Arda Fanfiction

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Sturmwogen

von Celebne

Faramir und Tindómerel

Tindómerel wurde in die Häuser der Heilung gebracht. Faramir wusste genau, warum sie ohnmächtig geworden war: sie hatte einen Schock erlitten, nachdem sie vom Tode ihres Geliebten erfahren hatte. Alle anderen Anwesenden hielten das für Aufregung. Denethor ließ die Feier abbrechen, während Faramir in den Garten lief, um mehr über die Umstände des Mordes zu erfahren. Forlong und seine Gemahlin Ivriniel machten sich auf den Weg in die Häuser der Heilung, um ihrer Tochter beizustehen. Nachdem im Garten keine Spuren von dem Mörder gefunden wurden, folgte Faramir den anderen in die Häuser der Heilung.

Er beobachtete besorgt, wie sich die Heiler und die Eltern um Tindómerel bemühten. Sie befand sich auf einer Liege in der Eingangshalle und war inzwischen erwacht, wirkte jedoch noch völlig verstört. Ioreth veranlasste, das Mädchen in ein Krankengemach zu bringen. Er bekam großes Mitleid mit Tindómerel. Sie hatte gerade ihren Verehrer verloren. Ihr Liebesglück war dahin und sie würde vielleicht niemals darüber hinwegkommen, dass Marach auf solch eine niederträchtige Weise ums Leben gebracht worden war. Faramir fühlte eine unendliche Wut auf den feigen Mörder, der den jungen Soldaten von hinten erstochen hatte. Er fragte sich im Stillen, welcher Mensch einen Grund dazu gehabt haben mochte, den jungen Mann zu töten. Für einen kurzen Moment dachte er an seinen Vater, doch er verdrängte den Gedanken sofort. Sein Vater war wohl ein verbitterter, übellauniger Mensch, aber kein Mörder – oder?

Faramir spürte leise Zweifel in sich hochsteigen. Ebensogut konnte Forlong veranlasst haben, den Geliebten seiner Tochter zu töten, und es sprach einiges dafür. Es konnte möglich sein, dass der Edelmann von Marach und Tindómerel gewusst hatte, und dass ihm diese Verbindung ein Dorn im Auge war. Seine Tochter hatte die einmalige Gelegenheit bekommen, in die Truchsessfamilie einzuheiraten. Eine edlere Familie gab es in Gondor nicht.
Faramir wanderte in Gedanken versunken auf dem steinernen Korridor der Häuser der Heilung auf und ab. Einige graugekleideten Frauen mit Kopftüchern huschten vorbei. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich endlich die Tür, hinter der sich Tindómerels Krankengemach befand, und Frau Ioreth trat mit den Eltern des Mädchens heraus.

„Ich möchte gerne  Euere Tochter sehen, Herr Forlong und Frau Ivriniel“, sagte Faramir rasch. „Darf ich?“
Das Ehepaar freute sich, dass der junge Mann sich so sehr um seine künftige Braut kümmerte und sie sagten zu. Ioreth jedoch blickte Faramir streng an.
„Aber nicht allzu lange“, meinte sie ernst. „Die junge Dame hat einen schlimmen Schock erlitten.“
„Ich verspreche, dass ich nur kurz bleibe“, sagte Faramir freundlich.
Die Heilerin nickte ihm lächelnd zu: sie mochte den jungen Mann sowieso am liebsten von der ganzen Truchsessfamilie.

Tindómerel lag blaß und apathisch in einem großen, weißbezogenen Bett. Ihre schwarzen Haare lagen offen ausgebreitet auf dem Kissen. Als sie Faramir erblickte, rang sie sich zu einem schwachen Lächeln durch. Doch der junge Mann blieb ernst.
„Ich weiß, warum Ihr ohnmächtig geworden seid, meine Dame“, sagte er leise.
Tindómerel blickte ihn entsetzt an und wurde noch eine Spur bleicher.
„Habt Ihr etwas mit Marachs Tod zu tun?“ fragte sie schließlich heiser.
„Traut Ihr mir wirklich so eine schändliche Tat zu?“ Faramir sah sie ernst aus seinen klaren, blauen Augen an.

Eine Zeitlang musterten sich die beiden jungen Menschen, bis Tindómerel schließlich beschämt den Blick senkte.
„Ich glaube nicht, dass Ihr etwas mit Marachs Tod zu tun habt“, sagte sie mit belegter Stimme und begann mit den Tränen zu kämpfen.
Faramir nahm am Bettrand Platz und ergriff ihre Hand.
„Es tut mir leid, was passiert ist“, murmelte er. „Ich weiß, dass Ihr diesen jungen Soldaten sehr geliebt habt.“
Tindómerel zog erschrocken ihre Hand zurück.
„Woher wisst Ihr von Marach und mir?“ stieß sie ungläubig hervor.
„Ich hatte Euch heute Abend in der Zitadelle gesehen“, erklärte Faramir ruhig.

Die junge Frau wurde rot und sah wieder zur Seite.
„Was müsst Ihr nur von mir denken. Wenn Ihr Euerem Vater erzählt, dass ich einen anderen liebe, dann werden meine Eltern und ich mit Schimpf und Schande nach Lossarnach zurückgeschickt. Das überlebe ich nicht!“
Sie begann laut aufzuschluchzen. Faramir schüttelte den Kopf.
„Wie habt Ihr Euch das vorgestellt, eine Ehe mit mir? Sollte Marach Euch dann heimlich besuchen in meiner Abwesenheit?“
„Nein, so etwas hatte ich nie vor“, beteuerte Tindómerel weinend. „Ich wollte ihn zurück nach Lossarnach schicken.“
„Ja, das habe ich mit eigenen Ohren gehört“, meinte Faramir grimmig. „Eine Liebschaft hinter meinem Rücken wäre das geworden.“
„Faramir, bitte!“ flehte ihn die junge Frau verzweifelt an und setzte sich mit einem Ruck im Bett auf. „Ihr dürft so etwas von mir nicht glauben. Ich bin keine Hure oder so etwas. Ich bin noch unberührt. Niemals hätte ich mich Marach hingegeben, ohne mit ihm verheiratet zu sein.“

„Ich weiß“, sagte Faramir leise.
Er konnte in ihrem Herzen lesen, dass sie ein ehrbares Mädchen war.
„Was werdet Ihr jetzt machen?“ fragte sie ängstlich. „Werdet Ihr Euerem Vater von Marach und mir erzählen?“
„Nein, das hatte ich nie vor“, betonte der junge Mann ernst. „Aber ich will Euch auf keinem Fall heiraten. Das würde nicht gut gehen.“
Tindómerel begann erneut zu weinen.
„Dann ist mein Leben so gut wie verwirkt, Faramir“, schniefte sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Der junge Mann schwieg: anscheinend hatte er sich in dem gutmütig wirkenden Edelmann Forlong getäuscht. Dieser Man war wohl grausam genug, um den Liebhaber seiner Tochter aus kalter Berechnung zu töten, und vielleicht ihr selbst auch etwas Schlimmes anzutun, wenn sie diese Ehe nicht einging. Faramir fragte sich, ob er tatsächlich in diese Heirat einwilligen sollte. Auch ihm blieb praktisch keine andere Wahl. Vielleicht konnte man sich in dieser Ehe  arrangieren, dass man doch irgendwie glücklich wurde.
Seufzend setzte er sich wieder an den Bettrand und ergriff erneut Tindómerels Hand.
„Ich werde versuchen den Mörder Marachs zu finden“, versprach er feierlich. „Und wenn Ihr wieder gesund seid, wollen wir weitersehen.“
Faramirs Worte klangen so hoffnungsvoll, dass Tindómerel unter Tränen lächelte. Sie war wirklich eine sehr schöne Frau und der junge Mann fühlte sich nun ein wenig zu ihr hingezogen.
„Ich muß gehen“, sagte er ein wenig freundlicher. „Frau Ioreth wird sonst ärgerlich, und mit ihr sollte man sich besser nicht anlegen.“
„Kommt Ihr mich wieder besuchen, Faramir?“ fragte Tindómerel hoffnungsvoll. „Ich würde mich freuen.“

In den folgenden Tagen stellte Faramir Nachforschungen an nach dem Mörder Marachs. Er lief in der Zitadelle herum und befragte die Dienerschaft, ob sie irgendetwas Verdächtiges bemerkt habe.  Schließlich erfuhr Denethor, was sein jüngerer Sohn gerade trieb, und er wurde ungehalten. Er ließ Faramir zu sich in seine Amtsstube rufen.
„Mein Sohn“, begann er zunächst ruhig. „Ich habe gehört, dass du Frau Tindómerel schon einige Male in den Häusern der Heilung  besucht hast.“
„Ich hoffe, das stört dich nicht“, entgegnete Faramir gelassen. „Aber deswegen hast du mich ja wohl nicht rufen lassen, denke ich.“
Denethor verzog das Gesicht, denn diese Antwort empfand er als sehr ungezogen von seinem Zweitgeborenen.
„Ich habe mitbekommen, dass du die Dienerschaft belästigst mit Fragen“, fuhr er deutlich ungehaltener fort.

„Ich habe Tindómerel versprochen, den Mörder zu finden“, erwiderte Faramir ernst.
„Das wirst du nicht tun, denn ich lasse die Sache bereits untersuchen“, sagte Denethor streng. „Wenn dir zu langweilig ist, kann ich dir gerne Arbeit auftragen. Ich habe sowieso das Gefühl, dass du deine Waffenübungen in letzter Zeit vernachlässigst. Das darf nicht sein!“
„Aber je mehr Leute nach dem Mörder suchen, umso besser“, wandte Faramir erstaunt ein. „Warum sperrst du dich so dagegen, Vater?“
Denethor spürte, wie die Gedanken seines Zweitgeborenen sich auf sein Innerstes richteten, und er wurde wütend.
„Unterlasse diesen faulen Zauber gefälligst!“ mahnte er Faramir. „Du verdächtigst doch nicht etwa mich?“

Der junge Mann errötete leicht und senkte den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Ich wollte das nicht tun. Verzeih!“
„Geh jetzt und kümmere dich um Tindómerel und deine Waffenübungen!“ befahl Denethor aufgebracht und rollte nervös ein Pergament zusammen.
Faramir ging bedrückt wieder hinaus. Manchmal verfluchte er diese Gabe, welche er durch den Kelch der Weisheit erhalten hatte. Es war fast wie ein Zwang für ihn, in das Herz seines Vaters zu blicken, doch dieser merkte es stets rechtzeitig und wurde dann zornig.

Tindómerel wurde drei Tage nach ihrem Zusammenbruch aus den Häusern der Heilung entlassen. Denethor und Forlong beschlossen nun, die Verlobungsfeier im kleinen Kreis abzuhalten, ohne großen Aufwand.
Boromir war wieder einmal der Unglücksbote – wie er sich selbst titulierte - , der diese Nachricht Faramir überbrachte.
„Vater und Herr Forlong wollen Euch bereits heute abend verloben“, berichtete Boromir niedergeschlagen. „Du wirst wohl nicht umhinkommen, das Mädchen zu heiraten, Kleiner.“
Faramir reagierte zur Überraschung seines Bruders weder aufsässig noch bedrückt.
„Wenn es denn sein soll, dann eheliche ich Tindómerel eben.“

„Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?“ fragte Boromir erleichtert, der nicht wollte, dass sein Bruder und sein Vater dauernd stritten.
„Tindómerel ist kein schlechter Mensch“, erklärte Faramir mit einem leichten Lächeln. „Ich habe sie in den vergangenen Tagen einige Male in den Häusern der Heilung besucht.“
„Aber sie liebte doch diesen Marach?“ warf Boromir erstaunt ein. „Liebt sie jetzt plötzlich dich?“
„Nein, das tut sie nicht“, meinte der junge Mann seufzend. „Aber die Zeit kann viele Wunden heilen. Ich liebe sie ja auch nicht, aber ich mag sie. Und jetzt kann ich sagen, dass ich sie auch ein wenig kennengelernt habe.“

Die Verlobung fand in einem kleineren Saal neben der Halle der Könige statt. Versammelt waren dort einige Adelige aus Gondor, die man auf die Schnelle eingeladen hatte. Faramir vermisste Fürst Imrahil, seinen Onkel. Gerne hätte er ihn bei seiner Verlobung dabeigehabt. Aber Denethor versprach ihm, Imrahil zur Hochzeit einzuladen, die am Mittsommertag stattfinden sollte.
Tindómerel hatte an diesem Abend eine freundlichere Miene aufgesetzt als noch vor einigen Tagen beim ersten Verlobungsversuch. Sie trug wieder das hübsche Kleid und hatte ihre Haare so frisiert wie an jenem Abend. Faramir bewunderte, mit welcher Fassung sie die Ermordung ihres Geliebten ertrug. Es war das Geheimnis, welches sie und Faramir verband, dass sie diesen Mann geliebt hatte. Die Suche nach dem Mörder war bisher ergebnislos verlaufen, obwohl der Truchseß nochmals vor der Ratsversammlung versichert hatte, dass die Nachforschungen intensiviert worden seien. Aber Marach war nun mal ein einfacher Soldat gewesen und kein Mann von hohem Adel. Man würde nicht ewig nach dem Mörder suchen.

Die Verlobungszeremonie wurde in aller Eile durchgeführt, so als ob man Angst vor einem erneuten Zwischenfall hatte. Faramir wusste kaum wie ihm geschah: Denethor und Forlong legten seine und Tindómerels Hände ineinander und beschworen die guten Mächte, diese Verbindung zu segnen. Dannach wurde mit erlesenem Wein auf die Verlobung beider Häuser angestoßen.
Faramir ahnte nicht, dass er einen gewaltigen Fehler begangen hatte, in die Heirat mit Tindómerel so voreilig einzuwilligen.

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