Arda Fanfiction

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Sturmwogen

von Celebne

Gewissensbisse

Boromir kehrte am Spätnachmittag nach Minas Tirith zurück. Seine gute Laune war verschwunden. Er beschloß, mit seinem Vater über die Sache zu reden. Vielleicht würde dieser dann einsehen, dass es kein guter Einfall war, Faramir so rasch zu verheiraten. Deswegen beeilte er sich, den Truchseß noch vor Beginn des Nachtmahls zu erwischen.

Denethor saß gerade mit einigen seiner Berater im Thronsaal und besprach sich mit ihnen. Die vier Männer trugen alle lange dunkle Roben – ähnlich wie der Truchseß. Und sie nickten alle beifällig, als Denethor seine Entscheidung über eine Abgabenerhöhung verkündete.
„Vater, kann ich dich kurz sprechen?“ platzte Boromir außer Atem heraus.
Denethor sah seinen ältesten Sohn streng an. Er mochte nicht gerne bei Beratungen gestört werden, auch von seinem geliebten Erben nicht.
„Du hast Glück, dass wir so gut wie fertig sind“, meinte er schließlich.
Er schickte seine Berater weg und erhob sich dann von dem dunklen Truchseß-Stuhl.

„Um was geht es denn?“ wollte er wissen.
„Faramir kann unter keinen Umständen dieses Mädchen heiraten“, sagte Boromir mit gedämpfter Stimme. „Sie ist eine Mörderin.“
„Komm, wir reden im Kaminzimmer weiter“, meinte Denethor kurzangebunden und verließ den Thronsaal.

Als sie in dem kleinen Gemach angekommen waren, wiederholte Boromir das, was er im Thronsaal gesagt hatte.
„Ach was“, meinte Denethor und schenkte sich einen Kelch Wein ein. „Meinst du, sie hat diesen – wie hieß er doch gleich – Marach ermordet? Sie war doch die ganze Zeit im Thronsaal bei der Verlobungsfeier.“
„Vater, sie hat ihn von Argond, dem Gärtner, töten lassen“, fuhr Boromir aufgeregt fort. „Ich habe sogar einen Beweis dafür.“

Er erzählte, was er an diesem Tag in dem kleinen Dorf Celadh Ivrin herausgefunden hatte.
„Ich wette, das war Faramirs Einfall“, entgegnete Denethor ungehalten. „Ich bin enttäuscht, dass du diesen Unsinn mitmachst. Aber du tust ja alles für deinen Bruder.Ich hatte ihm streng verboten, weiter nach dem Mörder zu suchen. Wozu bezahle ich eigentlich die Leute, die das tun?“
„Faramir war der Meinung, du hättest die Suche längst eingestellt“, gab Boromir zurück. „Und Tindómerel hatte sicherlich einen Grund, Marach töten zu lassen.“
Jetzt wurde Denethor hellhörig und er hakte nach. Boromir jedoch ärgerte sich, dass er sich verplappert hatte in seiner Aufregung. Die Sache mit Tindómerel und Marach hatte ja eigentlich geheimbleiben sollen.

„Was für einen Grund hatte das Mädchen?“ fragte Denethor mit rauer Stimme.
„Nun ja“, druckste Boromir herum und sah betreten zu Boden. „Sie hatte angeblich ein Verhältnis mit Marach. Es passte ihr vielleicht nicht, dass er ihr nach Minas Tirith nachgereist war. Er hätte ja schließlich ihre Verlobung mit Faramir gefährden können.“
Denethor lachte jetzt ärgerlich auf.
„Dann hat sie das Richtige getan!“ rief er dröhnend aus. „Wahrscheinlich hat sie auch erkannt, dass diese Verbindung einfach zu wichtig ist.“
„Vater, du kannst das Faramir nicht antun!“ stieß Boromir verzweifelt hervor. „Er hat so eine Frau nicht verdient, die eiskalt Leute umbringen lässt.“
Denethor wurde jetzt richtig zornig.

„Hör gut zu, mein Sohn, was ich dir jetzt sage“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Ich habe diese Verbindung nicht alleine aus dem Grund eingefädelt, um deinen Bruder zu zähmen. Du weißt selbst, dass das Verhältnis zwischen Lossarnach und Minas Tirith in den letzten Jahren nicht das beste war. Die Menschen dort waren aufsässig und leisteten ihre Abgaben nicht pünktlich. Daher ist es wichtig, das Bündnis zwischen Forlongs Haus und dem meinigen zu festigen. Ich habe gehört, dass die Verlobung in Lossarnach sehr positiv aufgenommen wurde. Das ist gut so!“

„Aber du kannst doch nicht Faramir opfern, um ein politisches Bündnis zu stärken“, meinte Boromir bedrückt. „Er ist doch dein Sohn. Und du musst doch als Vater wollen, dass er glücklich wird.“
„Wir müssen alle Opfer bringen im Krieg gegen Mordor“, sagte Denethor etwas milder. „Diese Hochzeit ist zu wichtig. Marach war nur ein unbedeutender Soldat. Kein Hahn wird nach ihm krähen, wenn erst Gras über diese Sache gewachsen ist. Ich möchte, dass du Faramir nichts davon erzählst, was du herausgefunden hast. Schwöre es mir!“

Seine Augen begannen wild zu funkeln und er presste fest seine Hände auf Boromirs Schultern. Der junge Mann konnte seinem Blick nicht standhalten und blickte zu Boden.
„Nein, das kann ich nicht verschweigen. Faramir hat ein Recht, das zu erfahren.“

„Wenn diese Hochzeit platzt, gibt es womöglich einen Aufstand in Lossarnach“, rief Denethor. „Das ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können. Solch ein Aufstand könnte eine Kettenreaktion auslösen. Gondor könnte daran untergehen. Willst du das? Schwöre mir, dass du Faramir nichts sagen wirst! Für Gondor!“
„Für Gondor“, flüsterte Boromir unglücklich und hob die Hand zum Schwur.

* * * * *



Faramir erwachte, als man ihn auf eine behelfsmäßige Trage bettete, die aus starken Ästen und Decken gefertigt war. Mühsam versuchte er den Kopf zu heben, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
„Haben wir viele Männer verloren?“ fragte er Madril mit schwacher Stimme.
„Die Verluste waren zahlreich“, erwiderte dieser mit einem traurigen Lächeln. „Doch wir konnten die Orks in die Flucht schlagen. Die Trolle sind alle tot.“
Faramir erkundigte sich noch nach Anborn und hörte erleichtert, dass er mit weniger schlimmen Verletzungen davongekommen war.
„Wir müssen Euch rasch in die Stadt zurückbringen“, erklärte Madril besorgt. „Euere Schulter ist gebrochen.“
„Die Männer müssen auch in Sicherheit gebracht werden“, murmelte Faramir, während er langsam auf die Trage zurücksank.
Die Schmerzen wurden wieder unerträglich und er war fast dankbar, als ihn wieder eine erlösende Ohnmacht übermannte.

Der Weg nach Minas Tirith wurde für Faramir eine endlose Tortur. Auf der Bahre wurde er durchgerüttelt und durchgeschüttelt, denn die Waldwege waren sehr uneben. Obwohl seine Träger aufpassten, litt der junge Heermeister große Schmerzen. In Osgiliath wurde Faramir dann auf einen Pferdewagen gebettet und ihm ein Kräutertrank gegen die Schmerzen eingeflößt. Den Rest der Heimreise bekam der tapfere junge Mann nicht mehr mit.

Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, erblickte er um sich die vertraute Umgebung der Häuser der Heilung. Die Wohlgerüche von Heilkräutern stiegen angenehm in seine Nase und er spürte von seiner verletzten Schulter nur ein dumpfes Pochen. Er merkte, dass dicke Schichten Verbände um seinen Oberkörper gewickelt waren, um den Bruch ruhigzustellen.

Boromir und Denethor machten sich sofort auf dem Weg in die Häuser der Heilung, als ihnen Madril von Faramirs schwerer Verletzung erzählte.
„Auch das noch!“ murmelte der Truchseß vor sich hin, als er neben seinem ältesten Sohn hinab in den sechsten Festungsring hastete. „In zwei Monaten findet die Hochzeit statt. Hoffentlich ist er bis dahin wieder gesund.“
„Hast du keine anderen Sorgen als die Hochzeit?“ fragte Boromir empört. „Wir können froh sein, dass Faramir noch am Leben ist. Warum hast du ihn überhaupt nach Ithilien losgeschickt?“
„Sei jetzt ruhig!“ entgegnete Denethor bissig.
Der Truchseß wusste, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Er hatte sich nur Faramir vom Hals halten wollen und jetzt platzte vielleicht die Hochzeit, wenn es dumm zuging.

Sie hatten inzwischen den Eingang des großen Gebäudes erreicht. Boromir verzog angewidert das Gesicht, als er die Heilkräuter roch. Das erinnerte ihn immer an schmerzhafte Verletzungen, die er schon hier in den Häusern der Heilung hatte behandeln lassen.
Frau Ioreth trat den beiden Männern entgegen. Sie hatte ein  längliches Gesicht mit blassgrauen Augen. Ihre Lippen waren so dünn, dass sie einen Strich bildeten, wenn sie den Mund geschlossen hielt. Ihr Haar war von einem dunklen Kopftuch vollständig bedeckt, was ihr einen strengen Ausdruck verlieh. Doch der Truchseß ließ sich nicht so schnell einschüchtern, auch von der resoluten Ioreth nicht.
„Wo ist mein Sohn?“ fragte er im Befehlston.
„Kommt mit, Truchseß“, sagte die Heilerin auffordernd.

Sie ließ sich von Denethors herrischem Auftreten keineswegs beeindrucken.
Denethor folgte ihr unwillig und Boromir ging mit. Ioreth öffnete die Tür eines Krankenzimmers und winkte die beiden Männer heran.
„Sein Schulterblatt ist gebrochen“, erklärte sie dem Truchseß, bevor er eintrat. „Wir konnten es wieder richten, aber wir wissen nicht wie lange der Heilungsprozeß dauern wird.“
„Aber doch nicht länger als zwei Monate?“ bemerkte Denethor besorgt.
„Ihr solltet froh sein, wenn Faramir überhaupt wieder seinen rechten Arm uneingeschränkt benutzen kann“, erwiderte Ioreth ungehalten. „Ich kann nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis er wieder vollständig gesund ist.“
Boromir sah, wie das Gesicht seines Vaters rot anlief vor Wut.

„Sorgt dafür, dass er so schnell wie möglich wieder auf den Beinen ist“, fuhr er Ioreth grimmig an.
„Jawohl, mein Herr“, entgegnete Ioreth gelassen.
Denethor entging der spöttische Unterton ihrer Stimme nicht und er verfluchte die Frau im Stillen dafür. Doch er wusste auch, dass sie die beste Heilerin Gondors war und dass sie dringend gebraucht wurde. Er machte eine verärgerte Handbewegung und ging in das Zimmer hinein.

Faramir war wach. Die Schmerzen waren wieder schlimmer geworden. Anscheinend hatte die Wirkung der Kräuter nachgelassen. Doch als er seinen Vater und seinen Bruder sah, lächelte er schwach. Boromir lief sofort ans Bett und setzte sich auf die Kante.
„Was machst du nur für Sachen, Kleiner“, flüsterte er besorgt und streichelte kurz Faramirs bärtige Wange.
Denethor blieb mit verschränkten Armen vor dem Bett stehen.
„Wie ist das passiert?“ fragte er schlechtgelaunt.

„Aber Vater, das hat doch Madril schon erzählt!“ rief Boromir vorwurfsvoll. „Du kannst nicht von Faramir in seinem Zustand verlangen, dass er dir einen Kriegsbericht erstattet.“
Faramir blickte seinen Vater traurig an: das war wieder einmal typisch, dass dieser sich um andere Dinge als um ihn sorgte.
„Ich will keinen Kriegsbericht, sondern nur, dass mir Faramir eine Frage beantwortet“, sagte Denethor finster.
„Es geschah durch einen Troll“, sagte Faramir mit schwacher Stimme. „Ich mußte Anborn helfen.“
Denethor lachte ärgerlich auf.
„Auch das noch! Wegen eines unnützen jungen Soldaten setzt du dein Leben aufs Spiel! Das passt zu dir.“

„Vater!“ rief Boromir entrüstet. „Das war eine Heldentat von Faramir. Warum setzt du das herab?“
„Für solche Heldentaten hat sich dein Bruder einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht“, spottete der Truchseß boshaft.
Er wandte sich noch einmal an Faramir, bevor er ging.
„Sieh zu, dass du rechtzeitig zur Hochzeit wieder gesund wirst!“
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Boromir sah, dass in den Augen seines Bruders Tränen standen, und er verwünschte seinen Vater im Stillen.

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