am rohen Geländer des Tanzbodens und sah dem Herrn von Beutelsend zu, der eine kurze Unterhaltung mit den Musikern führte. Dann zog sich die Menge vor Frodo Beutlin zurück und Lily sah, dass er die Trommel in den Händen hielt. Er setzte sie auf dem Holzboden ab und ließ sich dahinter nieder. Er fing an zu spielen, und langsam wurden die Hobbits um ihn herum still.

Lily konnte die Musik der Trommel spüren, noch bevor sie an ihr Ohr drang. Der Schlag seiner Handflächen wurde lauter, ein klarer Rhythmus, bestimmend und stark. Und dann hörte sie die Flöte, die die Luft mit einer fremdartigen Melodie erfüllte... eindeutig keine Hobbitmusik, vielleicht überhaupt nicht aus dem Auenland, aber durchdringend süß und wunderschön. Sie sah, dass es Merry Brandybock war, der die Flöte spielte. Ohne nachzudenken stand sie auf und näherte sich dem Tanzboden; ihr Blick kehrte zu Frodo Beutlin zurück. Sein Gesicht war ruhig und beinahe verträumt, seine Augen waren geschlossen. Seine Hände bewegten sich auf und nieder und lockten den Rhythmus hervor, dem ihre Füße bereits folgten, obwohl sie es noch nicht wusste.

Sie hatte ihn seit einer ziemlich langen Zeit nicht mehr gesehen, und ihre Augen suchten instinktiv nach Veränderungen in den feinen, regelmäßigen Zügen, an die sie sich von ihrer letzten nahen Begegnung mit erstaunlicher Klarheit erinnerte. Überraschenderweise fand sie nur sehr wenige davon (soweit sie das in diesem Licht sehen konnte), und er hätte ebenso gut der selbe junge Hobbit kurz vor der Jährigkeit sein können, der sie an jenem Mittsommertag vor zweiundzwanzig Jahren getröstet hatte.

Einer nach dem anderen gesellten sich mehr und mehr Hobbits zu den Musikern auf dem Tanzboden – Jungs und Mädchen, die sich zu dem Lied bewegten, manche von ihnen leicht, andere ziemlich unsicher, aber jeder einzelne von der Melodie angezogen.

Lily bemerkte sie nur am Rande; der einzige, den sie wirklich sah, war der Herr von Beutelsend. Sie wurde erfasst von der fremdartigen Musik und von der Magie des Augenblicks... und dann wurde der Schlag seiner Hände langsamer und hörte auf.

Er stand auf und reichte die Trommel an den Musiker zurück, und nach einem kurzen Augenblick begann der Rhythmus neu und die Flöte begann die Melodie von vorn. Frodo Beutlin hob die Arme und fing mitten in der Menge an zu tanzen.

Dies war keiner der Tänze, die ihre Freundinnen ihr beigebracht hatten. Es war eine Folge langsamer Schritte nach links und nach rechts, unterbrochen von einem Aufstampfen beider Füße und gefolgt von einer Drehung, die seine Haare fliegen und ihm lange Locken in die Stirn fallen ließ. Sie hielt den Atem an, überflutet von einer plötzlichen Woge des Entzückens. Es war eigenartig und wundersam, seinen leichtfüßigen Bewegungen zuzusehen... sie waren eine unbewusste Verkörperung der Freude, halb Erde, halb Feuer, und ein Teil der ungreifbaren Luft. Er verzauberte sie, nicht deshalb, weil er es wollte, sondern weil er glücklich war. Als er die Schritte zum dritten Mal wiederholte, hatte sie begriffen, wie es ging, und ihre Füße fingen an, sich gemeinsam mit den seinen zu bewegen... scheu zuerst, dann mutiger, und ihr Rocksaum hob und senkte sich wie eine Welle um ihre Knöchel und streifte durch das süß duftende Gras.

Rosie sprang hinauf auf den Tanzboden; sie hielt Sams Hand mit festem Griff und ließ ihm keine andere Wahl, als ihr zu folgen, und dann kam Magnolia mit Nobby an ihr vorbei. Lily fuhr damit fort, Frodo Beutlin zu beobachten, und plötzlich hob er den Kopf und ihre Augen begegneten sich. Er hielt inne, unbemerkt von der Menge, und plötzlich, zu ihrer atemlosen Verblüffung, trat er vor an den Rand der Plattform und streckte die Hand aus. Sie zögerte, und es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, dann lächelte sie, von einem plötzlichen, strahlenden Triumph erfüllt, nahm seine Hand und wurde auf die Bretter gezogen.

Sie bewegten sich gemeinsam, ihre Schritte im Einklang mit den seinen, und ihre Blicke trafen sich nach jeder neuen Drehung. Lily hatte das Gefühl, als wären sie völlig allein. Die anderen – Rosie, Sam, halb Hobbingen – waren verschwunden und hatten sie in ihrer eigenen, verwunschenen Welt zurückgelassen, und die teilte sie nur mit ihm. Seine Hände berührten flüchtig ihre Taille und ihren Rücken, während er sie herumwirbelte... sie atmete den sauberen Duft seines weißen Leinenhemdes ein und spürte die Wärme seines Körpers darunter... sie konnte das Lachen in seinen Augen sehen und den selben Rausch aus Freude und Musik, der durch ihre Adern kreiste.

Sie wusste später nie, wie lange es dauerte, aber allzu bald war es vorüber und sie stand still und erwachte zum Lärm von Pfiffen, Geschrei und Applaus. Bevor sie irgend etwas sagen konnte, verbeugte er sich vor ihr, nahm ihre Hand und streifte mit den Lippen ihre Fingerspitzen. Sie spürte die Berührung wie einen Blitzschlag... er zuckte durch ihren gesamten Körper bis hinunter zu ihren Füßen, und Lily hielt den Atem an, unfähig zu sprechen. Dann sprang Frodo Beutlin vom Tanzboden hinunter, gefolgt von seinem Vetter, der sich noch einmal herumdrehte und ihr einen Handkuss zuwarf, ein spitzbübisches Zwinkern in den Augen. Beide verschwanden in der Menge.

*****

Bald nach Mitternacht ging sie nach Hause; Rosie und Sam begleiteten sie zur Tür des Stolzfuß-Smial und sagten ihr Gute Nacht, bevor sie sich wieder auf den Weg den Pfad hinunter machten.

Lily schloss die Tür hinter sich und ging langsam in ihr Zimmer. Sie zog sich aus und hängte Mieder, Bluse und Rock säuberlich auf einen Bügel. Dann setzte sie sich in ihrem Nachthemd auf einen niedrigen Hocker, nahm Bilbos Spiegel und fing an, sich die Haare zu bürsten.

Nach einem Moment hielt sie inne; die Musik und die Erinnerung an das Lachen in Frodo Beutlins Augen sangen noch immer durch ihren Körper, und ein nie gekanntes Gefühl ließ das Spiegelbild ihres Gesichtes im gedämpften Licht der Kerzen aufglühen wie von einem inneren Feuer.

Sie blies die Kerzen aus, öffnete den Vorhang und das Fenster und ließ das Mondlicht hereinströmen; noch immer konnte sie den schwachen Klang von Fiedeln und Stimmen aus der Entfernung hören. Sie schloss das Fenster wieder und legte sich aufs Bett, beide Handflächen gegen die Brust gedrückt. In der Stille konnte Lily ihren Herzschlag spüren, und es war der starke, gleichmäßige Rhythmus der Trommel, gespielt von den geschickten Händen ihres Mittsommer-Tänzers.

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