Arda Fanfiction

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Regen, der auf Asche fällt

von Celebne

Erste zarte Bande

Faramir wanderte ziellos in den Gärten der Zitadelle herum. Er war wütend und traurig zugleich. Bis zuletzt hatte er gehofft, dass Éowyn noch einen Rückzieher machen würde. Aber dieses stolze, sture Weib hatte ihren Willen durchgesetzt. Faramir wusste, dass er sich Éowyn gegenüber hartherzig und lieblos gezeigt hatte. Er wusste, dass er sie sehr verletzt hatte. Aber er konnte momentan einfach nicht aus seiner Haut heraus. Er hasste sich selbst für sein Verhalten: für seine ständige Sauferei und für seinen beißenden Spott, mit welchem er Éowyn ständig gequält hatte. Dabei hätte er sie am liebsten weinend angefleht, bei ihm zu bleiben: er liebte und brauchte sie doch. Aber hätte eine hartgesottene Kriegerin wie Éowyn  solch ein Verhalten nicht verachtet?

Er hatte sooft in seinem Leben den Kürzeren gezogen. Sein Vater hatte ihn immer als weinerlich und weich bezeichnet. Am Anfang hatte er auch Éowyn seine Sanftmut gezeigt. Doch sie hatte das ihm gedankt, indem sie plötzlich wieder zum Schwert gegriffen hatte. Das war jedenfalls Faramirs Meinung. Seit sie wieder Kriegerin sein wollte, war auch er ein anderer geworden. Er hatte versucht, seine Sanftmut hinter grimmigem Spott und Zynismus zu verbergen. Leider hatte er nie bemerkt, dass sich Éowyn deswegen von ihm zurückgezogen hatte. Sie hatte ihn wegen seiner Sanftmut und seiner Güte gemocht. Für sie war er ein Fremder geworden.

Faramir ging vor bis zur Mauer und sah hinab: das Heer zog auf der großen Straße entlang, die nach Pelargir führte. Das Herz wurde ihm schwer und er fragte sich, was Éowyn gerade dachte. Sicher war sie traurig über seinen kühlen Abschied. Aber vielleicht auch nicht.
„Herr Faramir?“ ertönte eine weibliche Stimme zögernd hinter ihm.
Der junge Truchseß drehte sich um und erblickte die schöne Nimriel, die mit ihrer Harfe zwischen den Obstbäumen stand. Faramir lächelte die Verwandte des Königs bedrückt an.
„Darf ich Euch etwas mit meiner Harfe vorspielen?“ fragte sie verlegen. „Vielleicht lenkt das Euch von Euerem Abschiedsschmerz ein wenig ab.“
„Sehr gerne“, sagte Faramir sofort zu und er setzte sich ins Gras, während Nimriel auf einer Bank Platz nahm und zu spielen begann.
Die Weise, die sie spielte, klang fröhlich und beschwingt. Etwas Trauriges hätte Faramir sicher noch melancholischer gemacht. Aber so gelang es ihr tatsächlich, den jungen Truchseß von seinen trüben Gedanken abzulenken und schon bald wippte sein Fuß, ohne dass er es bemerkte, im Takt mit.

Als Nimriel ihr Spiel endete, fühlte sich Faramir etwas besser. Er erhob sich und ging zu ihr hinüber.
„Ich danke Euch, edle Dame“, sagte er freundlich, und er spürte wie die Sanftmut in sein Herz zurückkehrte.
Dieses liebreizende Geschöpf ließ ihn seine Sorgen vergessen, doch als sie wieder zurück in die Frauengemächer der Zitadelle kehrte, wurde ihm das Herz erneut schwer.

Es half nichts: er musste als Aragorns Statthalter die Regierungsgeschäfte so schnell wie möglich aufnehmen. Es gab viel zu tun für ihn und so betrat er mit einem Seufzen das Gemach im Weißen Turn, welches früher seinem Vater als Schreibstube gedient hatte. Jetzt war dieser Raum das Arbeitszimmer des Königs. Es sah viel gemütlicher aus als früher. An den Fenstern hingen Vorhänge und es gab bequeme Sessel mit Kissen. Auf dem Holzfußboden lag ein weicher Teppich, der von geschickten Elbenhänden geknüpft worden war. Faramir konnte sich gar nicht sattsehen – so sehr hatte sich dieses Zimmer verändert. Sogar das alte, dunkle Schreibpult seines Vaters war verschwunden. Stattdessen stand in der Mitte des Raumes ein neuer großer Schreibtisch aus hellem Holz. Es war eine feine Tischlerarbeit und so war Faramir überzeugt, dass dieses Möbelstück ebenfalls von Elben gefertigt worden war. Er setzte sich vorsichtig an den Schreibtisch hin und nahm eine der Schriftrollen, um seine Arbeit zu beginnen.

Bis zum Abend beschäftigte er sich mit Aragorns Schreibtischarbeiten, dann rief ihn ein Diener zum Nachtmahl hinab in die Zitadelle. Faramir zog sich rasch um, denn seine Tunika war verschwitzt. Er gab sie einem Kammerdiener zum Säubern.

Die Runde an der Tafel hatte sich beträchtlich verkleinert, denn alle Heerführer waren zusammen mit dem König in den Krieg gezogen. Faramir sah sich fast nur Frauen gegenüber. Halbarad war neben ihm der einzige Mann am Tisch.
„Ich werde bald nach Arnor zurückkehren“, vertraute er Faramir beim Essen an. „Dieses warme Klima hier im Süden bekommt meinen Knochen nicht gut. Ich brauche die kühlen Wälder des Nordens um mich herum.“
„Das ist aber schade, dass Ihr uns schon verlassen wollt“, bedauerte der junge Truchseß. „Was meint denn Euere Tochter dazu?“
„Ich bin auch traurig, dass mich mein Vater verlässt“, sagte Nimriel bedrückt. „Doch ich weiß, dass ich hier nicht einsam sein werde.“
Sie sah Faramir mit einem merkwürdigen Blick bei ihren letzten Worten an und dem jungen Truchseß wurde es ganz warm.

Nach dem Nachtmahl zogen sich alle zurück und wünschten sich eine gute Nacht. Faramir blickte Nimriel mit einem Lächeln nach. Er selbst suchte die Truchsessgemächer auf und legte sich erst einmal auf das breite Bett. Gestern noch hatte er mit Éowyn hier gelebt. Sie hatte die letzten Tage tatsächlich eisern auf der Polsterbank im Nebenzimmer geschlafen. Faramir hatte gesehen, dass sie jeden Morgen mit Rückenschmerzen deswegen erwachte. Doch er hatte kein Mitleid. Ihr verdammter Stolz machte wirklich noch alles kaputt.



Éowyn war froh, als Aragorn das Nachtlager aufschlagen ließ. Sie hatten heute eine große Strecke geschafft und die Mündungen des Erui war nicht mehr weit. Erschöpft ließ sie sich von ihrem Pferd gleiten und ließ von einem Knappen ihr Zelt aufstellen. In der Zwischenzeit legte sie die eiserne Rüstung ab. Es war eine Tortur, in dieser Hitze in voller Rüstung zu reiten. Aber sie hatte es so gewollt. Erschöpft wischte sie sich die Stirn, während sich der junge Mann mit dem Zelt abmühte.
Aragorn trat zu ihr mit einem Kelch Wein, welcher mit Wasser verdünnt war.
„Hast du Durst?“ fragte er sie leise.
Éowyn nickte und stürzte den Kelch fast mit einem Zug hinunter. Der Alkohol stieg ihr sofort in den Kopf, da sie seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatte. Ihr war etwas schwummerig zumute, als sie Aragorn den Kelch zurückgab.
„Wann werden Legolas und seine Leute eintreffen?“ fragte sie mit belegter Stimme.
„Spätestens morgen früh“, meinte Aragorn freundlich.

Er wollte sich noch weiter mit ihr unterhalten, wurde jedoch von einem der Heeführer unterbrochen, der ihn etwas wichtiges fragen wollte.
Éowyn merkte, dass sie jetzt überflüssig war und ging zu ihrem Zelt zurück, welches endlich fertig aufgebaut war. Müde kroch sie hinein und nahm das Kettenhemd ab, welches sie noch trug. Darunter hatte sie noch eine dünne Tunika an. Sie war völlig durchgeschwitzt. Éowyn fühlte sich unwohl und suchte in ihren Sachen nach einer frischen Tunika. Doch sie hatte nur zwei Hemden zum Wechseln dabei. Sie musste sich diese Kleidungsstücke unbedingt aufsparen: im Süden würde es noch heißer sein als hier. Sie richtete sich ein Lager auf dem Boden her und deckte sich dann zu.
„Wollt Ihr denn nichts zu Abend essen?“ fragte ihr Knappe vorsichtig von außen.
Éowyn war jedoch viel zu müde und wollte nur noch schlafen. So verging die erste Nacht des Feldzuges.




Faramir wurde am nächsten Morgen von einem Kammerjunker geweckt. Er hatte viel zu lange geschlafen. Rasch zog er sich an und wusch sich. Dann ging er zu den Privatgemächern der Königsfamilie, wo immer ein kleines Frühstück eingenommen wurde. Arwen saß zusammen mit Nimriel am Tisch und beide aßen gebuttertes Brot und tranken Milch dazu.
„Guten Morgen“, sagte Faramir ganz verlegen und setzte sich ans Tischende.
Nimriel warf ihm ein belustigtes Lächeln zu.
„Herr Faramir, seit wann seid Ihr so ein Langschläfer?“ fragte sie schmunzelnd. „Es ist ganz ungewohnt, dass Ihr so spät zum Frühstück erscheint.“
„Es tut mir leid“, sagte Faramir zerstreut und schüttete eine Kanne mit Milch um.

Entsetzt sprang er auf und versuchte die Milchpfütze umständlich mit einer Serviette aufzuwischen. Beide Frauen kicherten leise. Schließlich hob Arwen ein Glöckchen und eine Magd kam herein, die sich um die nasse Tischdecke kümmern sollte.
„Es...tut mir unendlich leid“, stammelte Faramir peinlich berührt.
Erst jetzt sah er, dass auch seine Robe naß geworden war. Er musste sich unbedingt umziehen, bevor er die Amtsgeschäfte antrat. Er verabschiedete sich umständlich von den Damen und eilte zurück in seine Gemächer. Irgendwie war das nicht sein Tag heute.  

Ausgerechnet an diesem Tag musste er im Thronsaal Recht sprechen. Er musste Straftäter anhören und verurteilen. Eine Aufgabe, die Faramir gar nicht gerne tat. Es widerstrebte ihn, Menschen, die ein Pferd gestohlen hatten, zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Seiner Meinung nach war Pferdediebstahl längst nicht so schlimm wie ein Mord. Es war nicht richtig, beide Vergehen gleich hart zu bestrafen. Zum Glück war kein Pferdedieb unter den Angeklagten des heutigen Tages. Es waren lauter kleine Strauchdiebe, die er vor sich hatte. Faramir verurteilte sie jeweils zu Zwangsarbeit.

Am Nachmittag nahm er sich einige Stunden frei, denn er verspürte leichten Kopfschmerz. Er ging in die Gärten, in der Hoffnung dort Nimriel zu treffen. Dieses Mal war auch Arwen dabei. Sie wiegte ihr Kind in seinem Schaukelbettchen, während Nimriel spielte und sang. Verzückt lauschte Faramir. Er spürte, wie seine Kopfschmerzen allmählich vergingen.
Arwens Kind begann zu schreien und die Königin nahm ihre Tochter nun liebevoll aus der Wiege. Sie zog sich zurück in ihre Gemächer, um dort den Säugling zu stillen.

Faramir war jetzt alleine mit Nimriel. Diese hatte aufgehört zu spielen und lächelte den jungen Truchseß an.
„Ihr seht etwas müde aus, Herr Faramir“, sagte sie leise.
„Ich habe ein wenig Kopfschmerzen“, gestand dieser und fuhr sich matt über die Stirn. „Es ist schon ein wenig besser geworden, aber ich verspüre immer noch einen dumpfen Druck.“
„Ich kenne da eine Methode, welche Kopfschmerzen sanft verschwinden lässt“, erklärte die junge Frau und legte ihre Harfe sacht auf der Bank nieder.
Faramir blickte sie erstaunt an. Aber er tat das, was sie ihm hieß, und setzte sich auf der Bank nieder. Sie stellte sich nun hinter ihm und legte ihre Finger sanft auf seine Schleifen. Faramir erschauerte wohlig, als er diese Berührung spürte. Sie begann nun seine Schläfen leicht zu massieren und sang dazu eine leise elbische Weise. Faramir entspannte sich und schloß die Augen. Er fühlte sich unglaublich gut und wünschte sich, Nimriel würde mit dieser Massage niemals aufhören.
„Ist es schon besser?“ fragte sie lächelnd.
„Viel besser“, seufzte Faramir glücklich.
Sie hörte nun auf mit der Massage und ihre Hände glitten an seinen Gesicht herab, bis auf seinen Schultern ruhten.
„Das...das war wundervoll“, stammelte der junge Truchseß und er griff nach ihren Händen. „Ich danke euch, meine Dame.“

Nimriel lachte fröhlich und ließ nun seine Hände los. Sie ging um die Bank herum und tanzte durch die Wiese. Faramir blickte sie verzückt an. Langsam kehrte sie nach ihrer Tanzeinlage zur Bank zurück. Sie wirkte so jung und unbeschwert.
„Habt ihr diese....äh... Methode bei den Elben gelernt“, fragte Faramir verlegen.
„Auch wir Dunedain des Nordens verfügen über gewisse Kenntnisse der Heilung“, erwiderte Nimriel stolz. „Allerdings sind die Heilkünste der Elben unübertroffen.“
„Wie war Euer Leben im Norden?“ fragte Faramir neugierig. „Habt Ihr nur in Bruchtal gelebt oder auch woanders?“

„Wir haben früher in einem kleinen Dorf in den Wäldern Arnors gelebt“, erzählte Nimriel mit einem melancholischen Lächeln. „Dort habe ich meine Kindheit verbracht. Dann wurde es gefährlich, weil immer öfters Orks und Goblins in unserer Nähe gesichtet wurden. Vater brachte meine Mutter und mich nach Bruchtal, wo wir einige Jahre lebten. Es war vielleicht die glücklichste Zeit in meinem Leben. Als die größte Gefahr gebannt war, zogen wir nach Breeland, wo wir in einem kleinen Dorf lebten. Die Menschen dort jedoch misstrauten uns Dunedain und machten einen großen Bogen um uns. In dieser Zeit brachte mir mein Vater das Bogenschießen und Schwertkämpfen bei, damit ich mich im Notfall verteidigen konnte. Zum Glück musste ich diese Fertigkeiten niemals anwenden. Doch ich kann kämpfen wie eine Schildmaid, wenn es sein muß.“

„Ich höre es nicht gerne, wenn Frauen zu den Waffen greifen müssen“, gestand Faramir. „Vielleicht habt Ihr es mitbekommen, dass ich mit den Plänen meiner Gemahlin nicht einverstanden bin. Sie ist gegen meinen Willen mit dem Heer fortgezogen“
Faramir hielt erschrocken inne: warum hatte er Nimriel so freimütig von seinen Problemen erzählt? Was würde sie jetzt von ihm denken? Er schalt sich selbst einen Narren. Vielleicht hatte er jetzt das zarte Freundschaftsband zwischen ihm und der junge Dame bereits  wieder zerstört.

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