Arda Fanfiction

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Die Hüterin von Malrond

von Celebne

Unheilvolle Begegnung

Die beiden Frischvermählten standen immer noch in der Eingangshalle, als Beregond zusammen mit Emyr das Gebäude betrat.
„Wir kriegen offensichtlich Besuch“, raunte Faramir seiner Gemahlin zu und suchte seine Tunika vorsichtshalber nach weiteren Grashalmen ab.
„Wie peinlich“, flüsterte Éowyn ein wenig entsetzt und blieb verlegen neben Faramir stehen.
Sie versuchte die Grasflecken auf ihrem Kleid ein wenig mit den weiten Falten desselbigen zu verdecken.
„Ich habe hier einen Besucher, der gerne Fürstin Éowyn sprechen möchte“, verkündete Beregond eifrig.

Er trat ein wenig zurück und ließ Emyr nun zu seinen Herrschaften vor. Der fremde Ritter verneigte sich vor dem Fürstenpaar.
„Edle Herrin Éowyn, Fürst Faramir“, begann er höflich zu sprechen. „Ich fühle mich sehr geehrt, Euch persönlich kennenlernen zu dürfen.“
„Seid gegrüßt“, erwiderte Faramir, der Herr des Fürstenhauses, ebenso höflich. „Was ist der Grund Eueres Besuches?“
„Ich bringe eine Botschaft meiner Herrin, der hohen Frau Ranwen“, erwiderte Emyr besonnen. „Diese Botschaft ist für Frau Éowyn bestimmt.“
Faramir bemerkte, dass seine Gemahlin bei der Nennung des Namens Ranwen ganz blass geworden war.
„Meine Großmutter väterlicherseits hieß auch Ranwen“, sagte Éowyn mit leicht zitternder Stimme. „Sie kann doch unmöglich noch am Leben sein?“
„Die Herrin Ranwen ist Euere Großmutter“, sagte Emyr stolz. „Sie ist zwar sehr betagt, aber immer noch gesund und munter.“

Éowyn griff sich an die Kehle. Diese Nachricht bestürzte sie sehr. Ihre Eltern hatte sie in früher Kindheit verloren. Erst sechs Jahre war sie alt gewesen, als ihr Vater Éomund von den Orks getötet worden war. Ihre Mutter Théodwyn war kurz nach dem Tode des Vaters vor Gram gestorben. Nie hatte sie jedoch Kontakt zu ihrer Großmutter väterlicherseits gehabt. Sie hatte stets geglaubt, dass diese längst verschieden sei.
„Mein Bruder wird sehr überrascht sein, wenn er hört, dass unsere Großmutter noch lebt“, sagte Éowyn, als sie sich einigermaßen wieder gefasst hatte.
„Ihr bringt uns merkwürdige Überraschungen, Herr Emyr“, erwiderte Faramir leicht ungehalten.
„Ich bin weit gereist und hätte mich gerne gesetzt und einen Bissen gegessen“, meinte Emyr wieder lächelnd. „Ich hoffe, ich strapaziere Euere Gastfreundschaft nicht zu sehr.“
„Natürlich nicht“, sagte Faramir etwas freundlicher und bat Emyr in das gemütliche Kaminzimmer hinein.

Nachdem Emyr sich mit kalten Braten, Brot und Wein gestärkt hatte und einige banale Sätze über das Wetter in Gondor getauscht worden waren, wollte Éowyn nun neugierig wissen, welche Botschaft er von ihrer Großmutter brachte.
„Ihr müsst mit mir kommen, Herrin“, antwortete der Ritter fast ein wenig barsch.
Éowyn starrte ihn erstaunt an, während Faramir sogar von seinem Stuhl aufstand und ungehalten dreinblickte.
„Meine Gemahlin wird ihre Großmutter besuchen, wenn es sich mit ihren Pflichten als Fürstin Ithiliens einrichten lässt“, erwiderte Faramir schließlich stolz.
„Ich nehme keine Befehle von Euch an, Herr Emyr“, bekräftigte Éowyn ebenso stolz. „Aber falls meine Großmutter meinen Besuch ausdrücklich wünscht, werde ich sehen, was ich tun kann.“
„Ich habe von keinem Besuch gesprochen“, erklärte Emyr mit schiefem Lächeln. „Ihr sollt die neue Herrin von Malrond werden. Die Zeit Euerer Großmutter ist herum.“
Éowyn lachte ärgerlich auf, als sie das hörte, und Faramir schüttelte entrüstet das rotblonde Haupt über die Dreistigkeit des Fremden.
„Richtet Euerer Herrin aus, dass Éowyn bereits die Herrin von Ithilien ist, falls ihr das noch nicht bekannt ist“, sagte Faramir mit erhobener Stimme.
„Oh, der Herrin Ranwen ist alles bekannt über ihre Enkelin“, meinte Emyr mit einem seltsamen Lächeln und fuhr sich über den langen Bart. „Allerdings scheint Euch beiden nichts über Éowyns wahre Bestimmung bekannt zu sein.“
Das junge Ehepaar war von diesen Worten so verdattert, dass es erst einmal schwieg.



Emyr ergriff das Wort und berichtete nun das, was seine Herrin ihm aufgetragen hatte. Er achtete darauf, nicht zuviel über den verborgenen Tempel von Malrond zu erzählen. Ranwen war sicherlich wie er der Meinung, dass es diesem Faramir überhaupt nichts anginge.
„Frau Éowyn ist wie ihre Großmutter zur Hüterin geboren“, sagte er stolz. „Die Hüterinnen achten in der ihnen vorgegebenen Zeit auf die gelbe Flamme. So lange diese gelb erscheint, hat Arda nichts zu befürchten. Doch ändert sich die Farbe der Flamme, ist dies ein Zeichen, dass die Zeit der Hüterin abgelaufen ist. Wird die Hüterin nicht binnen drei Monden durch ihre Nachkommin ersetzt, so wird Arda untergehen.“
„So ein Unsinn!“, entfuhr es Faramir unwirsch. „Arda hatte bisher ganz andere Sorgen als diese Hüterinnen! Beinahe hätte der Dunkle Herrscher diese Welt vernichtet und nicht irgendeine merkwürdige Flamme. Doch Euch scheint das wohl entgangen zu sein, mein Freund. Wo wart Ihr, als Rohan und Gondor vereint gegen Mordor kämpften?“
„Ich weiß sehr wohl, was in den letzten Jahren auf Arda passiert ist“, sagte Emyr verletzt. „Auch ich hatte eine wichtige Aufgabe in dieser Zeit zu erfüllen. Die Ritter des Tempels sind nicht untätig geblieben. Der Dunkle Herrscher hatte seine Fühler selbst bis nach Malrond ausgestreckt.“
„Malrond – ich habe davon noch nie etwas gehört!“, schnaubte Faramir erzürnt auf.
Er legte seine Hände auf Éowyns Stuhlrücken, als könne er dem fremden Ritter auf diese Weise zeigen, dass sie zu ihm gehörte und nicht diesem Tempel.
Éowyn jedoch war die ganze Zeit ruhig geblieben und sie nahm beschwichtigend Faramirs Hand. Seit Emyr von ihrer wahren Bestimmung gesprochen hatte, arbeitete es in ihr. Wenn nun dieser Mann recht hatte und sie diesen Platz unbedingt einnehmen musste?

Emyr blickte das Fürstenpaar traurig an und seufzte leise. Er hatte seinen Auftrag soweit ausgeführt: Éowyn wusste nun Bescheid und es lag an ihr, mit ihm zu kommen. Mehr konnte er nicht tun.
„Bitte geht jetzt“, sagte die junge Fürstin leise zu ihm.
Emyr presste die Lippen zusammen und nickte.
„Ich werde mir eine Herberge in Minas Tirith suchen“, sagte er an Éowyn gewandt. Faramirs finsteren Blick ignorierte er. „Falls ich Euch nach Malrond bringen soll, dann schickt diesen eifrigen blonden Soldaten nach Minas Tirith. Ich werde so lange dort auf Euch warten.“
„Ich denke, Ihr wartet umsonst“, schnappte Faramir giftig zurück. „Vergeudet nicht Euere Zeit!“
Doch Emyr lächelte nur geheimnisvoll und warf einen letzten hoffnungsvollen Blick auf Éowyn, bevor er die Emyn Arnen verließ.

Die fröhliche Stimmung des Fürstenpaares war verflogen. Ratlos betrachtete Faramir seine schweigende Gemahlin, die mit gesenktem Kopf dasaß und ihre Hände gefaltet hatte.
„Ich wünschte, dieser Emyr wäre nie hierhergekommen!“, sagte Faramir schließlich aufgebracht. „Er hat uns diesen wundervollen Tag zerstört. Was für ein dummes Geschwätz von Flammen und Hüterinnen! Als ob Arda keine anderen Sorgen hätte! Sauron ist zwar vernichtet, aber immer noch laufen einige seiner Schergen frei in den Grenzgebieten zu Mordor herum. Wenn wir diesen Schurken nicht Herr werden, könnte Arda tatsächlich wieder in Gefahr geraten, allerdings auf andere Weise, als dieser Herr Ritter glaubt.“
„Ich bin verwirrt“, erhob Éowyn plötzlich das Wort und blickte zu ihm auf. „Ich habe von diesem Ort Malrond tatsächlich schon einmal gehört. Damals war ich noch sehr klein. Ich glaube, mein Vater hat öfters davon gesprochen. Allerdings erwähnte er nie in diesem Zusammenhang meine Großmutter.“
Faramir blickt seine Gemahlin nachdenklich an und fuhr sich schließlich durch die roten Locken.
„Malrond – das ist elbisch und bedeutet soviel wie goldene Höhle“, sagte er schließlich etwas ruhiger.

Éowyn fuhr sich zitternd über das Gesicht. Sie erhob sich kreidebleich von ihrem Stuhl und ging langsam an Faramir vorbei.
„Ich gehe nach oben in das Schlafgemach“, murmelte sie. „Ich fühle mich nicht wohl.“
Faramir blickte ihr besorgt nach. Als er die Übersetzung von Malrond erwähnt hatte, hatte sich Éowyn merkwürdig verändert. Er hatte das Gefühl, dass ihr diese goldene Höhle nicht unbekannt war.
Faramir folgte ihr nicht sofort nach oben, sondern er begab sich in die kleine Bibliothek des Hauses, wo Schriftrollen und Bücher in zahlreichen Regalen lagerten. Stirnerunzelnd zog er sich schließlich einige Schriftrollen heraus, um etwas nachzulesen. Als er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, ging er mit der entsprechenden Schriftrolle hinauf zu Éowyn ins Schlafgemach.

Die junge Fürstin lag vollständig angekleidet auf dem breiten Ehebett. Auf ihrem Nachttisch brannte nur eine kleine Öllampe. Sie wirkte sehr nachdenklich. Als Faramir eintrat, entspannte sie sich ein wenig und lächelte ihm unsicher zu.
Er setzte sich auf die Bettkante und ergriff zärtlich ihre Hand und lächelte ebenfalls.
„Ich habe hier in dieser Schriftrolle etwas über Malrond gefunden, mein Herz“, sagte er leise.
Éowyn blickte plötzlich zur Seite.
„Ich war bereits an diesem Ort, Faramir“, flüsterte sie. „Ich war noch sehr klein. Ich weiß noch, dass mich mein Vater auf dem Arm trug. Es war eine Höhle, wie in Gold getaucht.“
„Hast du auch diese merkwürdige Flamme und deine Großmutter dort gesehen?“, fragte Faramir erstaunt und streichelte ihre blasse Wange.
„An die Flamme kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern“, sagte Éowyn angestrengt nachdenkend. „Aber ich kann mich an die alte Frau dort erinnern. Mein Vater hat sich mit ihr gestritten, glaube ich. Ganz genau weiß ich es jedoch nicht mehr. Wir haben dann sehr schnell die Höhle wieder verlassen.“

Faramir öffnete jetzt die Schriftrolle vorsichtig und legte sie auf das Bett. Éowyn setzte sich vorsichtig auf und blickte hinein. Doch sie konnte die Buchstaben nicht lesen, denn es war die Schrift der Elben. Faramir jedoch beherrschte die Schrift und er berichtete ihr, was in der Schriftrolle stand.
„Die Elben erzählen hier von der Legende um Malrond. Die goldene Höhle existiert angeblich schon seit dem Ersten Zeitalter. Damals fürchteten die Menschen den Untergang ihrer Welt durch Morgoths dunkle Herrschaft. Man berichtete, dass Morgoth in seinem Zorn ganze Gebirge vernichtete und sie dem Erdboden gleichmachte. Besonders große Angst hatten die Menschen in dem schönen Land Calendor. Unter ihnen weilte jedoch eine starke, kluge Frau namens Brenil. Als sich Morgoths Schergen dem schönen Land nahten, rief sie in ihrer Not die Valar an und schloss mit ihnen einen Pakt.  Alle Menschen folgten Brenil in das Gebirge. Vor den Augen der Menschen tat sich in den Bergen eine Höhle auf. Brenil trat ein und ward nie wieder von einem lebenden Menschen gesehen. Aber die Gefahr war gebannt und Morgoth verschonte Calendor.“
„Eine schöne Geschichte“, seufzte Éowyn und blickte müde auf die Buchstaben, welche sie nicht lesen konnte. „Aber sie scheint trotzdem nicht erfunden zu sein.“
Faramir gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Du solltest jetzt schlafen, meine Blume“, mahnte er sie liebevoll. „Der Morgen ist immer klüger als der Abend.“

Éowyn hatte beunruhigende Träume in dieser Nacht und erwachte immer wieder. Daher verschlief sie den Sonnenaufgang am nächsten Morgen. Sie tastete neben sich und merkte, dass Faramir das Bett bereits verlassen hatte. Die Tür zum Balkon stand offen und sie hörte Geräusche aus dem Garten. Faramirs Stimme konnte sie auch vernehmen. Neugierig legte sie ihren samtenen Morgenmantel um und trat auf den Balkon hinaus. Im Garten gewahrte sie zwei junge Männer, die mit nacktem Oberkörper Kampfübungen ohne Waffen durchführten. Einer von den beiden war Faramir. Er trug wie sein Gegner nur eine leichte Hose. Sein rotes Haar hing verschwitzt über die Schultern. Voll Stolz betrachtete Éowyn den gestählten Körper ihres Gemahls. Als Faramir sie bemerkte, winkte er ihr kurz zu, wandte sich dann aber sofort wieder seinem Gegner zu, welcher ihn gerade anspringen wollte. Eine kurze Bewegung von Faramir und der andere landete unsanft auf den Rücken.
„Hoffentlich hast du dir nicht weh getan, Telumendil“, meinte Faramir besorgt und half seinem Gegner hoch.
Doch dieser packte Faramir und versuchte ihn ebenfalls aufs Kreuz zu legen. Allerdings hatte der junge Fürst mit einer ähnlichen Finte gerechnet und rettete sich mit einer raschen Drehung aus der heiklen Situation heraus.
Begeistert klatschte Éowyn Applaus auf dem Balkon.
„Gut gemacht, Faramir!“, lobte sie ihren Gemahl.
Faramir grinste ihr zu und verabschiedete sich von seinem Gegner. Éowyn beobachtete, wie Faramir zum Brunnen ging und sich dort kurz abwusch. Sie selbst ging jetzt wieder in das Gemach hinein, um sich anzukleiden. Sie wählte ein praktisches Reitkleid aus, denn sie hatte beschlossen, nach Minas Tirith zu reiten, zu diesem Emyr.

Als Faramir mit feuchten Haaren und offen stehender Tunika das Schlafgemach betrat, war Éowyn bereits fertig angezogen.
„Was hast du vor?“, fragte er erstaunt.
„Ich will diesen Emyr in Minas Tirith aufsuchen“, erklärte seine Gemahlin kurz angebunden. „Ich muss mehr über dieses Malrond wissen.“
„Du wirst doch nicht etwa mit ihm dort hin gehen?“, fragte Faramir erschrocken.
„Davon ist keine Rede“, meinte Éowyn kopfschüttelnd. „Ich habe heute Nacht von dieser goldenen Höhle geträumt. Das hat mich ziemlich beunruhigt. Ich muss wissen, ob diese Legende ein Körnchen Wahrheit enthält.“
Faramir presste die Lippen zusammen. Er war nicht begeistert von Éowyns Plänen, allerdings wusste er nur zu gut, dass er sie davon nicht abbringen konnte. Mit ihrer Sturheit hatte er in ihrem jungen Eheleben schon einige Male Bekanntschaft gemacht.
„Ich werde dich begleiten“, erklärte Faramir schließlich und zog sich die durchnässte Tunika über den Kopf.
Éowyn wirkte nicht sehr erfreut darüber. Mit ernster Miene verließ sie das Schlafgemach. Sie wollte eigentlich mit dem alten Ritter gerne unter vier Augen sprechen, denn sie hatte auch einige Fragen über ihre Großmutter. Dass Faramir auch dabei sein würde, störte sie.


Die Stimmung war gedämpft, als das Fürstenpaar mit einigen Leibwächtern nach Minas Tirith aufbrach. Faramir spürte, dass er auf dieser kurzen Reise nicht erwünscht war und er ärgerte sich darüber ein wenig. Éowyn und er hatten doch keine Geheimnisse voreinander. Bis jetzt jedenfalls nicht. Die Botschaft dieses alten Ritters hatte alles verändert zwischen ihnen. Éowyn gab sich plötzlich verschlossen und nachdenklich. Vergeblich versuchte er, zu ihr durchzudringen. Dabei wollte er ihr nur helfen.

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